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Die Sache Mit Dem Schwein

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Submitted By cursemegood
Words 1187
Pages 5
Die Sache mit dem Schwein

„Die Deutschen haben mein Schwein gestohlen“, sagte der alte Nachbar.
„Sie sind aus den Bergen gekommen. Mitten in der Nacht haben sie an die Tür geklopft, und ich habe aufgemacht. Sie haben gesagt, dass sie nur etwas trinken wollen, und ich habe sie hereingelassen. Sie haben meinen Wein getrunken, und dann haben sie das Schwein gesehen und haben es einfach mitgenommen.“
„Aber Gino“, sagte Leonardo und klopfte ihm auf die Schulter, „das ist vor vielen Jahren gewesen. Das war doch im Krieg.“ „Ich weiß, ich weiß“, nickte der Alte, „aber ich kann die Geschichte nicht vergessen.“
Cristina stellte den Topf auf den Tisch. Wieder dieser wunderbare Duft nach Knoblauch und Kräutern. Sie lächelte. Sie wusste, wie sehr ich ihre Pasta liebte.
Wir begannen zu essen, und Leonardo nahm sein Glas.
„Prost“, sagte er, „ein Prost auf die Köchin und...“ er sah zu Gino und dann zu mir, „...ein Prost auf unsere Freundschaft.“ Gino zögerte, aber schließlich nahm auch er sein Glas.
„Cin Cin“, sagte er leise, ohne uns anzusehen. Dann stellte er das Glas wieder auf den Tisch, ohne zu trinken.
Leonardo bemerkte es und zwinkerte mir zu.
Dann sprach er von dem Ausflug, den wir nachmittags vorhatten. Ein Spaziergang auf dem Monte Cucco, und dann ein Besuch bei Cristinas Eltern, Luisa und Domenico, die nicht weit von dort wohnten. Ich hatte auf ihrem Bauernhof einmal ein paar Tage verbracht und freute mich darauf, sie wiederzusehen.
Cristina und Leonardo waren wie immer großartig. Wir kannten uns jetzt seit fast zehn Jahren. Sie hatten mich schon oft in Augsburg besucht, und ich war fast jeden Sommer zu ihnen nach Italien gekommen. Ich genoss ihre herzliche Gastfreundschaft, unsere Gespräche auf dieser wunderbaren Terrasse, Leonardos Leidenschaft für die deutsche Sprache und Literatur.
Auch diesmal war es wieder eine herrliche Zeit gewesen, und wie immer war sie viel zu schnell vergangen. Am nächsten Tag musste ich schon wieder abreisen.
„Gino“, sagte Leonardo schließlich, „warum kommst du nicht einfach mit? Luisa und Domenico würden sich freuen!“
Gino schüttelte den Kopf und stand langsam auf.
„Nein, danke“, sagte er, „sehr nett, aber ich habe noch zu tun.“ Er sah zu Cristina. „Vielen Dank für das Essen.“
Ein kurzer Blick in die Runde. „Ciau tutti.“
Nach dem Kaffee fuhren wir los. Cristina blieb zu Hause. Sie wollte noch das Brot backen, das sie mir jedes Jahr zum Abschied mitgab.
Durch das offene Autofenster betrachtete ich schweigend diese bizarren kargen Berge, die so typisch für Umbrien sind. Dabei ging mir Ginos Geschichte nicht aus dem Kopf. Auch Leonardo sagte eine Weile nichts. Schließlich sah er zu mir herüber. Er kannte mich gut genug, um zu wissen, worüber ich nachdachte. „Denk dir nichts“, sagte er plötzlich, „Gino meint das nicht so. Er ist dir nicht böse. Er weiß selbst, dass du nichts dafür kannst. Als ich ihm erzählt habe, dass du aus Deutschland kommst, hat er sich an die Sache erinnert. Wahrscheinlich war es das erste und letzte Mal, dass er mit Deutschen zu tun hatte. Deshalb ist es das Einzige, was ihm zu Deutschland einfällt.“
Ich nickte.
„Ich weiß, ich weiß. Trotzdem, wenn man so etwas hört, möchte man etwas tun, damit es außer dieser einen Geschichte auch noch eine andere gibt.“
Leonardo lächelte.
„Ich verstehe. Außerdem - Gino ist ein prima Kerl.“
„Er ist euer Nachbar, nicht wahr?“
„Ja, er wohnt auf dem kleinen Hof, den man von der Terrasse aus sieht, auf der anderen Seite des Baches. Er hat zwei, drei Felder, ein paar Hühner und einen Gemüsegarten. Das ist alles.“
Den ganzen Nachmittag ging mir die Sache nicht aus dem Kopf.
Wir machten eine schöne kleine Wanderung auf dem Monte Cucco. Die Aussicht war großartig, sogar das Meer konnte man am Horizont erkennen. Wir redeten nicht viel. Das war auch nicht nötig, jeder machte sich so seine Gedanken. Es war wieder viel passiert in den letzten Tagen, und nun war der Sommer zu Ende. Morgen würde ich schon wieder ganz woanders sein, und Leonardo musste nächste Woche wieder in seiner Schule in Jesi unterrichten.
Aber vorher wollte ich noch diese Angelegenheit mit Gino erledigen.
Mit Cristinas Eltern gab es ein freudiges Wiedersehen. Domenico führte mich zur Begrüßung gleich in die ,Cantina‘, seinen kleinen Weinkeller, während Luisa und Leonardo schon in das Wohnhaus gingen.
„Bissle trinken“, sagte er in seinem Deutsch, das er vor dreißig Jahren als Gastarbeiter in Stuttgart gelernt hatte, und schenkte ein.
Nach der Weinprobe drehten wir eine kleine Runde. Domenico wusste, wie gerne ich mich auf dem Hof umsah: die Tiere im Stall, die Pferde auf der Wiese, der Obstgarten und schließlich der Schuppen mit den alten Weinfässern.
Und plötzlich fiel es mir ein.
Eigentlich wollte ich zuerst mit Leonardo sprechen. Aber dann dachte ich, nein, auch für ihn und Cristina soll es eine Überraschung sein.
Ich erklärte Domenico, worum es ging.
Er nickte. Er fand die Idee gut.
„Brauchst du noch etwas für deine Rückreise?“, fragte Leonardo, als wir in die Küche kamen. „Sollen wir noch in Fabriano vorbeifahren?“
„Ach nein“, antwortete ich, „lass uns nach Hause fahren. Domenico will mir nachher noch etwas bringen, etwas für Gino, nicht wahr Domenico?“
Domenico nickte. Es machte ihm Spaß, mein Komplize zu sein. „So, so, und was habt ihr euch ausgedacht?“, wollte Leonardo wissen.
„Lass dich überraschen!“
„Schön“, sagte Leonardo schmunzelnd, „da bin ich ja gespannt. Aber nicht zu spät, Gino geht immer früh schlafen.“
Es war doch spät, als es endlich klingelte. Domenico stand in der Tür und zeigte auf die Kiste hinten in seinem Jeep.
„Sogar schön verpackt“, grinste er. „Kommt, steigt ein!“
Cristina und Leonardo hatten immer noch keine Ahnung. Plötzlich hörte man hinten in der Kiste ein Geräusch. Wir begannen alle gleichzeitig zu lachen.
„Dass ich da nicht schon früher drauf gekommen bin!“, wunderte sich Leonardo.
Bei Gino war es schon dunkel. Wir mussten zweimal klingeln. Dann endlich Schritte, Licht auf dem Korridor. Schließlich öffnete sich die Tür.

Gino erkannte seine Nachbarn nicht sofort.
„Was ist los?“, fragte er misstrauisch.
„Entschuldige“, sagte Leonardo, „es ist schon spät, aber unser deutscher Freund fährt morgen wieder und wollte dir vorher noch etwas geben.“
Erst jetzt sah mich Gino. Er kniff die Augen zusammen.
„Etwas geben? Was denn?“
„Mhm...“ Ich zögerte.
Gino zuckte mit den Schultern und ließ uns hinein.
Wir stellten die Kiste auf den großen Tisch in der Küche.
Gino sah uns zu, ohne sich zu rühren.
„Na mach schon“, sagte Leonardo, „schau rein. Es ist für dich. Ein kleines Geschenk, weiter nichts.“
Noch einmal zuckte Gino mit den Schultern.
„Wie du meinst“, brummte er.
Zögernd öffnete er die Kiste ein Stück und sah dann misstrauisch hinein.
Langsam, ganz langsam erhellte sich seine Miene. Ein Lächeln ging über sein Gesicht.
„Aber das ist ja...“
Ein Blick in die Runde. Er suchte nach Worten.
„Na“, half ihm Leonardo, „bekommen wir noch was zu trinken?“
„Natürlich“, sagte Gino schnell, griff nach den Gläsern hinter sich im Regal und schenkte aus der Flasche ein, die auf dem Tisch stand.
„Prost!“, sagte Leonardo. „Auf das neue Schweinchen - und auf unsere Freundschaft!“
„Cin Cin“, sagte Gino leise, blickte kurz zu mir herüber, und diesmal trank auch er.

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