Free Essay

Skinhead-History

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Submitted By HarryPothead
Words 26942
Pages 108
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produktionserweiternde Hilfsmittel Musik: Bronski Beat: „Why“; Georgette Dee & Terry Truck: „Nochmal mit Gefühl“; Sono: „Keep Control“, Technasia: „Force“, Andeas F.: „Science Fiction“, Daft Punk: „Discovery“ sowie die mp3-Livestreams ska*anarchy und philosomatika.net Drogen: frische Erdbeeren, Currywurst ohne Darm mit Pommes/Mayo, Oi-Zigaretten hoch oben auf dem Kreuzberg, der Blick über den Hamburger Hafen, Kaffee, Bailey’s, der Himmel über Berlin und 1275 mg Johanniskraut täglich spezieller Dank an: Klaus Farin und das „Archiv für Jugendkulturen“, Frank aus Guben (Es sollte nicht sollen sein!), Markus aus FFM, Frank und Max aus Kreuzberg 36 für ganz viel Zuversicht, meine Firma für das neue Notebook, T-Online für’s High-Speed-Internet, Achim, Rüdiger und Oliver für’s Korrekturlesen, Uwe für den Braten und die Musik und an alle, die wissen, daß ich sie zu meiner Familie zähle. …und in letzter Minute auch an Betti! …nur an Torsten nicht – und er weiß auch, warum! Trotzdem widme ich ihm diese Arbeit, denn Liebe ist ein dreckiges Geschäft…

© Ole Meiners, Berlin 2001

Inhaltsverzeichnis ..........................................................................................................ii Prolog............................................................................................................................... 1 1 2 3 4 Einleitung................................................................................................................ 3 ...zwischen rechts und links und oben und unten… ........................................ 5 Vom Ted zum Mod – die „Halbstarken“ ........................................................... 9 Spirit Of ’69 – the summer of skin..................................................................... 13 4.1 Die Skinheads sind da!............................................................................ 13 4.2 Ska elektrisiert die Glatzen..................................................................... 16 4.3 Spaß an Gewalt......................................................................................... 17 Punk meets Skin: Oi! ........................................................................................... 20 5.1 Eine haarige Angelegenheit ................................................................... 23 5.2 Skinhead senior und der Nachwuchs................................................... 23 5.3 If the Kids are united............................................................................... 25 5.4 Stiefelwichs ............................................................................................... 26 Kleidung – Mode – Image: die Uniformität der Skins ................................... 28 6.1 Schuhwerk ................................................................................................ 28 6.2 Der Schnürsenkel und seine Farbe an sich…....................................... 31 6.3 Hosen und Anzüge.................................................................................. 33 6.4 T-Shirts, Hemden und Pullover............................................................. 34 6.5 Jacken......................................................................................................... 35 6.6 Frisuren ..................................................................................................... 36 6.7 …was sonst noch dazugehört: ............................................................... 36 The kids become divided: National Front & British Movement.................. 38 7.1 Boat People ............................................................................................... 39 7.2 Der eisige Hauch der eisernen Lady..................................................... 39 7.3 Die Saat der Gewalt geht auf: Southall, 3. Juli 1981............................ 41

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8 Mit der braunen Welle auf den Kontinent? – Der Kult kommt nach Deutschland.............................................................................................................. 44 8.1 Das Ende der Sozialromantik: Braun blüht auf................................... 45 8.2 Vom Iro zur Glatze: Skins im Westen................................................... 48 8.3 Skinhead made in DDR........................................................................... 50 8.4 Der Fall Frank Hübner ............................................................................ 52 9 Skinhead Planet.................................................................................................... 56 9.1 SHARP....................................................................................................... 56 9.2 Skins united: Die Szene im vereinten Deutschland ............................ 58 9.3 Im Spiegel der Medien und der Statistik.............................................. 60 9.3.1 Von Schmutzfinken und Abschreibern ........................................ 60 9.3.2 Die zehn Tage von Sebnitz ............................................................. 62 9.3.3 Zahlen, Daten, Fakten: Die Skinhead-Studie ............................... 64 9.4 Skin und schwul?..................................................................................... 67 Ein Schluß wäre unangemessen… ................................................................ 71

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Epilog............................................................................................................................. 74 Abbildungsnachweis....................................................................................................iii Literaturverzeichnis......................................................................................................iv

„Sie sind von einem unserer Mitarbeiter wiedererkannt worden – Ihr Foto war ja in dieser Zeitschrift abgebildet – und nun zweifeln wir, ob wir denn wirklich die Wohnung an Sie vermieten können. Extremisten passen nicht in unser Konzept…“ Es passiert mir selten, daß ich sprachlos bin, aber Herr W., Mitarbeiter einer gemeinnützigen Berliner Wohnungsbaugesellschaft, stand gerade davor, einen dicken Strich durch meine Zukunftspläne zu machen. Das war passiert: Mein Freund und ich waren im Herbst 2000 im Begriff, von Hamburg gemeinsam nach Berlin überzusiedeln und waren froh, in Kreuzberg eine Wohnung gefunden zu haben. Ein Glücksgriff! Zwei Tage nach der Besichtigung trafen wir uns zu Vertragsgesprächen im Büro von Herrn W. Das war noch passiert: Ein befreundeter Journalist aus Berlin fragte wenige Wochen zuvor meinen Freund und mich, ob wir nicht für einen ausführlichen Bericht zum Thema „schwule Skinheads“ als Interviewpartner zur Verfügung stehen könnten. In der August-Ausgabe des schwul-lesbischen Magazins „outline“ fanden wir uns in der Titelgeschichte wieder – jeweils mit Bild und deutlichem Statement gegen Rassismus und Faschismus. Und nun passiert dies: Ein Sozialarbeiter, der für die Wohnungsbaugesellschaft tätig ist, beobachtet uns beim Betreten der Büros und erinnert sich an die Bilder im „outline“ – mehr aber offenbar nicht, denn Glatze, Bomberjacke und die Schlagzeile „Skinhead“ genügen wohl auch einem Sozialarbeiter in der deutschen Hauptstadt, die Schublade „Rassist“ aufzuziehen. Als kompetenter Fachmann klärt er den Herrn W. am nächsten Tag über den vermeintlichen Sachverhalt auf und löst damit einen Telefonanruf aus: „Sie sind von einem unserer Mitarbeiter wiedererkannt worden…“ In der Hektik, politisch korrekt zu handeln, hat sich keiner die Mühe gemacht, die Titelgeschichte des Magazins zu lesen.

Es ist 0.19 Uhr. Gleich fährt die letzte U-Bahn in die Hamburger Innenstadt. Samstag abend – ein Freund von mir und ich wollen uns im „Standard-Glatzen-Outfit“ ins Nachtleben stürzen. Ich verliere auf der Treppe zu den Gleisen durch einem Tritt in den Rücken mein Gleichgewicht und stürze einige Stufen bis zum nächsten Absatz herunter. Gerade will ich mich aufrappeln, doch bevor ich die Möglichkeit habe, zu verstehen, was passiert ist, mache ich zum ersten Mal in meinem Leben Kontakt mit Reizgas. Nur unscharf erkenne ich etwa fünf Jugendliche diverser Nationalitäten – alle deutlich jünger als ich. Sie müssen aus dem Nichts aufgetaucht sein. „Na-

zis“, „Faschos“ und „Wir machen euch fertig!“ bölkt mir der dunkelhäutige Anführer entgegen. Mein Begleiter steht wie gelähmt daneben, auf einmal ist ein Springmesser im Spiel. Nur mit Mühe gelingt es, die Situation nicht eskalieren zu lassen. „Sehe ich aus wie ein Nazi?“ höre ich mich den Anführer fragen – und im selben Moment wird mir klar, das ich bis auf die Farbe meiner Schnürsenkel durchaus dem Bild entspreche, das ein Anführer einer multikulturellen Jugendgang von einem Neonazi hat. Offenbar sorgt aber genau diese Frage für Zweifel bei meinem Gegenüber – und mein Einwand, ich wolle wegen „dieses Kinderkrams“ nicht die letzte U-Bahn verpassen, hat den gewünschten Erfolg: Das Scharmützel löst sich auf. Über fünf Jahre lang habe ich in Dulsberg gelebt, einem traditionellem Hamburger Arbeiterbezirk mit relativ hohem Ausländeranteil – die Jugendlichen habe ich zuvor und danach nie wieder gesehen. Es sollte der einzige Überfall bleiben.

Momentaufnahmen – sie sollen deutlich machen, daß ich mich dem Thema dieser Arbeit nicht als Außenstehender nähere. Willkommen beim Stöbern in Klischees und Schubladen – ein wenig Licht kann ja nicht schaden…

Wir tragen alle Hakenkreuze, wir haben nur Gewalt im Sinn, ist es das, was ihr hören wollt, daß wir hirnlose Schläger sind? … In den Medien steht es immer wieder, daß wir die Schlägertrupps und Neonazis sind, doch wir haben uns nichts vorzuwerfen, denn es ist ihr Gerede, das stinkt. Lüge, alles Lüge, Lüge, Lüge …1 Etwa 10.000 Skinheads leben in Deutschland, wenn man den Berichten des Verfassungsschutzes Glauben schenken darf – das sind 0,0125% der Bevölkerung. Und doch verging im vergangenen Sommer kaum ein Tag, an dem die Nachrichtensendungen des Deutschen Fernsehens nicht einen Skinhead oder das, was ihn dazu macht – Glatze, Bomberjacke, Stiefel – ihrem Publikum vor die Augen setzte. Gewalttätige Übergriffe auf Mitbürger anderer Hautfarbe gerade im Osten Deutschlands, Aufmärsche von Neo-Nazis in deutschen Großstädten und nicht zuletzt der Wahlerfolg und die Regierungsbeteiligung der österreichischen FPÖ – Faschismus war eines der beherrschenden Themen in den Medien im Jahr 2000. Hier soll nicht untersucht werden, ob die verhältnismäßig kleine Zahl von Skinheads das Fundament bildet für den (neuen?) Rassismus und Faschismus in Deutschland – aus der Arbeit heraus aber wird sich die Frage bereits beantworten lassen. Hier soll auch nicht der Skinhead als pflegeleichter und harmoniesüchtiger Jugendlicher dargestellt werden, der völlig zu Unrecht in den Medien als Täter dargestellt wird – die Opferrolle nimmt keiner den Skinheads ab. Und hier soll auch keine einzige Gewalttat von Skinheads bagatellisiert werden – kein Mord, kein Totschlag, keine Brandstiftung, keine Verletzung der Menschenwürde darf bagatellisiert werden. Aber: Wer sind denn „die Skinheads“? Ist es eine ähnlich homogene Masse wie „die Türken“, „die Arbeitslosen“ oder „die Studenten“? Selbst die linksalternative tagesszeitung (taz), die so politisch korrekt ist, bei Berichterstattung über Kriminaldelikte die Nationalität der Täter nicht zu veröffentlichen, kann nicht umhin, auf „Skinhead“ als Merkmal zu verzichten: der 15-jährige Schüler, die 17-jährige Auszubildende, der 18-jährige Skinhead – „Glatze“ als Tätigkeitsbeschreibung? Und: Was bewegt einen jungen Mann zwischen 15 und 25 Jahren, auf offenen Konfrontationskurs mit der Gesellschaft zu gehen und radikal sein Äußeres zu ändern? Warum tauscht er das bequeme Mitschwimmen im Mainstream gegen Glatze, Bomberjacke und Schnürstiefel ein? Warum entscheidet er sich, Teil eines Jugendkults, Teil einer Subkultur, Teil einer über dreißigjährigen Tradition mit eigenen Normen und Werten zu werden?
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aus: Häßlich, Brutal Und Gewalttätig, Böhse Onkelz, 1985

Bei näherem Hinsehen ist die Skinhead-Szene viel heterogener und diffiziler aufgebaut, als ein Außenstehender vermuten mag. Neben dem Stereotyp der komasaufenden, arbeitslosen Ostglatze ohne Schulabschluß gibt es auch den kurzgeschorenen Grafiker, der werktags in einer Werbeagentur arbeitet und am Wochenende mit seinen Glatzenfreunden auf Konzerten feiert, der Student in Hamburg, der Lehrer in Brandenburg, der Soldat in Köln, der Regierungsrat in Wien, der Redakteur aus Straßburg, der Zugchef aus der Grafschaft Kent. Skinhead – die Bezeichnung läßt erahnen, das es sich bei dieser JugendKultur nicht allein um ein deutsches Phänomen handelt, sondern vielmehr um ein internationales. Die Wurzeln des Kultes liegen im konservativen Großbritannien der ’60er Jahre, in der Arbeiterklasse und sogar auf den karibischen Inseln. Wie jede Jugendkultur aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat der Kult „Skinhead“ seine Vorgänger (und Nachfolger), seine eigene Musik und sein eigenes Selbstverständnis. Jungen Menschen bietet die Zugehörigkeit zu einer Strömung oder einer Subkultur die Möglichkeit, unter seinesgleichen Freizeit zu verbringen, sich für eine Gruppe zu solidarisieren und soziales Verhalten einzuüben. Diese Strömungen haben ihre gesellschaftspolitischen Ursachen – aber auch Wirkungen: Rock ’n’ Roll – Woodstock – Loveparade. In der Diskussion über Gewalt und Neo-Faschismus taucht seit zwanzig Jahren bereits seltsamerweise stets nur das Bild des dumpfen, aggressiven und kurzhaarigen Nationalisten auf. Der Rassismus, der quer durch Deutschland geht, hat in den Medien einen Namen und ein Gesicht: Skinhead. Die dumpfe, aggressive nationalistische Masse wird geführt und verführt von einigen ewig Gestrigen, denen ein Völkermord möglicherweise nicht genug war. Wo dieses Bild in den Medien nicht gezeichnet wird – und selten genug passiert es, weil es nicht publikumsträchtig ist – wird es übersehen oder falsch gedeutet. An meine kurzhaarigen Leser: Erwarte nicht, daß ich auch nur in einer Zeile Gewalt gegen Andersaussehende oder Andersdenkende gutheißen würde. Ich weiß die Mehrheit von uns hinter mir! Ließ weiter und beschäftige dich mit deiner Kultur, bevor du anderen ihre Kultur und damit ihre Identität absprichst. Deine Geschichte ist abwechslungsreich, widersprüchlich und rebellisch – Oi! An meine langhaarige Leserschaft: Versuchen Sie bitte einmal, Ordnung in ihrer Schublade Skinhead zu schaffen. Schauen Sie hinein, nehmen Sie jedes einzelne Puzzleteil in die Hand, betrachten es kurz und legen es gut sortiert zurück. Ich werde mich bemühen, weitere Puzzleteile im Verlauf dieser Arbeit zu liefern – wäre es nicht ein Gebot der Fairneß, erst dann über das Bild zu urteilen?

Ole Meiners

Berlin-Kreuzberg, im Frühling 2001

Europa erlebt einen Neuaufbau – und eine Teilung: in West und Ost, in rechts und links, in kapitalistisch und kommunistisch. Das Ende des Zweiten Weltkriegs verändert das Aussehen des Kontinents und polarisiert alle Teile des Lebens. Der eine Teil Europas zieht sich hinter den Eisernen Vorhang zurück und bereitet die kommunistische Weltrevolution vor. Ein einheitliches Wirtschaftsmodell, ein einheitliches Sozialmodell und eine einheitliche Politik läuten im Osten die neue Zeit ein. Der Westen vertraut auf die Gesetze des Marktes, Demokratie und Pluralität – und knüpft damit an die Geschichte und das Ende des Ersten Weltkrieges an. Beide Blöcke sind von der eigenen ideologischen und moralischen Überlegenheit überzeugt. Die Grenze läuft quer durch Deutschland. Um die materiellen Folgen des Krieges zu überwinden, werfen sich die westeuropäischen Volkswirtschaften mächtig ins Zeug: Wirtschaftswunder aller Orten – am deutlichsten beim Kriegsverlierer in Westdeutschland. Doch der wirtschaftliche Aufschwung und die sozialen Veränderungen in der Gesellschaft verlaufen in Frankreich und Großbritannien ähnlich. Die industriellen Kriegsschäden im Vereinigten Königreich halten sich im Vergleich zu Kontinentaleuropa in Grenzen, dementsprechend schnell faßt die Friedenswirtschaft dort wieder Fuß. Die Modernisierungs- und Wohlfahrtspolitik in Europa will für Chancengleichheit sorgen und die schärfsten sozialen Ungerechtigkeiten beseitigen: Die Nachkriegskinder wachsen auf mit einem Recht auf Bildung, sozialer Absicherung und – bescheidenen – Wohlstand. Und rebellieren gegen ihre Eltern… Dieses Phänomen ist in der westlichen Welt seit den 50er Jahren zu beobachten: Neben der „Kultur der Eltern“ entsteht eine neue Kultur mit eigenen Werten, eigener Moral und eigener Politik. Doch viel wichtiger – zur deutlichen Abgrenzung zu Elterngeneration: die eigene Musik, die eigene Mode und die eignen Medien. Ihren ersten Höhepunkt findet die Bewegung der Jugendkultur in den weltweiten Studentenunruhen zu Ende der 60er Jahre. Eine Generation nach dem Zweiten Weltkrieg macht sich die Jugend auf den „Marsch durch die Institutionen“. Doch die Studentenbewegung war nicht „die Jugendkultur“, vielmehr war sie eine politische Reaktion der gebildeten jungakademischen Avantgarde bzw. derjenigen, die sich dafür hielten, auf die konservative, „imperialistische“ Politik der Väter. Die Jugendkultur gibt es genauso wenig wie die „Kultur der Eltern“. Vielmehr gibt es – bis heute – zahlreiche unterschiedliche Jugendkulturen, die miteinander auch interagieren, Musikrichtungen ver-

ändern und Modetrends setzen. Einige sind schnellebig, andere bleiben bestehen und entwickeln sich weiter. Wichtiger Aspekt bei einer Jugendkultur ist die soziale Zugehörigkeit derer, die diese Kultur ausmachen: Arbeitersohn oder Professorentochter? Insbesondere im Vereinigten Königreich sind diese traditionellen Klassenunterschiede Identitätsmerkmale – das Wort „Klassenkampf“ hat dort einen sehr viel deutlicheren Klang als auf dem Kontinent. Bei George Marshall, dem Chronisten der Skinhead-Bewegung, ist der Stolz auf die Zugehörigkeit zur working class kaum zu überhören – gepaart mit britischen Patriotismus und Zynismus: 2 Klar, ein paar Kids aus der Arbeiterklasse kamen in den Genuß einer höheren Schulbildung und ein oder zwei von ihnen sprangen auch auf den Drogen- und freie Liebe-Zug auf, aber sie nahmen nicht die „Friede und neue Welt“ Mentalität an. Die große Mehrheit der Arbeiterklasse-Kids konnte es kaum erwarten, die Schule zu verlassen, um irgendeinen niederen Job anzunehmen. Die britische Arbeiterjugend hatte noch „klassische Werte“: soziale Verantwortung untereinander, strebsam nach Lohn und Brot und Stolz auf die eigene Nation. Aus ihrem Blickwinkel waren die „Hippies“ bloß faule Bastarde, die sich ein bequemes und elitäres Leben leisten konnten, ohne je durch eigener Hände Arbeit einen Penny verdient zu haben. Sozialneid? Die Jugendlichen der working class gehörten zu den Modernisierungsverlierern. Der wachsende Wohlstand fiel in den Arbeiterhaushalten spärlicher aus, die angestammten Wohnquartiere in den Innenstädten verfielen baulich wie sozial zunehmend und in den Satellitenstädten am Stadtrand, die in den 50er Jahren hochgezogen wurden, um schnell günstigen sozial geförderten Wohnraum zu schaffen, machte sich bald Trostlosigkeit breit – eine Entwicklung wie wenige Jahre später auch in Deutschland. Neue Nachbarn zogen in die Arbeiterquartiere wie ins Londoner East End nach – Nachbarn, die fremd waren… Großbritannien war – im Gegensatz zu Deutschland – ein Einwanderungsland. Die wirtschaftliche Potenz des Mutterlandes und der Bedarf an Arbeitskräften sorgten für einen steten Zustrom von Menschen aus den Kolonialgebieten und den Mitgliedsstaaten des Commonwealth und brachten im Gepäck ihre Kultur mit. In den sanierungsbedürftigen und spekulationsträchtigen Altbauten teilte sich nun die weiße Unterschicht, die den Sprung an den Stadtrand nicht geschafft hatte, den knapper werdenden Wohnraum mit Einwanderern aus der Karibik, Indien, Pakistan und Westafrika. Daß sich hier ein sozialer Brennpunkt entwickelte, wollte von der bürgerlichen Mehrheit schlicht übersehen werden. Der Weg scheint aus der Retrospektive vorgezeichnet und findet seine Entsprechungen in ganz West-Europa: Die Einwanderer etablieren ihr soziales und

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Marshall, George: Spirit Of ’69 – Eine Skinhead Bibel. Deutsche Übersetzung, Lockerbie 1993; S. 8

kulturelles Leben in ihrer neuen Umwelt, ihren Nachbarn ist dieses Leben fremd – und sie fühlen sich im eigenen Land, im eigenen Stadtteil ausgegrenzt und allein gelassen. Es entwickelt sich ein spannungsgeladenes Nebeneinander, für ein Miteinander tut niemand etwas. Keine Integrationsversuche, keine Sprachkurse, kein gemeinsamer Alltag – gemein ist den Eingesessenen und den Einwanderern die Konkurrenz um den besseren Wohnraum und den besseren Job. Es gibt auch Unterschiede zwischen den Einwanderern: Die Immigranten von den Westindischen Inseln waren durch ihre Geschichte christlich geprägt, die meisten von ihnen beherrschten die Sprache der ehemaligen Kolonialherren. Anders und weit weniger homogen die neuen Nachbarn aus Indien und Pakistan: unterschiedliche Religionen, unterschiedliche Sprachen und ein ganz anderes Verständnis von Erfolgsstreben, Familienleben und sozialer Zugehörigkeit. Unterschiedlich auch die Motivation und Integrationsfreudigkeit: Die Einwanderer aus dem karibischen Raum wollten sich zumeist eine eigene Existenz aufbauen und sahen insbesondere die englischen Industriestädte als neue Heimat an, die Immigranten vom indischen Subkontinent verstanden sich vielfach als „Gastarbeiter“, schickten einen Großteil der verdienten Pfund nach Hause und holten Familienmitglieder nach. 1961 lag die Zahl der „nicht-weißen“ Einwanderer bei 140.000. Diese Zahl erschütterte Großbritannien – über alle Partei- und Klassenzugehörigkeiten hinweg. Rassismus hatten die Briten als führende Kolonialmacht verinnerlicht, „Herrenmenschen-Denken“ war jeder Kolonialmacht zu eigen. Noch 1945 waren sie Herren über 600 Millionen Menschen, nun sahen sie sich mit einer Gegenbewegung konfrontiert: Hunderttausende der ehemals „Unterjochten“ suchten ihr Heil im land of hope and glory. Ein neuer, ein anderer Rassismus entsteht – jahrhundertelang war Großbritannien gewohnt, unter der Maßgabe rassischer, religiöser und militärischer Überlegenheit Profit aus den überseeischen Gebieten zu scheffeln, nun erdreisten sich die ehemaligen Untertanen, das erlernte Wissen auf eine überraschende Weise umzusetzen. 1962 verabschiedet das britische Parlament den Commonwealth Immigration Act, der den Zuzug von Nicht-Weißen erschweren soll. Daß mit einem Schließen der Grenzen das vermeintliche Problem im eigenen Land nicht gelöst wird, sondern die weißen Briten in ihrem Rassismus noch bestärkt werden, bestätigt der Zwiespalt zwischen Politik und Wirtschaft: Die Industrie braucht weiterhin Arbeitskräfte, die sie im eigenen Land nicht mehr findet – trotz politisch gewollter Zuwanderungskontrolle kommen jährlich 50.000 nicht-weiße Einwanderer ins Land, um Arbeiten zu übernehmen, für die sich inzwischen auch die weiße Unterschicht zu schade findet. Im Oktober 1964 gewinnt die Labour Party um Harold Wilson die Wahlen zum Unterhaus. Der Sozialstaat wird ausgebaut, doch in den Folgejahren

schlittert Großbritannien von einer Krise in die nächste: Das Empire schmilzt weg, die verbliebenen Kolonien werden in die Eigenständigkeit entlassen oder erklären einseitig ihre Unabhängigkeit, die unmoderne Stahlindustrie wird verstaatlicht, Preise reguliert, das Pfund Sterling verliert rapide an Wert – und Bürgerkrieg im eigenen Land zwischen den Katholiken und den Protestanten in Nordirland. Viel ist nicht übrig geblieben vom land of hope and glory… Die Politik greift in die Mottenkiste und zaubert einen Evergreen hervor: Ethnizität von oben. Die Regierung Wilson ordnet im Sommer ’65 eine drastische Verringerung der Arbeitsgenehmigungen für farbige Arbeitnehmer an und schränkt die Einwanderung weiter ein. Ein bewährtes Mittel – die underdogs der working class fühlten sich den Immigranten gegenüber endlich aufgewertet und hatten von nun an einen Sündenbock, der ihnen von der Politik, insbesondere von der konservativen Opposition, frei Haus geliefert wurde. Doch Labour mußte erkennen, daß die staatlich geförderte Diskriminierung zu weit ging und legte im Frühling ’69 dem House Of Commons ein Antidiskriminierungsgesetz zur Beratung vor. Die britische Volksseele kocht hoch und der konservative Unterhausabgeordnete Enoch Powell hält – ausgerechnet am 20. April3 – eine flammende Rede gegen das Gesetz, bemüht arisches Gedankengut und beschwört „Ströme von Blut“ herauf, solle die Regierung an der angeblich liberalen Ausländerpolitik festhalten. Selbst die Tories sind entsetzt und Powell verliert seinen Ministerplatz im konservativen Schattenkabinett – Tausende Londoner Arbeiter hingegen solidarisieren sich mit Powell und demonstrieren in Westminster. Für sie und ihre Kinder ist Powell ein Held: Einer der sagt, was sie denken! In den USA toben in den Metropolen Rassenunruhen… In Südostasien tobt der Vietnamkrieg… Und Neil Armstrong tobt über den Mond…

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Für den weiteren Exkurs ist der 20.4. ein wichtiges Datum – der Geburtstag Adolf Hitlers gilt für Neonazis in aller Welt als „Feiertag“.

In Deutschland schockieren die „Halbstarken“ ihre Eltern: Sie tragen Lederjacken, körperbetonte amerikanische Nietenhosen und hören „Niggermusik“. Die in Westdeutschland stationierten US-Amerikaner bringen ihren Lebensstil und ihre Musik mit, der Soldatensender AFN versorgt die jungen GIs – und nicht nur sie – mit Rock ’n’ Roll: anzügliche Rhythmen, sexuell anstößige Texte, schlicht der Untergang des Abendlandes. Elvis Presley ist das Jugendidol und wird von Töchtern (und jungen Müttern) vergöttert, die Jungs bewundern den Rebellen James Dean, der mit seinem frühen Tod sogar einen Märtyrerstatus erreichte und die Verweigerungshaltung der Jugendlichen an der Welt der Eltern ziemlich genau auf den Punkt brachte. Dem Rock ’n’ Roll darf man getrost zugestehen, die Mutter aller Jugendkulturen zu sein. Selbst ein Peter Kraus, eine Cornelia Froboess oder ein Ted Herold waren den deutschen Eltern nicht weniger suspekt. Ted Herold, die deutsche Antwort auf „Elvis The Pelvis“, trägt sinnigerweise in seinem (Künstler-)Namen bereits den Namen seiner Fans: Ted oder Teddy-Boy, so wurden sie genannt, die „Halbstarken“, die in ihrem Aufzug gegen Mittelschicht und Oberklasse protestierten und deren Kleidervorschriften karikierten: Jacken mit Samtkragen, Wildlederschuhe mit dicken Kreppsohlen und eine Frisur, die mit Pomade in Form gebracht und schon damals als langhaarig verfemt war. Sie fühlten sich als Ausgestoßene, rebellierten gegen die Langeweile und wollten auf ihre Art am neuen Wohlstand partizipieren: Spaß – unbeschwert von der Last des Kriegs die neuen Freiheiten genießen. In Westdeutschland formiert sich diese Gegenbewegung zu den Älteren auf breiterer Front als in Großbritannien, dafür weniger akzentuiert. Die Eltern haben die Verantwortung für den verlorenen Krieg und stehen – noch durch die Zeit des tausendjährigen Reiches samt seiner arischen Kulturpolitik – ohnehin verständnis- und hilflos vor ihren Kindern. Die Siegermächte, voran die Amerikaner, haben Vorbildfunktion für die Jugendlichen, Adenauers Restaurationspolitik versprach mit „Keine Experimente!“ wenig kurzweilige Abwechslung.

Anders in Großbritannien, denn die sozialen Unterschiede und somit auch das Klassenbewußtsein waren deutlicher ausgeprägt als in der jungen deutschen sozialen Marktwirtschaftsgesellschaft. Den deutschen Teddys, die sich nicht nur am Abend nach einem anstrengenden Tag im Lehrbetrieb, sondern auch in der Untersekunda zum Lateinunterricht trafen, mag man die Opferrolle, in der sich ein rebellischer Jugendlicher wähnt, nicht uneingeschränkt abnehmen. Die Arbeiterkinder auf der Insel sahen sich deutlich als Verlierer – und das waren sie auch: Die Teds in Großbritannien waren meist keine guten Schulabgänger, in die Kaste der Unterschicht geboren verdienten sie sich als ungelernte Arbeiter ihren Lebensunterhalt, den die Familie im heruntergekommenen Quartier auch dringend brauchte. Eine Chance auf den Besuch einer weiterführenden Schule bestand selten: Entweder waren die Noten zu schlecht oder die Familie konnte oder wollte es sich aus finanziellen Gründen nicht leisten. An die besseren Jobs mit Ausbildung war kein herankommen – die hatten sich die Clevereren des Jahrgangs gesichert. Der Rock ’n’ Roll verlor Ende der 50er Jahre seine Faszination – Elvis selber durfte seine Hits bei AFN als GI in Hessen hören und bei einem tragischen Flugzeugabsturz im Februar ’59 verloren Buddy Holly, Ritchie Valens und die Bandmitglieder von The Big Bopper ihr Leben. Die Musik wurde zunehmend industrialisiert und Cliff Richard erschreckte die Eltern weit weniger als die hüftschwingenden Stars des Rock ’n’ Roll. Um so erschreckender veränderten sich die Fans des „weißen“ Rock, der Ted mutierte zum Rocker, tauschte Samtkragen-Jacke und Wildlederschuhe in schwarzes Leder und Stiefel ein und brauste auf seinem Motorrad – oder dem Wunsch danach – der Rebellion und einem proletarischen Männerbild hinterher. Oder auch nicht, denn es gab einen andere Gruppe, die die Teds beerben wollten: die Mods. Die Mods machten einen braven Anschein: Nicht das Motorrad, sondern der Scooter, vornehmlich der original Vespa-Roller, waren ihr Statussymbol. Günstiger in der Anschaffung und im Unterhalt genossen die Mods auch ihre Mobilität und verbrachten freie Tage gern auch in den südenglischen Küstenstädten. Ihre Kleidung entsprach in vielerlei Hinsicht den gesellschaftlichen Konventionen – und doch führten sie die guten Sitten ad absurdum: Warum hat ein Mod selbst bei

strahlendem Sonnenschein stets einen Regenschirm dabei, warum bleibt er in seinem schwarzen Anzug? Zu Tausenden flanierten die eleganten Teenager zwischen Senioren über die Kurpromenaden, doch aufmerksame Beobachter ahnten, daß sie „irgendwie nicht die übliche Haltung damit ausdrücken, die normalerweise mit eleganter Kleidung verbundenen Werte umzudrehen“4. Oder die Jugendlichen wurden nichts von beiden, gingen auf ihre weiterführende Schule, erlernten einen anständigen Beruf. So konnten sie zumindest nicht zwischen die Fronten geraten: Rocker und Mods konnten sich nicht riechen. Im Sommer 1963 kam es in den südenglischen Badeorten zu Tumulten zwischen den Gruppen, die Bank Holiday-Krawalle, die sich im Folgejahr wiederholen sollten, wurden von der englischen Boulevard-Presse in die Nähe eines Bürgerkriegs gerückt. Spaß haben – dazu gehört bei männlichen Jugendlichen insbesondere auch die körperliche Auseinandersetzung –elf gegen elf beim Fußball auf dem Rasen und auch Aug in Aug beim Kräftemessen. Dies unterscheidet sich abhängig vom eigenen sozialen Status, und die Bereitschaft zur Gewalt nimmt in dem Maße zu wie die eigene soziale Stellung an Ansehen verliert. Und Konflikte werden zunehmend mit der Faust gelöst. Nach den Krawallen begann in der Mod-Szene eine weitere Differenzierung, und die Kommerzialisierung der Szene tat ihr übriges. Die Mods konsumierten gerne und konnten als Zugehörige zur unteren, breiten Mittelschicht Großbritanniens durchaus am zweiten wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegsjahre partizipieren. Das Nachtleben in den Clubs war teuer, die richtigen Klamotten auch – und Drogen machten die Runde: In Ermangelung an Kokain, das blieb allein aus finanziellen Gründen der Oberschicht vorbehalten, sorgten Speed oder andere Amphetamine für die nötige Power, um den Club-Streß zu bewältigen. Mod zu sein, war schick – aber den Aufwand konnte sich nicht jeder Jugendliche leisten. Meist entschied darüber die soziale Stufe der Herkunft – ein Teil der Szene findet sich zum Semesterbeginn an den noch ruhigen Universitäten des Landes wieder, ein anderer Teil besinnt sich auf seine Wurzeln in der working class. Die meisten wachsen aus der Szene einfach heraus und sind die regelmäßige Randale mit den Rockern eh leid… Die Arbeiterkinder veränderten „ihren“ Mod-Stil, sie hatten ohnehin nie genug Geld, um beim dandyhaften Treiben der übrigen mitzuhalten und konnten sich bis aufs Wochenende auch nicht die Nacht um die Ohren schlagen – billiges Bier erzeugt auch nicht die aufputschende Wirkung von Speed. Nun verzichteten sie auf die teure Kleidung und behielten die Jeans, Hemden und Arbeiterstiefel an, die sie auch werktags trugen und sich darüber hinaus besser für
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Hebdige, Dick: Die Bedeutung des Mod-Phänomens. In: Clarke, John (Hrsg.): Jugendkultur als Wiederstand. Milieus, Rituale, Provokationen. Frankfurt/M. 1979, S. 159

die Auseinandersetzungen mit den Rockern eigneten. Und völlig gegenläufig zu ihren Altersgenossen werden ihre Haare immer kürzer.

30. Juli 1966: Im legendären Wembley-Stadion im Londoner Stadtteil Brent endet die Fußballweltmeisterschaft mit einem legendären Disput: War er drin – oder nicht? Beim Stand von 2 : 2 trifft Geoffrey Hurst (West Ham United) in der 101. Spielminute mit ungeheurer Wucht die Querlatte des deutschen Tors. Der Ball prallt ab und landet auf dem Rasen in gefährlicher Nähe der Torlinie. Schiedsrichter Gottfried Dienst aus der Schweiz sieht den Ball zunächst nicht im Tor der Deutschen, doch sein Linienrichter ist anderer Meinung – nach einer kurzen Diskussion entscheidet Dienst zu Gunsten der Engländer. Das Spiel endet 4 : 2 nach Verlängerung – England ist Fußball-Welmeister! Der geborene Engländer war wieder wer! Und die Jugendlichen waren mit ihren Eltern proud to be british. In die Fußballstadien ganz Großbritanniens strömten Fans wie schon lange nicht mehr, und auch die Jugend des Landes feuert „ihre“ Mannschaft an, und das nicht nur bei Heimspielen. Nahezu jeder verdient Geld, und die jungen Fans, die inzwischen ohne Väter oder Onkel Platz auf den Tribünen nahmen, konnten ihre Mannschaft auch zu Auswärtsspielen begleiten – Kampf auf fremden Terrain:5 Die Tage der Schlachtenbummler waren gekommen und damit auch die Chance, den gegnerischen Fans zu zeigen, wer der beste war – sowohl auf dem als auch außerhalb des Spielfelds. Gewalt in den Stadien gehörte seit dessen Erfindung zum Fußball, doch gegen Ende der 60er gab es mehr und mehr organisierte Krawalle, als rivalisierende Gangs regelmäßig in die dritte Halbzeit gingen. Die Hooligans entwickelten sich zu einem Jugendkult, gekleidet in schweren Stiefeln, Hemd und Jeans – fast so, wie die Hard-Mods zu ihrer Zeit, die ihrerseits auch keine Fremden in den Fußballstadien waren. Das waren dann die Fußball Boot Boys, aus deren Reihen 1967 und 1968 viele der ersten Skinheads entstanden und nach dem Abflauen der Skinhead-Bewegung wieder die Reihen der Bootboys füllten.

Das proletarische England hatte mit Inflation und Stahlkrise genügend Sorgen, da war nicht auch noch Platz für hohe Politik, um das Für und Wider des Vietnamkriegs abzuwägen. Dementsprechend gering fiel die Solidariät für Ho Chi Minh aus, die die Studenten des Landes von den Arbeitern einforderten.
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Marshall, George: Spirit Of ’69, a.a.O., S. 13 f.

Eine großangelegte Flugblattaktion in den Fabriken und Fußballstadien des Landes zeigte kaum Wirkung: Zur großen Solidaritätsdemonstration im Oktober ’68 blieben die „30.000 Studenten und sympatisierende[n] faule[n] Bastarde“6 größtenteils unter sich und brachten nach Ansicht des Chronisten nichts weiter als ein großes Verkehrschaos zustande. Rund 200 Bootboys sorgten am Rande der Demonstration für soviel Randale, daß die Zeitungen darüber berichteten. „Vergeßt eure Kriege und nach in eure Südostasien Drogentrips Die

Nirgendwo.

Skinheads waren da!“7 Doch waren die Skinheads, Noheads oder Baldheads – je nach Gegend und Zeitung hatten sie noch unterschiedliche Namen – keinesfalls eine Gegenreaktion auf die Studentenbewegung und den Hippie-Kult, wie die Presse es gern schilderte. George Marshall jedenfalls betont, dies würde „die Lüge, daß die Skinheads nur eine Reaktion auf das Anwachsen der Hippybewegung und der Haare im allgemeinen waren, nur weiter erhärten, und das wollen wir doch nicht, oder?“8 Fakt ist, daß die Haare kürzer wurden. Die „Frisuren“ der Bootboys gefielen den Eltern, sie waren glücklich, daß ihre Kinder den Quatsch der anderen Jugendlichen nicht nachmachten. Den Friseuren war die Kundschaft angenehm: Teilweise wöchentlich kamen die Jungs aus der Nachbarschaft und ließen ihre Haare mit einer elektrischen Schermaschine auf eine Länge stutzen – die Glatze war verpönt, denn: „Man wollte hart und smart aussehen und nicht wie ein Pimmel mit Ohren“9. Die Haarschnitte (Crops) wurden (und werden auch heute noch) nach dem Aufsatz bzw. der Einstellung der Haarschneidemaschine benannt: Crop 1# hat eine Länge von etwa zweieinhalb Millimeter, Crop 5# etwa zwölf Millimeter. Nur wenige Skins ließen sich die Haare ohne Aufsatz stutzen; eher schon die Seiten und den Hinterkopf, um die Standard-Frisur ein wenig zu variieren – oder man ließ sich einen Scheitel bevorzugt auf der linken Seite einrasieren. Wer alt genug war für einen anständigen Bartwuchs, ließ sich Kotletten stehen – mit seinen Stiefeln an den Füßen, Jeans an den Beinen und

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Marshall, George: Spirit Of ’69, a.a.O., S. 8 ebd., S. 8 8 ebd. 9 ebd., S. 15

der Harrington Jacke10 um die Schultern betrat nun kein kleiner Junge mehr, sondern ein ausgewachsener Kerl die Straßen seines Viertels, die Tribüne seines Fußballclubs, den Pub in seinem Kiez. Der taktische Vorteil von kurzen Haaren ist bei Schlägereien unter Gangs und bei Auseinandersetzungen mit der Polizei natürlich auch nicht von der Hand zu weisen: Man bietet dem Gegner ganz einfach weniger Halt! Schlägereien waren an der Tagesordnung: Die Jugendlichen aus den Arbeiterbezirken rotteten sich zu Gangs zusammen: Ihnen „gehörte“ eine Straße oder ein Block – und ihr Revier hielten sie „sauber“. Sauber von verfeindeten Jugendcliquen, vermeintlich Schwulen, verfilzten Hippies oder ungeliebten Ausländern. Insbesondere die Immigranten vom indischen Subkontinent waren häufig Opfer der Skinhead-Prügel: Nichts hatten die weißen Arbeiterjugendlichen mit ihnen gemeinsam, ihre Musik klang „schwul“ und ihre sanfteren Gesichtszüge wirkten „weibisch“ – die Jagd auf Pakistani, Bengalen und Inder gleichermaßen hieß szeneintern „paki bashig“11. Mit „Enoch12! Enoch“-Rufen haben Gangs ihre Opfer angegriffen, sie brutal zusammengeschlagen und sogar totgeprügelt. Warum haben die Eltern nicht gehandelt, wenn schon die Bobbies den gewalttätigen Nachwuchs nach Hause brachten – oder in Haft behielten? Man darf annehmen, daß die Kinder die selben konservativen sozialen und ethnischen Normen lebten wie ihre Väter und Mütter. Sehr deutlich beschreibt dies eine Studie aus Liverpool13: Da wurde in einem Arbeiterbezirk beobachtet, daß die Menschen dort eine ganz eigene Auffassung von Recht und Moral hatten, die sie für „passender“, weil an ihren Bedürfnissen ausgerichtet, erachteten als die „bürgerlichen“ Vorstellungen. Schulverweise waren kein Drama und wurden von den Eltern hingenommen, Eigentumsdelikten oder Vandalismus stand man – sofern es nicht im eigenen Kiez passierte – gelassen gegenüber, Gewalt gegenüber „Fremden“, also jedem, der nicht in dieser Sozialstruktur aufgewachsen war, war die beinah selbstverständliche Umsetzung der politischen Ethnizität. Genau hier ist das Fundament zu finden für den Rassismus, der den Skinheads – überhaupt nicht zu Unrecht – nachgesagt wird.

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Das Harrington Jacket ist eine leichte, blousonartige Jacke aus einem imprägnierten BaumwollMischgewebe und hat traditionell ein kariertes Innenfutter. Mehr zu der typischen SkinheadKleidung in Kap. 6. 11 analog im Deutschen als Begriff für Jugendgewalt: klatschen (Zecken klatschen, Schwule klatschen etc.) 12 Enoch Powell, ultra-rechter Politiker, s.a. Kapitel 2 13 Parker, Howard: Aus Jungen werden Männer. Kurze Adoleszenz in einem innerstädtischen Wohnbezirk; in: Clarke, John (Hrsg.): Jugendkultur, S. 181 ff.

Eine brisante Mischung wird da in den Glatzköpfen angerührt: Ethnizität, gepaart mit Gewaltbereitschaft, Sozialneid und Verletzung der eigenen Männlichkeit – von Penisneid zu sprechen, wäre möglicherweise übertrieben. Wer einmal in Großbritannien war, wundert sich als Mitteleuropäer vielleicht darüber, daß die britischen Männer (und Frauen) im Schnitt einen halben Kopf kleiner sind als vom Kontinent gewohnt. 14 Die Einwanderer aus Westafrika und den Westindien Inseln sind von der Statur her durchweg größer und kräftiger veranlagt, die westindischen Jugendgangs, die Rude Boys, wurden heimlich bewundert – und manch ein älterer Skin hätte seinen Scooter, wenn er denn einen hatte, gegen eines der schweren Motorräder der Rocker eingetauscht.

Die Rude Boys, die karibischen Einwanderer, hatten nicht nur in ihrem Habitus und ihrer Kleidung Vorbildfunktion für die Arbeiterkinder, auch ihre Musik – Ska und Reggae – war eine tanzbare Alternative zur Woodstock- und Beatles-lastigen Popmusik von BBC Radio 1. Und sie wußten zu feiern: Die dancing halls lagen in den Arbeitervierteln oder ein großzügiger Raum oder einfach die Straße wurden mit einem auf einem LKW installierten sound system so beschallt, daß der ganze Block zum Club wurde. So gesehen sind die sound systems, auf denen ein DJ – ungewohnt für das Ende der 60er Jahre – die einzelnen Platten quasi übergangslos ineinander mischt und sogar anmoderiert, Vorbild für die Piratensender in der Nordseeder ’70er und die phonstarken Trucks der Loveparade der ’90er Jahre. Immer häufiger schauten auch weiße Bootboys bei den Parties ihrer karibischen Nachbarn vorbei – und ließen sich vom starken Offbeat des Skas mitreißen, einer jüngeren Spielart des Reggae, die durch die Verwendung von Blechbläsern charakterisiert ist. Der Ska paßte in ihr Weltbild: Ein klarer, beihnahe primitiver Sound, der so gar nichts mit der Blumenkinder-Klangwelt gemein hat, deren bewußtseinserweiterte Herkunft auch heute noch unverkennbar ist. Underdog-Musik – auch das paßte, und selbst die Opferrolle wird bedient: Die Platten waren äußerst schwer im Handel zu erhalten, und wer welche hatte, konnte sich freuen, wenn sie nach einer Party noch alle vollzählig im Schrank standen. Derrek Morgen, einer der Stars des modernen Reggae, erinnert sich:15 Bisher hatten wir nur schlechte Erfahrungen mit Weißen gesammelt. Die Teddy-Boys mochten uns und unsere Musik nicht. Es gab Angriffe auf die Clubs, in denen wir spielten. Dann kamen die Skins, und das waren wirklich nette Jungs. Sie liebten unsere Musik und imitierten begeistert unsere Bewegungen, unsere Tänze. Sie machten uns auch in England wirklich populär.

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Der Autor jedenfalls (Körpergröße 1,75 m) hat bei seinen Besuchen in der dortigen Szene es als angenehm empfunden, sehr viel seltener den Kopf nach oben recken zu müssen, um Blickkontakt mit seinen Gesprächspartnern zu haben. 15 zit. nach: Farin, Klaus: Die Skins. Mythos und Realität, Berlin 1997; S. 27

So populär, daß immer mehr Jugendliche sich vom Ska elektrisieren lassen wollten – und damit Skinheads wurden. So schnell, daß 1969 und damit wenige Monate nach der großen Vietnam-Demonstation der Skinhead-Kult die beherrschende Jugendkultur in Großbritannien wurde. So einfach! Und nach einem Jahr war es schon wieder vorbei – so kann’s gehen… Im „Spirit Of ’69“ vereinten sich die Hard Mods und die Suits, die Boot Boys und die Hooligans, die Skins – und ein Großteil der Geburtsjahrgänge von 1945 bis 1955. Die Skinheadkultur erlebt ihre erste Hochphase, so rauschend wie nie wieder danach. Angesichts der Massen, die leider nicht statistisch erfasst sind, und der bekannten Gewaltbereitschaft hätte sich das vereinigte Königreich im Ausnahmezustand befinden müssen – die gesamte Presse jedenfalls versuchte, eifrig dieses Bild zu malen. Und selbst im parlamentarischen Sprachgebrauch tauchten die Skins auf, als Premier Harold Wilson einige Abgeordete der konservativen Party als „Skinheads aus Sorbiton“ beschimpfte.16

George Marshalls Skinhead-Chronik strotzt vor Erzählungen über den Höhepunkt des Kults:17 Fußballspiele waren eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen alle Skinheads aus einer Stadt oder einer Gegend wie ein Mann zusammenhielten. An jedem anderen Tag hielt man sich an seine Gang oder traf die anderen nur bei den Tanzabenden oder um eine Rechnung zu begleichen. Doch Samstags wurden alle Streitigkeiten zeitweise vergessen, denn die Stärke seiner Fußballmannschaft und seiner Stadt wurde von den gegnerischen Fans auf die Probe gestellt. Die einzelnen Straßen-Gangs verbanden sich zu diesem Zweck zu Teams, Crews und Fleets oder Armys – und mischten den Gegner auf. Blutige Nasen gab es meist in der „dritten Halbzeit“. Wenn das Spiel zu Ende war, ging der „Spaß“ vorm Stadion weiter, und die großen englischen Klubs hatten eine Gefolgschaft von Tausenden. Im dünner besiedelten englischen Norden hatten die Klubs von Newcastle und Sunderland bis zu 2.000 kurzhaarige Fans, dort war der Fußball auch gleichzeitig wichtiger als die Musik und das Club-Leben. Harmlos waren diese Auseinandersetzungen bestimmt nicht:18 Waffen wurden regelmäßig mit zum Fußball genommen, Flaschen, Pflastersteine, Dartpfeile, Rasiermesser, Wurfsterne und ähnliches gehörte zum Standard. Es wurden sogar vereinzelt Schrotflinten und Luftgewehre benutzt. Die beste Waffe von allen aber war immer noch ein Paar Stahlkappenboots, aber diese wurden bald von den Bullen als Offensiv-Waffen eingestuft und mußten von da an widerwillig zu Hause gelassen werden. Spaß an Gewalt – es darf bezweifelt werden, daß die dritte Halbzeit so fair war wie die beiden anderen zuvor. Selbst Chronist George Marshall, der sich über die reißerische Berichterstattung der Medien mokiert, räumt ein – als Skinhead aus dem besonders gewalttätig Glasgow –, es habe nach manchen
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vgl.: Marshall, George: Spirit Of ’69, S. 14 ebd., S. 28 f. 18 ebd., S. 30

Spielen sehr ernste Ausschreitungen gegeben. Die Bobbies greifen zu drakonischen, zu für einen Skinhead ehrrührigen Mitteln: Die Schnürsenkel wurden vor den Stadien konfisziert, um so das schnelle Laufen wie das feste Zutreten zu erschweren:19 Es wurde zu einem Katz- und Mausspiel: Skinheads ersetzten die eingezogenen Schnürsenkel mit etwas Draht oder einem zweiten Paar, das sie in der Tasche hatten oder in der Nähe gekauft hatten. … Dann kam das ultimative Abschreckungsmittel. Als die Skinheads das Stadion verließen, wurden sie in einer Reihe aufgestellt und sie mußten ihre Boots ausziehen. Die Boots wurden dann auf einen großen Haufen geworfen und die Skinheads standen dann in ihren Socken da, bis die gegnerischen Fans in eine sichere Entfernung vom Stadion gebracht worden waren. Bei diesen Auseinandersetzungen darf nicht übersehen werden, daß sich die Randale auf die Fans (und die eingreifenden Polizisten) beschränkte: Beide Blöcke wußten, worauf sie sich einließen – und wollten es: Spaß an der Gewalt, an der Jagdfreude und an der Angstüberwindung. George Marshall idealisiert in seiner Darstellung beinahe diese Hau-drauf-Mentalität nach dem Motto: „Wir schlagen uns doch nur gegenseitig“. Daß es aber bereits vor dem Spielbeginn Hinterhalte der heimischen Fans, Kneipenstürmungen und Geschäftsplünderungen gab, nennt er nur am Rande – genau dies dürfte aber die maßgebliche „Außenwirkung“ für die Entrüstung in der breiten Öffentlichkeit gewesen sein. Die Skins tragen „ihren Kampf“ vom Spielfeld auf die Ränge, von den Rängen vor das Stadion und weiter in die Stadt und den Alltag der braven Bürger. Aber sie sind wer – über die Saison 1969/70 bestimmen die Skinheads das Bild in und um die Fußballstadien:20 Skinheads liebten ihr gewalttätiges Image. In den Schlagzeilen zu sein ist immer gut für die alte Moral, und sogar eine gewisse Zeit hinter Gittern hat sein Gutes, wenn man nach dem Verbüßen der Strafe von seinen Kumpels wie ein Mitglied der königlichen Familie begrüßt wurde. So schnell, wie die Gefolgschaft der Skins 1969 anwuchs, schmolz sie im nächsten Jahr auch wieder zusammen. Zwei Faktoren dürften da die entscheidende Rolle gespielt haben: Skinhead wurde mit in der britischen Öffentlichkeit mit Gewalt inzwischen gleichgesetzt – und die Mehrzahl der Skins wollte sich nicht mehr zum dumpfen Schläger degradieren lassen. Sie stellten Boots und Hosenträger in den Schrank zurück. Dort blieb auch das feine WochenendOutfit, denn in den dancing halls und von den sound systems wurde zunehmend andere Musik gespielt und es gab unter den – überwiegend jamaikanischen – Clubbesitzern zudem Interessenkonflikte. Der sogenannte „Reggae-Krieg“ brach aus: Die Musik wurde wieder langsamer, die Rhythmen klangen wieder mehr nach Soul und die Texte rückten Religion, die afrikanische Ur-Heimat und die Ausbeutung durch den weißen
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ebd. ebd., S. 39

Mann in den Vordergrund. Es waren wohl „Gewissenskonflikte“, die einige Skinheads dazu bewogen, in einem Club im Süden Londons auf Bob & Marcias „Young, Gifted and Black“ mit „young, gifted and white“ gegenanzupöbeln, die Lautsprecherkabel zu kappen und eine Schlägerei anzufangen. Sie fühlten sich verraten – und der Reggae verlor in Großbritannien zunehmend die Fans, die ihn erst populär gemacht hatten. Dafür fanden Texte und Musik nun Gehör bei den linken Hippies – doppelt verraten… Es schien zu Ende zu sein mit dem Skinhead-Kult: Die Szene trennte sich wieder auf – ganz nach ihren Interessen und sozialer Zugehörigkeit. Die Boot Boys gingen weiter in die Stadien des Landes und sorgten für Randale, die Mods erlebten eine kleine Renaissance und viele – aber nicht alle – Skinheads ließen sich die Haare wieder ein Stück wachsen: Suedeheads – Wildlederköpfe – wurden sie von nun an genannt, weil der herausgewachsene Crop dem Aussehen von Wildleder ähnelte. 1972 war im Süden Englands die Zahl der Skinheads bis auf wenige geschrumpft, und auch im Norden, wo die Musik nicht die dominierende Rolle gespielt hatte, wurden sie immer weniger, bis sie 1974 fast gänzlich aus dem Straßenbild verschwanden.

„Beinahe wäre ich einmal Punk geworden, aber der Anarchie Aufnäher, den ich bestellt hatte, kam niemals an.“21 Ein neuer Jugendkult erobert Großbritannien und die westliche Welt: Punk. Töchter und Söhne färben sich die Haare grellbunt, laufen in Klamotten herum, die ihre Eltern nicht einmal der Altkleidersammlung anvertraut hätten und – der Ausdruck sei erlaubt – „scheißen aufs System“. Auf welches denn nun genau, brauchte gar nicht definiert zu werden. Anarchie und Totalverweigerung waren Botschaft des neuen Kults, dazu eine Musik, die selten über drei verschiedene Akkorde hinauskam mit Texten, die rotzfrech und meistens ausgesprochen subversiv daherkamen. Die Musikindustrie exportierte den Punk weltweit – heilfroh, nach einigen relativ kultarmen Jahren ihren jungen Kunden wieder etwas neues und zudem etwas rebellisches wie niemals zuvor verkaufen zu können. Und das, was sich die Punk-Musiker ausnahmen, hatte schon neue Qualitäten:22 Nichts zeigte das, worum es sich bei Shame 69 drehte, mehr als der Auftritt anläßlich der Eröffnung des Vortex Punk-Clubs in London’s Hanaway Street im Oktober ’77. Jimmy [Pursey] und seine Jungs stiegen auf das Dach und spielten Hits wie Georgie Davis Is Innocent und What Have We Got?, sehr zur Freude der Skins und Punks unten auf der Straße sowie der Büroarbeiter, die aus den Fenstern hingen. Leider gehörte das Dach, das sich Shame zur Besetzung ausgesucht hatten, nicht zum Vortex Club und seine Besitzer und die Polizei waren von Shame gar nicht angetan. Denn:23 Es dauerte auch nicht lange, bis die Polizei auf dem Dach erschien – von Jimmy Pursey mit einem herzhaften ‚fuck off‘ empfangen. Die Polizisten stellten daraufhin zuerst einmal den Strom ab. Worauf ihnen Pursey ein paar weitere Freundlichkeiten an den Helm warf. Da brannten bei den Londoner Bobbies – sonst die freundlichste Polizei der Welt – die Sicherungen durch. Sie setzten bei Pursey den Polizeigriff an und führten ihn ab. Gegen Pursey wurde Klage wegen Beleidigung einer Amtsperson erhoben. Wenige Stunden später wurde er gegen eine Kaution von 500 Pfund wieder auf freien Fuß gesetzt. Auch sonst waren die Konzerte der Punk-Bands wie der Stranglers, der Sex Pistols oder von The Riot alles andere als sittsam und glichen Inszenierungen verbaler und körperlicher Gewalt – vor und auf der Bühne. Und in die Tumulte griff die verhaßte Ordnungsmacht ein: Die Bullen waren Feindbild Nr. 1. Shame 69 kommt die Bedeutung als erste führende Punk-Band zu – und die Titelzeile des „Klassikers“ „If the kids are united“ ziert als Aufnäher den Ärmel des Autors grüner Bomberjacke. Die Bomberjacke feierte ihren Einzug in die Mode der Jugend-Kultur. Armeekleidung jeder Art, Lederjacken und enge Jeans – möglichst weit heruntergekommen und löchrig – waren Inbegriff der Punk-Fashion.

21 22

Marshall, George: Spirit Of ’69, S. 67 ebd., S. 73 23 zitiert nach: Stark, Jürgen und Michael Kurzawa: Der große Schwindel? Punk – new Wave – Neue Welle. Frankfurt/M. 1981, S. 55

Und natürlich: Schnürstiefel – die eignen sich hervorragend als Defensiv- und Offensivwaffe. Doch Punk war ein großer Schwindel: Die Musik- und Unterhaltungsindustrie hatte den Jugendlichen eine „Rebellion“ verkauft, die gar keine war, sondern eine Inszenierung zum Geld verdienen. Die Medien spielten das Spiel mit: Der „Beat Club“ im deutschen und „Top Of The Pops“ im britischen Fernsehen sendeten in Wort und Bild die musikalische Interpretation von Anarchie und Totalverweigerung bis an die schottischen Küsten und in den bayrischen Wald. Die Stars der Szene hatten spätestens ’78 millionenschwere Plattenverträge abgeschlossen. Versandhäuser, die Schrankwände in eicherustikal anboten, führten auch „Mode zum Schockieren“ im Programm. Die Revolution erstickte im Kommerz. Auch unter den Jugendlichen selbst setzte – wie schon in ähnlichen rungsprozeß Zusammenhängen ein: Zerlumpte geschildert – ein DiversivizieKleidung war nicht jedermanns Sache, mit New Wave kamen wieder ein paar mehr Akkorde auf die Partitur, die Texte veränderten sich von Anarchie zur Melancholie und endeten schließlich in New Romance. In Deutschland wurde 1980/81 ein weiteres Punk-Kind geboren: Extrabreit freute sich „Hurra, die Schule brennt“, Nena verdiente sich mit „Nur geträumt“ und einem Rundlauf durch Dieter Thomas Hecks „ZDF-Hitparade“ Kilometergeld und Markus verband mit „Ich will Spaß“ schnelle Autos, Radarfallenbeschiß und Volltanken – die „neue deutsche Welle“.

Die „Wochenendpunks“ der erfolgsorientierten Mittel- und Oberschicht verabschiedeten sich zur New Wave, der Irokesenschnitt vieler „echter“ Punks ist nicht so einfach rückbaufähig. Und auch nicht die rasierte Glatze, die zum ersten Mal überhaupt in der Jugendszene auftauchte: Ganz punklike verunglipfte so das Outfit Bomberjacke, zerrissene Army-Hose und schwerer Boots den Typus des tapferen Soldaten – noch sind Tausende GIs kriegsgefangen in Vietnam. Außerdem bietet die Glatze gegenüber dem „Iro“ zwei entscheidende Vorteile: Sie muß nicht in Form gebracht werden und besitzt – wie schon Jahre zuvor gesehen – bei Schlägereien und polizeilichen Auseinandersetzungen einen bedeutenden taktischen Vorteil. Und womit die wenigsten gerechnet hatten: Die Botschaft des Punk – „Fuck off!“ – wurde von den Jugendlichen gelebt: Punk rebellierte offen gegen die Kommerzauswüchse seines eigenen Kults. Sicherheitsnadeln in den Ohren, Wangen und Nasen sowie Tätowierungen – meist wenig ästhetisch – verliehen den Straßenkindern des Punk noch eine neue Protestqualität.

Die Skins waren wieder da! Acht Jahre nach der großen Zeit der working class skinheads waren wieder – und nicht bloß in Großbritannien – martial aussehende Jugendliche auf den Straßen unterwegs, die zu allem Überfluß auch noch eine Glatze trugen. Seit jeher hat die Glatze Symbolkraft:24 [Sie steht] in einer alten Tradition totaler Institutionen und totalitäter Regimes. Militärs, Gefängnis, Zuchthaus sind Instanzen, die ihre Moral und die Ohnmacht ihrer Opfer mit der Schere unter Beweis stellen. Das Haaranschneiden als Strafe und Demütigung ist alt und wird schon in den Grimmschen Rechtsaltertümern als germanischer Usus aufgegriffen. Das lange und unbeschnittene Haar dient den Germanen als Zeichen der Freien. Den Knechten und Sklaven wurden die Haare geschoren zum Zeichen dafür, daß sie in der Obhut eines Höheren standen. Wehrverpflichtete, Knechte und Sklaven stehen ohne eigene Willensentscheidung in der Obhut eines Höheren. Soldaten, die ihren Dienst freiwillig leisten, Gläubige, die einer Ordensgemeinschaft beitreten und Jugendliche, die sich als Außenseiter fühlen, begeben sich mit ihrem eigenen Willen und ohne Zwang in eine Gesellschaft, in der sie höhere Güter, Werte, Ziele sehen und sich denen unterordnen. Auf allgemeinen Konsens dürfte stoßen, daß der Zwang, der zum Verlust des Individualitätskennzeichen „Haare“ der erstgenannten Gruppe führt, ethisch abzulehnen ist. Das Aussehen eines anderen Menschen gegen seinen Willen zu verändern ist Gewalt! In diesem grundsätzlichen ethischen Konflikt befand sich die Bundeswehr zu Beginn der ’70er Jahren, nachdem Wehrpflichtige gegen das Bundesverteidigungsministerium geklagt hatten und der Armeeführung Verfassungsbruch vorwarfen. Dies mag nur eine Fußnote der deutschen Militärgeschichte sein und die deswegen aus Steuergeldern angeschafften stahlhelmtauglichen Haarnetze sind inzwischen längst in den Kleiderkammern der Standortverwaltungen verstaubt – doch wirft dieses Detail ein deutliches Licht auf Akzeptanz und Respektanz der Individualität des jeweils anderen. Oder, um Rosa Luxemburg zu bemühen: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“. Wo beginnt Faschismus? Eine fürwahr „haarige“ Angelegenheit…

Voller Verachtung schauten die wenigen übriggebliebenen Skins und ihre genauso wenigen Söhne im Geist von ’69, auf diejenigen, die die Symbole ihres Stolzes in den Dreck zogen: geschorener Schädel und robuste Stiefel, aber ein Attitüde, vor der jedes Mütterchen das Weite suchte und eine Totalverweigerung, deren Finanzierung den Eltern oder dem Sozialamt oblag. Die „Streetpunks“, zu denen hier eben auch die jungen Glatzen gezählt werden müssen,

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Utz, Jeggle: Schere und Macht, Haare und Potenz. In: Bagus, Kim und Franz Josef Görtz (Hrsg.): Glatze, Zopf und Dauerwelle. Ein haariges Leesebuch. Leipzig, 1996, S. 147; zit. nach: Farin, Klaus: Die Skins, S. 23

hatten in der Wertewelt von „eigener Hände Arbeit“ und „Solidarität unter Arbeitern“ nichts verloren:25 Wenn einer von denen in eine Kneipe von traditionellen Skinheads marschierte, wurde ihm auf der Stelle der Weg nach draußen gezeigt, und das meist mit dem Kopf zuerst. Die ursprünglichen Skinheads empfanden viel zu viel Stolz für ihren Kult, als daß sie ihn von pickeligen Jüngchen, die alte Omis oder Passanten erschrecken wollten, in den Dreck ziehen ließen. Bei den Jugendunruhen im Sommer 1977 glichen die Randaleszenen vom Bank Holiday-Montag Straßenkämpfen aus Nordirland. Zwischen Teds – sie erlebten als Gegenbewegung zum Punk ein Revival – und den „Bunten“ tobte der Krieg. Und seitens der Teds schlugen sich noch die „konservativen“ Glatzen mit den jüngeren Streetpunk-Glatzen. In den folgenden Monaten aber sollten sich die Glatzen untereinander annähern. Mit ein Grund dürfte die zunehmende Politisierung bei den Punks gewesen sein: Die Totalverweigerung betraf selbstverständlich auch die Herrschenden, doch weder in Westdeutschland noch in Großbritannien herrschten die konservativen Parteien. Reale sozialdemokratische Politik raubte Linksromantikern ihre Ideale, die sozialliberale Koalition in Bonn wie auch Labour in Westminster regierten mit dünnen Mehrheiten. Also wohin? Noch weiter nach „links“ – in die Anarchie; und um zu provozieren wurde mit dem weltpolitischen Gegner sympathisiert. In Deutschland gründeten sich „alternative Listen“ und unter dem Einfluß der Anti-Atomkraft-Bewegung die „Grünen“. In ihren Anfangsjahren war diese Partei ein Sammelbecken nahezu aller gesellschaftlichen Gegenströmungen, sofern sie nicht faschistisch oder rassistisch geprägt waren. Eine wichtige Station beim Marsch der 68er-Studenten durch die Institutionen, denn bereits 1979 wird die „außerparlamentarische Opposition“ parlamentarisiert und zieht in den Bremer Senat ein. Besinnung auf – wenn auch nicht parlamentarische – Traditionen tritt auch bei den glatzköpfigen Streetpunks in Großbritannien ein. Protesthaltung: ja – schließlich sind sie „Opfer“ des Systems. Verweigerung: bedingt – so gut läßt es sich auf Kosten der Wohlfahrt oder der Eltern vielerorts auch nicht leben. Politik: nein – britischer Patriotismus und Sympathien ins kommunistische Lager sind nicht miteinander vereinbar. God save the Queen!26
25 26

Marshall, George: Spirit Of ’69, S. 70 Es ist durchaus interessant, in der Literatur die verschiedenen Ansätze zur Erklärung dieses Phänomens der „Rückverwandlung“ genauer zu betrachten. Der engagierte Journalist und Jugendkultur-Experte Klaus Farin aus Berlin-Kreuzberg verfolgt die Theorie, daß die Wiederentdeckung der traditionellen Skinhead-Kleidung zur Annäherung an die „traditionellen“ Werte“ geführt hat (vgl.: Skinheads, S. 44 f. sowie: Die Skins, S. 30). George Marshall, Chronist „seiner“ Bewegung, sieht dagegen primär keine „Rückbesinnung“ auf „seine“ Traditionen: Die immer größere Akzeptanz von Punk und die Kommerzialisierung des Kults sorgte für eine Distanzierung und die Herausbildung einer eigenen Identität, die sich deutlich auch in Kleidung und Körperschmuck (vgl. Spirit Of ’69, S. 71 ff.). Der Autor dieser Arbeit schließlich bemüht einen gesellschaftspolitischen und sozialhistorischen Erkenntnisweg, zumal er die persönlichen Wurzeln „seines“ Kults genau hier ansiedelt. „Jetzt

Die traditionellen Skinheads fanden Gefallen an der Punk-Musik, und bei Punk-Konzerten wurden von den DJs die alten Reggae- und Ska-Klassiker aufgespielt. Die jungen Glatzen fanden Gefallen am harten und smarten Outfit der „Ahnen“: Das Fred Perry-Shirt stand wieder hoch im Kurs, genauso die karierten Ben Sherman-Hemden – beides allerdings deutlich teurer als früher. Chlorgebleichte, fleckig-weiße Jeans paßten dem Jung-Skin auch in sein PunkWeltbild – und der Kult vereinte den Spirit Of ’69 mit dem Geist von ’76.

Punks und Skinheads waren sich Ende der ’70er Jahre viel näher, als heutige Ressentiments auf beiden Seiten Szeneangehörige wie Außenstehende vermuten lassen: Die „linken Zecken“ und „rechten Glatzen“ – ohne dieses Klischee an dieser Stelle richtigstellen zu wollen – hatten verdammt viel Spaß miteinander! Sie besuchten die selben Konzerte, feierten die selben Parties und hingen an den selben Ecken ’rum: Viele hatten schlechte Aussichten auf Lehre und Beruf – Wirtschaftskrise und hohe Arbeitslosigkeit in ganz Europa, der Slogan „no future“ entstand nicht aus Verweigerung sondern aus Perspektivlosigkeit und Resignation. Shame 69 lieferte der neuen Szene mit „If The Kids’s Are United“ ihre Hymmne: Einmal in meinem Leben hab ich mal was zu sagen, und das will ich jetzt sagen, denn jetzt ist heute, Liebe ist da, um genommen und genossen zu werden, also laßt uns alles nehmen und genießen! Wenn die Kids zusammenhalten, dann kann keiner sie spalten! In dem Dreck um dich ’rum, was siehst du da? Kids mit Gefühlen wie du und ich, verstehe ihn und er wird dich verstehen, denn du bist er und er ist du! Wenn die Kids zusammenhalten, dann kann keiner sie spalten! Ich will nicht abgelehnt werden ich will nicht abgewiesen werden, Freiheit ist da, um deine Meinung zu sagen, ich bin die Freiheit, wie fühlst du dich? Sie können mir ins Gesicht lügen, doch mein Herz belügen sie nicht wenn wir zusammenstehen, dann ist das erst der Anfang! Wenn die Kids zusammenhalten, dann kann keiner sie spalten! Eine andere Band hatte ebenfalls ihren großen Beitrag an der neuen Skinhead-Kultur und gab ihr wenig später schließlich ihren Namen: die „Cockney Rejects“. Sie zählten bei ihren Konzerten die Songs nicht mit „1, 2, 3“ an, sondern mit „Oi! Oi! Oi!“ Oi, so der Ex-Manager der Band und Musikredakteur beim „Sounds“-Magazin Garry Bushel in seinem Artikel vom November 1980: wächst zusammen, was zusammengehört!“ – der Autor nimmt sich in dieser Fußnote einfach das Recht, dieses große Wort von Willy Brandt in der Tradition der Suberversion für sich und seinesgleichen historisch völlig unkorrekt zu schwingen. Punk sei dank!

„Oi bedeutet im Cockney-Slang: ‚Hey, ich hab was zu sagen, hör zu!‘“27 Und die Fans hörten zu und gröhlten mit: Höre den Schrei, der durch die Straßen hallt wir wissen, was er bedeutet, gerade für die Ignoranten ist er nicht, was er scheint. Durch jede versiffte Gasse kommen die Kids von überall her, sie kommen alle und schließen sich dem Mob an, Denn sie kennen diesen Ton. Und ich renne eine Gasse runter, Oi! Oi! Oi! Und ich renne, und ich bin frei, Oi! Oi! Oi! Denn wir wissen alle, das ist der Sound der Straße! Und wir rennen eine Gasse runter, Oi! Oi! Oi! Mit Doc Martens an den Füssen, Oi! Oi! Oi! Und du rennst die Gasse mit mir runter. Die Kids kommen von überall her, überall ist das East End, und sie alle wissen, was es bedeutet, wenn sie diesen Ton hören. Also weißt du, was du zu tun hast, wenn du den Ruf hörst, zieh deine Boots an und tret diese scheiß Mauer ein. Und ich renne die Gasse runter, Oi! Oi! Oi! Und wir geben niemals auf, Oi! Oi! Oi! Weil wir alle wissen, daß wir verdammt noch mal gewinnen werden! Und wir rennen eine Gasse runter, Oi! Oi! Oi! Und wir alle wissen, der Mob ist auf dem Weg!

Der Mob war und ist männlich – der „Kerl“ zeigte sich als solcher: hart – weit weniger smart als zehn Jahre zuvor: häufig kahlrasiert, Bomberjacke, TShirt mit provozierendem Aufdruck, Hosentrager und „Domestos-Jeans“ oder Army-Hose, die Hosenbeine weit nach oben gekrempelt oder gar abgeschnitten, damit die Ranger‘s oder Doc Martens auch in ihrer vollen Pracht zu sehen waren. Und die volle Pracht heißt bis heute: mindestens 10 Loch28, gerne 14 Loch – und selbst 20 Loch-Stiefel, die je nach Hersteller und Körpergröße eine Handbreit unter der Kniescheibe enden, werden stolz zur Schau getragen. Wer sich einmal in schweren Stiefeln bewegt hat – und jeder BundeswehrRekrut wird das bestätigen – steht und geht anders. Der Schritt wird schwerer, der Gang ausladender. Der Widerhall des Stiefeltakts nächtens mit der Gang durch leere Straßen fasziniert seine Träger und gibt ihnen das Gefühl, eine Kompanie, eine Gang, der „Mob“ zu sein. Sicherheit, Stärke, Gemeinschaft. Wer sich einmal ein neues Paar Ranger‘s oder Shelly’s an die Füße gezogen hat und in endlos scheinender Arbeit die Schnürsenkel eingefädelt hat, kennt auch die Bedeutung des Wortes leiden: Je nach Lederqualität und Schnitt ist das Gehen in diesen Stiefeln eine Qual: Druckstellen, Blasen und abgescheuerte Haut. Um das Leder weich, geschmeidig und wasserdicht zu machen, hilft nur: Fetten, fetten, fetten. Jeder Skinhead hat da so seine eigenen Tipps. Der eine
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zit. nach Farin, Klaus: Die Skins, S. 31

nimmt den Fön der Mutter, um das Lederfett weicher zu machen und die Poren des Leders zu öffnen, der nächste schlägt die starren Partien mit einem GummiHammer weich, der dritte pißt in „Landser-Manier“ einfach in sie rein und zieht die Boots mit seinem ältesten Paar Socken an – vor der Haustür. Jeder Skinhead kann zu seinen Shelly’s, Ranger’s oder Underground’s seine Geschichte erzählen. So etwas verbindet und gibt einfachem Sicherheitsschuhwerk die Weihen eines Fetisches – und das typische Geräusch, wenn die Schnürsenkel nach durchtanzter Nacht aus den Ösen (zumindest den oberen) gezerrt werden, hat durchaus erotische Qualitäten.

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Im szenegängigen Sprachgebrauch wird die Höhe der Stiefel mittels der Anzahl der Schnürösen einer Seite des Stiefelschafts verdeutlicht: insgesamt also zehn Paar Löcher übereinander.

Glatze, Bomberjacke, Stiefel: Dieses Bild zielt haarscharf am eigenen Image der Skinheads vorbei. Genau diese Stereotypisierung wird dem Stil nicht gerecht, den die Skins seit Ende der 60er Jahre pflegen und mit der zweiten Generation zu Beginn der ’80er Jahre „aufgefrischt“ wurde. Glatze, Bomberjacke, Stiefel: Dieses Bild macht aber auch deutlich, daß Skinheads von ihrer Umwelt durchaus als einheitliche Gruppe wahrgenommen werden – und auch wahrgenommen werden wollen. Sie grenzen sich mit ihrer Kleidung und Haltung ganz bewußt vom Mainstream und anderen Modetrends ab – nicht zuletzt auch deswegen, um sich untereinander zu erkennen und über den gemeinsamen Stil das Gruppengefühl zu leben. Glatze, Bomberjacke, Stiefel: Dieses Bild mag auf die Skinheads der zweiten Generation verallgemeinernd ja noch passen, die Skins der ersten Generation – wie in den vorangegangenen Kapiteln bereits angerissen – entsprachen diesem Bild hingegen nicht: hard and smart – ihre Kleidung sollte das eigene „harte“ Männlichkeitsbild unterstreichen, zugleich aber auch so gediegen sein, um den Konventionen im Büro, auf der Straße oder der Clubtür des Allnighters zu entsprechen – ohne dabei „praktische“ Überlegungen außer Acht zu lassen. Der kleine „Skinhead-Modeberater“ weiß: Erlaubt ist, was gefällt! Die folgenden Absätze stellen keine allgemeingültigen Kleidungsvorschriften dar und erheben auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Eine feste Anzugsordnung wie in einer Armee gibt es ohnehin nicht, obwohl die Detailversessenheit einiger Skins dies durchaus vermuten ließe. Doch der Individualität und freien Entfaltung modischer Ambitionen sind durchaus Grenzen gesetzt. Der folgende „Modeberater“ versucht, den Stil von über dreißig Jahren Skinhead-Bewegung zusammenzufassen, der letztenendes völlig unspektakulär und konservativ daherkommt – und zwar in der Regel in Stiefeln…

Wenn das Dr. Klaus Maertens geahnt hätte... Aus den Schmerzen des Heilungsprozesses heraus, dem ein Skiunfall vorausging, wurde 1945 die Idee eines orthopädischen Schuhs geboren, der eine stoßabsondernde Sohle besitzen sollte. Maertens entwickelte zusammen mit seinem Freund, dem Ingenieur Dr. Herbert Funk, eben diese luftgepolsterte Sohle, die bis heute jedem Dr.Martens-Schuh sein charakteristisches Äußers gibt. 1959 interessiert sich der englische Arbeitsschuhhersteller R. Griggs & Co für die Entwicklung der Herren Maertens und Funk aus Bayern und bereits ein Jahr später hat der erste „Dr. Martens Air Ware“-Acht-Loch-Stiefel Premiere – die Geburt eines Klassikers. Schnell wurden diese robusten Stiefel, mit oder ohne eingearbeitete Stahlkappe zum Schutz der Zehen vor Verletzungen, zum Standardschuhwerk der

englischen Werftarbeiter. Von Wollaston in England aus starteten 1967 die „Docs“ ihren Siegeszug in die Skinhead-Mode: politisch korrekt mit der working class verbunden, mit der Stahlkappe praktisch als Defensiv- oder OffensivWaffe einsetzbar (wer mag da schon urteilen?) und dank ihrer verhältnismäßig leichten und griffigen Sohle kein Klotz am Bein bei der schnellen Flucht vor den Bobbies oder verfeindeten Jugendgangs. Die klassischen

Docs, als Drei-LochHalbschuhe auch zum Anzug tragbar, sollten Anfang der 80er Zuwachs erhalten – und zwar nicht nur in ihrer eigenen Höhe (zehn, 14 oder 20 Loch wurden Mitbewerber Einfluß Eine Spur aus Streetpunk-Szene. klobiger, eine Spur rustikaler und deutlich martialer waren die „Rangers“: Ebenfalls Arbeitsstiefel mit Stahlkappe mit einer deutlich festeren Sohle und charakteristischem Profil, welche in der Regel mit dem Stiefel verschraubt ist. „Shelly’s“, „Underground“ oder „Get A Grip“ sind Markennamen für vergleichbare Stiefel. Zunächst wurden die Stiefel nur in schwarz und in einem dunklen Rot (oxblood) angeboten, die Modemacher der 80er entdeckten den bequemen Schuh bei ihrer Adaption des Punk-Stils und so erlebten die Docs nahezu alle Farbschattierungen und Materialmixe: Pelzimitat, schwarz-weiße Karos und Blümchenmuster. Wenig Sympathie hegen „echte“ Skins hingegen zu Armeestiefeln: Die werden allenfalls im Alltagsleben geduldet oder insbesondere im Sommer wegen ihrer geringeren Höhe und schnelleren Schnürung zu kurzen Hosen getragen. Wobei auch nicht unterschlagen werden darf, daß dieses Geschenk von Vater Staat nach abgeleistetem Wehrdienst das erste Paar Stiefel überhaupt manch eines Skins gewesen ist. Fallschirmspringerstiefel jedenfalls haben mit Doc Martens oder Rangers nicht viel gemeinsam. Äußerst wichtig für das korrekte Aussehen ist die richtige Art der Schnürung der Senkel. Die Schnürsenkel bei Docs und Rangers werden nicht populär), und der sondern auch durch

wie üblich über Kreuz geschlagen und gar mit einer Schleife verknotet. Dies ist wahrscheinlich der größte faux pas überhaupt, den sich ein Skinhead leisten kann. Stattdessen kommt eine Methode zum Einsatz, die angeblich auf den Namen „Kambodscha-Schnellschnürung“ hört, von denen allein der Autor vier Varianten kennt. Entweder beginnt die Schnürung an der obersten inneren Öse, um dann verdeckt den Schaft hinab von hinten zur untersten äußeren Öse führt. Alternativ verknotet man den Senkel dort so, daß er nicht durch die Öse rutschen kann. Von dort aus wird der Senkel zur gegenüberliegenden Öse geführt. Soweit – so gut… Je nach Stiefelmodell, Schnürsenkellänge und Füßen des Trägers wandert der Senkel jetzt verdeckt in die Öse direkt drüber oder quer über den Spann und von dort aus geht das „Senkeln“ dann weiter. Oben angekommen wird die Überlänge des Schnürsenkels dann mehrfach um den Stiefelschaft geschlagen und die Enden einfach in die Stiefel hineingesteckt. Wer bei seinem allerersten Versuch nach einer Viertelstunde aufgibt, wird nie ein Skinhead werden… Kambodscha-Schnellschnürung: Wer hat sich bloß diesen Namen einfallen lassen..? Neben Stiefeln und Halbschuhen der genannten Hersteller werden zwischenzeitlich auch Turnschuhe getragen. Vor fünf Jahren noch hätte sich auch der Autor geweigert, seine Stiefel gegen ein paar adidas oder New Balance zu tauschen, aber vielleicht hängt es auch mit wachsender Bequemlichkeit im Alter oder der Fitness-Welle der 90er zusammen. Im Sommer jedenfalls haben Turnschuhe unschlagbare Vorteile und auch auf der Tanzfläche hält man länger aus, wenn einem die Stiefel sonst schwere Beine machen. Da jeder Sportartikelhersteller auch sein eigenes Image hat, bedeutet das für den leichtbesohlten Skin, daß die Marke mit Bedacht gewählt sein will: Während in Nordamerika die Sneakers des Herstellers New Balance als Seniorenschuhe verschrien sind, gelten sie in Mitteleuropa als Trend-Schuh und sind auch dementsprechend teuer. Seit einigen Jahren gewinnt auch adidas durch eine Image-Kampagne die Herzen der europäischen Kids wieder, während Nike ein zunehmend – zumindest aus Skinhead-Sicht – negatives Image vom schwarzen Hip-Hopper aus dem Ghetto bekommt. Doch das kann sich in der nächsten Saison schon wieder ändern. Ein neuer Trend gerade für den Hochsommer hingegen verspricht die Wiederentdeckung der Sandale durch adidas, New Balance und Co, wenig trendy hingegen sind Badelatschen oder Birkenstocks. An Bedeutung verloren haben die Brouges: Schnürschuhe, auf deren Oberund Seitenleder Muster eingestanzt sind und die aus „klassischen“ USGangsterfilmen auch einem breiteren Publikum bekannt sind. Sie waren „die guten Schuhe“ für besondere Anlässe, ein wenig elitär, machten aber auch zum Anzug eine gute Figur.

…sagt eigentlich gar nichts aus. Und wenn – mit Verlaub – selbst szeneintern keine einhellige Meinung vorherrscht, wen wundert es dann, daß außerhalb der Szene noch weniger zutreffende Kenntnisse vorliegen. Und wer sich nun erhofft, an dieser Stelle den eindeutigen Wegweiser zu politischen Weltanschuungen unterhalb der Glatzen zu erhalten, den muß der Autor enttäuschen. „Zeig mir deine Senkel und ich sag‘ dir, wo du stehst“ – Fehlanzeige… Beginnen wir einmal dort, was den Zweck eines Schnürsenkels ausmacht: Er stellt den beweglichen Teil des Verschlusses dar und hält, geführt durch Ösen im Schaft, Fuß und Schuh zusammen. Wenn der Senkel reißt oder wie Ende der ’60er vor den englischen Fußballstadien von Polizisten einkassiert wird29, dann bedeutet das einen schwerwiegenden Komfort- und Sicherheitsverlust für den Träger. Und Skinheads können ja praktisch denken: Also wurden die fehlenden Senkel durch ein Stück Zwirn ersetzt. Und welchen kräftigen Zwirn hat Mutter in der Küchenschublade? Helles Paketband… „Seht her – die Bullen haben mich einkassiert!“ Zu übersehen sind helle Schnürsenkel in hohen Stiefeln jedenfalls nicht – und welcher Skin zeigt nicht gerne seine Stiefel und arbeitet an seinem harten Image? Diese Theorie nach dem Ursprung weißer Schnürsenkel ist völlig an den Haaren herbeigezogen – wie jede andere übrigens auch. Fakt ist, daß im ausländerfeindlich geprägten Großbritannien der späten ’70er bei den mehrheitlich rassistisch beeinflußten Skins die Farbe „weiß“ auch eine politische Farbe wurde, die den schwarzen oder indischen Nachbarn im Kiez signalisierte: Mit dir will ich nichts zu tun haben, denn wir stehen in Konkurrenz zueinander: bei den Mädchen, auf dem Arbeitsmarkt, bei der Zuteilung von Wohlfahrtsgeldern! Fakt ist auch, daß die Punks zur selben Zeit damit begannen, schwarze Schnürsenkel langweilig zu finden und mit anderen Farben herumexperimentierten. Und sind die Punks auf dem Berliner Alexanderplatz eigentlich rechts oder rassistisch, wenn sie weiße Schnürsenkel tragen? Da fängt’s schon an… Wer auf Nummer Sicher gehen will (und das ist kein Wesenszug unter Glatzen), bleibt bei schwarzen Schnürsenkeln. Basta! Ansonsten droht die Gefahr, politisch in eine beliebige, zugleich aber extreme Ecke wegsortiert zu werden. Ein kleiner Überblick über die Farbenwelt der Medien bei der Berichterstattung über Schnürsenkel: rot: politisch die Farbe von Labour, Sozialdemokraten, der RAF und der IRA. Das sagt schon genügend über das mannigfaltige Spektrum der Deutungsmöglichkeiten aus. Hinzu kommt rot als Farbe des Bluts, so daß Skinheads der britischen blood & honour-Fraktion auch rote Senkel tragen. Das Anzeigenblatt „Wochenschau“ aus Flensburg, dem Hei29

vgl. Kap. 4.3

matort des Autors, informierte die Leser im Vorfeld eines rechten Aufmarches zu „Führers Geburtstag“ in der Stadtmitte30 erschöpfend über den Farbcode und konstatierte: „Wer rote Schnürsenkel trägt, ist eingefleischter Neonazi. […] Mit diesen Schuhen wird auf Linke = Rote eingetreten.“ gelb: Nach „Flensburger“ Ansicht lassen sich über gelbe Schnürsenkel Fußballfans bzw. Hooligans erkennen, dem Autor sind aber auch schon von vereinzelten Skins folgende Bedeutungen angeboten worden: Antisemit, Rassist „light“31 oder militante Apartheids-Verfechter: Dies jedenfalls berichtete Mitte der ’90er ein weißer südafrikanischer Skinhead: „Wer einen Kaffer32 umgelegt hat, der wechselt von weiß auf gelb!“ braun: Aus der politischen Farbenlehre heraus ist dies eigentlich die Farbe der Nazis, sieht aber aus ästhetischen Gesichtspunkten heraus geschmacklos aus und gibt auch nicht den – gewollten – Kontrast zur Stiefelfarbe. Fazit: Skinheads tragen keine braunen Schnürsenkel. weiß: In den Medien wie auch szeneintern herrscht die Meinung vor, weiße Senkel lassen auf eine rassistische Anschauung schließen: white power. Da helfen auch Rechtfertigungsversuch einzelner in schwarzen Stiefeln nichts, die damit als Botschaft black and white unite! zu transportieren wünschen. Innerhalb der Szene, besonders bei den Jüngeren, sind weiße Schnürsenkel aber eher als „Kick“ und Protest gegen die spießige Außenwelt zu verstehen und nicht als gefestigtes Bekenntnis zum Rassismus. In London gar, der eigentlichen Hauptstadt des Kultes, werden weißbesenkelte Glatzen inzwischen berechtigterweise in die schwule S/M-Ecke eingeordnet.33 Noch Fragen..? Alle anderen Farben scheinen politisch neutral zu sein, wobei aber Skins mit orangen, blauen oder grünen Schnürsenkeln dem Autor noch nie begegnet sind. Vielleicht liegt es aber auch an der geringen Auswahl für meterlange Schnürsenkel in den Fachgeschäften…

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vgl. Farin, Klaus: Die Skins, S. 257 f. Gemäß des politischen Testaments Adolf Hitlers versah Großadmiral Karl Dönitz von der Marineschule Mürwik am Ostufer der Flensburger Förde aus die Regierungsgeschäfte nach der Kapitulation der Wehrmacht. Zudem machte die räumlich Nähe zum in Deutschland verurteilten Neonazi und Publizisten Thies Christoffersen im dänischen Kollund am Nordufer der Förde einen Aufmarsch in Flensburg zum 97. Geburtstag Hitlers attraktiv. 31 Ein zwei Jahre jüngerer Mitschüler erzählte mir Ende der ’80er, er habe ja nichts gegen Ausländer, aber schließlich sei das Boot längst voll und gelbe Schnürsenkel bedeuteten den Wunsch nach Zuwanderungsstop. Nach Auffassung der Bremer Nachrichten vom 29.04.95 seinen gelbe Senkel hingegen ein Kennzeichen für Asiatenhasser, aber Autor Peter W. Schröder behauptet auch im selben Beitrag, rosafarbende Senkel implizierten eine schwulenfeindliche Gesinnung. Abgesehen davon, daß rosa Schnürsenkel in Rangers völlig daneben aussehen, würde kein heterosexueller Skin sie freiwillig tragen, wenn er um die Farbe Rosa als Kennzeichnung für homosexuelle KZ-Häftlinge wüßte. 32 Kaffer: abwertende afrikaanse Bezeichnung für Schwarze, analog zum engl. nigger. 33 vgl. Kap. 9.3

Klassiker bis heute ist die Levi’s 501, jene „Ur-Jeans“ des gebürtigen Bayers Levi Strauß, die auf der Hüfte sitzt und zum Wohle der besten Teile des Mannes im Schritt der Knopfleiste vor dem Reißverschluß den Vorzug gibt. Alle Schattierungen in blau und schwarz sind genehm, spätestens seit den ’80ern kommt das individuelle „Batik-Muster“ durch Einsatz von Chlor-Bleiche hinzu – die Domestos-Variante. Sie kann in keinem Laden gekauft werden, sondern muß zu Hause in der Badewanne durch beherztes Verspritzen von Bleiche in Eigenleistung hergestellt werden. Wie viel Bleiche zu benutzen ist, wie lange sie einzuwirken hat und wann die Jeans von der Chemie befreit werden muß, dieses Wissen vererben die älteren Skins an die Jüngeren und soll hier gar nicht breitgetreten werden. Nur soviel: In Domestos befindet sich seit Jahren kein Chlor mehr! Damit weiterhin die Stiefel zur vollen Geltung kommen, werden die Hosenbeine mehrmals umgeschlagen. Zu den entsprechenden Gelegenheiten werden Jeans und Stiefel auch zur Seite gelegt und gegen einen „guten“ Anzug oder gegen Levi’s Sta Press eingetauscht, eine bügelfreie Baumwollhose mit eingearbeiteter Bügelfalte. Insbesondere die Skins der ’69er-Generation trugen selbstverständlich am Samstag abend Anzüge und pflegten ein gepflegtes Äußeres, an dem sich auch die Eltern erfreuten. Heute sind es in der Regel die älteren Skinheads, die teils aus Tradition, teils aus den Anforderungen ihres beruflichen Lebens diesen früheren Stil für sich wiederentdecken, der mit seiner ganzen Detailvielfalt schon dandyhafte Züge annehmen kann. Seit Mitte der ’90er Jahre erlebt in deutschen Skinhead-Kleiderschränken die traditionelle Zunfthose ihre Renaissance. Meist aus Cord oder einem schweren Baumwollstoff namens Deutschleder gefertigt, sind diese Hosen mit ihrer auffälligen Optik – charakteristisch ist der Hosenlatz mit zwei Reißverschlüssen – nahezu unverwüstlich und besonders im Winter angenehm warm. Diese Rückbesinnung auf traditionelle Kleidung der deutschen Arbeiterklasse mag in der Tat im Beruf des einzelnen be-

gründet liegen, doch haben die Zunfthosen auch ihren Einzug in die ClubKultur gefunden. Für nicht ganz so feine Gelegenheiten sind Armeehosen, besonders USamerikanische und natürlich britische Hosen ein beliebtes Beinkleid: Gebraucht sind sie günstig zu erhalten, sind von Haus aus für härteren Einsatz konzipiert und verfügen praktischerweise über eine stattliche Anzahl von Taschen, die einen halben Wochenend-Einkauf verstauen können. Natürlich befördern auch diese Hosen ein Image: stark, männlich, kameradschaftlich. Auch sie werden der Optik wegen umgekrempelt oder in Höhe des Stiefelschafts umgeschlagen und mit Hosengummis auf Höhe gehalten. Beliebt sind die „offiziellen“ (Tarn)Farben woodland-green, urban camouflage (schwarz/grau/weiß), schwarz und olivgrün; modische Neuschöpfungen wie schwarz-gelb oder hell- und dunkelblau werden gemieden. Besonders im Sommer – in der jackenlosen Zeit – erleben die umgearbeiteten Armeehosen als Kurz-Bein-Variante ihre begehrteste Zeit, denn dank ihrer Taschenvielfalt können beispielsweise mehr als zwei Liter Dosenbier am Mann gehalten werden – Skinheads können auch praktisch denken!

Fred Perry, Ben Sherman und Lonsdale: Das sind die Marken, die bei jedem Skin im Kleiderschrank hängen. Diese drei Hersteller, allesamt in England beheimatet, stellen hochwertige und meist wenig preisgünstige Oberbekleidung her. Ein Klassiker sind die einfarbigen Polohemden von Fred Perry34, die am Kragen und den Ärmeln zwei dezente Streifen tragen. Diese Polos, meist um die DM 70,- teuer, sind inzwischen auch von den anderen Herstellern erhältlich, wie sich die Angebotspalette überhaupt inzwischen sehr ähnelt: Button-DownHemden oder Polos hat jeder in seinem Angebot, Pullunder und Pullover mit V-Ausschnitt oder Rundhals ebenso. Sehr beliebt sind auch die KapuzenSweatshirts von Lonsdale, die sich in erster Linie als Hersteller für BoxerBekleidung verstehen. Allen Herstellern gemein ist, daß sie ihre Kleidung mit dem Firmenlogo versehen: „Fred Perrys“ tragen auf der linken Brust einen kleinen Lorbeerkranz, die „Shermans“ tragen einen dezenten Namenszug, das Lonsdale-Logo hingegen wird häufig gerne groß getragen. Daß aber vom Markennamen Lonsdale auf eine rechte Gesinnung des Trägers geschlossen werden kann, wie die Süddeutsche Zeitung kürzlichst vermeldet hat, darf bezweifelt werden: Dort wird beschrieben, daß der Träger eines Lonsdale-Kapuzen-Sweaters provozieren

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Fred Perry, englischer Tennis-Profi und Wimbledon-Gewinner von 1935, kreierte nach seinem Ausstieg aus dem Profi-Tennis eine eigene Sportbekleidungsserie. Seine Herkunft aus der Arbeiterklasse macht ihn zum Sympathieträger der Skinheads.

will, weil der unter der offenen Jacke nur rudimentär zu sehende Schriftzug (nsda) unbewußt zu NSDAP ergänzt würde… Neben Hemden und Pullovern der genannten Hersteller werden gern auch T-Shirts der bekannten Sporthersteller (adidas, Umbro) getragen. Außerdem TShirts mit Motivdrucken, die in irgendeiner Weise über das Lebensgefühl des Trägers informieren: Politische Äußerungen („Ich bin stolz, ein Doitscher sein!“ oder das antirassistische SHARP 35-Logo), das Logo der Lieblingsband oder eine Erinnerung an das letzte Open-Air. Und im Hochsommer kann es auch der nachte Oberkörper sein…

Kein Skinhead ohne Bomberjacke! Das wendbare flight jacket fand seinen ersten Einsatz im II. Weltkrieg bei der US Air Force, ist aus einem strapazierfähigem, meist olivgrünen oder schwarzen Polyestergewebe, innen signal-orange abgefüttert und zum Kälteschutz wattiert. Schnitt und Material der Bomberjakken lassen den Oberkörper kräftig erscheinen und so wächst auch einem flachbrüstigen Hänfling ein beeindruckender Torso. Sie ist leicht, schmutz- und feuchtigkeitsabweisend, trocknet schnell und schützt auch im Winter ihren Träger vor Wind und Kälte – kurz: das perfekt Kleidungsstück für alle Lebenslagen und zudem bezahlbar! Ab DM 70,ist sie bei ArmeeBekleidungsgeschäften (US-Shops) erhältlich, das Original vom Hersteller Alpha Industries kostet etwa das Doppelte, sitzt aber auch doppelt so gut. Seit den ’80ern gehört die MA-1 (die klassische Bomberjacke mit Rundkragen) zum Outfit eines jeden Skins oder Streetpunks. Inzwischen ist die Bomberjacke aus der (Jugend-)Mode nicht mehr wegzudenken. Jugendliche und Erwachsene, egal, ob sie sich einer Subkultur wie der Skins, Punks, Raver oder Autonomen angehören oder nicht, tragen diese Jacken. Der Autor hat auch erlebt, daß auf mancher privaten Party anstelle einer üblichen Garderobe letztenendes nur noch ein Berg Bomberjacken zu finden war. Aus diesem Berg dann seine eigene Jacke herauszufinden, ist ein Stück Arbeit: Glücklich, wer Aufnäher auf seine „Bomber“ trägt oder anhand des Geruchs oder bestimmter Flecken seine Jacke identifizieren kann. Für den Sommer empfiehlt sich die leichte Harrington-Jacke, ein Stoffblouson in marineblau, schwarz oder bordeuxrot mit einem Innenfutter im Schottenmuster. Die Harrington – benannt nach dem Schauspieler Rodney Harrington aus der BBC-Serie Peyton Place – gehört bereits seit Ende der 60er zur Skinhead-Uniform, hat einen knöpfbaren Stehkragen (der nie geknöpft wird) und ist recht erschwinglich.

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SHARP: Skinheads against racial prejudice, s. Kap. 9.1

Ein Allrounder ist die Jeans-Jacke: Im Winter wird sie gerne unter der Bomberjacke getragen und im Sommer solo. Solange sie nicht mit Aufnähern „personalisiert“ ist, ist sie ein anonymes Kleidungsstück, das von jedem getragen werden kann. Seltener trifft man heute die Donkey-Jackets an, die früher insbesondere von englischen Werftarbeitern getragen wurden und vom Schnitt und Material den „Duffle-Coats“ ähneln, die in den 80ern in Deutschland beliebt waren.

Udo Walz würde sich die Haare raufen… Frisuren… Und doch legen die meisten Skinheads Wert darauf, daß sie eben keine Glatze tragen. Zwei „Grundschnitte“ herrschen vor, nämlich einmal die einheitliche Länge und zum anderen der sogenannte flat top, bei dem das Deckhaar länger ist als die Seiten. Der Schnitt mit der einheitlichen Länge wird als crop bezeichnet, benannt nach dem aufsetzbaren Längenkamm der Haarschneidemaschine, die es bereits ab DM 20,- in jedem guten Elektro-Geschäft gibt. Waren Ende der ’60er noch Haarschnitte mit crop 6# oder 5# üblich (also eine Haarlänge von fünf bis sechs Zehntelzoll [12,5 bis 15 mm]), so wurden mit den Jahren die Aufsätze immer kleiner und damit die Haare immer kürzer. Die naßrasierte Glatze hingegen ist selten. Der Flat ist eine neuerer Haarschnitt, der einerseits Ähnlichkeiten mit der stahlhelmgerechten Frisur amerikanischer GIs aufweist, aber auch von der Irokesen-Frisur der Punks abgeleitet werden kann: Das Deckhaar wird mit der Haarschneidemaschine auf die gewünschte Länge gestutzt, während die Seiten und der Hinterkopf ohne Aufsatz geschert bzw. rasiert werden. Bärte sind recht selten und werden dann auch eher kurz getragen, wenn das Alter des Skinheads denn überhaupt einen anständigen Bart zuläßt. Auch Kotletten sind heute weit seltener anzutreffen und werden eher von den älteren bevorzugt, die sich dem Geist der ’69er verpflichtet fühlen.

Das sind auf alle Fälle Hosenträger! Nicht etwa, um eine zu weite Hose zu halten Das schaffen diese nur einen Zentimeter breiten, einfarbigen, aus normalem Wäschegummi hergestellten Träger ohnehin nur bedingt. Der Mythos behauptet zwar, ohne Hosenträger hätten die Jeans des großen Bruders an der Hüfte der Jungglatze nicht gehalten, heute zumindest sind die Hosenträger eher ein modisches Accessoire und Zeichen der Gruppenzugehörigkeit. Dies belegt auch der Umstand, daß die Träger häufig genug nur vom Hosenbund herunterhängen und ihre Träger damit – so wollen es jedenfalls viele englische Skins verstehen – Kampfbereitschaft demonstrieren, zumindest aber eine gewisse Ablehnung gegenüber der Umwelt ausdrücken.

Als i-Tüpfelchen zählen dann Aufnäher und Anstecker, die mit ihrem Emblem oder ihrem Text weiteren Aufschluß über die Lebenseinstellung ihres Trägers bieten sollen. Auch diese Merkmale der Gruppenzugehörigkeit haben eine lange Tradition im Militär, politischen Organisationen oder auch den Handwerksberufen: Als Zeichen der zugehörigen Zunft, der Parteimitgliedschaft oder als Dienstgradabzeichen geben sie wissenden Gegenüber über Amt, Stellung oder Meinung. Dem Unwissenden bleibt die Bedeutung verschlossen. So auch bei den Skins: Untereinander weiß man sehr wohl die Bedeutung eines Keltenkreuzes, des SHARP-Logos oder des Oi!-Schriftzuges zu unterscheiden. „Klassischer“ Schmuck ist selten anzutreffen, Ohrringe sind da die Ausnahme, auch wenn viele Skins sie ablehnen, da sie das Verletzungsrisiko erhöhen. Dies gilt grundsätzlich für alle Piercings, doch insbesondere in der schwulen Glatzen-Szene erlebt diese Art von Körperschmuck gegenwärtig einen Boom. Zum Körperschmuck gehören auch Tätowierungen (Tattoos), und die gibt es wiederum bei Skinheads reichlich zu bewundern: als künstlerisches Muster, klassische Tattoo-Motive wie Sternzeichen, Schlangen, Adler oder eben skinheadtypische Motive wie das SHARP-Logo, Keltenkreuze oder auch white power-Slogans. Bei der Auswahl der Körperstelle spielt selten die „Alltagskompatibilität“ eine Rolle – die Tätowierungen dürfen und sollen für jeden offen sichtbar getragen werden. Auch hiermit wird – typisch für den skinhead way of life zur Schau gestellt, daß man mit den gut-bürgerlichen Wertevorstellungen nichts gemein haben will.

Wo beginnt Faschismus? Eine „haarige Angelegenheit“, die in diesem Zusammenhang dringend diskutiert werden muß – wenn auch nicht annähernd erschöpfend. Abgeleitet wird dieser Begriff von den fasces, Rutenbündeln mit herausragenden Beilen, die im römischen Reich ein Symbol der Amtsgewalt waren. Liktoren, vergleichbar mit heutigen Beamten im höheren Staatsdienst, wurden diese Bündel als Symbol für ihre Legitimation von den herrschenden Patriziern auf Widerruf verliehen. Im Grunde ist ein Dienstausweis der Steuerfahndung, der Kriminalpolizei oder der gerichtlichen Vollstreckungsstelle die moderne Variante – bloß ohne diese Symbolkraft. Dieses Symbol wurde nach dem Ersten Weltkrieg von ultra-rechten Kreisen in Italien wiederentdeckt – als Symbol „legitimierter Gewalt“ der klassischen Ahnen mißbrauchte Mussolini die fasces als Symbol einer rückwärtsgerichteten Oppositionsbewegung. Die völkisch-deutsche Variante war der Rückgriff auf das germanische Ur-Christentum und keltische Symbole – in Ermangelung einer eigenen klassischen Hochkultur wählte Hitler das Hakenkreuz. Der Oberbegriff Faschismus vereint politische Meinungen und Bewegungen, die eine diktatorische, totalitäre oder nationalistische Gesellschaftsform zum Ziel haben. Individualität oder Freiheit des Andersdenkenden ist ihm fremd. Werte werden von oben definiert, und die Unzulänglichkeiten der Realität finden in Gewalt und einer Stilisierung der Geschichte ihren Lösungsweg: Früher war alles besser! Daß Historie dem Menschen zu Nütze sein, aber auch zum Nachteil gereichen kann, beantwortet bereits Nietzsche in seinen unzeitgemäßen Betrachtungen. Früher war vieles gut – aber eben auch alles anders als heute! Wer glaubt, das früher alles besser war, findet die Gründe für das Defizit in dem, was früher nicht war: das andere, das fremde, das neue. Der Kommunismus (Kapitalismus, Feminismus) ist schuld – den gab es früher nicht. Der Ausländer (Jude, Wessi) ist schuld – der wohnte hier früher nicht. So einfach kann die Welt sein. Nationalsozialismus, Stalinismus, Zionismus – Faschismus hat viele Gesichter. Der Rassismus ist eines davon und deswegen so populär, weil er keine politischen oder philosophischen Theorien braucht. Es ist der Faschismus des „kleinen Mannes“, der im Alltag erlebt, daß sein Job wegrationalisiert wird, seine Stütze so mager ausfällt, seine Freundin ihn verläßt. Der Stolz ist verletzt. Ohnmacht. Haß. Früher war es doch alles besser. Großbritannien erlebte Ende der ’70er Jahre eine schwere Depression. Seit Jahren purzelte – im Vergleich zum US-Dollar und der D-Mark – das Pfund Sterling im Wert, mehr als die Hälfte aller Jugendlichen war arbeitslos. Punk war die Antwort der Jugend – no future! Und die Antwort der wahlberechtigten

britischen Bevölkerung war der Wunsch nach Veränderung. Die LabourRegierung unter James Callaghen, die seit zehn Monaten nicht mehr auf die Unterstützung der wenigen Abgeordneten der Liberalen Partei bauen konnte, wurde am 28. März ’79 durch ein Mißtrauensvotum im Unterhaus gestürzt. Vorangegangen waren innenpolitische Kontroversen über die „Ausländerpolitik“.

Im Sommer 1976 überschlugen sich der „Daily Mirror“ und die „Sun“ mit Titelgeschichten über eine handvoll asiatischer Flüchtlinge: Asylbewerber, die – in Ermangelung anderer Notunterkünfte – in besseren Absteigen einquartiert wurden und Geld zum Leben brauchten. In der Boulevardpresse mutierten die boat people zu Sozialschmarotzern, die in den Genuß staatlicher Vollpension in einem Fünf-Sterne-Hotel kamen. Ein Schlag in das Gesicht der Männer, die kalt aus dem Job gefeuert worden waren und nicht wußten, ob ihre Arbeitslosenhilfe denn die Familie ernähren konnte. Am Problem der Ethnizität hatte sich in Großbritannien nichts geändert, die Politik wollte oder konnte keine Lösungen finden und das Rassismusproblem in der britischen Gesellschaft war in der eigenen Betrachtung stattdessen ein „Ausländerproblem“. Die braunen Rattenfänger waren da! Seit 1967 existierte die National Front (NF), eine Partei, die zum Sammelbecken diversester „völkischer“ Bewegungen wurde, der aber niemand wirklich Beachtung zollte. Doch die Ankunft der boat people, der Rassismus im Land und die reißerische Berichterstattung der kommerziellen Medien verhalf der NF zu ungeahntem Aufschwung: Ihr Wahlkampf-Slogen zu den landesweiten Kommunalwahlen 1977 drückte das aus, was viele nicht sagten, aber fühlten und im Alltag lebten: „If the’re black, send them back!“. 250.000 wahlberechtigte Briten (und damit weniger als ein Prozent) stimmten für die Botschaft der Nationalkonservativen, in einigen Wahlbezirken erlangten die NF-Kandidaten 20% der Stimmen.

Mit dem unterschwelligen Rassismus waren also Wählerstimmen zu holen! Für den neuen Vorsitzenden der oppositionellen Tories ein gefundenes Fressen. Zwar griffen die Konservativen nicht auf die Wortwahl eines Enoch Powell zurück, doch die „Ausländerfrage“ war von nun an die zentrale Frage der britischen Innenpolitik und Leitthema im Wahlkompf. Der neue Vorsitzende der Tories war – Margaret Thatcher. Am 28. März 1979 stürzt die Regierung Callaghen, bei den vorgezogenen Wahlen zum Unterhaus am 3. Mai erreicht die Conservative Party die absolute Mehrheit und Margaret „Maggie“ Thatcher wird von Elisabeth II. zur ersten Premierministerin Großbritanniens ernannt.

Von nun an wehte ein eisiger Wind über die Insel, mit einer rigiden Wirtschaftspolitik wollte die „eiserne Lady“ Großbritannien, seit ’79 Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft, aus dem ökonomischen Tal herausführen. Die Modernisierungspolitik raubte der working class das letzte von sozialer Wärme, im Winter ’79/80 – zum ersten Mal nach fünfzig Jahren – streikten die Stahlarbeiter in den von Labour verstaatlichten Betrieben, zu allem Überfluß begann im Frühsommer die weltweite Ölkrise. In George Marshals Erinnerung klingen die vier Jahre von 1976 bis ’80 so:36 Wir haben alle unsere Last zu tragen und seit den späten Siebzigern hat der Skinhead Kult unter dem Druck der Politik gelitten. Sowohl die Linke als auch die Rechte haben mit unterschiedlichem Erfolg versucht, Skinheads zu ge- und mißbrauchen und das so sehr, daß extreme Politik heutzutage genauso zum Kult gehört wie ein Paar Doctor Martens Boots. Die Originalskins hatten nie wirkliches Interesse an organisierter Politik37 gehabt […] Sicher, manche der Klasse von ’69 hatten Enoch Powell unterstützt, doch es gab auch andere, die Anhänger der Labour Party, der Konservativen oder sogar der Liberalen waren. Einige Verwirrte dachten doch tatsächlich, daß die Hippies die richtigen Ideen hätten. Aber unterm Strich stand Politik ganz um unteren Ende auf der Liste der Prioritäten der Skinheads und sie war erst recht kein Grund, die Bewegung zu spalten. Auf leisen Füßen schleicht die politische Polarisierung auch in die Klassenräume des Landes, denn die Anti Nazi League (ANL) fordert aus hären Zielen die Lehrer des Landes auf, im Unterricht den Neo-Faschismus zu problematisieren. Bei den meisten Arbeiterkids stoßen die Pädagogen auf taube Ohren: schlichte Verweigerungshaltung der Underdogs aufs Establishment. Folge: Unter den Kids der Arbeiterklasse war die National Front das Non-PlusUltra. Zu sagen, man sei in der NF, gehörte dazu, genauso gehörte es dazu den starken Mann zu spielen, genauso gehörte es dazu, mit den älteren Jungs auf dem Schulhof „National Front!“ zu brüllen. Es war eben Teil des Heranwachsens in einer Welt der heimlichen Zigaretten auf dem Klo und des Blaumachens der Französisch-Doppelstunde. … Welche Ermutigung brauchten die Kids noch, um die 10 Pence für eine Ausgabe des Bulldog38 hinzulegen. … Während praktisch alle anderen Leute Hooligans verachteten, begrüßte [die Young National Front] sie als Tribünen-Krieger und veröffentlichte ein regelmäßiges Feature über sie in ihrer Zeitung, dem Bulldog. Hier war also eine Partei, die nicht über einen, sondern mit einen redete und nicht auf einen herabblickte, sondern als die Creme de la Creme der britischen Jugend ansah. Die ANL legt sich ins Zeug und versucht die Sprache der Jugendlichen zu sprechen. Im April ’78 kommen 80.000 Besucher zum „Rock Against Racism“Festival in den Londoner Hyde-Park, bei ähnlichen ANL-Veranstaltungen im ganzen Land treten auch zahlreiche Punk- und Oi-Bands auf: Kultband Shame 69 beteiligte sich – bereits im Februar – an dieser Reihe und spaltete damit ihre Fans in ein rechtes und linkes Lager. Polarisierung über die Musik. Aussicht auf Randale.
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Marshall, George: Spirit Of ’69, S. 132 ff. Die „organisierte Politik“ als bürgerliche Institution, als „die da oben“, war der working class ohnehin suspekt. Es sei hier dahingestellt, ob das Desinteresse an Politik als Mittel zur Konfliktlösung selbstverschuldet oder mangels Integration in die bürgerlichen Wertevorstellung gründet. Marshall jedenfalls meint mit Politik die Parteipolitik innerhalb und außerhalb der Parlamente. Denn Skinheads handeln in ihrer Szene durchaus auch „politisch“, wie der weitere Exkurs belegen wird.

Der National Front passiert noch vor den Parlamentswahlen das, was sich wie ein roter Faden durch alle rechtsextremen Parteien nach dem Zweiten Weltkrieg zieht: innerparteiliche Grabenkämpfe zwischen den einzelnen Strömungen und Gerüchte über Homosexualität und Unzucht mit Minderjährigen. Die NF kann an ihre Erfolge bei den Kommunalwahlen nicht anknüpfen. Um die enttäuschten Mitglieder (15.000) und Sympathisanten aufzufangen, steht – noch weiter rechts – das British Movement (BM) bereit. Sehr zur Freude der Mitglieder ist diese politische Vereinigung mehr an Aktionen auf der Straße als an institutioneller politischer Arbeit interessiert. „Um wirklich auf der Höhe zu sein, mußte man seine YNF-Mitgliedskarte in eine vom British Movement oder von der Anti-Paki-Liga eintauschen. Andere wollten wiederum Mitglieder von paramilitärischen Organisationen wie Section 8839 oder der National Socialist Party werden.“40 Skinhead wurde in Großbritannien wieder einmal mit Gewalt gleichgesetzt, mit rechts, mit böse. Zu recht, wie die Überfälle auf Asiaten, Schwule und „Linke“ belegen. Zu unrecht, wie der Alltag, die Musik und die Geschehnisse in Southall belegen…

Southall war und ist ein relativ ruhiger Stadtteil am westlichen Stadtrand von London und das Straßenbild wird von asiatische Einwanderern dominiert. Im Juli ’76 geriet dort der 18jährige Gurdip Sing Chahher in einen Hinterhalt einer weißen Gang und wurde erstochen. Seitdem sind die asiatischen Jugendlichen ähnlich gut in Gangs organisiert – sie halten ihre Straßen „sauber“ von weißen Rassisten. Dies mußte zwei Jahre später auch die NF erfahren, die im Rathaus von Southall eine Versammlung abhalten wollte – ein Schlag ins Gesicht der asiatischen Community. Bei den Tumulten zwischen den Bewohnern des Viertes und der Polizei, die den Aufmarsch der NF schützte und dabei die Verhältnismäßigkeit der Mittel deutlich aus den Augen verlor, wurden Hunderte verletzt, der Lehrer Blair Peach von der Polizei zu Tode geprügelt. Verständliche Nervosität machte sich in Southall breit, als zu den PakiGangs durchsickerte, daß am Donnerstag, dem 3.7., in der Hambrough Tavern ein Oi-Konzert stattfinden soll. Rund 500 Jugendliche – linke Skins, rechte Skins, unpolitische Skins, Punks, „Normalos“ und natürlich ihre Freundinnen – freuten sich auf die Gigs von The Business, The Last Resort und die 4-Skins. Während das Konzert lief, wuchs die Zahl der asiatische Zaungäste auf 2.000 an, die Stimmung gegen die Weißen und ihrer angeblich rassistische Musik

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Bulldog: Zeitung der NF-Jugendorganisation Young National Front (YNF) 88: Die Zahl 8 symbolisiert den achten Buchstaben des lateinischen Alphabets: HH. Aus der Doppelung ergibt sich die Kurzform von „Heil Hitler“. Dies ist weltweit ein Code unter Gleichgesinnten. 40 Marshall, George: Spirit Of ’69, S. 135

kochte hoch und als die 4-Skins „Chaos“ anstimmten, flogen durch die Fenster der Hambrough Tavern die ersten Steine und Flaschen. Im Saal der Tavern brach unter den Gästen Panik aus und jeder schnappte nach etwas, was zur Verteidigung geeignet schien. Das Konzert war geplatzt, das Tavern wurde evakuiert und die Polizei auf der Straße, die bislang nur stiller Beobachter war, schützte den Club und die Gäste. Eine stundenlange Straßenschlacht asiatischer Gangs mit der Polizei und den Skins, einhundertundzehn schwerverletzte Jugendliche, das Hambrough Tavern auf die Grundmauern abgebrannt – das traurige Resultat einer Konzertreihe, die beweisen sollte, „daß es sich bei Oi! nicht um hirnlose Gewalt“ handle, so Tourmanager Dave Long41. Southall war bis dato kein Kampfgebiet zwischen Jugendgang, nun war es ein Schlachtfeld, die auf der ganzen Insel schwelenden Jugendunruhen breiteten sich zu Flächenbrand und offenem Rassenhaß aus. Zehn Tage lang schlugen sich Maggies Kinder mit den Polizisten die Schädel ein, plünderten Geschäfte und brannten ihre Schulen nieder. Zehntausende Farbige und Weiße, Skins und Punks, Rechte und Linke lehnten sich gegen ihre Chancenlosigkeit und Zukunftsangst auf. Zehn Tage Revolution der Verlierer. Gewalt als Ausdruck der Ohnmacht von unten und oben. Haß als Leitschnur, die Dämme brechen vollends und blind vor Zorn schlagen sich die Underdogs nun gegenseitig die Zähne ein. In den Redakteursstuben der Boulevardpresse klackern die Schreibmaschinen aufgeregt und hektisch wie lange nicht mehr. Wer am Morgen nach Southall die Zeitung aufschlug, mußte den Eindruck gewinnen, daß: …rassistische Skinheads Amok [gelaufen sind], nachdem sie Nazi Bands bei einem National Front Festival gesehen hatten. … Die meisten Zeitungen behaupteten, daß die Band [4-Skins, Anm. d. Autors] die Konzertbesucher zu der Straßenschlacht angestachelt und auf der Bühne Sieg Heil Grüße abgelassen hätten. … Außerdem druckten einige Zeitungen Bilder von NF-Flugblättern, die auf der niedergebrannten Ruine des Tavern lagen. Also, entweder hatte die Front feuerfestes Papier erfunden, oder aber einer der Reporter hatte das Flugblatt bewußt dort plaziert. … Nur in der Times und dem Guardian waren Berichte zu finden, die man als halbwegs fair bezeichnen konnte. Alle demokratischen Parteien, die Gewerkschaften und die Jugend an den Hochschulen des Landes waren „offiziell bestürzt“ und baten die asiatische Community von Southall um Entschuldigung:42 Staatsminister Ken Livingston und Margarete Thatcher waren die Eifrigsten, doch keiner hielt es für nötig, die Bands nach ihrer Sicht der Dinge zu befragen. Nicht einmal die Labour Party, eigentlich die Stimme der Arbeiterklasse. So einseitig war die Berichterstattung, daß man glauben konnte, Skinheads hätten das Tavern angegriffen, während dort einige Asiaten in Ruhe ihren Tee tranken. Selbst die asiatische Version der Ereignisse wurden unter dem sensationslüsternen Geschmiere der Presse begraben, so daß die wahren Gründe für diese Straßenschlacht wahrscheinlich nie mehr bekannt werden.
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zit. nach: ebd., S. 115 ebd., S. 122

Oi – also die Musik, die Werte und das Lebensgefühl der Skinheads, die stolz ihre Glatze und ihre Boots trugen – wurde durch ein riesiges Hakenkreuz verschmiert. Den einen war es recht, den anderen nicht – egal war es keinem mehr. The kids are divided!

In der „Universalgeschichte nach Stichworten“ finden sich im zehnten und letzten Band des historischen Lexikons „Propyläen Weltgeschichte“ zwei Einträge für Großbritannien im Jahr 1981: „Gründung der Sozialdemokratischen Partei (SDP) durch ehemalige Mitglieder der Labour Party (26.3.).“ und:

Schwere Rassenunruhen in London und anderen Städten zwischen Rechtsradikalen und Asiaten (4.7.).43

Dieser Zweizeiler wäre präziser und fairer:

Zehntägige Jugendunruhen in London und anderen Städten mit sozialem und rassistischem Hintergrund. (3.7.).

Faschismus beginnt im Kopf – und nicht mit einer Glatze!

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Mann, Golo (Hrsg.): Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte. Berlin (West) / Frankfurt/M. 1969, Bd. 10 (aktualisiert 1986), S. 707

Geschichte wiederholt sich bekanntlich, und auch diesmal beginnt sie auf dem grünen Rasen eines Fußballfeldes – am 22. Juni 1980 : In Rom trifft Horst Hrubesch (Hamburger SV) gleich zweimal ins belgische Tor von Keeper Pfaff; mit 2 : 1 endet das Finale zur Fußball-Europameisterschaft.. Der Deutsche ist wieder wer… Im Volksparkstadion von Hamburg sollen sie zum ersten Mal gesichtet worden sein – die deutschen Skinheads. Woher genau sie kamen – darum ranken sich Gerüchte; drei Theorien scheinen aber am glaubhaftesten: Die Fans des HSV pflegten gute Kontakte nach England, schließlich trafen die Mannschaften (und in der dritten Halbzeit die Hools) von der Insel mit dem HSV bei internationalen Begegnungen aufeinander. Das Outfit der „harten“ englischen Fans mag den einen oder anderen HSVFreund inspiriert haben. Eine andere Theorie sieht die Entstehung in Deutschland rund um die Garnisionsstädte der britischen Armee: Die Soldaten ihrer Königin brachten den Skinhead-Kult einfach mit in ihre norddeutschen Standorte, BFBS44 versorgte sie mit der entsprechenden Musik, zu dem auch die deutschen Kids gerne vom hausbackenen NDR hinüberschalteten. Und wenn guter Fußball in Hamburg oder Bremen geboten wurde, dann zogen auch einige „Tommies“ in Freizeitkleidung mit in die Stadien ein. Letztlich hatte die Punk- (und damit die spätere Streetpunk-) Bewegung auch in Deutschland fußgefaßt und machte – wenn auch mit einem Sommer Verzögerung – eine ähnliche Entwicklung wie in England durch. Hier setzt auch die Erinnerung des Autors ein: Diese verlotterten Gestalten, egal ob bunt- oder kurzhaarig, mit ihren Stiefeln und olivgrünen
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BFBS: British Forces Broadcasting Service, der Soldatensender der Britischen Armee und das Äquivalent zum AFN (American Forces Network)

Jacken machten schon Eindruck in der Fußgängerzone – und die meisten Menschen einen Bogen um sie und ihren Biervorrat, der Autor als Grundschüler auch: an der Hand seiner Mutter. Wahrscheinlich stimmen alle drei Theorien – und die vierte soll auch nicht unterschlagen werden. Nach einem Jahrzehnt sozial-liberaler Koalition in Bonn, Verfestigung des Block-Denkens in Ost und West spätestens durch den NATODoppelbeschluß zur atomaren Aufrüstung und wirtschaftlicher wie sozialer Depression werden die Unterschiede innerhalb der deutschen Gesellschaft immer krasser und die Vertreter extremer Lösungen erhalten zunehmend Gehör. Und zwar links und rechts.

Was ist bloß los in der Bundesrepublik Deutschland? Terror kommt von links und rechts: Die RAF sorgt mit der Entführung und Ermordung von Hans Martin Schleyer für den „heißen Herbst“ 1977 und auf dem Münchener Oktoberfest verlieren 13 Menschen bei einem Sprengstoffanschlag am 26. Semptember 1980 ihr Leben, unter ihnen auch der mutmaßliche Attentäter, der rechtsextremistische Student Gundolf Köhler. Die Friedensbewegung mobilisiert Hunderttausende gegen das Wettrüsten hüben und drüben und nach und nach schließen immer mehr Zechen und Stahlwerke – die deutschen Traditionsindustrien gehen den Rhein runter… Und im November 1982 klettert die Zahl der Arbeitslosen erstmals über die 2-Millionen-Grenze, unter ihnen etwa 180.000 Jugendliche unter 20 Jahren. Die Träume der ’68er-Generation waren ausgeträumt. Mit wenigen Jahren Verspätung erlebt Deutschland eine ähnliche Entwicklung wie Großbritannien und macht einen Schwenk nach rechts: Die Regierungsübername durch Helmut Kohl am 1. Oktober 1982 stellt eine vergleichbare Zäsur in der europäischen Nachkriegsgeschichte dar wie der für Maggi Thatcher erfolgreiche 3. Mai ’79. Die Antwort der Jugend ist bekannt: Fuck off! No future! Null Bock! Punk… Links als Erfolgsmodell hat offenbar ausgedient – und mit dem Schwenk nach mitte-rechts erlebt auch der ultra-rechte Flügel Aufwind: Manfred Pape gründet am 17. März ’79 die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) und der Verfassungsschutz registriert für dieses Jahr mit 1483 rechtsextremistischen Ausschreitungen einen Höchststand (Vorjahr 992 Fälle) in der Nachkriegsgeschichte. Franz Schönhuber veröffentlicht im November ’81 seine Erinnerungen an die Waffen-SS in seinem Buch „Ich war dabei“, was zu seiner Entlassung aus dem Bayrischen Rundfunk und dem Bruch mit der CSU führt, zwei Jahre später gründet er mit weiteren CSU-Aussteigern die Republikaner. Der angegraute braune Bodensatz erhält eine Frischzellen-Kur, die „etablierten“ Parteien NPD und DVU erhalten Konkurrenz.

Konkurrenz. Die rechte Szene schafft es nur selten, sich zu organisieren und gegen den demokratischen Feind eine einheitliche Front aufzubauen: Verleumdungen, Parteiaustritte, Neugründungen. Charismatische Führer wie den homosexuellen und später an AIDS gestorbenen Michael Kühnen gibt es zu selten, jedenfalls keinen, der alle rechte Strömungen und Splittergruppen hinter sich vereinigen könnte, schließlich geht es auch um’s Geld: Wahlkampfkostenerstattungen aus der Kasse des Steuerzahlers und Gewinne aus florierende Medienunternehmen wie der Frey-Gruppe möchten nicht geteilt werden. Und auch ist brauner Terror wie auf dem Oktoberfest nicht für jeden nationalkonservativen Mitbürger ein probates Mittel der Politik. Und während die einen Ausschwitz leugnen, brüsten sich andere mit dem Genozid und finden’s einfach „geil“! Da mag es in der Tat schwierig sein, alle unter einen Hut zu bekommen, zumal Extremismus und Kompromisse ein doch eher unversöhnliches Paar darstellen… Die Geschichte des Skinheadkults in Deutschland ist allerdings keine Geschichte des deutschen Neofaschismus. Die Berührungspunkte – und von ihnen gibt es eine große Anzahl – machen es allerdings schwer, eine saubere Trennung durchzuführen, die in der Praxis ohnehin ad absurdum geführt werden würde. Gerade für Ostdeutschland und eben auch für die Zeit vor der Wende läßt sich sagen, daß eine rechtsextremistische Einstellung die direkte Konfrontation zum System war – die jugendliche Ausdrucksform als Skinhead machte somit die Opposition der Jugend deutlich, die nicht auf FDJ-Linie lagen. Der naive Wessi-Glaube, bis 1989 wären die Kinder der DDR alle brave Blauhemden gewesen, wie es das ostdeutsche Fernsehen auch über die Mauer versendete, bringt uns in der Betrachtung auch nicht weiter, denn zahlreiche Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zeichnen ein ganz anderes Bild. Inzwischen mag in den Köpfen (west-)deutscher Gesellschaftswissenschaftler ein genaueres Bild gewachsen sein, trotzdem bleibt hier ein hoher Nachholbedarf an Forschung. Naturgemäß besser – qualitativ wie quantitativ – sind die Forschungen über den westdeutschen Neofaschismus. Allen gemein ist aber die Vernachlässigung der Frage, warum gerade in der Phase der Adoleszenz die Bereitschaft zu faschistischen Einstellungen so groß ist. Warum folgt ein Junge auf dem Weg zum Mann offenbar so schnell und kritiklos einer dem gesellschaftlichem Konsens nach brutal rückwärtsgerichteten Weltanschauung? Wieder sind es die Modernisierungsverlierer: Mit Hauptschulabschluß werden sie in die Welt entlassen, von der sie das Gefühl bekommen, nicht gebraucht zu werden. Keine Lehrstelle? Kaputtes Elternhaus? Keine Zukunft? Aber kein Einzelschicksal – und so beginnen Cliquen. Gemeinsam herumhängen, Musik hören, Bier trinken und bei jeder besten Gelegenheit den Kerl ’raushängen lassen. Bislang klingt das nicht ungewöhnlich. Wenn sich aber auf der

Suche nach der gesellschaftlichen Orientierung einem Jugendlichen in für ihn schwierigen Zeiten einfache Lösungen angeboten werden, dann wird es gefährlich. Aus der Erkenntnis, gesellschaftlich deutlich unter dem Durchschnitt zu stehen, beginnt die Stilisierung der eigenen sozialen Position hin zum Ideal des Arbeiters und seiner Klasse. Hier gründet auch eine soziologische Eigenart des deutschen Skinheads, denn die britische working class und die deutsche Arbeiterklasse sind nicht dasselbe. Eine homogene westdeutsche Arbeiterklasse hat sich in den Jahren nach 1948 nicht entwickelt, so wie es eine deutsche Arbeiterklasse bis Anfang der 40er Jahre gegeben hat. Der „deutsche Arbeiter“ existierte nur bis zum Ende des totalen Kriegs, und auf dieses Ideal der Arbeiterklasse orientieren sich dann viele Jugendliche. Die Nähe zum Nationalsozialismus, der einen kräftigen Anteil an der Verklärung dieses Bildes trägt, wird in Kauf genommen oder sogar dazu benutzt, das Bild einer Gegen-Gemeinschaft zu zeichnen und Protesthaltung gegen „die anderen“ einzunehmen: gegen die, die Modernisierungsgewinner sind. Heinz Hachel, ehemaliger Sozialwissenschaftler am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, definiert die beiden identitätsstiftende Ausgangspunkte als proletarischen und völkischen Romantizismus.45 Die Affinität von Skinheads zum völkischen Romantizismus und damit zu faschistischem Gedankengut begründet er, daß „die völkisch-nationale Ansprache es vermag, mit minimalen Reibungsverlusten an die Gedanken- und Gefühlswelt des proletarischen Romantizismus anzuschließen“46. Der proletarische Romantizismus, so schreibt Hachel, ist:47 …jene subkulturelle Konstante, die sich von den Anfängen des Movements bis hin in seine internationale Gegenwart stringent durchzieht und heute jenen kleinsten gemeinsamen Nenner stellt, der Working-Class-Skins über alle Fraktionen und politische Haltungen hinweg verbindet: Die Sehnsucht nach der verlorenen proletarischen Heimat, jenes Paradiese lost, in das allein die subkulturelle Regression zurückführt. Das verlorene Paradies wird aber bei der Bereitschaft zur Aufgabe der eigenen Individualität kein Paradies für jeden einzelnen, sondern eins, für alle: Ein Großteil der Individualtität geht bei der Rückbesinnung völkische Romantizismen verloren: „Volk, Blut Ehre und doitsche Rasse, die Sehnsucht nach dem nationalen Mega-Kollektiv“48 stellen eine Ersatz-Religion, knüpfen nahtlos an den Gedanken der verlorenen Heimat an und führen ihn in einfache, aber längst überkommende Wertevorstellungen. Das „Volk“ wird hier zu einem Subjekt der besonderen Art. Es scheint ausgestattet mit einem fetischhaften Eigenleben, das sich den Menschen gegenüber verselbständigt hat. Deren Denken, Fühlen und Handeln wird einem göttlichen, biologischen oder kulturellen Erbe verpflichtet. Proletarische Heimat, einst

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in Farin, Klaus: Die Skins, S. 142 ff. ebd., S. 149 47 ebd., S. 142 f. 48 ebd., S. 147

Rückzugsort vor Prozessen, die den Menschen Kontrolle über ihr Dasein entzogen, wird ersetzt durch die national definierte Gemeinschaft.49 Diese völkischen Ansichten werden den jugendlichen Glatzen im Alltag vorgelebt – es wäre ja ein Irrglaube anzunehmen, daß jeder Jugendlich in einem demokratisch und antirassistisch sozialisierten Haushalt aufwächst – oder von der alten und der jungen Garde rechtextremistischer Organisationen und Parteien vorgetragen und nach und nach angenommen. Allerdings wirken Sie nicht „als politisches Manifest, sondern vielmehr als Kick, als formelhafte Message, transportiert von Bands und Zines“50 und die Organisationen haben Schwierigkeiten, die Glatzen in ihre Hierarchien zu integrieren: Durch ihr Desinteresse an organisierter Politik dienen sie den Neofaschisten als flexible und militante Vorhut, aber in der Regel nicht als Parteikader. Eine der wenigen Integrationsfiguren ist Frank Hübner, seine vita soll weiter unten als Beispiel für eine Skinhead-Karriere in der rechten Politik dienen.

Wie ähnlich zu England doch in Deutschland die Entwicklung vom Punk zum Skin verläuft… Die ersten „Skinhead-Bands“ kamen zum Großteil aus dem Punk-Lager: Endstufe, Springtoifel oder die auch über die Szene hinaus bekannten Böhsen Onkelz hatten Songs auf Lager, die irgendwie prolliger, härter und weniger nach Anarchie klangen. Aber deswegen waren es noch lange keine „rechten“ Bands, zumindest nicht bis 1982. Da waren Daily Terror und die Oberste Heeresleitung schon eher dem rechten Spektrum zuzuordnen – oder gehörte es nur zur provozierende Show wie bei den englischen Punk-Musikern der Sex Pistols? Heiligt der Zweck, nämlich die Provokation, die Mittel? Dürfen „Künstler“ verfassungsfeindliche Kennzeichen für ihre Show nutzen? In Großbritannien sind Hakenkreuz und der „deutsche Gruß“ nicht verboten. Der Kick, sich an den Grenzen des Erlaubten zu versuchen, ist für einen deutschen Jugendlichen daher ungleich höher. Diese Grenzen mit „Sieg Heil“-Rufen und der Reichskriegsflagge „auszutesten“, zählt da schon als Mutprobe für einen richtigen Kerl. Und setzt ein deutliches Zeichen

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ebd., S. 148 ebd.

gegenüber den als linken Polit-Spinnern und Sozialschmarotzern diffamierten Punks. Ihren ersten Aufschwung erleben die deutschen Skins 1983 mit der beginnenden Vernetzung der noch lokal beschränkten Szenen: Etwa zehn Fanzines berichten über Musik, Parties, Konzerte, Ärger mit der Staatsgewalt und Erlebnisse aus der letzten „dritten Halbzeit“. Und weitere Medien gewinnen an Bedeutung: die Audio-Kassette und der Walkman. Erstmals wird es möglich, Schallplatten zu kopieren und die Musik unabhängig von stationären Wiedergabegeräten einfach „mitzunehmen“, die hausgemachten Raubkopien ermöglichen weniger finanzstarken Jugendlichen Zugriff auf „ihre“ Musik und auch die Bauweise der Kassette ermöglicht einen problemlosen Transport per Post als die empfindliche Vinyl-Scheibe. Seit dem Frühling ’83 versucht der aus vierjähriger Haft entlassene NeonaziFührer Michael Kühnen die deutschen Skins für seine völkischen Zwecke einzuverleiben, muß allerdings erleben, daß sein Ansinnen scheitert: Das FußballLänderspiel gegen die Türkei im Berliner Olympia-Stadion sollte genügend kurzhaarige Schlachtenbummler in die Stadt locken, bundesweit riefen Flugblätter zum „Kampf gegen die Kanacken“ auf und waren von „Nationalen Skins“ unterzeichnet. Als unter den Skins allerdings ruchbar wurde, daß hinter dem Aufruf Kühnens Aktionsfront Nationale Sozialisten steckte und die ANS über eine Skinhead-Kartei verfügte, machten die angereisten Glatzen kurzen Prozeß mit den „Scheitel-Nazis“… Ein letztes Mal versuchten die Punks ihre kurzhaarigen Brüder zu überzeugen, gemeinsame Sache zu machen: In Hannover wollte man gemeinsam mit den Glatzen gegen Staat und System kämpfen, da bekannt wurde, daß die niedersächsische Polizei ein Punk- und Skin-Register führte. Gemeinsam hieß aber im Verständnis der Punks ohne die Fascho-Skins! Doch das funktionierte nicht: Ähnliche Aufrufe, sich von den Faschos im eigenen Umfeld zu trennen, sorgten schon Monate zuvor zu einer immer stärkeren Solidarisierung unter den Skinheads. Hannover erlebte so im Sommer ’93 nicht eine Demonstration von Jugendlichen, sondern eine Schlacht zwischen Punks und Skins – die ersten Chaos-Tage an der Leine. Damit wurde auch der deutschen Öffentlichkeit klar, als die Bilder in der Tagesschau über den Schirm flimmerten: Punk = links und Skin = rechts. Das Interesse an „rechten“ Themen war zur Zeit ohnehin groß: Die Erstausstrahlung der US-Serie „Holocaust“ in den dritten Programmen machte im Winter ’79 den Anfang und die beklemmenden Bilder lösten in allen Schichten der Bevölkerung eine neue und längst überfällige Diskussion über den Umgang mit der eigenen Geschichte und den Umgang mit faschistischem Gedankengut aus. Die Sensationsgier der deutschen Medien sorgte aber auch für die größte

„Ente“ der Nachkriegsgeschichte, als am 28.4.83 das Nachrichtenmagazin Stern die angeblichen Hitler-Tagebücher veröffentlicht. So genau recherchierten die Journalisten also nicht, wenn man mit schlagkräftigen rechten Themen Auflage machen kann. Trauriger Höhepunkt der zunehmenden Gewalt und Politisierung war das Jahr 1985: In Hamburg erschlagen am 24. Juli drei Gewalttäter, darunter zwei Skinheads, den 29jährigen Mehmet Kaynakci nach einer Tresenauseinandersetzung, drei Tage vor dem Heiligen Abend treten militante Skinheads den 26jährigen Ramazan Avci zu Tode – und die Skin-Szene erlebt daraufhin einen deutlichen Umbruch: Ein Großteil der Älteren steigt aus. Viele sind ohnehin in ein Alter gekommen, wo Beruf oder der eigene Nachwuchs neue Prioritäten im Leben setzt und haben nun endgültig die Schnauze voll von der ständigen Rechtfertigung, zwar Skinhead, aber nicht Fascho zu sein. Jetzt rücken verstärkt Jüngere nach, von den „Alt-Glatzen“ abfällig als „Baby-Skins“ bezeichnet, die keinen Bezug mehr zur Geschichte der Bewegung haben, sondern fast ausschließlich aufgrund des rechten Images in den Kult einsteigen, von Reggae und Ska haben sie nie etwas gehört. Rechts ist „in“ – und die jahrelange Debatte in der angestaubten Bonner Republik über Ausländerschwemme und Asylmißbrauch läßt bei der Jugend den skinhead way of life umso attraktiver erscheinen…

Hinter dem eisernen Vorhang wurde es bunt! Die Punk-Welle machte auch vor der Mauer nicht halt, nicht zuletzt die Radio- und Fernsehwellen aus der Bundesrepublik und West-Berlin versorgten die Jugendlichen in der Deutschen Demokratischen Republik mit alternativer Musik zum SED-konformen Schlager- und Orchester-Gedudel aus Adlershof. Doch in der ersten Hälfte der ’80er hatte die Staats- und Parteiführung offenbar gar nicht erkannt, daß das Entstehen einer ungesteuerten Jugendbewegung aus einem gesamt-gesellschaftlichen Stillstand heraus resultierte: Weite Teile der DDR-Bevölkerung hatten sich vom Ideal des Arbeiter- und Bauernstaats mental längst verabschiedet, die SED erlebte Parteiaustritte insbesondere von Arbeitern, die hinter vorgehaltener Hand dem aufgeblähten Verwaltungs- und Lenkungsapparat der Partei für die mangelnde Produktivität verantwortlich machten und in den polytechnischen Oberschulen waren immer weniger Schüler bereit, sich in den Dienst der Partei zu stellen – und wenn auch nur als Klassensprecher. Der Jubel auf Befehl wurde noch geleistet, denn wer nicht zur MaiKundgebung erschien, fiel ganz einfach auf und damit aus dem Rahmen des real existierenden Sozialismus. Daß aber selbiger nur durch Devisen-Kredite aus dem Westen aufrecht erhalten konnte, sich die Regale im HO-Markt aber nicht füllten, blieb auch dem kleinen Mann nicht verborgen. Die sinnentleerten Rituale und Symbole des gesellschaftlichen Lebens auf der einen und der

schleichende ökonomische Verfall der DDR jener Zeit auf der anderen Seite bildeten das Fundament der sanften Revolution von 1989, die unpolitische Entfernung zum System schlug dann durch Glasnost und Perestroika in einen aktiven politischen Systemumbau um. Jugendliche hüben wie drüben waren Anfang der ’80er Jahre desillusioniert, eine reizvolle Zukunft zeichnete sich in keinem System ab, und mit wenig Verspätung war auch hinter der Mauer Punk die Antwort, wenn auch in einem anderen Rahmen. Im ostdeutschen Sprachgebrauch waren es die „Bunten“, die mit gefärbten Haaren und ungewöhnlichen Oberbekeidungskombinationen dem Blauhemd trotzten. Ähnlich, wie sich in Westeuropa aus weiten Teilen der Punk-Bewegung der New Wave-Stil entwickelte, so hatte die DDR ihr eigenes Punk-Kind: die New Romantics. Wem dies zu lasch war, aber sich bei den Punks nicht zuhause fühlte, entschied sich für den skinhead way. Skinhead in der DDR? Da steht man natürlich vor gewissen Problemen… Ähnlich wie die Bunten, die bei der Beschaffung oder Herstellung von Haarfärbemitteln tief in die Trickkiste greifen mußten, stand die Glatze Ost vor der Frage: Wie beschaffe ich mir das richtige Outfit? Arbeitsstiefel und Kleidungsteile aus NVA-Beständen waren ja noch relativ einfach zu beschaffen, deutlich schwieriger war es aber, an eine West-Jeans oder gar eine Bomberjacke heranzukommen. Wer Verwandtschaft im Westen hatte oder eine liebe Großmutter, die reisen durfte, kam seinem Traum schon sehr viel näher. Von einer deutlichen Politisierung der Szene war bis Mitte der ’80er wenig zu spüren, die klassischen Treffpunkte waren die Fußballstadien, insbesondere die vom Stasi-Klub FC Berlin und des Sympathieträgers der Oppositionellen 1. FC Union Berlin, und die staatlich organisierten Jugendklubs. Im März 1985 setzt völlig unerwartet in Moskau politisches Tauwetter ein: Michail Gorbatschow wird Nachfolger des verstorbenen Staats- und Parteichefs Konstantin Tschernenko und damit beginnt eine völlig neue Politik im Ostblock. Zügig und geschickt besetzt Gorbatschow die Schlüsselpositionen in der UdSSR mit seinen Vertrauten, befördert die Getreuen Beschnews in den politischen Ruhestand und brüskiert die Führungsriege der DDR um Erich Honekker: Im Januar ’87 fordert der KP-Chef in einer weltweit beachteten, sehr programmatischen und zukunftsweisenden Rede den demokratischen Umbau von Partei, Staat und Wirtschaft und verspricht den Sowjets mehr Transparenz (Glasnost) und die Umgestaltung der gesamten sowjetischen Gesellschaft (Perestroika). Gorbatschow gesteht den „Bruderstaaten“ des Warschauer Pakts ihre Eigenständigkeit zu und ermöglicht so in Ungarn, der Tschechoslowakei und in Polen den Umbau der Gesellschaft in ein demokratisches System. In Berlin, Hauptstadt der DDR, versteht man die Welt nicht mehr – die SED hält an ihrem starren Kurs fest: Der ökonomische Zwang zum Umbau ist in Ostdeutschland noch nicht ganz so stark wie im Rest Osteuropas, aber die zunehmende Entfer-

nung von der politischen wie gesellschaftlichen Realität und die Angst um den Verlust der Macht mitsamt ihrer Privilegien leiten das Handeln der alten Herren im Zentralkomitee. Die Bürger der DDR aber lieben ihren „Gorbi“, erleben auf Urlaubsreisen zum östlichen oder südlichen Nachbarn die Reformen und fordern sie immer lauter auch für sich ein. Treibende Opposition in der DDR sind die Kirchen und die kirchlich geprägte Friedensbewegung Schwerter zu Pflugscharen – wenig attraktiv für Skinheads… Wie ihre „Vorbilder“ im Westen orientieren sich die DDR-Glatzen gen rechts, die Berichte in West- wie auch in Ost-Medien über die zunehmende Radikalisierung der westdeutschen Skinheads und die Opposition zum eigenen System legen den Kurs fest. Mehr Informationen, etwa zur langjährigen Geschichte des Kults oder die Bedeutung und Herkunft der Musik sind kaum zu bekommen und die negative Berichterstattung macht den Glatzen-Kult für pubertierende Jungs erst richtig interessant: Baby-Skins made in DDR – und die ostdeutsche Szene erlebt wie im Westen einen Umbruch in Altersstruktur und politischer Ausrichtung. Rechtsradikale in der DDR? Unmöglich in der offiziellen Sichtweise! Doch im Oktober ’87 bleibt der DDR-Führung keine Wahl – und sie muß eingestehen, daß vor den eigenen Faschisten der antifaschistische Schutzwall nicht schützt: In der Berliner Zionskirche findet am Abend des 17.10. ein Punk-Konzert statt, das von Skins, Hooligans und anderen Rechten regelrecht aufgemischt wird. Die Störer kommen aus beiden(!) Teilen der Stadt und der Angriff findet ein internationales Medien-Echo. Von nun an greifen Volkspolizei und Staatssicherheit durch: In der ganzen Republik werden Skins und Hools verhaftet, die Szene durch die Stasi infiltriert und in 188 Fällen den „Rowdies“ – so der Sprachgebrauch – der Prozeß gemacht. In die staatlichen Jugendklubs war mit kurzen Haaren und Schnürstiefeln kein Hineinkommen mehr. Die Szene mußte sich umorganisieren und näherte sich anderen faschistischen Gruppen in der DDR an.

Frank Hübner wurde 1966 in der DDR geboren und durchlief in Cottbus eine „ganz normale“ Jugend: Thälmann-Pioniere, FDJ, Schule. Das bedeutet: antifaschistische Erziehung, Zeltlager im Sommer, vormilitärische Ausbildung. Alles im Sinne des Sozialismus. Frank hört aber auch den Jugenderinnerungen seines Vaters (Jahrgang 1927) gerne zu, der auch eine „ganz normale“ Jugend durchlief: HJ und „Reiterschar“, im letzten Kriegsjahr dann doch der Fronteinsatz, bei dem er zweimal verwundet wurde. Alles im Sinne des Nationalsozialismus. Die verklärten Erinnerungen des Vaters und der Geschichtsunterricht in der Schule erzählten zwei unterschiedliche Geschichten. In den Bücherregalen zu

Hause stehen andere Bücher als in der Schule – welche Geschichte ist denn nun die wahre? Verklärung der tapferen Wehrmachtssoldaten einerseits, die Glorifizierung der Roten Armee andererseits. Frank und sein zwei Jahre älterer Bruder Peter entscheiden sich für die erste Variante, zumal Weggefährten des Vaters dies mit ihren eigenen Erzählungen untermauern können. Peter Hübner wird 1984 wegen Gründung einer nationalsozialistischen Organisation inhaftiert: Seit zwei Jahren veranstaltet er „Wehrlager“ mit einer Gruppe von rund dreißig gleichgesinnten Jugendlichen, bei der die Freunde mehr Spaß haben als beim FDJ-Sommerlager… Der (West-)Berliner Journalist und Buchautor Burkhard Schröder ist wohl einer der besten Kenner der rechtsextremen Szene Ostdeutschlands. Er bereist seit dem Fall der Mauer die abgewickelte DDR und hat in mehreren Büchern seine sehr intimen Einblicke in den Neofaschismus der neuen Bundesländer veröffentlicht51 und konstatiert:52 Die Brüder Hübner sind kein Einzelfall. Gruppen, die dem NaziGedankengut huldigten, geheime Wehrsportlager abhielten oder Nazi-Symbole benutzten, gab es immer in der DDR. Im Unterschied zur Bundesrepublik durfte die Presse über dieses Thema aber nicht berichten – bis zum Überfall auf die Zionskirche 1987. Die Parteiführung übte sich im mechanistischen ideologischen Dreisprung: Faschismus ist höchstes Stadium des Kapitalismus – ökonomische Basis der DDR ist sozialistisch – im Sozialismus kann es daher keine faschistische Weltanschauung geben. Basta. Die SED hat es sich beim Thema Geschichtsbewältigung allerdings auch einfach gemacht: Bereits der 3. Parteitag im Juli 1950 stellte fest, in der DDR wären die Wurzeln des Faschismus ausgerottet worden – und diesen Beschluß trugen auch die hochrangigen Parteimitglieder mit, die wenige Jahre zuvor noch ein Parteibuch der NSDAP besaßen und sich damit selbst eine Absolution erteilten. Das Anknüpfen an preußische Ethik und Symbolik – in sozialistischem Gewand – bei der Sozialisation männlicher Jugendlicher durch Sport, Kampf und Härte in der FDJ-Ordnertruppe, bei der paramilitärischen Gesellschaft für Sport und Technik und der NVA legt zumindest nach westlicher Sicht den Eindruck nahe, daß hier die Verherrlichung von Gewalt, welchem Zweck auch immer sie dienen sollte, Tor und Tür geöffnet wurde. Von den Cottbusser Faschos der frühen ’80er Jahre war keiner glatzköpfig: „Ein Großteil hatte Seitenscheitel, den sie jetzt noch tragen, und Schaftstiefel. Die Skinhead-Bewegung in Cottbus ist erst 84/85 hochgekommen. Ich habe sie zwar Anfang 84 noch in den Diskos gesehen, aber im Mai 84 war ich dann schon im Gefängnis.“53 Hübner hatte sich per Brief an Gerhard Löwenthal54, Eberhard Diepgen und sogar an amnesty international gewandt und schilderte darin seine Kritik am DDR-Staat. Diese Briefe wollte er über die ständige Ver51

Der Beschreibung Frank Hübners liegt hier zugrunde: Schröder, Burkhard: Rechte Kerle. Skinheads, Faschos, Hooligans; Reinbek 1992, S. 62 - 90 52 ebd., S. 66 f. 53 Hübner im Interview; ebd., S. 74

tretung der Bundesrepublik weiterleiten lassen, wählte sich aber für seinen Besuch ausgerechnet den Himmelfahrtstag aus, an dem die Vertretung geschlossen war und 36 Zuflucht suchende DDR-Bürger seit einem Tag ihre Ausreise in den Westen erzwingen wollten. Hübner wich aus in die Botschaft der USA, die ihn aber nach einem Tag aus Angst vor diplomatischen Spannungen direkt in die Arme des MfS entließ. Die Briefe trug er noch bei sich und die DDR-Justitz machte ihm daraufhin den Prozeß wegen „illegaler Kontaktaufnahme“. Für 14 Monate sollte Hübner in Bautzen weggesperrt werden. Hübner wird von der Bundesrepublik als politischer Häftling freigekauft und kommt im April ’85 nach Frankfurt/Main, wo er Bekannte hat und schnell Kontakt zu rechtsextremen Kreisen findet, die ihm mit bekannter Weltanschauung im fremden Westdeutschland ein Zuhause geben. Die erste „Berührung“ mit einer rechtsextremen Partei macht Hübner im Folgejahr und zählt zu einer Sympatisantengruppe der DVU. Nach der Europawahl werden er und sein Bruder Peter Mitglieder in der Nationalen Sammlung, eine Abspaltung der Gefolgsleute Kühnens aus der FAP, bleibt aber mit den Kameraden der DVU in gutem Kontakt und pflegt auch Verbindungen zur Alt-Nazi-Partei NPD. In der Szene steigt sein Bekanntheitsgrad und das Ansehen, die Führer der nationalen Bewegung Heinz Reisz und Michael Kühnen halten große Stücke auf Hübner. Zum Jahreswechsel

’89/90 beginnt Hübners große Stunde: Zwischen der DDR und der Bundesrepublik können die Deutschen ohne Visum reisen – und Hübner fährt mit einem Kofferraum voller Info-Material in seine alte Heimat nach Cottbus. Hübner gehört mittlerweile zum Führungskader der Deutschen Alternative (DA), die im Mai ’89 aus dem Bremer FAP-Landesverband hervorging, und es gelingt ihm allmählich, Kameraden von früher für die DA zu gewinnen. Hübner gefällt sich im Glanz des Machers – er ist auch einer der wenigen, die über ausreichend Intellekt und Organisationstalent verfügen – doch die selbstgefällige Aura des Neonazi-Führers mit Geheimißkrämerei und großen Ankündigungen ist, was die Realität der parteipolitischen Organisation angeht, wenig angemessen.
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Leiter des rechtskonservativen und deutlich antikommunistischen ZDF-Magazins

Im Herbst ’91 „putscht“ sich Hübner an die Spitze der DA, von nun an ist die Partei mehrheitlich eine „ost-deutsche Alternative“: Über achtzig Mitglieder aus dem Westen drehen der DA den Rücken, dafür gelingt der DA die Gründung von mehreren Ortsverbänden in Brandenburg. Die klassischen rechtsextremen Parteien aus Westdeutschland haben das Nachsehen an der Basis. Und als am 4. September ’92 der brandenburgische Ministerpräsident dem Parteivorsitzenden der DA Frank Hübner vor versammelter Fernsehöffentlichkeit die Hand schüttelt und sich mit ihm zum Gespräch an einen Tisch setzt, empfindet dies der 26jährige als einen Ritterschlag. Die höchste Ehre jedoch wiederfährt Hübner mit dem Verbot der DA am 9.12.: Er ist staatlich anerkannter Verfassungsfeind.

Neuseeland, Australien, Südafrika, Europa, Nordamerika: Rund um die Welt hat sich der Kult im letzten Jahrzehnt ausgebreitet. Sydney war bereits Anfang der ’70er Jahre die erste „Skinhead-Kolonie“ außerhalb der britischen Inseln, denn nicht wenige britische Familien wanderten auf den roten Kontinent aus und ihre halbwüchsigen Söhne ließen ihre Boots, ihre Musik und ihren Fußball nicht in England zurück. Ein Dutzend Jahre später war unser Planet schon viel kleiner geworden, die Globalisierung fand längst statt und damit auch die Interaktion zwischen den Jugendlichen. Die ’90er schließlich haben zur weltweiten Vernetzung der Szene geführt. Im Sommer ’94 stieg der Autor selbst ins Internet ein und gehörte damals zu einer noch sehr kleinen Gruppe von Surfern; heute, fast sieben Jahre später ist ein Jugendlicher ohne E-Mail-Adresse ein Außenseiter – offline…

Die Globalisierung sorgt für vermehrten Ideenaustausch: Die RassismusGegner unter den Glatzen finden ein gemeinsames Sprachrohr, zunächst aber nur in den USA. Seit den frühen ’80ern entwickelt sich der Skinhead-Kult auch in Nordamerika – und weite Teile der Szene geraten dort in enge Verbindungen mit dem Ku-Klux-Klan, den Aryan Nations und dem White Aryan Resistance (WAR). George Marshall beziffert 55 ihre Stärke mit drei- bis fünftausend. Weitere zehntausend Skinheads werden von ihm als „unpolitische“ Hardcore-Fans eingeordnet, antirassistische und häufig aus Minderheiten stammende Glatzen beziffert er aus zweitausend. Das Medienecho galt auch in den USA ganz überwiegend den rechten Glatzen – und das entsprach bereits damals nicht europäischen Standards. Die täglichen Talkshows und Sensationsmagazine sind eine Erfindung der großen privaten TV-Networks. Skindheads in Minneapolis starteten 1986 mit der Anti Racist Action den ersten Versuch einer Organisation gegen den Rassismus in den eigenen Reihen, zwei Jahre später initiierte ein gewisser Marcus in New York die SHARP-Bewegeung: Skinheads Against Racial Prejudice. Es begann im Mai ’88 und war hauptsächlich die Antwort auf die negative Berichterstattung der Medien über Skinheads. Ich war es leid, andauernd als Nazi beschimpft zu werden, es kotzte mich an. Alle meine Freunde wurden ‚Nazi‘ genannt, und so war es klar für mich, daß etwas geschehen mußte, um das Anwachsen des ‚White Power‘-Movements zu stoppen. Es war wie eine große Mode. Und ich dachte, wenn jemand genau den entgegengesetzten Weg einschlagen würde und ihnen zeigt, daß Skinhead aber auch nichts mit Nazis zu tun hat, nichts mit White Power, daß die Leute dann auch dem folgen würden, nur weil sie denken, daß das Gerade cool ist.56

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Marshall, George: Spirit Of ’69, S. 148. Im Originaltext sind weder Quelle noch Zeitpunkt dieser „Schätzung“ genannt, daher sind die Angaben als wenig gesichert zu bewerten. 56 Marcus gegenüber dem New Yorker Magazin „Bullshit Monthly“; zit. nach: Farin, Klaus: Skinheads, S. 118

Im selben Monat hatte Marcus die Gelegenheit, während einer der täglichen Talkshows genau diesen Standpunkt landesweit zu vertreten: Aus dem ganzen Land meldeten sich hunderte Skinheads und wollten mitmachen – und die Medien berichteten kurzzeitig über die sensationellen nicht-rassistischen Glatzen. SHARP war und ist keine Organisation im klassischen Sinne, sondern ist vielmehr ein Bekenntnis gegen Rassismus. Es gibt kein SHARP-Hauptquartier oder keinen SHARP-Generalsekretär – SHARP ist ein Mythos. Und funktioniert nur deswegen vielleicht: Das wichtigste SHARP-Emblem ist der trojanische Helm, der bis in die ’70er Markenzeichen des Reggae-Plattenlabel Trojan war. Über dieses Symbol und den Slogan wird an den spirit of ’69 apelliert, eben daran, daß Rassismus und die Musik anderer „Rassen“, die zur Skinhead-Musik wurden, nicht miteinander vereinbar ist. Und daß diese Einstellung gegen Rassismus schlau und scharfsinnig ist, denn das sind die Bedeutungen des Adjektivs sharp. Roddy Moreno von der walisischen Oi-Band „The Oppressed“ fiel während eines USABesuchs ein SHARP-Flugblatt in die Hände – Feuer und Flamme von der Idee brachte er SHARP nach Europa. Die Identifikationsmöglichkeit, die SHARP jedem bot, der nichts mit Rassismus zu tun haben wollte, belebte die Szene und machte auch den Einstieg in die Szene leichter. Im rechten Lager machte man sich aber bald lustig über SHARP-Skins: Das seien doch Gymnasiasten, linke Spinner und Weicheier. Im linken Spektrum, bei den Punks, der organisierten Antifa und den Redskins, die teilweise extrem-linke Ansichten vertreten, solidarisierten sich viele mit den „guten“ Glatzen, was jedoch auch merkwürdige Züge annehmen konnte: „In einer [SHARP-Sektion] gab es einmal 12 Mitglieder, von denen gerade mal zwei Skinheads waren“57. Und Klaus Farin plaudert in einer Fußnote:58 Ich hatte einmal das Vergnügen, in einer Talkshow einem Jungsozialisten aus Leipzig zu begegnen, der aussah, wie Jusos halt auszusehen pflegen, sich aber auf seine blaue Windjacke einen fetten SHARP-Aufnäher montiert hatte und jedem, der es nicht hören wollte, stolz erzählte, daß er die Dinger selbst produzieren und die SHARP-Bewegung in Leipzig organisieren würde. Das SHARP-Movement erlebte bis etwa 1992 seine beste Zeit, die interne Politisierung der Szene aber wollten viele Glatzen nicht weiter mittragen: Ohne sich von Beginn an für „links“ oder „rechts“ entscheiden zu müssen und durch
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Marshall, George: Spirit Of ’69, S. 150 Farin, Klaus: Die Skins, S. 67 [Anmerkung 58]

die ostdeutsche Szene deutlich beeinflußt, wählten viele den „unpolitischen“ Weg, auch, um sich nicht von Freunden trennen zu müssen, die vielleicht eine konservativere Meinung hatten: Zwischen links und rechts liegt ganz viel Mitte. Schnell setzte sich die Bezeichnung Oi-Skins durch, und denen war an guten Partys mehr gelegen als an politischen Auseinandersetzungen.

„Wir sind das Volk!“ Hunderttausende DDR-Bürger skandieren bei den Montagsdemonstrationen Woche für Woche damit ihren Frust über den Stillstand in der Gesellschaft und die fehlende Bereitschaft zur Demokratisierung nach sowjetischem Vorbild. Der Rest ist Geschichte: Die offiziellen Feiern zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober ’89 geraten zum Fiasko, Gorbatschow mahnt in Ost-Berlin die SED-Führung „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“ und nur einen Monat später, am 9. November, fällt die Mauer. Die ostdeutsche Skin-Szene erlebt einen Boom: Von einem Tag auf den anderen endet die politische Verfolgung durch die Staatssicherheit, neue Freundschaften zwischen Glatze Ost und Glatze West entstehen (schließlich erkennt man sich gegenseitig auf der Straße) und die einhundert West-Mark Begrüßungsgeld werden schnell in Bomberjacken umgesetzt. Und im Trubel und in der Euphorie wittern die rechten Rattenfänger Frühlingsluft: „Wir sind das Volk!“ – da kann man doch anknüpfen… Mit der neuen politischen Lage, dem Angebot einer Vielzahl von unterschiedlichen Lebensentwürfen, die nicht aus einer sozialistischen Ethik heraus vorbestimmt waren, und den freien Kommunikationsmöglichkeiten, die den Zugang zu den unterschiedlichsten Meinungen ermöglichte, setzte auch in der Noch-DDR ein Diversifizierungsprozeß innerhalb der Skinhead-Szene ein. Die Ideen von SHARP, die Musik von ’69 und ’78 und die Geschichte des Kultes. Viele Ostglatzen konnten zum ersten Mal (auf Fotos oder Plattencovern) sehen, daß es auch schwarze Stars in ihrer Szene gibt und hörten zum ersten Mal, daß weiße Skinheads mit Farbigen aus der Karibik richtig fette Parties gefeiert haben. 1991 gab es mit Fanzines aus Lobstädt (Sachsen), Potsdam und Zwickau die ersten „eigenen Medien“ – teil links, teils rechts, teils oi. Und zum ersten Mal auch eine gedruckte „Geschichte des Kults“: In Großbritannien erschien das Taschenbuch „Spirit Of ’69 – A Skinhead Bible“ von George Marshall, das auch für den Autor diese Arbeit viele Informationen geliefert hat. Zwei Jahre später legte der Verlag S.T. Publishing die deutsche Übersetzung auf und exportierte sie auf den Kontinent, wo sie überwiegend szeneintern über Plattenläden oder Bekleidungsgeschäfte sowie per Mailorder vertrieben wurde und wird. Die organisierte Rechte verliert allmählich an Boden, weil die Verfassungsorgane stärker gegen rechten Extremismus vorgehen und weil die gesamtdeut-

sche Gesellschaft nach dem Einigungs-Trubel sich wieder beruhigt. Aber nicht alle – ein Auszug aus der Chronik rechtsgerichteter Gewalt: 20.09.91: In Hoyerswerda greifen rassistische Jugendliche das Asylbewerberheim an, dreißig Menschen werden verletzt. 11.08.92: In Rostock-Lichtenhagen werfen Jugendliche Brandsätze in einen überwiegend von Vietnamesen bewohntes Plattenbau, die Polizei schaut tatenlos zu, die herumstehenden erwachsenen Schaulustigen applaudieren. Die Weltmedien berichten über die mehrtägigen Auseinandersetzungen und die Mehrheit der Deutschen ist von den Bildern entsetzt. 23.11.92: In Mölln sterben drei Türkinnen bei einem Brandanschlag auf ein Mehrfamilienhaus, am 8.12.93 erhalten die rechtsextremen, zum Teil jugendlichen Täter vor dem OLG Schleswig wegen dreifachen Mordes und versuchtem Mord in 39 Fällen die Höchststrafe. 29.05.93: Bei einem von rechtsextremen Gewalttätern verübten Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Haus sterben in Solingen fünf Menschen im Alter zwischen vier und 27 Jahren. Zwei Tage nach dem Anschlag nimmt die Polizei als Tatverdächtigen einen 16jährigen Schüler fest, der ein Geständnis ablegt und drei weitere Personen im Alter von 16 und 23 Jahren als Mittäter belastet. Am 3.6. nimmt Bundespräsident Richard von Weizsäcker an der Trauerfeier für die Opfer des Brandanschlags in Solingen und fordert mehr Rechte für die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer. Bundeskanzler Helmut Kohl nimmt an den Gedenkveranstaltungen für die Opfer nicht teil und löst damit eine lebhafte Diskussion aus. Das OLG Düsseldorf verkündet am 13.10.95 das Urteil: 15 Jahre Haft für den erwachsenen, je zehn Jahre für die jüngeren Täter. 12.05.94: Rund sechzig rechtsradikale Jugendliche machen in der Innenstadt von Magdeburg Jagd auf eine Gruppe Schwarzafrikaner. Bei den Ausschreitungen werden sechs Menschen verletzt. Kritik entzündet sich an dem Verhalten der Polizei, die zu spät und zu zögerlich gegen die Randalierer einschreitet. Augenzeugen werfen einzelnen Polizisten vor, den Gewalttätern teilweise mit offener Sympathie begegnet zu sein. Im Juli und August werden sechs der rechtsradikalen Rädelsführer im Alter zwischen 19 und 23 Jahren zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. 23.07.94: Eine Gruppe rechter Skinheads überfällt und schändet in Thüringen die KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar. 17.03.97: Bei einem Angriff mehrerer mit Baseball-Schlägern und Messern bewaffneter Bundeswehrsoldaten werden in Detmold drei Türken und ein Italiener verletzt. Die Soldaten hatten nach eigenem Bekunden eine Belästigung von Kameraden durch ausländische Jugendliche rächen wollen. 13.02.99: Bei der Flucht vor rechtsradikalen Jugendlichen in Guben (Brandenburg) erleidet ein 28jähriger Asylbewerber tödliche Verletzungen. Seit ’95 verschwinden die Skinheads zunehmend aus den Schlagzeilen der Presse, die Medien reagieren sensibler auf diese Jugendkultur und setzen – je Niveau der Berichterstattung – Skinheads nicht mehr gleich mit Rechtsradikalen, auch weil inzwischen vereinzelt (ältere) Skinheads in den Redaktionen der Meinungsmacher arbeiten. Spätestens seit ’95 gehört der skinhead-typische Kurzhaarschnitt auch in die Jugendkultur der Raver: Die Techno-Szene vermischt sich zum Teil mit Skinheads – und bringt auch die Partydrogen mit. Schon einige Zeit zuvor hat Haschisch Einzug in die Glatzen-Szene im Westen gehalten und veränderte auch das Sozialverhalten vieler: Cannabis verstärkt im

Gegensatz zu Alkohol nicht das Aggressionsverhalten, sondern hat eine beruhigenden und friedlichen Charakter. Das bei den Ravern beliebte Ecstasy verstärkt zumindest während seiner Wirkungszeit Glücksgefühle und das Harmoniebedürfnis der party people – und viele Skins zählen sich heute dazu, denn eigentlich ist das ja ihr Grundbedürfnis: mit Freunden Parties feiern. Oi! Zu den Freunden gehörten offensichtlich auch wieder weite Teile der PunkSzene. Zumindest in den Chaos-Tagen von 1997 manifestiert sich, daß Skins und ihre zotteligen Brüder wieder gemeinsam- und nicht gegeneinander kämpfen: In den späten 90ern erlebten die Polizeibeamten in Hannover die schlagkräftige Wiederverbindung der Szene: Der Feind steht nicht links oder rechts, der Feind steht über ihnen!

1970 berichtete mit dem Spiegel zum ersten Mal ein deutsches Medium über Skinheads: „Es sind mehr als 10.000. In fanatischem Haß verfolgen sie Motorrad-Rocker, Hippies und die farbigen Einwanderer Englands“ 59. Die unkritische Übernahme der britischen Medienwahrheit ab 1981 kennzeichnet die weitere Berichterstattung im Spiegel und Stern, was auch dazu führte, daß deutsche Jugendliche Glatze, Bomberjacke, Stiefel mit rechtsextrem gleichsetzten und aus dieser Motivation heraus zu dem wurden, was die deutsche Presse bis in die jüngste Zeit für Skinheads hielt: dumpfe Schläger mit Wut auf Türken im Bauch.

Eigene Recherchen in Skinheadkreisen scheinen bei deutschen Journalisten selten zu sein: Zu gerne schreiben sie aus Veröffentlichungen des Verfassungsschutzes ab (wobei der VS selbst aus seinen Publikationen abschreibt), die sich im Titel mit Rechtsradikalismus befassen und darin auch Skinheads betrachten. Daß es allerdings außerhalb der rechten Szene ebenfalls Skinheads gibt, fällt unter den Tisch – damit ist keine Auflage, keine Quote zu machen. Und die Redakteure schreiben sogar voneinander ab: Farin führt zwei Reportagen im
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Der Spiegel 24/70; zit. nach: Farin, Klaus: Die Skins, S. 244

Originaltext an, eine aus der Bild am Sonntag vom 05.01.86, die zweite aus dem Boulevard-Blatt Berliner Zeitung vom 25.09.91. Kai Diekmann und Florian v. Heintze berichten in der BamS über Skinheads in Hamburg-Bergedorf und lassen den 21jährigen Arbeitslosen Andreas F. zu Worte kommen:60 „Meine Kumpels und ich, wir sind ’ne ganz starke Truppe. Wir halten zusammen. Das ist wie früher, wie bei der Hitler-Jugend. All diese laschen Typen heutzutage mit ihren schmierigen langen Haaren kotzen mich an.“ Was macht ihr so den ganzen Tag? […] „Dann kommen meine Kumpels, wir hören Musik und quatschen. Worüber? Über dieses Scheiß-Deutschland, über die Türken und den ganzen Dreck.“ […] Was sagen eure Eltern? Skinhead Bernd (17, Schüler), ein Freund von Andreas: „Da bin ich sowieso nur noch zum Pennen. Mein Vater hat nichts dagegen, daß ich ein Skin bin. Lieber ein Skinhead als ein Penner mit langen Haaren und so. Und meine Mutter hält den Mund – sonst gibt’s was auf die Fresse.“ Fünfeinhalb Jahre später treffen Christoph Dietrich und Frank Maiwald von der BZ in Berlin-Lichtenberg auf den 24jährigen Markus – und der erzählt folgendes:61 „Meine Kumpels und ich, wir sind ’ne ganz starke Truppe. Wir halten zusammen. Das ist wie früher, wie bei der Hitler-Jugend. All diese laschen Typen heutzutage mit ihren schmierigen langen Haaren kotzen mich an.“ […] Und worüber reden [die Freunde untereinander]? Originalton: „Über dieses ScheißDeutschland, über die Ausländer und den ganzen Dreck.“ […] Sein Vater, sagt Markus, war „so’n Stasi-Schwein“. Zu Hause ist er nur noch manchmal, zum Pennen. Sein Vater habe heute nichts mehr dagegen, daß er ein Skin sei: „Lieber ein Skin als ein Penner mit langen Haaren und so. Und meine Mutter hält den Mund, sonst gibt’s was auf die Fresse.“ Schließlich glaubt die deutsche Öffentlichkeit alles, was über die brutalen Glatzen berichtet wird – und dreht den Spieß um: Der Skinhead-Teufel wird zum Täter, der wahre Täter stellt sich als Opfer da oder genießt ob angeblicher Heldentaten den kurzzeitigen Presserummel – und die Presse stürzt sich auf die Sensationen. Ein Auszug aus dreißig Fällen zwischen 1992 - 95:62 April 92: Skinheads wurden vom Vater eines Dreijährigen der Kidnapperei beschuldigt; die Mutter hatte den Jungen getötet . November 92: Ein 14jähriges Mädchen beschuldigt Skinheads, sie häten ihr auf brutalste Weise ein Hakenkreuz in die Wange geschnitten. Die Polizei ermittelt später einen Akt der Selbstzerstümmelung. August 94: In Berlin quälen Jugendliche aus Langweile, wie sie später zugeben, einen Obdachlosen zu Tode. Sie ritzen dem bereits Ermordeten noch zwei Hakenkreuze in die Haut, um nach eigener Aussage die Ermittlungen auf Skinheads zu lenken. Oktober 94: Nach einem tatsächlichen Überfall Berliner Skinheads auf Fahrgäste der S8 mit sechs Verletzten nutzt die von der Bild später als „Heldin von Potsdam“ bejubelte arbeitslose Krankenschwester eine vergleichbare Geschichte als Erklärung für Verletzungen nach einem alkoholbedingten Sturz aus der Tram: Sie habe mutig ein alte Dame vor prügelnden Skinheads retten wollen und sei von den Glatzen aus der Straßenbahn geworfen worden. Daraufhin raten ein Polizeihauptkommisar und ein Buchautor in der BamS vom 16.10. den Lesern, im Falle von Auseinandersetzungen dem Angreifer gezielt in den Unterleib zu treten und in Kneipen

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zit. nach: Farin: Die Skins, S. 261 f. ebd. 62 ebd., S. 259 ff.

mit Stühlen zu werfen und Fensterscheiben einzuschlagen – Tips von Experten!

Am 23. November 2000 erfreut die Bild-Zeitung bundesweit ihre Leser zum Frühstück mit der Schlagzeile: „Neonazis ertränken Kind“. Robert Kuhne titelt in der Online-Ausgabe von Bild: „Kleiner Joseph – gegen 50 Neonazis hatte er keine Chance“ und schreibt weiter:63 Es passierte am helllichten Tag in einem belebten Freibad. 50 Neonazis überfielen den kleinen Joseph (6). Schlugen ihn, folterten ihn mit einem Elektroschokker, dann warfen sie ihn ins Schwimmbecken, ertränkten ihn. Fast 300 Besucher waren an jenem Tag im „Spaßbad“ im sächsischen Sebnitz. Viele hörten seine Hilferufe, keiner half. Seit 3 Jahren laufen die Täter frei herum. Erst jetzt ermittelt die Justiz, weil die Eltern – Mutter Renate und ihr Ehemann Saad, ein gebürtiger Iraker – mühsam Zeugen suchten. Am darauffolgenden Tag – nach weiteren Recherchen – titelt Bild Online64: „Die Skinheads standen wie eine lebende Mauer um Joseph“ und alle deutschen Medien übernehmen die Geschichte. Einen Tag später „vergißt Deutschland den Konjunktiv“, wie der Spiegel in Ausgabe 49/200065 die zehn Tage von Sebnitz rückblickend betrachtet. Am 13. Juni 1997, also dreieinhalb Jahre vor Berichterstattung, stirbt unter mysteriösen Umständen der sechsjährige Joseph Kantelberg-Abdulla, Sohn der deutschen Renate und des irakisch-stämmigen Saad, bei einem Besuch im örtlichen Freibad. Die Staatsanwaltschaft in Pirna läßt den Leichnam vier Tage später obduzieren, kann einen Badeunfall aber genau so wenig wie einen Herzfehler als Todesursache bestätigen oder ausschließen. Am 28. Juli schließt die Polizei ein Gewaltverbrechen als Todesursache aus. Die Mutter Renate läßt nicht locker und erstattet am 27. Oktober Strafanzeige wegen eines Tötungsdelikts an ihrem Sohn gegen unbekannt. In der Spiegel-Chronik wird dieser Tag so beschrieben und gleichzeitig ein Psychogramm der Mutter gezeichnet: 66 Eine Sebnitzerin hatte sich per Telefon gemeldet und von einer Verschwörung zur Ermordung Josephs erzählt. Die Frau nannte Namen von Tätern und Zeugen. Rechte seien es gewesen. Die Tochter eines anderen Apothekers sei beteiligt gewesen. Das macht Sinn, für die Eltern fügt sich eines zum anderen. Hatte das Jahr in Sebnitz nicht damit begonnen, dass am frühen Neujahrsmorgen sechs Jugendliche zwei schlafende Obdachlose im Bahnhof mit Eisenketten verprügelten? Und war die Familie, als Joseph stirbt, nicht schon längst in einen Kleinkrieg mit den Einheimischen verstrickt? Für die Sebnitzer muss die Familie Abdulla der Westen in Reinform gewesen sein. Schon der Name. Und dann diese energische Frau, die sich unerschrocken in Konkurrenz zu den beiden ansässigen Apotheken-Besitzern begibt und keine Scheu hat zu fragen, was es denn mit all den Kurzgeschorenen auf sich habe. In dem Taunusstädtchen Grävenwiesbach, wo die Apothekerfamilie zuvor gelebt hat, erinnert man sich an sie als „sehr beliebt" und engagiert. Sie hätten

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http://www.bild.de/service/archiv/2000/nov/23/aktuell/joseph/joseph.html http://www.bild.de/service/archiv/2000/nov/24/aktuell/joseph1/joseph1.html 65 http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,105963,00.html 66 ebd.

oft bis spät in den Abend gearbeitet. Dennoch blieben die Umsätze schlecht. Von Sebnitz hätten sie viel erzählt, „mit glänzenden Augen". Aber auch dort läuft das Geschäft nicht gut. Im Wohnzimmer stehen Ordner voller Anzeigen, Klagen über die „kriminelle Apotheker- und Ärzteschaft" und Warnbriefe an zuständige Stellen. Am 7. Mai 1998 stellt die Staatsanwaltschaft Dresden die Ermittlungen ein. Mutter Renate recherchiert auf eigene Faust weiter, läßt den Leichnam von Joseph exhumieren, um ein weiteres gerichtsmedizinisches Gutachten in Auftrag zu geben. Die Suche nach der „wahren“ Todesursache ihres Sohnes nimmt paranoide Züge an. Im Mai 2000 übergibt sie dem Dresdener Büro der Bild ihre gesammelten Unterlagen, die Hamburger Chefredaktion stuft das Material zunächst als nicht veröffentlichungsreif ein. Am 24. Juni findet die Polizei – unabhängig vom Fall Joseph – bei einer Razzia der rechtsextremen Skinheads Sächsische Schweiz in der Nähe von Sebnitz zwei Kilogramm Sprengstoff. Bild beginnt mit eigenen Recherchen in Sachsen. Aufgrund eines von Renate Kantelberg-Abdulla in Auftrag gegebenen Gutachtens des Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeffer zur Glaubwürdigkeit der von der Mutter gesammelten „Zeugenaussagen“ lädt das Amtsgericht Dresden den ersten „Zeugen“, einen inzwischen 15jährigen Schüler, der angebliche Mittäter nennt. Am 21. und 22. November 2000 ergehen gegen drei mutmaßliche Täter Haftbefehl – Bild-Chefredakteur Udo Röbel beschließt, in der morgigen Ausgabe, die mit der Familie Kantelberg-Abdulla vereinbarte fünfteilige Serie zu starten. Die Republik steht Kopf! Am vierten Tag der Bild-Serie, es ist Sonntag, der 26. November, knickt der Hauptbelastungszeuge ein. Bundeskanzler Gerhard Schröder, Parteifreund von Josephs Mutter, hatte im Zuge eines Anschlages auf die Düsseldorfer Synagoge, bei dem zunächst fälschlicherweise auch ein rechtsradikaler Hintergrund vermutet wurde, zum „Aufstand der Anständigen“ aufgerufen. Er möchte sie am nächsten Tag in Berlin treffen, Renate Kantelberg-Abdulla reist bereits am Abend in Berlin an und behauptet in einer n-tv-Talkshow, es gäbe „in Sebnitz ein Haus, in dem Arier gezüchtet werden“. Fast gleichzeitig hebt die Staatsanwaltschaft die Haftbefehle gegen die drei Hauptverdächtigen auf. In der Dienstags-Ausgabe opfert Bild eine deutsche Mutter: „Wer soll ihr das noch glauben?“ fragt das deutsche Zentralorgan und stellt auf Seite 1 fest: „Immer mehr Zweifel an Josephs Mutter“. In der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember durchsucht die SoKo Schwimmbad das Privathaus der Abdullas und sichert Fotos, Videokassetten, Briefe und Com puter-Daten, darunter auch die schriftliche Vereinbarung mit Bild zur fünfteiligen Serie. Die Autoren der Spiegel-Chronik resümieren: Das waren die zehn Tage von Sebnitz. Zurück bleibt ein toter Junge, der nicht ahnen konnte, dass sein Name einmal einem ganzen Land bekannt sein würde. Bleiben wird eine zerstörte Familie, die in Acht und Bann leben wird. Zurück bleibt ein Seidenblumenstädtchen, dessen Name die einen noch lange Zeit an einen Kindesmord erinnern wird, die anderen an den Rufmord an einer

Stadt. Auf der Strecke geblieben ist die Glaubwürdigkeit der öffentlichen Meinung und der Ermittlungsbehörden.

Spätestens bei der Berichterstattung über Skinheads wird denjenigen, die sich selbst als Skinheads verstehen oder aber öfter Berührung zur Szene haben, klar: Das kann nicht die ganze Wahrheit sein! Aussagekräftiges empirisches Zahlenmaterial hingegen lag bis 1995 nicht vor. Die Sicherheitsbehörden haben durch ihre Aufgabe heraus den Blickwinkel stets auf Gewaltbereitschaft, Fremdenhaß und politischen Extremismus gerichtet – und die unkritische Übernahme ihrer Fakten und Zahlen in Medienberichten sorgt außerhalb der Szene für die öffentliche Meinung Skin = rechtsextrem. Das dem nicht so ist, belegen zum ersten Mal Helmut Heitmann und Klaus Farin in der „Skinhead-Studie“ aus dem Jahr 199567. Etwa 8.000 Fragebögen mit 69 Fragen zu Alter, Geschlecht, Familie, Ausbildung und Beruf, politischer Orientierung, Gewaltbereitschaft und Freizeitverhalten haben die Wissenschaftler in der deutschen Szene (Treffpunkte, Mailorder, Konzerte) verteilt und an durch ihre engen Kontakte ihnen bekannte Skinheads mit der Bitte um Weiterverteilung gesandt. Bis zum Jahresende ’95 gingen 406 Fragebögen ein, wobei Wert darauf gelegt wurde, daß wirklich nur Antworten von Skinheads in die Studie einfließen: Die Autoren der Studie haben bei der Konzeption der Umfrage Fragen eingearbeitet, die nur Szeneangehörige bzw. enge Kenner schlüssig beantworten konnten. Alle 406 Rücksendungen stellen damit die Basis der Er-

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Farin, Klaus: Die Skins, S. 69 – 95. Alle Zahlen, auch die der Vergleichswerte, sind diesem Aufsatz entnommen.

hebung. Hier sollen nicht alle Ergebnisse detailliert vorgestellt werden, sondern nur einige Trends aufgezeigt werden – z.B. daß es keine Skinhead-Hochburg in Deutschland gibt. Wie die untenstehende Grafik zeigt, läuft die regionale Herkunft parallel zur Bevölkerungsverteilung in Deutschland: Knapp ein Viertel lebt in den neuen Bundesländern bzw. im ehemaligen Ostteil Berlins. Sehr deutlich hingegen ist das Geschlechterverhältnis: Nur 12,7% der Befragten sind weiblich. Über die Hälfte der Befragten (56,4%) sind zwischen 19 und 24 Jahre alt, 21,4% gehören der Altersgruppe der bis 30jährigen an, älter sind nur noch 1,2% – „jugendlich“ (bis 18 Jahre) sind nur knapp 23%, was allerdings auch mit dem demographischen Verhältnis an der Gesamtbevölkerung einher geht. Überraschend sind die Zahlen über den Schulabschluß der Skinheads: Fast genau ein Viertel (24,9%) geben an, Abitur oder einen vergleichbaren Abschluß zu haben. Es sei an dieser Stelle allerdings auch bemerkt, daß die Bereitschaft, einen 14seitigen Fragebogen auszufüllen, bei Bessergebildeten höher liegen mag als bei Zugehörigen der Zielgruppe ohne Schulabschluß. Doch das ist nur eine Vermutung des Autors: Über keinen Schulabschluß verfügen 1,5% der Befragten, was in etwa auch dem Verhältnis aller junger Erwachsener entspricht. Ebenso muß hier kritisch die Basis der Erhebung betrachtet werden: Beantwortet wurde diese Frage nur von 342 der 409 Skinheads, 16,4% machten keine Angabe. Die Hälfte der Skinheads hat einen Realschulabschluß bzw. den Abschluß der 10. Klasse der polytechnischen Oberschule (50,5%), 23,1% geben den Hauptschulabschluß (bzw. 8. Klasse POS) an. Unter Berücksichtigung der Al-

tersstruktur und der Schulbildung verwundert es nicht, daß drei Fünftel der Befragten (60,5%) finanziell auf eigenen Beinen stehen, ein Zehntel bezieht Arbeitslosenunterstützung oder Sozialhilfe, 17% werden – wahrscheinlich auf Grund ihres Alters – von ihren Eltern unterhalten. Etwa jeder Dritte Skinhead (36,3%) ist Single, 5,7% der Befragten sind verheiratet, der Rest lebt in loser oder fester Beziehung (57%). Von allen Befragten haben 8,4% Kinder und fast die Hälfte wohnt unter dem Dach der Familie. Die Betonung der proletarischen Herkunft innerhalb des Kults steht mit dieser Zahl in einem interessanten Licht: Nur 14% geben an, ihr Vater wäre Arbeiter oder Handwerker. Die Fragen zur Arbeits- und Lebenssituation lassen verkürzt folgende Aussage zu: Skinheads wollen arbeiten, wohl auch aus einer Frage der Ehre heraus, um nicht dem Staat oder den Eltern auf der Tasche liegen zu müssen. Nach Fragen zum beruflichen Selbstverständnis hielten mehr als die Hälfte eine soziale Einstellung für richtig und wichtig: „nützlich für die Gesellschaft“ und mit dem Beruf „anderen helfen zu können“ – der Wunsch nach der „Boss“Rolle ist im Vergleich wenig ausgeprägt, in der Studie ordnen 9% „über andere bestimmen zu können“ für wichtig im Beruf ein. Etwa genau so viele sind arbeitslos, eine immer wieder zitierte Ursache für Tendenzen zu Gewalt und Rechtsextremismus – die Jugendarbeitslosigkeit – scheint damit für Skinheads entkräftet. Einen Überblick bietet das Diagramm gegenwärtiger Status. „Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre…“ – dann würden nach der Studie 43% der befragten Skins nicht zur Wahl gehen (von insgesamt 364 Antworten, 42 beantworteten diese Frage überhaupt nicht)! Unpolitisch – den Anspruch, den viele Glatzen an sich selbst haben, werden sie hier gerecht. Aber sind Skinheads und Politik unvereinbar? Mehr als ein Viertel bekundet großes Interesse an Politik, immerhin 13,8% würden sich in einer Partei, Bürgerinitiative oder Gewerkschaft engagieren. Nach einer Umfrage des Deutschen Jugendinstituts von 1992 geben 90% aller Gleichaltrigen an, an Wahlen teilzunehmen, 40% würden sich in traditionellen politischen Organisationen engagieren. Überraschend bei der Sonntagsfrage nach der bevorzugten Partei fällt auf, daß Parteien des linken Spektrums klar bevorzugt werden: 60,3% votieren für PDS, SPD oder die Bündnisgrünen! Eine weitere Analyse haben Heitmann und Farin zur Einstellung von Skinheads zu szene-internen wie externen „Feindbildern“ gemacht: Zu SHARP haben 45,6% ein positives Verhältnis, 36,4% lehnen sie ab. 18,2% finden NaziSkins o.k., 69,1% mögen die Faschos in den eigenen Reihen nicht. Dieser hohe Wert ist erstaunlich, spiegelt aber auch deutlich den Frust vieler Glatzen dar, von den „Rechten“ in schlechte Licht der Öffentlichkeit mitgezogen zu werden. Nach der Einstellung zu Ausländern befragt, hegen nur 13,1% Sympatien zu ihnen, 46% sind Ausländer egal. Deutlicher ist die Polarisierung bei der Ein-

stellung zu Mitgliedern der Antifa und der autonomen Szene: Nur 9,2% stehen dieser Gruppe positiv gegenüber, 78,9% finden die „Zecken“ unsympathisch.

Zwar ist die Basis der Studie nach Meinung des Autors ein wenig klein für endgültige Aussagen – wünschenswert wäre auch eine Wiederholung, um aktuelles Zahlenmaterial zu erhalten –, so läßt sich doch ein Trend bestimmt ablesen: Es sind nach Bildung und Altersstruktur ganz normale Jugendliche und junge Erwachsene. Außerdem sind die Einstellungen weit weniger rechtslastig als von der Presse und der öffentlichen Meinung unterstellt, wenn auch rechtes Potential deutlich vorhanden ist. Und wenn auch in Kleidung und Haltung eine gewollte Uniformität in die Außenwelt transportiert wird – eine einheitliche homogene Masse stellen Skinheads nach diesen Ergebnissen sicher nicht dar!

Eine Zahl aus der Skinhead-Studie sei zu Beginn nachgereicht: Knapp die Hälfte der Befragten möchten mit Homosexuellen nichts zu tun haben, weiteren 41,4% sind sie schlicht egal – und 9,3% stehen Schwulen positiv gegenüber oder rechnen sich selbst dazu..!

Seit Anfang der ’90er tauchen kurzgeschorone Männer in der schwulen Szene auf – aber was ist denn bitte die schwule Szene? Blickt man auf die sommerlichen Paraden zum Christopher Street Day (CSD) in den Metropolen der Welt, so läßt sich nur sagen: In der schwulen Szene trifft man jeden und alles! Kerle und Tunten, Junge und Alte, die S/M-Fraktion genauso wie BlümchensexFreunde, HIV-positive genauso wie behinderte Schwule – alle sind sie da! Außerhalb der CSD-Saison sind sich die einzelnen Gruppen möglicherweise spinnefeind und lassen kein gutes Haar an der jeweils anderen, doch zum schwullesbischen Feiertag gehen sie gemeinsam auf die Straße. In Berlin und Köln sind die Umzüge zum CSD mittlerweile Massenveranstaltungen wie Loveparade und Karneval geworden. Und 1993 wollen auch zum ersten Mal eine Handvoll schwuler Skinheads teilnehmen. Die schwule Hauptstadt ist mehr als irritiert, denn: „Die meisten Schwulen kultivieren die gleichen Vorurteile wie Otto Normalspießer“68, stellt Walter Weihrauch in der Juni-Ausgabe des schwul-lesbischen Berliner Stadtmagazins Siegessäule fest. Auch die taz ist auf den scheinbaren Widerspruch „Skin und schwul“ aufmerksam geworden und widmet sich dem Thema auf einer ganzen Seite unter der Dachzeile „Die Ankündigung schwuler Skinheads, Ende Juni an einer der beiden Christopher-Street-Day-Demonstrationen in Berlin teilzunehmen, hat in der Schwulen- und Lesbenszene eine heftige Debatte ausgelöst“69. Nach britischem Vorbild hatten einige schwule Berliner Skins im September ’92 die erste deutsche Sektion des Gay Skinhead Movement (GSM) gegründet und wollten nun – wie es sich für einen politisch korrekten Schwulen gehört – beim CSD für mehr Rechte der Homosexuellen demonstrieren. Als dies zu den am CSD beteiligten Gruppen durchsickerte, reagierte die autonom geprägte Queer Action eiligst mit einer Flugblattaktion und machte Front gegen die Glatzen: Das GSM wurde aufgefordert, sich eindeutig von allen faschistischen Inhalten zu distanzieren – und solange dies nicht erfolgte, wolle man mit den Skins nicht einmal sprechen! Basta! Die Schwule Internationale, ein Zusammenschluß von schwulen Immigranten, warnte: „Skinhead ist in Deutschland eine Selbstbezeichnung, die für brutale Gewalt gegen Ausländer, gegen Schwule, gegen Minderheiten steht“. Die damals 35 GSM-Anhänger in Deutschland saßen zwischen allen Stühlen: Von der Schwulen-Szene angefeindet, in der Glatzen-Szene zumindest vom rechten Flügel bedroht und somit gleich doppelter Außenseiter. Da half auch das Bekenntnis zu SHARP genau so wenig wie der Hinweis: „In der Skinheadszene offen schwul aufzutreten, könnte körperliche Folgen haben“. Längst gehören die schwulen Glatzen zur Szene dazu, in der deutschen Hauptstadt dürften es weit über hundert sein, zu internationalen Treffen strö68 69

Walter Weihrauch: Sag mir, wo Du stehst… in: Siegessäule 6/93, S. 6 f. Jean Jaques Soukup: Schwule Skinheads – (k)ein Widerspruch?, in taz vom 7.6.93

men tausend und mehr nach Amsterdam, Berlin oder Antwerpen. Doch die Diskussion bleibt: Weite Teile der schwulen Szene können nicht begreifen, warum es unter ihnen einige gibt, die sich wie „ausgemachte Schwulenfeinde“ anziehen? Andererseits fasziniert viele das Zelebrieren harter Männlichkeit, was eben auch seit Beginn der ’90er zur Folge hat, daß Schwule ohne Bezug zum skinhead way of life, ohne Kenntnis der Geschichte, ohne je einen Takt Ska oder Oi-Musik gehört zu haben, sich die Haare scheren, sich in die Stiefel zwängen und sich die Bomberjacke überwerfen. „Die übernehmen nur unser Outfit, das legen sie am Samstag um acht Uhr abends an und am Sonntag um fünf Uhr morgens wieder ab – und am Montag ziehen sie im Büro über die ‚faschistischen‘ Skins her“, wird Atze bereits in der 93er-Siegessäule zitiert. Das Outfit transportiert Härte, Entschlossenheit, Kameradschaft – und Schwule, die sich so kleiden, gehen damit ganz bewußt auf Gegenkurs zum vorherrschenden „Tunten-Image“ unter der heterosexuellen Mehrheit. Das Outfit und das Image als Einstieg in den skinhead way of life? Bei André jedenfalls war es so: Der heute 39jährige versteht sich bereits seit 1986 als Skinhead und erinnert sich vergangenes Jahr in der Titelgeschichte der August-Ausgabe des schwul-lesbischen Magazins outline.70 Dann gab es plötzlich die ersten Kontakte mit Skinheads, sowohl mit Heteros als auch mit Schwulen. Die sprachen mich einfach so an und ich bemerkte: Aha, da ist eine gemeinsame Basis. Eines Abends auf einer Party kam einer an und sagte: Hör mal, wie hast du denn deine Stiefel geschnürt! Was hast du überhaupt für Stiefel an. Vor seinem Umzug nach Berlin lebte er eine Zeitlang in München, zog dann aber das entspanntere Leben in der Hauptstadt vor, denn in der bayrischen Metropole „habe ich teilweise mehrere Polizeikontrollen pro Tag erlebt. […] Aber es reicht in München , wenn man die Haare abgeschnitten hat und Stiefel trägt“. Nach seiner Ansicht befragt, warum Skinheads von der Mehrheit – auch unter den Schwulen – so viel Mißtrauen entgegenschlägt, begründet André mit der Außenwirkung der Outfits: Rein äußerlich bin ich nicht zu unterscheiden von den aggressiven Gruppen, die in den Medien im Vordergrund stehen. Dass es Skinheads gibt, die friedlich sind und nur ihre Ruhe und ihren Spaß haben wollen, wird nicht gezeigt. Dass bei Skinheads erstmal die Alarmglocken läuten, ist ein typisch deutsches Phänomen, weil hier die Skinhead-Bewegung von den Rechtsradikalen dominiert wird. In England ist das überhaupt nicht so, da gibt es nicht die geringsten Irritationen.

Zum Berliner CSD 2001 unter dem Motto „Wir stellen uns que(e)r gegen rechts!“ hat die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) eine Anzeigen- und Plakat-Aktion begonnen. Gleich zwei Aussagen will die DAH damit transportieren:71
70

Blazek, Helmut und Ingo Taubhorn: Böse Buben? Schwule Skinheads prägen das neue Bild der Szene in: outline 8/2000, S. 29 – 37; Interview mit André „Abgeschnittene Haare können nicht unordentlich sein“ auf S. 37 71 http://www.aidshilfe.de/dah/aktuelles/termine/csd.htm

Mit großflächigen Plakatmotiven auf unserem Wagen stellen wir uns gegen Ausgrenzung – und zwar auch innerhalb der schwulen Szenen. Denn nicht nur in der Gesamtgesellschaft werden bestimmte Gruppen (z.B. die Schwulen) an den Rand gedrängt, sondern auch in den ausgegrenzten Gruppen selbst: Hier sind es dann z.B. die „Tunten", „Alten", „Dicken"?" Oder eben die schwulen Skins, die „linker“ stehen, als mancher in der schwulen Szene vermuten mag: Die Glatze auf dem DAH-Plakat heißt Torsten und erklärte bereits ein Jahr zuvor, in der outline-Tietelgeschichte zu seinem Umgang mit Fascho-Glatzen befragt: „Mit denen habe ich nichts zu tun!“

Es gibt in der Kulturgeschichte der Nachkriegszeit keine „Jugend-Szene“, die sich so hartnäckig hält, daß man glauben muß, hier hat sich tatsächlich eine Jugendkultur etabliert. Die Skinhead-Kultur hat ihren dreißigsten Geburtstag längst hinter sich, fasziniert offenbar immer noch Jugendliche und junge Erwachsene und ist eine Alternative zum jugendlichen und überwiegend konsumorientierten Mainstream. Damit hat sie viel mit Punk gemeinsam, teilt aber nicht seinen Zukunftspessimismus, sondern sucht in einer schnellebigen Ellenbogengesellschaft nach verlorengegangenem Zusammenhalt untereinander: Skinheads sind keine Sozialverweigerer oder willige Nutznießer von Wohlfahrtssystemen! Im Gegenteil: Die beinahe religiöse Verehrung der proletarischen Herkunft des Kultes zeugt von einem Leitbild, in dem Ehre, Treue und Stolz das Handeln leiten. Es ist fatal, in welche politische Nähe sich insbesondere deutsche Skinheads damit begeben. Sind Ehre, Treue und Stolz denn nach der Zeit des Nationalsozialismus überhaupt legitime Gefühle und politisch korrekte Leitmotive? Die Nationalstolz-Debatte der vergangenen Monate in der gesamten deutschen Öffentlichkeit im Jahre 10 nach der Wiedervereinigung zeugt von Verunsicherung, wenn Bundespräsident Rau mit „Ich bin froh, ein Deutscher zu sein“ versucht, zwischen Stolz-Gegenern und Befürworter auszugleichen. Daß unsere europäischen Nachbarn mit einem sehr viel unverkrampfteren Nationalbewußtsein dieser Debatte mit zum Teil belustigtem Kopfschütteln folgen, macht deutlich, wie „deutsch“ diese Diskussion ist und wie unflexibel weite Teile der Berliner Republik sind, klassische humanistische Werte nach zwölf Jahren grausamster Entartung wieder für sich anzunehmen – zwei Generationen später… Und so überrascht es auch nicht, daß selbsternannte „Gutmenschen“ sich das Recht herausnehmen, über andere zu urteilen: Das „linke Gewissen“ der Republik, die Berliner taz, bezeichnete in einer Rezension vom 23.10.00 zum Theaterstück „Death Valley Junction“ in den Berliner Volksbühnenstudios die Böhsen Onkelz als „berüchtigte rechtsradikale Band“. Die Vergangenheit der Onkelz ist definitiv rechtsradikal, was sich auch in früheren Songtexten eindeutig niederschlägt. Spätestens seit Ende der 80er Jahre aber distanzieren sich die Onkelz von rechtsradikalem Gedankengut und treten heute bei Veranstaltungen gegen rechte Gewalt auf. Einen Fürsprecher haben die Böhsen Onkelz aus Frankfurt am Main im Grünenpolitiker und „Alt-68er“ Daniel Cohn-Bendit gefunden, der der Band die Abkehr aus der rechten Ecke bescheinigt. In einer ersten Entscheidung des Landgerichts Berlin wurde dann auch der taz durch eine einstweilige Verfügung bei einem Streitwert von 50.000,- DM (25.564,59 ¤) untersagt, ihre Behauptung zu wiederholen. Das paßte der taz wiederum nicht,

die Rechtsmittel einlegte – in diesem Fall eine 28seitige Klageerwiderung. Das Berliner Landgericht entschied daraufhin am 15.5.01, daß es im Rahmen der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG der taz nicht verboten werden könne, die Onkelz weiterhin als „berüchtigte rechtsradikale Band“ zu bezeichnen. Das Hauptverfahren steht noch aus… Überhaupt ist die Musik in dieser Arbeit zu kurz gekommen – die Auseinandersetzung Böhse Onkelz ./. taz wirft bloß ein aktuelles Schlaglicht auf die Politisierung alternativer Musik. Kann eine Arbeit über die Geschichte des Skinhead-Kults überhaupt komplett sein, wenn sich der Autor über Bad Manners oder Skrewdriver, Kultbands vom einen wie anderen Flügel der Szene, ausschweigt? Eine historische Arbeit über eine Jugendkultur, die heute noch besteht und sich etabliert hat, kann gar nicht komplett sein. Und so verzeihe der Leser bitte, daß es dem Autor nicht gelungen ist, das musikalische Lebensgefühl des skinhead movements Szenefremden in wenigen Worten zu erklären. Doch auf eine ähnliche Kurzbeschreibung, wie sie der Verfassungsschutz in der Broschüre „Skinheads- Bands und Konzerte“ trifft, möchte der Autor verzichten:72 Skinhead-Musik ähnelt mit ihren harten und aggressiven Rhythmen in ihrer Ausdrucksform dem Hard Rock oder Heavy Metal. Zahlreiche Liedtexte rechtsextremistischer Skinhead-Bands drücken eine gewalttätige und menschenverachtende Einstellung aus. Die Lieder propagieren Rassismus, Antisemitismus sowie übersteigertes Nationalbewußtsein, oftmals glorifizieren sie den Nationalsozialismus. Häufig steht die Verherrlichung der nordischen Rasse im Vordergrund, z. T. ergänzt um den Aufruf zum Kampf für den Erhalt der „weißen Rasse". Der „Rock von rechts“ ist nur ein Aspekt der Skinhead-Musik – aber in der öffentlichen Wahrnehmung offenbar der einzige. Daß Ska-Festivals in Potsdam und Konzerte selbst im links-autonom geprägten Berlin-Kreuzberg friedlich über die Bühne des SO36 gehen, bleibt in der Berichterstattung der Medien – natürlich – unerwähnt. Und wundert es dann, daß 14jährige Baby-Skins auf der Suche nach ihrer Identität eben diesen Presseberichten Glauben schenken? Und warum wird in Deutschland zwar deutschsprachiger Rechtsrock, viel seltener aber englischsprachiger aus ganz Europa indiziert?73 Noch ein Thema bleibt der Autor schuldig: Wo sind denn eigentlich die Frauen? Die Statistik zeigt zwar,74 daß Mädchen und Frauen mit 12,7% unter den Skinheads deutlich unterrepräsentiert sind, doch die Reenees sind da! Seit Ende der ’80er finden auch immer mehr Mädchen Zugang zum Skinhead-Kult, doch einzig eine Buchveröffentlichung75 beschäftigt sich mit diesem Phänomen – mit einem antifaschistischen und emanzipiertem Blick nach rechts…

72 73

Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.): Skinheads – Bands und Konzerte, Köln 2000, S. 2 Im Literaturverzeichnis wird zum Thema „Rock von rechts“ weiterführende Literatur genannt. 74 vgl. Kap. 9.3.3 75 Bitzan, Renate: Rechte Frauen. Skingirls, Walküren und feine Damen, Berlin 1997

Ein Schluß wäre also in der Tat unangemessen, denn der Autor hat nicht den Eindruck, daß der Kult an Bedeutung verliert – im Gegenteil: Der Kult wird „erwachsen“ und die Skinheads werden älter, ohne dabei ihre Werte zu vergessen: Füreinander einzustehen, Grundsätzen treu zu bleiben und mit viel Spaß dieser Welt das Beste abzuringen – Kameradschaft im eigentliche Sinne und nicht durch eine völkische und rassistische Ideologie verfälscht, die diejenigen von Kameradschaft ausschließt, weil sie irgendwie anders sind… Über 25 Jahre hinweg hat sich der Skinheadkult in den Nebenstraße der Städte in aller Welt ausgebreitet. Er ist der stolzeste aller Jugendkulte, der beste aller Jugendkulte, der ultimative Jugendkult. […] Es liegt an den Skinheads von heute, den Fortbestand dieses Kultes sicherzustellen, indem sie sich den Stolz bewahren und für ihre Skinheadtraditionen kämpfen. Wichtig ist, daß wir um unser selbst Willen tun, nicht wegen irgendwelcher Außenstehenden, den Medien oder Politikern. Die kommen und gehen, aber die Starken und Wahrhaften überleben.76

Stay rude! Stay rebell! Stay sharp!

76

Marshall, George: Skinhead Nation, deutsche Übersetzung, Lockerbie 1998, S. 175

Oh, Jürgen, was hast du da bloß gesagt… Eigentlich bist du mir als überzeugter Querkopf in der deutschen Politikja liebgeworden und wer als grüner Bundesumweltminister Castor-Transporte verantworten muß, hat es sicher nicht leicht. Aber diese Entgleisung auf WDR 5 im Morgenecho des 12. März dieses Jahres – war das nötig? „Laurenz Meyer hat die Mentalität eines Skinheads und nicht nur das Aussehen!“ Na prima – woher weißt du eigentlich, wie es um die Mentalität eines Skinheads bestellt ist? Sicher, ich teile die Einschätzung, daß der CDUGeneralsekretär kein Feingeist ist, wenn er von sich behauptet: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!“ Aber dann das Klischee von der dumpfnationalistischen Glatze aus der Fundi-Antifa-Schublade aus Hannoveraner Tagen hervorzuzaubern? Also ich wähle bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr grün – bei mir hast du mit diesem Vergleich echt verschissen. Sorry… Es sei denn, du entschuldigst dich. Nicht bei Laurenz Meyer, daß hast du ja längst getan, sonst wärst du heute auch nicht mehr Minister. Nein: Bei den Tausenden von deutschen Skinheads, die sich ziemlich auf die Füße getreten fühlen. Da machen die Stahlkappen in den Stiefeln dann auch wieder Sinn. Ob ich denn stolz bin, ein Deutscher zu sein? Schließlich bin ich ja Skinhead, und nach deiner Begründung für den Meyer-Skinhead-Vergleich ist das die Kernaussage des deutschen skinhead way of life. Solange in der deutschen Politik mit Vorurteilen und nicht mit Fakten Meinung gemacht wird, kann ich nicht wirklich stolz sein. Ich wäre es gerne, denn was die Deutschen im Zuge der Wiedervereinigung in den letzten zwölf Jahren vollbracht haben, das ist schon anerkennenswert. Aber ist denn Stolz immer noch eine Frage der Nation? Ist Stolz nicht vielmehr ein ganz individuelles Gefühl, daß jeder empfindet, wenn er oder sie eine Leistung vollbracht hat? Da bin ich doch lieber stolz darauf, ein Europäer zu werden und laß Deutschtümelei und Volksgemeinschaft der Zukunft zugewandt hinter mir. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) jedenfalls ist den Skinheads gegenüber aufgeschlossener, vielleicht auch deswegen, weil sie ihm in seinem Wahlkreis Prenzlauer Berg ständig begegnen und sich das eine oder andere klärende Gespräch ergeben haben mag. Denn wer nicht in Dialog tritt, sondern überkommene Vorurteile ständig wiederholt, darf sich nicht wundern, irgendwann nicht mehr ernst genommen zu werden. Da macht es doch Mut, daß der Bundestagspräsident nicht ausschließen mag, daß ein Skinhead von heute in zwanzig Jahren Minister sein könnte… Sehr scharfsinnig…

Bild-Online: Abb. 3 Böhse Onkelz: Abb. 10 Brown, Mark Skanky: Cream of the crops: Abb. 5 Geilert, Boris (G.A.F.F.): Abb. 9 Gust, Dietmar: Abb. 11 Kauser, Andree: Abb. 12 Polhemus, Ted: Street Style, London 1994: Abb. 1, 2, 4, 6, 8 Privat: Abb. 7

(ohne Lexika, Periodika und Veröffentlichungen des Bundesamts für Verfassungsschutz) Annas, Max und Ralph Christoph (Hrsg.): Neue Soundtracks für den Volksempfänger. Nazirock, Jugendkultur und rechter Mainstream, Berlin 1993 Baacke, Dieter u.a. (Hrsg.): Rock von Rechts. Milieus, Hintergründe und Materialien, 1999 Bitzan, Renate: Rechte Frauen, Skingirls, Walküren und feine Damen, Berlin 1997 Blazek, Helmut: Männerbünde. Eine Geschichte von Faszination und Macht, Berlin 1999 Borchers, Andreas: Neue Nazis im Osten, Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit, München, 1992. Brown, Mark Skanky: Cream of the crops – A Skinhead Photobook, Ibiza 1997 Clark, John (Hrsg.): Jugendkultur als Widerstand. Milieus, Rituale, Provokationen, Franfurt/M. 1979 Farin, Klaus: Die Skins. Mythos und Realität, Berlin 1997 Farin, Klaus (Hrsg.): Skinhead – A Way Of Life: Eine Jugendbewegung stellt sich selbst dar, Bad Tölz 1999 Farin, Klaus und Eberhard Seidel-Pielen: Skinheads, München 1993 Farin, Klaus und Eberhard Seidel-Pielen: Rechtsruck. Rassismus im neuen Deutschland, Berlin 1992 Heinemann, Karl-Heinz (Hrsg.): Der antifaschistische Staat entläßt seine Kinder. Jugend und Rechtsextremismus in Ostdeutschland, Köln 1992 Lau, Thomas: Die heiligen Narren... Punk 1976 – 1986, Berlin 1992 Marshall, George: Spirit Of ’69. Eine Skinhead Bibel, deutsche Übersetzung, Lockerbie 1993 Marshall, George: Skinhead Nation, deutsche Übersetzung, Lockerbie 1998 Mecklenburg, Jens (Hrsg.): Handbuch deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996 Night, Nick: Skinhead, London 1982 Press-Lausitz, Ulf u.a.: Kriegskinder, Konsumkinder, Kriesenkinder. Zur Sozialisationsgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg, Weinheim 1983 Polhemus, Ted: Street Style. From Siedwalk To Catwalk, London 1994 Rohmann, Gabriele: Spaßkultur im Widerspruch. Skinheads in Berlin, Bad Tölz 1999 Schröder, Burkhard: Der V-Mann, Hamburg 1997 Schröder, Burkhard: Im Griff der rechten Szene. Ostdeutsche Städte in Angst, Reinbek 1997 Schröder, Burkhard: Rechte Kerle. Skinheads, Faschos, Hooligans, Reinbek 1992 Stark, Jürgen und Michael Kurzawa: Der große Schwindel? Punk – New Wave – Neue Welle, Frankfurt/M. 1981 Stock, Manfred und Phillip Mühlberg (Hrsg.): Die Szene von innen. Skinheads, Grufties, Heavy Metals, Punks, Berlin 1990 Stöss, Richard: Rechtsextremismus im vereinten Deutschland, Bonn 1999 Theweleit, Klaus: Männerphantasien, München 1993

Ich versichere gemäß § 13 (4) der Magister-Prüfungsordnung, daß ich die Magisterarbeit selständig verfaßt und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.

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...The Chisellers is a realist novel as it dwells on objective motives or themes. Themes such as drug abuse, homosexuality, persistence, poverty, religious tolerance, single motherhood et cetera all are applicable in the contemporary English society. The reality further manifests itself in how characters each approach different situations. Frankie Browne, who gets involved with skinheads, drugs and gangsters, end up dead respectively as wages of their misbehavior. Frankie Browne’s motivation to steal the Dublin papers was founded in his interest to ensure that his brother, Mark Brown, got his rightful share of the Wise inheritance. The theft of the Dublin papers can be said to have occurred, as it was the only evidence that Manny had to show that the read will was erroneous. Manny believed that the Dublin Papers would ensure that he got was rightfully his. Though the book does directly narrate or offer insight on how the Dublin Papers were stolen, it indirectly links them to Frank Browne. He is established as the thief in the final epilogue. “A dirty crumpled envelope upon which was written Dublin Papers “was found in Frank’s pockets as he lay dead in Chelsea”(O'Carroll 190). The link is further drawn from the author’s assertion that Agnes Browne’s children stood for each other despite their differences. “If you take on one of the Agnes Browne’s children, you take on them all, wherever they are” ” (O’Carroll 190). This serves to show that the Browne family always stood by each...

Words: 368 - Pages: 2

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This Is England - Essay

...something, and as Shaun has missed that for a long time he grasp the chance. Woody, the leader, has an old friend who has been in prison, and while there the friend (Combo) has developed a very nationalistic attitude, almost racist. Shaun gets more and more caught up in this skinhead lifestyle and goes with his new friends to a EDL (English Defence League) meeting. From the old group of friends a black male nicknamed Milky one day sells Pot to the Skinheads/Combo, and eventually Combo cracks and goes crazy on Milky almost beating Milky to death.¨ This is when Shaun sees the error of his way and goes to the seaside and trows the English flag into the ocean.   Characterisation of Shaun: Shaun is a 12 year old boy. His father died in the Falklands war in 1982 and he therefore lives alone with his mother. He is severely bullied in school by other students and jokes about his father are cruelly used to torment him. He has no real friends and he is therefore easier persuaded to join the skinheads. After joining this new group of people he visibly starts to change, he gets all his hair shaved off his head, he wears proper shirts, and he gets some new military-like purple shoes. Shaun joins a more extreme skinhead group lead by Combo, Shaun seems to be somewhat more happy in this environment. He is content with the way things are going until Combo goes crazy one night after smoking pot, and he starts beating up one of Shaun's friends, the...

Words: 601 - Pages: 3

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"This Is England" Analysis

...Analysis of This is England Introduction I’ve chosen to focus on how the genders are portrayed in the movie. Background In the movie you get to follow a 12 year old boy named Shaun. The movie starts with Shaun getting into a fight with one of his classmates for joking about Shaun’s father’s death. On the way home Shaun comes across Woody and his group of skinheads, who feels sympathy for Shaun and invites him to the group. But after a while Combo, an older skinhead returns to the group after his prison sentence. Combo starts to express English nationalist and racist views, and attempts to enforce his leadership over the others. This leads to the group splitting up and Shaun joins Combo’s side. Shaun gets to follow Combo and his group to white nationalist meeting and the gang engages in racist hatred among the immigrants around the area. At some point Combo decides the he should try to get together with Lol which he’s loved for years, but she rejects him and to calm himself Combo buys some weed from a black guy named Milky, who was part of the old gang. Combo invites Milky to a party where Milky proceeds to tell about himself and his family. Combo who listens with increasing jealousy end up beating Milky into a coma while the group hold down Shaun who watches in horror, Combo realizes what he has done and him and Shaun are shown crying and panicking whilst dragging Milky to a nearby hospital. The Movie cuts forward to Shaun in his room crying about the whole...

Words: 521 - Pages: 3

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Me and Dave and Mount Olympus

...Michel Faber Me and Dave and Mount Olympus (2006) I lived through the 1980s, but was not touched by them. They might as well have been the 1880s, for all the notice I took of the defining characteristics of the decade. I didn’t own a wide-shouldered jacket with rolled-up sleeves, a double-breasted suit, or indeed any item of clothing that cost more than a pot plant. I dressed myself from charity shops, right down to the socks and underpants. I didn’t own a watch or a television, got around by bicycle, cut my own hair, and was not acquainted with any person who owned albums by Billy Joel, Bruce Springsteen, Sade or Spandau Ballet. (Maybe it was because the few friends I had were lesbians.) The prospect of buying that newfangled invention, a CD) player, was as remote as investing in a Picasso. A high-flying career in the corporate sphere, or a steady job of any kind, held no attraction for me. Who needs money when so much of the food in supermarkets is exactly the right shape to fit down the front of one’s trousers, hidden by a loose jumper? Who needs status when one is an Artist, already living on Mount Olympus? At the dawn of the 1980s, my first wife and I were in fact living in Fitzroy, a shabby inner suburb of Melbourne, Australia. Both of us were writers, misfits, snobs. In the grand intellectual tradition of Wyndham Lewis, Sylvia Plath, TS Eliot et al, we detested the common horde - lowbrow Philistines, the lot of them! We lurked in our tiny student flat, reading Four...

Words: 2598 - Pages: 11

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Review of This Is England

...That Was England Review by anon It is 1983, and England’s youth culture is filled with mods, new-romantics and skinheads. It is the start of the summer holidays for a 12-year-old boy named Shaun, who lives with his widowed mom. His dad, an army officer, died in the Falklands war. One day while he is walking home from the last day of school, where people have been picking on him all day for wearing flares, he stumbles upon a group of young, and surprisingly kind, skinheads. The leader, Woody, takes pity on young Shaun, and the skinheads take Shaun under their wings. There, a life of girls, parties, Ben Sherman shirts, Doc Martin boots and shaven hairstyles starts for young Shaun. All is good and well until one of Woody’s friends, Combo, turns up, fresh out of 3 years’ imprisonment. Combo soon creates tension in their little group and Shaun finds himself at some of his first major life decisions. Overall, I found the movie really interesting. It had fascinating, complex characters, and you had to read between the lines to fully understand some of them. The plot itself was compelling although a bit fast paced, but that is to be expected when you have to tell a story like that in under two hours. It was interesting to get a glimpse into the skinhead culture of England during the 80's, and get to see how Margaret Thatcher's politicsadivided the nation. The film crew behind ‘This is England’ captured the mood/atmosphere/feeling of the 80’s excellently with their rough editing, grainy...

Words: 590 - Pages: 3

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Review of "This Is England"

...Review of “This is England”, directed and written by Shane Meadows “This is England”, centers on the young skinheads in England, in the year 1983. Summary: It is a story about the 12-year-old boy Shaun who is getting bullied in school. He does not have any friends and his father is dead, so it is only his mother and himself. Walking home from school one day, he meets a group of young people under the bridge. They are all skinheads, wearing Doctor Marten boots, shaving their heads and with their Ben Sherman shirts. Woody, who is the leader of the group, sees how sad Shaun is and invites him to join the group, among them Milky is the obly black skinhead in the group. Everyone accepts Shaun as a member, except Tubb who feels that Shaun is taking his place. But soon after the problem is solved between them and Shaun feels better than ever between his new friends, also the older girl Smell he feels attracted to. Then the older skinhead named Combo, with racist views, returns to the group after a prison sentence, together with two friends. He tries to take the leadership of the group from Woody, which leads to a rift. Woody stays leader of the apolitical group, whilst Combo becomes leader of the new political group. Combo likes Shaun and identifies with him, who in turn sees Combo as a role model. They go to a White Nationalist meeting and on their way back, a member gets thrown out because of his doubt over the group’s racist and national politics. After being rejected by...

Words: 925 - Pages: 4

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Managerial Accounting

...Essay People say you learn things from movies, American History X is a prime example for opening other’s eyes to life lessons. Life is too short to hate everyone for no reason. Our life expectancy is very short for human beings to hate so much. Be kind and loving. Those qualities will always be remembered. Hate can change the person you used to be. American History X was played in theatres back in 1998. Started Edward Norton, and Edward Furlong, two famous actors that were in popular movies as well. Edward Norton played in Fight Club and Edward Furlong played in Terminator 2. Like Danny Vinyard says “Hate is baggage, lives too short to be pissed off all the time.”Derek Vinyard used to be a straight-A student until he became part of the skinheads and a leader of the white supremacists in his hometown. But what influenced his change was his father’s death. Derek once said to a news reporter about his father’s death, “Yeah its race related! Every problem in this country is race related not just crime. It's like… immigration, AIDS, welfare those are problems in them. The Black community, the Hispanic community, the Asian community, they're not white problems.” Danny Vinyard, a 14 year old boy who was the younger brother of Derek Vinyard, who soon became corrupted. He had a great future ahead of him until he wanted to become like his big brother. Like any other younger sibling, right? So he soon developed that skinhead mentality and a very negative attitude in just a matter of...

Words: 1488 - Pages: 6

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American History X

...Alexis Franciscotty 04/02/2015 SOC 2100 American History X American History X is an interesting and complex film with many eye opening events. The writers of the film lead the viewer to see where racism begins at its’ source, in an individual’s upbringing. The film tells the story of Derek Vinyard through his younger brother Danny Vinyard’s narration. The story takes place in Venice Beach, California, and shows how the brothers become swept up in the neo-Nazi gang movement. Derek is first drawn into the racist underground after their father, a firefighter who was also racist, is killed by an African-American drug dealer while trying to put out a fire in a South Central neighborhood. Derek finds his place with the neo-Nazi skinheads because they create an environment where Derek feels welcome and part of something bigger and more powerful than himself. It was then that Derek’s racism grew from feelings to actions. Derek murders two African-American Crip gang members trying to steal his truck and is sent to prison. The film follows Danny’s influence by his older brother's actions and thoughts, as well as how Derek, now enlightened by his experience in prison, tries to prevent his brother from going down the same road he did. The film is full of gore, violence, and makes the message clear that hate will only lead to more hate, but it also portrays how one person’s influence and actions direct others in the same capacity. Derek’s father’s views, in theory, are what let Derek...

Words: 862 - Pages: 4

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Histography

...Historiography It is the study of the history and methodology of the discipline of history. The term historiography also denotes a body of historical work on a specialized topic. Scholars discuss historiography topically – such as the “historiography of Catholicism,” the “historiography of early Islam,” or the “historiography of China" – as well as specific approaches such as political history and social history. Beginning in the nineteenth century, at the ascent of academic history, a corpus of historiography literature developed. Furay and Salevouris (1988) define historiography as "the study of the way history has been and is written — the history of historical writing... When you study 'historiography' you do not study the events of the past directly, but the changing interpretations of those events in the works of individual historians." Questions studied Some of the common questions of historiography are: 1. Reliability of the sources used, in terms of authorship, credibility of the author, and the authenticity or corruption of the text. (See also source criticism). 2. Historiographical tradition or framework. Every historian uses one (or more) historiographical traditions, for example Marxist, Annales School, "total history", or political history. The historiography of early Islam refers to the study of the early origins of Islam based on a critical analysis, evaluation, and examination of authentic primary source materials and the organization of these sources into...

Words: 985 - Pages: 4

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Neoliberalism

...() from other countries. Therefore in terms of America’s identity historically, politically, economically and socially, these should be understood differently because America was created differently. Hence why the idea of American exceptionalism’ stems from the principle of America being unique. Furthermore, In addition to this the idea that “American exceptionalism” implies superiority is a key concept to embrace and identify through out America history, contemporary politics, foreign policy and social culture. However, due to the essay title I will be analyzing and examining to what extent is “American exceptionalism’ identified as U.S superiority. Although due to the wide context of the theoretical term ‘American exceptionalism’’ and word limit. I will focus on the significant impacts that has led to the idea of ‘American exceptionalism’ to be implied as U.S superiority such as American history, foreign policy, economic and social culture. History Explaination The significant impact of America’s revolutionary history sparked an inspirational movement of independency to pervious colonized nations although on a later stages for them. This highlights America as exceptional historically in being “the first new nation” () to become independent and also being the ideology for independency for previous colonies nations. To an extent on this note “American exceptionalism” in terms of it’s revolutionary independency can be amplified as a model to other nations than...

Words: 1276 - Pages: 6