Die Deutsche Sprache ist in Gefahr! Und wir müssen sie retten!
Von Thorsten Bruns, Oldenburg
Liebe Teilnehmerinnen, liebe Teilnehmer,
ich bin kein fiktiver Oberbürgermeister.
Das hier ist keine fiktive Feier, ihr seid keine fiktiven Ehrengäste.
Das hier ist real.
Ich steh hier als der, der ich bin.
Ich stehe, wo ich stehe – vor dem Publikum, das ihr seid.
Wir kennen uns seit ungefähr 40 Stunden.
2.400 Minuten. 144.000 Sekunden.
Wenn man diese Sekunden stapeln würde, dann ergäbe das einen Berg...
Nein, keine Sorge, ich mach jetzt nicht den Franz-Josef Strauß.
Es sind große Zahlen, auch ohne Bergmetaphern.
Aber die Wahrheit ist: Die Zeit war kurz.
Nicht mal der Ansatz eines Wimpernschlages in unseren Biographien.
Vielleicht nicht mal das Zucken eines Augenlids.
Trotzdem fühlt es sich anders an.
Uns eint etwas.
Uns schweißt etwas zusammen.
Die Leidenschaft für Sprache.
Wie arbeiten mit ihr. Wir gestalten mit ihr. Wir spielen mir ihr.
Sprache ist unser Werkzeug, um etwas zu bewirken, etwas zu verändern.
Indirekt zwar.
Aber trotzdem effektiv.
Aber: Unser Werkzeug wird langsam alt. Brüchig und porös.
Es ist gut zu erkennen; wir müssen nur genau hinschauen.
Ihr kennt das Web 2.0.
Facebook, Twitter, Xing und so weiter.
Alles ganz lustig und alles ganz nützlich.
Dem Web 2.0 verdanken wir aber auch die hässliche Fratze der
Kommunikation:
Die Kommentare auf den Internetseiten.
Habt ihr schon mal nach ganz unten gescrollt?
In die Untiefen und Abgründe der deutschen Sprache?
Es gibt sie überall.
Spiegel Online, Focus Online, alle machen mit.
Ganz unten, am Ende der Artikel, steht er:
Der Spiegel, in den die deutsche Sprache blicken muss – wenn sie ehrlich zu sich selbst sein will.
Und wenn sie sich in diesem Spiegel betrachtet, dann erkennt sie:
Mein Gott, bin ich ramponiert!!
Was ist passiert?
In Deutschland, dem Land der Dichter und Denker?
Es hat sich was verändert.
In Deutschland, dem Land der Deppen und Dilettanten.
Es hat ein Kampf stattgefunden.
Ein Kampf um Tempo und Geschwindigkeit.
Ein Kampf gegen Rhetorik, Grammatik und Logik.
Von der Rechtschreibung redet eh keiner mehr.
Sie ist längst begraben und vergessen.
Ich hab gestern Abend zehn willkürliche Beispiele nachgeprüft.
Keins war fehlerfrei, einige hatten mehr Fehler als Worte.
Das ist schon eine Kunst für sich.
Ich spreche mich selbst nicht frei.
Ihr wisst, ich kann mit meinen bloßen Fingern Tastaturen zerhacken.
Aber meine Shift-Tasten sind seltsam unberührt.
Als hätte ich sie nie benutzt.
Und das ist nah dran an der Wahrheit.
Kleinschreiben geht schneller.
Wir wollen eben überall dabei sein.
Wir wollen überall mitmachen.
In Echtzeit. Live.
Wenn dann mal ein Komma fehlt, wenn dann mal ein Kasus falsch ist – dann gilt das als ein Kollateralschaden. Niemand kümmert sich.
Es hat ja schon ein offizielles Opfer gegeben.
Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod.
Ruhe sanft. Ich hab dich gemocht.
Die deutsche Sprache war ein großer Champion.
Jetzt ist sie ein wankender Riese.
Sie steht in der zwölften Runde eines Boxkampfs gegen die Unkultur.
Ihre Augen sind geschwollen, die Nase blutig, ihre Schläge schwach.
Sie sieht schlecht aus.
Richtig schlecht.
Aber:
Liefert uns das Boxen nicht einige der schönen Comebacks?
Kennt ihr den „Rumble in the Jungle“, den „Thrilla in Manilla“?
Muhammad Ali in den Ringeseilen, am Ende seiner Kräfte, scheinbar geschlagen, doch am Ende siegreich.
Auch der Kampf der Deutschen Sprache ist noch nicht vorbei.
Doch sie schafft es nicht allein.
Sie braucht Hilfe.
Von der Politik.
Da muss viel mehr kommen als das ewige Mantra von der Bedeutung der
Bildung.
Oder wollen wir ein Land der Ideen sein, in dem niemand weiß, wie
Innovation geschrieben wird?
Die deutsche Sprache braucht Hilfe.
Auch von uns.
Von wem denn sonst?
Sie hat ja niemanden.
Uns dagegen eint die Leidenschaft für Sprache.
Wir arbeiten mit ihr. Wir gestalten mit ihr. Wir spielen mit ihr.
Und jedes Mal, wenn wir das tun, wedeln wir ihr Luft zu, tupfen wir ihre
Stirn, vernähen ihre Wunden.
Okay, wir sind Werkzeuge der Politik.
Wir sind Mittel zum Zweck.
Aber wir sind auch mehr.
Wir sind zwölf Bastian Sicks.
Wir müssen nicht unbedingt 4 Mio. Bücher verkaufen.
Wir müssen nur darauf achten, wie wir mit Sprache umgehen.
Aber, Moment...
Ich sollte hier die Verben verschieben.
Unser Gedanke darf nicht sein: wir müssen.
Unser Gedanke muss sein: wir dürfen.
Wir dürfen unsere Sprache pflegen.
Und wir dürfen sie davor bewahren, im Sumpf der Gleichgültigkeit zu versinken. Unsere Wege, liebe Mitstreiter, werden sich heute wieder trennen.
Nach 44 Stunden. 2.640 Minuten. 158.400 Sekunden.
Aber unsere Mission geht weiter.
Wir nehmen neue Waffen mit und neuen Mut.
Und Inspiration!
Denn wir wissen; wir sind nicht allein.
Der Gegner ist zwar in der Überzahl.
Aber er hat nur die Ignoranz.
Wir haben unsere Leidenschaft.
Und die hat schon häufig Wunder bewirkt.
Im Kinshasa. In Manila. Im World Wide Web.
Warum nicht auch in Kiel, Leverkusen oder Magdeburg?
Ich bin mir jedenfalls sicher: ich werde von euch hören.
Direkt oder indirekt.
Und es wird mir ein Vergnügen sein.
Danke dafür.
Und danke für eure Aufmerksamkeit!