Essay Zu Walter Benjamin „Das Kunstwerk Im Zeitalter Seiner Technischen Reproduzierbarkeit“ Mit Bezügen Zu Friedrich Kittler „Grammophon Film Typewriter“
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Essay zu Walter Benjamin „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ mit Bezügen zu Friedrich Kittler „Grammophon Film Typewriter“
Kunstwerke sind jeher reproduzierbar gewesen. Was jedoch erst mühevoll von geübter Hand geschaffen werden musste, dann durch Verfahren wie Druck- oder Gusstechniken erleichtert wurde, erledigen Maschinen schließlich mühelos. Doch die Reproduktion durch technische Hilfsmittel bleibt nicht die bloße Möglichkeit, Plagiate anzufertigen, die Techniken werden selbst zu eigenständigen Verfahrensweisen der Kunst. Neue Medien, wie Fotografie und Film entwickeln eine eigene Bildsprache, die in den altbewährten Maßstäben der Kunst nicht länger angemessen beurteilt werden kann. Wo zu Zeiten der manuellen Reproduktionstechniken das Original seine Autorität gegenüber der Kopie bewahrte, als das „Echte“ von ihr zu unterscheiden war, spielt im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Begriff des Originals keine Rolle mehr. Es ist weder möglich, noch sinnvoll, einem von zwei Abzügen desselben Negativs den Status des Originals zuzusprechen; ganz im Gegenteil: es ist Teil der Kulturtechnik Film, wie Fotografie das Einzelne unverändert und ununterscheidbar zu vervielfältigen.
Darüber hinaus erlaubt die technische Reproduktion, die Betrachtung auf ein Kunstwerk durch ein neues Medium, einen neuen, anderen, geschärften Blick auf das Objekt; Zeitlupe, Detailaufnahme, Panorama lenken die Aufmerksamkeit in völlig neue Richtungen. Und wird ein Abbild eines Werkes durch ein Medium erstellt, gibt dies eine Garantie für die Richtigkeit der Darstellung, da das Abbild quasi mechanisch durch das Abgebildete hervorgebracht wird, wie zum Beispiel durch seine Reflexion von Licht, die dann das Abbild auf einer Fotoplatte einbrennt. Dennoch kann selbst das maschinell erstellte Abbild nicht die „Aura“[1] des Kunstgegenstandes, seine materielle Dauer, geschichtliche Zeugenschaft, seine Einzigartigkeit, wiedergeben. Die Möglichkeit der technischen Reproduktion verschiebt desweiteren den Aspekt der Rezeption eines Kunstwerkes; weg von seinem „Kultwert“, hin zu seinem bloßen „Ausstellungswert“[2]. Nicht länger steht sein mystisches Vorhandensein im Vordergrund, sondern seine Ausstellbarkeit und allgemeine Zugänglichkeit.
Zudem revolutionieren die Praktiken, die der technischen Reproduktion eigen sind, die überkommenen Medien noch auf eine weitere Weise; es ist nicht möglich, mit Schrift oder Gemälden, Zeitabläufe, in all ihren Details, zu dokumentieren. Nicht mit noch so vielen Worten kann die tatsächliche Farbe eines Kleides, oder die Gegebenheit eines Raumes wiedergegeben werden. Dennoch wurde die Schrift zum dominanten Medium, um Geschichte, um Zeit, wenigstens symbolisch zu speichern; Bücher wurden zum „Surrogat unspeicherbarer Datenflüsse“[3], wortreiche Beschreibungen dienten dem Leser, das Beschriebene zu imaginieren. Mit der Technik des Films hingegen ist es möglich, ablaufende Zeit einzufangen, wie exakt wiederzugeben; wo das Zeitalter der Schrift, die „Geschichte“, in das „Medienzeitalter“[4] mündet, scheint „die Literatur [...] an technischer Reproduzierbarkeit“[5] zu sterben.
Dennoch ist es nicht die Realität, die das Publikum im Kino vor sich ablaufen sieht. Zwischen ihm und dem Dargestellten steht die Apparatur, die Technik des Films, die das Zuzeigende vorselektiert, Schwerpunkte setzt, beurteilt, durch bestimmte Einstellungen, Perspektiven, oder Schnitte. Der Zuschauer kann sich nicht frei in den gezeigten Räumen bewegen oder verweilen; er sieht nur, was die Apparatur bereit ist, ihm zu zeigen. Deshalb und darüber hinaus ist der Film perfekte Täuschung und vollkommene Imagination, denn nicht einmal, was den Zusehern als kontinuierlicher Bilderfluss erscheint, ist tatsächlich kein solcher, sondern eine Reihung von 24 Einzelbildern, die je Sekunde aufblitzen.
Doch nicht nur die Situation des Betrachters verändert sich im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, auch die des Darstellers und das aufs Radikalste. Ein Schauspieler spielt nicht länger auf einer Bühne vor einem real anwesenden Publikum, dessen Stimmung er während des Spiels aufnehmen und auf die er reagieren kann. Er spielt vor der Apparatur und für die Apparatur, die später seinen „Schatten“[6] für das Publikum spielen lassen wird. Im Film kann der Mensch zwar in seiner Ganzheit dargestellt werden, aus allen Blickwinkeln und mit all seinen Regungen, doch kann niemals seine Aura auf Zelluloid gebannt werden, sie ist an das Hier und Jetzt, den Moment gebunden.
Durch die Möglichkeit des Schneidens, das Aufgenommene im Nachhinein zu editieren, zerfällt „das Spiel des Darstellers in eine Reihe montierbarer Episoden“[7]. So kann nichts drastischer aufzeigen, „dass die Kunst aus dem Reich des „schönen Schein“ entwichen ist“[8], als die Vorstellung, in welchen absurden Situationen, oder unter welchen Manipulationen Aufnahmen entstanden sind, die einem im Kino dann so real dokumentiert erscheinen. Dies führt jedoch zurück zur veränderten Situation, in der sich das Publikum wieder findet, für das nämlich der Film den Gipfel des schönen Scheins bedeutet, da es bei der Betrachtung durch das Medium nicht länger im Stande ist zu erkennen, ob das Dargestellte in eben der präsentierten Reihenfolge erstellt wurde, oder nicht; eben genauso wenig, wie seine Augen die einzelnen Schnitte zwischen den 24 Bildern, die in einer Sekunde ablaufen, wahrnehmen kann. Der Betrachter gibt sich der Imagination hin, vertraut dem, was das Medium ihm da präsentiert, vielleicht nicht bewusst, aber dennoch blind.
Der Film spricht sein Publikum nicht nur auf eine andere Art und Weise an, als es ihm vorangegangene Darstellungsformen taten, er spricht auch eine andere Art von Publikum an. Der Film ist nicht elitär, sondern massentauglich. Er kann zur selben Zeit von einer großen Menge Zuschauern, auf Grund der Größe eines Kinosaals, und dank der Möglichkeit seiner Vervielfältigung, an verschiedenen Orten, rezipiert werden; Film bietet den „Gegenstand einer simultanen Kollektivrezeption“[9] für die Zerstreuung suchende Masse. Die Betrachtung eines Gemäldes fordert vom Betrachter konzentrierte Kontemplation, völlige Versenkung in die Darstellung; den Film hingegen versenkt der Betrachter in sich, nimmt ihn mühelos optisch und beinahe taktil wahr.
Und so überholen die neuen Medien die alten, nicht nur weil sie, des technischen Fortschritts wegen, beinahe nebenbei die Tatsachen oder Illusionen schaffen, die ihre Vorreiter unbeholfen versuchten, sondern auch weil sie sich dem Rezipientenpublikum anpassen und seinen Gewohnheiten entgegen kommen. Denn „Die Aufgaben, welche in geschichtlichen Wendezeiten dem menschlichen Wahrnehmungsapparat gestellt werden, sind auf dem Wege der bloßen Optik, also der Kontemplation, gar nicht zu lösen. Sie werden allmählich nach Anleitung der taktilen Rezeption, durch Gewöhnung, bewältigt.“[10].
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[1] Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main 1963, S.13
[2] Benjamin, S.18
[3] Kittler, Friedrich: Grammophon Film Typewriter, Berlin 1986, S.19
[4] Kittler S.33
[5] Kittler, S.198
[6] Benjamin, S.25
[7] Benjamin, S.26
[8] Benjamin, S.27
[9] Benjamin, S.33
[10] Benjamin, S.41