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Habermas Auf 5 Seiten

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Habermas auf fünf Seiten von Egbert Scheunemann
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Aktualisierte Version August 2008

Habermas‘ inzwischen in über dreißig Bänden entfaltetes philosophisches und gesellschaftstheoretisches Denken auf wenigen Seiten zusammenzufassen, ist kein leichtes Unterfangen. Gleichwohl möchte ich im Folgenden kurz zusammenfassen, worum es bei Habermas grundsätzlich geht und wie ‚alles‘ grundsätzlich zusammenhängt, weil mir ein ähnlicher Versuch, Habermas’ Gesamtwerk für die schnelle Lektüre auf wenige Seiten zu komprimieren, nicht bekannt ist – sehr wohl aber das Bedürfnis vieler Freundinnen und Freunde aus Philosophie und Politik, aber auch ‚nur’ aus dem interessierten Privatkreis, ein solches Kurzkompendium zur Verfügung zu haben. Also: Habermas‘ Philosophie ist der Versuch, das Projekt der Moderne, also die Entwicklung der modernen Zivilisation, als – in der Tradition Kants – dreigestaltige Rationalitätsentfaltung zu begreifen: als Prozess der Differenzierung der kognitiv-instrumentellen, der normativ-praktischen und der ästhetisch-praktischen Vernunftsdimension sowie der immer weiteren Ausdifferenzierung dieser Dimensionen quasi nach innen, also entsprechend immanenter Logik.3 Diese (mehr die Logik betreffende) Rationalitätstheorie ist dabei zum Einen als (mehr die Empirie berücksichtigende) Gesellschaftstheorie zu begreifen: Die Entfaltung der genannten Rationalitätsdimensionen läuft analog zu einer adäquaten Entfaltung der gesellschaftsanalytisch zu erfassenden Dimensionen der uns bekannten Welt: der objektiv-dinglichen (Wissenschaft, Technik, aber auch Natur und Mensch betrachtet als Dinge), der sozial-menschlichen (Recht und Moral) und der subjektiv-menschlichen bzw. psychischen Welt (Erotik, Kunst und andere Expressionen unserer Psyche), also jener Dimensionen, die Gegenstände analoger Sozial- und Humanwissenschaften sind (Wissenschafts- und Technikgeschichte, Soziologie und Sozialphilosophie, Psychologie und Psychoanalyse etc.). Entsprechend breit ist Habermas‘ Programm der Rekonstruktion jener zentralen sozialwissenschaftlichen Theorien, die sich mit den einzelnen Aspekten der Rationalisierung unserer Welt und unserer Weltbilder beschäftigen:
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Beim folgenden Artikel handelt es sich um einen stark überarbeiteten Auszug aus meinem Buche: Vom Denken der Natur. Natur und Gesellschaft bei Habermas, Lit Verlag Münster/Hamburg/London 1999, ISBN: 3-8258-3197-3, S. 12-18, bzw. aus: Vom Denken der Natur. Natur und Gesellschaft bei Habermas. Vollständig überarbeitete und stark erweiterte Neuausgabe 2008, Hamburg-Norderstedt, ISBN 978-3-8370-2722-8, S. 20-29. 2 Die Aktualisierung betrifft nur die Literaturgrundlagen und nicht den fortlaufenden Text. 3 Man könnte auch von vier Rationalitätsdimensionen sprechen: Die Sprache kommt als relativ eigenständiges, die anderen Dimensionen übergreifendes Medium bzw. als eigene übergreifende Dimension hinzu (14/141-151: vgl. die durchnummerierte Literaturliste im Anhang).

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2 Er rekonstruiert, um nur die wichtigsten Beispiele anzuführen, die Entwicklung und Rationalisierung mythischer zu modernen Weltbildern (14/72 ff.), das Konzept der Weltbilddezentrierung bei Piaget (14/102 ff.), die Dreiweltentheorie von Popper (14/115 ff.), die Ausdifferenzierung erklärender Natur- und verstehender Sozialwissenschaften (14/152 ff.), die Theorie der Rationalisierung und der Entzauberung religiösmetaphysischer Weltbilder bei Max Weber (14/225 ff. u. 262 ff.), die Kritik instrumenteller Vernunft bei Horkheimer/Adorno (14/489 ff.), die rationale Ausdifferenzierung unserer Sprache bzw. des kommunikativen Handelns im Konzept von Mead (15/11 ff.), die Durkheimsche Darstellung der Autorität des Heiligen als normativer Hintergrund kommunikativen Handelns und ihrer rationalen Versprachlichung (15/69 ff.), die Ausdifferenzierung von System und Lebenswelt (15/173 ff.) bzw. die systemtheoretische Beschreibung derselben durch Parsons (15/297 ff.), die Interpretation dieser Entwicklung als wachsende Entfremdung und Verdinglichung bei Marx (15/489 ff.) oder schließlich die Entwicklung und Durchrationalisierung des modernen Moral- und Rechtssystems (27/-). Habermas‘ Rationalitätstheorie ist jedoch nicht nur als Gesellschaftstheorie, sondern auch als Sprachtheorie bzw. als Theorie kommunikativen Handelns zu verstehen: Rationalität entfaltet sich nicht im allein vor sich herbrütenden kantischen Subjekt, das souverän alle grundlegenden, also transzendenten Verstandeskategorien bewußtseinsphilosophisch, d.h. monologisch entwickelt. Rationalität zeigt sich allein, und hier vollzieht Habermas gegenüber der Erkenntnistheorie bzw. Bewusstseinsphilosophie (nicht nur) Kants seine berühmte linguistische Wende, in der kommunikativen Dimension intersubjektiver Verständigung: In jedem gelingenden alltäglichen Sprechakt müssen wir denknotwendig bestimmte Geltungsansprüche erheben, in deren selbstverständlicher Voraussetzung und Anwendung im Alltag bzw. in deren (potenzieller) Verteidigung in einem herrschaftsfreien Diskurs sich Rationalität als der eigentümlich zwanglose Zwang des besseren Argumentes allein entfaltet: Wir müssen etwas (1.) vernünftig Nachvollziehbares behaupten, wir müssen es (2.) in einem sozial anerkannten Kontext tun, wir müssen dabei (3.) glaubhaft sein und wir müssen uns schließlich (4.) einer vom Angesprochenen beherrschten Sprache bedienen: Wir müssen also wahr, richtig, wahrhaftig und verständlich sprechen – sonst bricht Kommunikation als die Ressource menschlicher Reproduktion (von den Kommunikationsvorausetzungen ökonomischer Arbeitsteilung bis zu jenen sexueller Reproduktion) unweigerlich zusammen. Insofern diese Voraussetzungen jedes alltäglichen, also pragmatischen Sprechaktes denknotwendig (insofern also quasi transzendent bzw. quasi letztbegründend) sind, sind sie universell: Das macht den Pragmatismus (im Gegensatz zur methodischen, wissenschaftssprachlich disziplinierten Vorgehensweise in der Linguistik oder in der analytischen Sprachphilosophie) und den Universalismus (im Gegensatz zu den raumzeitlich, also gegenständlich begrenzten Kontexten konkreter Sprachgemeinschaften) der Universalpragmatik aus, wie Habermas (mit Karl-Otto Apel) seine Sprach- bzw. Kommunikationstheorie auch nennt. Rationalität ist also definitorisch eine kommunikative. Habermas spricht insofern von der „der Sprache innewohnende(n) Rationalität“ bzw. vom „Rationalitätspotential verständigungsorientierten Handelns“ (15/132). Wahrheit, als der philosophiegeschichtlich schon immer privilegiert im Vordergrund stehende Geltungsanspruch (14/93 u. 17/203), ist also allein das, was in einem herrschaftsfreien Diskurs vernünftigerweise behauptet und verteidigt werden kann (Diskurstheorie der Wahrheit) – von der Behauptung des Satzes Dies ist ein Tisch bis zur Herleitung des Satzes des Pythagoras oder der speziellen Relativitätstheorie. Nur Sätze über Dinge (Realität) sind wahr (oder falsch), nicht diese Dinge (Phänomene, Erscheinungen

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3 etc.) selbst (die sind oder nicht sind, existieren oder nicht): „Wahrheit, als die Berechtigung des in einer Behauptung implizierten Geltungsanspruchs, zeigt sich nicht, wie die Objektivität der Erfahrung, im erfolgskontrollierten Handeln, sondern allein in der erfolgreichen Argumentation, durch die der problematisierte Geltungsanspruch eingelöst wird.“ (3/388, analog 17/171) Die Natur, wie ich Habermas ergänzen würde, bringt uns, als Teile der Natur, über ihre physikalischen etc., also naturgesetzlichen Daseinszwänge zwar durchaus dazu, nur das in einem herrschaftsfreien Diskurs als wahren Satz zu behaupten bzw. als eigentümlich4 zwanglosen Zwang des besseren Argumentes anzuerkennen, was irgendwie der (raumzeitlichen) Realität, also dem „Zwang der Natur“ (5/524), und bzw. oder sprachlich-logischen Zwängen entspricht.5 Gleichwohl ist ein Satz nicht deswegen wahr, weil sein propositionaler, also etwas behauptender Bestandteil der Realität korrespondiert, sondern weil er in einem herrschaftsfreien Diskurs vor anderen Diskursteilnehmern (tendenziell: dem universalen Auditorium) als wahrer verteidigt werden kann. Nur denk- und argumentationsfähige Andere können uns darüber aufklären, dass wir nicht gerade träumen oder spinnen, wenn wir uns ganz in der ‚Realität‘, also ihr sprachlich oder intuitiv (oder wie auch immer) korrespondierend wähnen: „Objektivität der Erfahrung (ist) nicht möglich ohne Intersubjektivität der Verständigung.“ (25/23)6 Rationalität entfaltet sich also in allen ihren Dimensionen bereits im alltäglichen Sprechakt in der alltäglichen, hermeneutisch bzw. phänomenologisch zu interpretierenden Lebenswelt: „(I)n der kommunikativen Alltagspraxis hängen die Vernunftsmomente zusammen“ (13/531, analog 17/521). Gleichwohl kommt es erst mit der immer differenzierteren und komplexeren Ausbildung eines (wiederum gesellschaftstheoretisch zu analysierenden) Systems sozialer Institutionen (Wissenschaft und Technik, Ökonomie, Staatsbürokratien etc.) zu einer einseitigen Entwicklung und Dominanz der kognitivinstrumentellen Vernunftsdimension mit der Folge einer Kolonialisierung der Lebenswelt bzw. der in ihr zwar weiter enthaltenen, aber mehr und mehr unterdrückten moralisch-praktischen und ästhetisch-praktischen Vernunftsdimension. Funktionale System_____________________________

Die Formulierung vom eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Argumentes liest man bei Habermas so oft, dass ich hier auf Einzelnachweise verzichte. Interessant ist, dass Habermas an keiner Stelle (es sei denn, ich hätte eine überlesen) konkreter oder überhaupt darauf eingeht, was er mit diesem eigentümlich genauer meint. Das ist irgendwie konsequent: Könnte er uns genau sagen, was es damit auf sich hat, wäre die Sache ja nicht mehr – eigentümlich. In meinem in der ersten Fußnote zitierten Buch versuche ich nachzuweisen, dass sich hinter diesem eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Argumentes die Zwänge der Natur(gesetze) verbergen, dass also logische Zwänge quasi als Naturgesetze zweiten Grades zu verstehen sind. Vgl. hierzu sehr viel detaillierter mein Buch Von der Natur des Denkens und der Sprache. Fragmente zur Sprachphilosophie, Erkenntnistheorie und physikalisch-biologischen Wirklichkeit, Peter Lang Verlag Frankfurt/a.M. 2003, ISBN 3-631-50790-9, 521 Seiten. 5 Habermas formuliert an einer Stelle, an der (mir) nicht ganz klar ist, ob er Peirce nur referiert oder auch affirmiert, wie folgt: „Der Realitätszwang, der sich in der qualitativen Unmittelbarkeit singulärer Empfindungen und Gefühle verkörpert, ist Anlaß, die Wirklichkeit in Form wahrer Aussagen zu konstituieren, jedoch gehört er nicht selber zur Realität (?? E.S.). Wie können wir dann aber überhaupt etwas über ihn sagen?“ (3/130) Tja, würde ich sagen. 6 Wenn sich Wahrheit nur intersubjektiv, nur im herrschaftsfreien, also öffentlichen Diskurs konstituiert, dann ist klar, dass zwischen dem Diskursprinzip der Wahrheit und dem Demokratieprinzip ein sehr enger Zusammenhang besteht.

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4 integration dominiert also mehr und mehr normativ-kommunikative Sozialintegration, die systemischen Kommunikations- bzw. Steuerungsmedien Geld und Macht ersetzen und zerstören mehr und mehr das lebensweltliche Medium der Alltagssprache in seiner sinnstiftenden Funktion. Das Gleichgewicht zwischen System und Lebenswelt geht verloren. Das inzwischen wuchernde System unserer Institutionen, anfänglich als Entlastung entwickelt, wird zu einer immer größeren Belastung der Lebenswelt und ihrer Fähigkeit, Normen zwischenmenschlichen Zusammenlebens und den dahinter stehenden Sinn der ganzen Veranstaltung kommunikativ zu begründen. Habermas rekonstruiert also die Entfaltung der Vernunft dreifach als Rationalitäts-, Gesellschafts- und Sprachtheorie bzw., anders gesprochen, als Rekonstruktion der Entwicklung und Entfaltung unseres Denkens (Geschichte der Philosophie und der Wissenschaft bzw. ihrer Methoden, Erkenntnistheorie, Positivismuskritik etc.) bzw. unserer Gattung (soziale Evolution, Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Entwicklungspsychologie, Systemtheorie etc.) bzw. unserer Sprache (Hermeneutik, Linguistik, analytische Sprachphilosophie, Universalpragmatik etc.). Die Rekonstruktion der einseitig in ihrer instrumentellen Dimension entfalteten Vernunft verweist jedoch immer wieder auf die Einheit der Vernunft,7 also auf die Möglichkeit, instrumenteller Rationalität Sinn und Vernunft durch die anderen Vernunftsdimensionen nach wie vor vorgeben zu können, und also darauf, dass diese Vorgabe nicht unvernünftig, nicht irrational, also etwa mythisch, religiös oder dezisionistisch sein muss, dass unsere Sinnvorgaben, moralischen Zielsetzungen oder ethischen Zwecke durchaus vernünftig begründet werden können in einem moralisch-praktischen Diskurs (Diskursethik): Der der Kritischen Theorie fehlende moralische Maßstab, den sie, als Theorie der Kritik, also der Negation, sich positiv nie setzen wollte und aus einer einseitig missinterpretierten, auf instrumentelle Rationalität reduzierten Vernunft – siehe Horkheimer/Adornos Dialektik der Aufklärung8 – meinte nicht ableiten zu können, kann ihr also durchaus vernünftig begründet nachgereicht werden. Die grundlegende Einheit der Vernunft und also die Argumentationszwänge, die sich auch in moralisch-praktischen Diskursen ergeben, verdeutlicht Habermas auch unter Rückgriff auf die Forschungsergebnisse der Entwicklungspsychologie (Piaget, Kohlberg). Nicht nur die kognitiv-instrumentelle Entwicklung unseres Bewusstseins (Piaget) unterliegt einer logischen, also insofern zwingenden Entwicklungsrichtung bzw. Evolution (in plakativer Kürze: wir müssen zuerst das Rad erfunden haben, bevor wir Autos bauen können). Auch die Entwicklung unseres moralischen Bewusstseins (Kohlberg) scheint solchen logischen Entwicklungsstufen zu folgen: von der (1.) präkonventionellegozentrischen (Hedonismus, Strafe/Belohnung, Vergeltung/Wiedergutmachung), über die (2.) konventionell-soziozentrische (Gesetzesgehorsam, Beachtung von und Unterwerfung unter nicht hinterfragten Verhaltensregelungen, also Konventionen der Sippe, des Stammes etc., Staats- und Vertragstreue) bis zur (3.) postkonventionell-universalistischen Stufe der allein an vernünftig zu begründenden Prinzipien orientierten Diskursethik. Die kognitiven und moralischen Entwicklungsmuster des Subjektes (Ontogenese) scheinen sich dabei in der Evolution ganzer Gesellschaften (Phylogenese) zu wiederho_____________________________ 7

Habermas spricht von einer „untergründige(n) Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft“ (13/148). 8 Vgl. meine Kritik an Horkheimer/Adornos Dialektik der Aufklärung: www.egbert-scheunemann.de/Dialektik-der-Aufklaerung-Kritik.pdf

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5 len: „Dieselben Muster kehren in der sozialen Evolution der Rechts- und Moralvorstellungen wieder.“ (10/13) Nicht nur einzelne Subjekte, sondern auch ganze Gesellschaften können in einer Adoleszenzkrise stecken, also in der Krise des Übergangs von der genannten zweiten zur dritten moralischen Entwicklungsstufe, von der, bildhaft gesprochen, Jugend zur erwachsenen Mündigkeit. Es scheint, betrachtet man die Probleme moderner Gesellschaften, in der Tat ein schlüssiger Gedanke zu sein, dass Menschen, die größtenteils noch in der Adoleszenzkrise stecken, also noch nicht ganz mündig und also gleichsam noch Halbstarke sind, durch ihr nicht ganz durchdachtes Hantieren mit hochartifiziellen Produkten der weit vorausgeeilten Entwicklung der instrumentellen Vernunft (von Atomkraftwerken bis zu lasergesteuerten Waffen) das eine oder andere ‚kleine Problem‘ quasi schaffen müssen – Kinder am Steuer von Autos bauen Unfälle. Die grundlegende Einheit der Vernunft zeigt sich schließlich nicht nur im Verweis der instrumentellen auf die praktische Vernunft, sondern selbst dort, wo Rationalität oft nicht vermutet wird: Auch im Bereich der Ästhetik, der künstlerischen Expression innerer psychischer Welten, Gefühle, Träume etc. beginnen Menschen bekanntlich zu argumentieren, versuchen sie, ihre Urteile zu begründen (ästhetisch-praktischer Diskurs). Das, was ganze Epochen und ganze Kulturkreise als schön, wohlgeformt, ansprechend oder als interessant, aufrüttelnd und erhellend, phantastisch-utopische Wege aufzeigend ausgezeichnet haben, ist nicht nur willkürlich oder gar irrational. Gewisse, um nur ein (nicht von Habermas stammendes) Beispiel zu geben, Proportionen, etwa melodische, rhythmische, mathematisch-physikalisch darstellbare in der Musik, sind uns durchaus von der Natur vorgegeben. Auch in der Diskussion des Ästhetischen kann sich also der Zwang des besseren Argumentes ergeben. Nicht die Entfaltung der Vernunft selbst hat schließlich, so Habermas, zu den Pathologien der Moderne geführt (von der Kolonialisierung der Lebenswelt bis zu den Grenzen des Wachstums), wie eine zeitgeistige (Foucault, Derrida, Bataille etc.) und oft auch sehr angestaubte Vernunftkritik (Nietzsche, Heidegger, aber auch Horkheimer/Adorno) behauptet, sondern deren einseitig instrumentelle Entfaltung im System bei höchst mangelhafter Rationalisierung der oft noch vormodernen ethischen und moralischen Gehalte in der Lebenswelt. Wir leiden also gleichermaßen an zuviel instrumenteller Rationalität wie an zuwenig lebenspraktischer Vernunft (18/361). Will man Habermas‘ Denken also in einem Satz zusammenfassen, dann könnte man vor dem Hintergrund des eben Ausgeführten schreiben: Habermas versucht die Einheit wie die Entfaltung der Vernunft (und damit der zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit) kommunikationstheoretisch zu rekonstruieren, um, wie ich bewusst altmodisch formulieren möchte, die zugrunde liegende Einheit wie die grundsätzlich wünschenswerte Entfaltung des Wahren, Guten und Schönen bzw. des Projektes der Moderne bzw. des Projektes Humanismus und Aufklärung jenseits mystisch-religiöser (traditionale Gesellschaften, Naturrecht), idealistischer (Kant, Hegel), nihilistischer (Nietzsche), metaphysisch-ontologischer (Heidegger), dezisionistischer (Positivismus) oder relativistischer Ansätze und Kritiken (Foucault, Derrida, Bataille, Rorty etc.) rational zu begründen und zu verteidigen sowie die Pathologien der Moderne nicht als Exzesse der Vernunft, sondern als Deformationen der Vernunft aufzuzeigen.

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Literatur von Habermas9 1) Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Darmstadt/Neuwied 1980 (1962). 2) Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien, Frankfurt/a.M. 1993 (1963). 3) Erkenntnis und Interesse. Mit einem neuen Nachwort, Frankfurt/a.M. 1994 (1968). 4) Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, Frankfurt/a.M. 1968. 5) Zur Logik der Sozialwissenschaften. Erweiterte Ausgabe, Frankfurt/a.M. 1985 (1970). 6) Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung? (mit Niklas Luhmann), 1972 (1971), Frankfurt/a.M. 7) Philosophisch-politische Profile. Erweiterte Ausgabe, Frankfurt/a.M. 1991 (1971). 8) Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt/a.M. 1979 (1973). 9) Kultur und Kritik. Verstreute Aufsätze, Frankfurt/a.M. 1973. 10) Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfurt/a.M. 1995 (1976). 11) Politik, Kunst, Religion. Essays über zeitgenössische Philosophen, Stuttgart 1989 (1978). 12) Stichworte zur „Geistigen Situation der Zeit“ (Hg.), 2 Bände, Frankfurt/a.M. 1979, Band 1, S. 7-35. 13) Kleine politische Schriften I-IV, Frankfurt/a.M. 1981. 14) Theorie des kommunikativen Handelns. Band 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Frankfurt/a.M. 1995 (1981). 15) Theorie des kommunikativen Handelns. Band 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt/a.M. 1995 (1981). 16) Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt/a.M. 1996 (1983). 17) Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt/a.M. 1995 (1984). 18) Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt/a.M. 1996 (1985). 19) Die Neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften V, Frankfurt/a.M. 1985. 20) Eine Art Schadensabwicklung. Kleine Politische Schriften VI, Frankfurt/a.M. 1987. 21) Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze, Frankfurt/a.M. 1992 (1988). 22) Die nachholende Revolution. Kleine politische Schriften VII, Frankfurt/a.M. 1990. 23) Die Moderne – Ein unvollendetes Projekt. Philosophisch-politische Aufsätze, Leipzig 1994 (1990). 24) Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt/a.M. 1992 (1991). 25) Texte und Kontexte, Frankfurt/a.M. 1992 (1991). 26) Vergangenheit als Zukunft. Das alte Deutschland im neuen Europa?, hrsg. von Michael Haller, München/Zürich 1993 (1991). 27) Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt/a.M. 1994 (1992). 28) Die Normalität einer Berliner Republik. Kleine Politische Schriften VIII, Frankfurt/a.M. 1995.
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In Klammern das Jahr des Ersterscheinens.

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7 29) Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt/a.M. 1997 (1996). 30) Vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck. Philosophische Essays, Frankfurt/a.M. 1997. 31) Die postnationale Konstellation. Politische Essays, Frankfurt/a.M. 1998. 32) Wahrheit und Rechtfertigung. Philosophische Aufsätze, Frankfurt/a.M. 1999. 33) Zeit der Übergänge. Kleine Politische Schriften IX, Frankfurt/a.M. 2001. 34) Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Frankfurt/a.M. 2001. 35) Glauben und Wissen, Frankfurt/a.M. 2001. 36) Der gespaltene Westen. Kleine Politische Schriften X, Frankfurt/a.M. 2004. 37) Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt/a.M. 2005.

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