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Lover

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Submitted By maomaomao911
Words 42040
Pages 169
Der Fluß der Abenteuer

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Vier kranke Kinder
„Armer Polly!“ ertönte es klagend vor der Schlafzimmertür. „Armer Polly! Putz dir die Nase.“ Dann hörte man einen trockenen Husten, und darauf war es eine Weile still, als warte jemand auf Antwort.
Jack richtete sich auf und sah zu dem anderen Bett hinüber. „Philipp, darf ich Kiki reinlassen? Seine Stimme klingt so traurig.“
„Wenn er nicht zu viel Krach macht, kann er meinetwegen reinkommen. Jetzt tut mir der Kopf nicht mehr so furchtbar weh.“
Jack stieg aus dem Bett und stakste etwas unsicher zur
Tür. Die Kinder hatten Grippe gehabt und fühlten sich noch sehr schwach. Philipp war besonders schwer krank gewesen. Er hatte den lebhaften Papagei Kiki nicht im
Zimmer ertragen können. So tierlieb er auch war, hätte er ihm am liebsten Pantoffeln, Bücher oder was sonst noch greifbar war an den Kopf geworfen.
Jetzt watschelte Kiki mit gesenktem Kopf ins Zimmer.
„Komm rein, mein armer Kerl“, sagte Jack mitleidig, und sofort flog ihm der Papagei auf die Schulter. „Du verstehst es natürlich nicht, warum wir dich rausgeschmissen haben. Aber wenn einem fast der Kopf zerspringt, ist Lärm nicht gerade angenehm. Philipp ist fast verrückt geworden, als du neulich den spuckenden Motor nachmachtest.“
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„Hör bloß auf!“ Philipp schauderte in Erinnerung an den entsetzlichen Lärm. „Ich glaube, ich werde nie mehr über
Kiki lachen können.“ Er hustete und zog sein Taschentuch unter dem Kopfkissen hervor.
Kiki hustete ebenfalls, aber nur gedämpft. Jack lächelte. „Tu nicht so, als ob du auch Grippe hättest, Kiki. Das glaubt dir doch keiner.“
„Grippe“, wiederholte Kiki. „Grippe! Wisch dir die Grippe ab!“ Dann lachte er leise.
„Hör mal, Kiki, wir sind noch nicht gesund genug für deine Witze.“ Jack stieg wieder ins Bett. „Am Krankenlager spricht man leise und macht ein mitleidiges Gesicht.
Merk dir das!“
„Armer Polly!“ krächzte Kiki, kuschelte sich neben Jack und seufzte tief.
„O Kiki, puste mir nicht in den Hals! So traurig kenn' ich dich ja gar nicht. Warte nur, bald stehen wir auf. Heute geht es uns schon besser. Dina und Lucy haben auch kein Fieber mehr. Tante Allie wird froh sein, wenn wir wieder alle gesund sind. Vier Kranke zu betreuen, war bestimmt keine Kleinigkeit für sie.“
In diesem Augenblick öffnete sich leise die Tür, und
Frau Cunningham guckte ins Zimmer. „Ach, ihr seid wach! Wie geht es euch? Wollt ihr noch etwas Zitronensaft haben?“
„Nein, danke“, antwortete Jack. „Weißt du, was ich schrecklich gern haben möchte, Tante Allie? Ein gekochtes Ei und ein Butterbrot. Soeben, ganz plötzlich, ist mir eingefallen, daß ich nichts auf der Welt lieber haben möchte.“ 4

Frau Cunningham lachte. „Das ist ein gutes Zeichen.
Willst du auch ein Ei haben, Philipp?“
„Nein, danke, ich möchte nichts essen.“
„Armer Junge!“ rief Kiki, sah zu Philipp hinüber und lachte gackernd.
„Halt den Schnabel!“ sagte Philipp. „Über Kranke macht man sich nicht lustig. Wenn du zu viel sprichst, fliegst du aus dem Zimmer.“
Jack gab dem Papagei einen Klaps auf den Schnabel.
Kiki zog den Kopf ein und schwieg. Auf keinen Fall wollte er wieder von seinem geliebten Herrn getrennt werden.
„Wie geht es Lucy und Dina?“ fragte Jack.
„Viel besser als euch“, antwortete Frau Cunningham.
„Sie spielen Karten, und ich soll euch fragen, ob sie nachher zu euch kommen können.“
„Meinetwegen gern. Aber Philipp wird es nicht wollen, nicht wahr, Philipp?“
„Mal sehen“, antwortete Philipp mürrisch. „Ich hab' eigentlich zu nichts Lust.“
„Laß gut sein, Philipp“, sagte seine Mutter tröstend.
„Morgen wirst du dich schon besser fühlen.“
Und wirklich, am nächsten Abend war Philipp wieder ganz munter, und Kiki durfte schwatzen und krächzen, so viel er wollte. Als er jedoch einen Schnellzug nachmachte, der durch einen Tunnel rast, kam Frau Cunningham sofort die Treppe herauf. „Nein, Kiki, solchen Lärm darfst du im Haus nicht machen! Das kann ich nicht ertragen.“
Dina sah ihre Mutter prüfend an. „Arme Mutter! Du hast es nicht leicht mit uns Vieren gehabt. Du siehst so blaß aus. Wirst du etwa auch noch krank?“

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„Ach wo! Ich bin nur etwas abgehetzt vom vielen Hinund Herlaufen. Aber nun werdet ihr ja bald aufstehen.
Und dann geht's wieder in die Schule.“
Die vier Kinder stöhnten, und auch Kiki stieß einen lauten Seufzer aus.
„Schule!“ rief Jack. „Warum mußt du jetzt davon anfangen, Tante Allie? Ich mag es gar nicht, in die Schule zu kommen, wenn das Semester schon angefangen hat. Alle andern haben sich eingelebt und wissen Bescheid. Bloß man selber weiß nichts und kommt sich wie ein Neuer vor.“ „Na, das werdet ihr auch noch überleben.“ Frau Cunningham lachte. „Ich gehe wieder hinunter. Laßt Kiki bitte keine Flugzeuge, Expreßzüge oder Rasenmäher nachmachen.“
Nachdem sie gegangen war, wandte sich Jack mit ernster Miene an Kiki. „Hast du gehört? Benimm dich anständig!“
„Mutter sieht ziemlich elend aus“, meinte Philipp, während er die Karten verteilte. „Hoffentlich kann Bill mit ihr verreisen, wenn er zurückkommt.“
Dina nahm ihre Karten auf. „Wo steckt Bill eigentlich?
Er hat schon lange nichts von sich hören lassen.“
„Sicherlich hat er wieder einen geheimen Auftrag der
Regierung“, antwortete Philipp. „Ich glaube, Mutter weiß immer, wo er sich befindet, aber außer ihr weiß es keiner.
Paßt auf, eines Tages wird er wieder ganz plötzlich hier auftauchen.“ Bill Cunningham und die Mutter von Dina und Philipp, die ihren Vater vor vielen Jahren verloren hatten, waren noch nicht lange verheiratet. Sie hatten Jack und Lucy an
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Kindes Statt angenommen. Die Geschwister waren elternlos und hatten Frau Cunningham schon immer als ihre Tante angesehen. Alle Kinder liebten den klugen und energischen Bill, den sein Beruf oft in Gefahren verwikkelte.
„Hoffentlich kommt Bill zurück, ehe wir wieder zur
Schule müssen!“ sagte Jack. „Er war ja schon ewig nicht zu Hause. Jetzt haben wir bald Oktober, und Anfang
September ist er fortgefahren.“
„Als alter Mann verkleidet“, fiel Lucy ein. „Ich konnte mir zuerst gar nicht denken, was der Alte mit dem grauen
Haar bei Tante Allie wollte.“
„Er hatte eine Perücke auf“, sagte Philipp. „Los, Dina, du bist dran! Hast du nun den König, oder hast du ihn nicht?“ Dina spielte eine Karte aus. „Wollen wir nicht das Radio anstellen? Ich möchte gern etwas hören. Kannst du es schon vertragen, Philipp?“
„Natürlich! Ihr braucht mich nicht mehr zu bemitleiden, ich bin wieder ganz gesund. Wenn ich daran zurückdenke, wie elend mir eine Zeitlang zumute war, schäme ich mich fast. Ich hätte immerfort heulen können.“
„Einmal hast du auch geheult“, sagte Jack. „Es sah komisch aus.“
„Erzähl doch keine Märchen!“ Philipps Stimme klang böse. „Dina, das Radio ist nicht richtig eingestellt. Laß mich das machen. Ihr Mädels versteht so was nicht. Hörst du nicht, Dina? Du sollst mich das Radio einstellen lassen!“
„Man merkt, daß du wieder gesund bist“, sagte Jack, der schon befürchtete, daß, wie so oft, ein Streit zwischen
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den Geschwistern aufflammen könnte. „Jetzt hast du den
Sender klar, Philipp. Aha, es ist ein lustiges Stück über einen Einbruch. Hört mal zu!“
Das Stück war wirklich sehr lustig. Frau Cunningham, die sich unten ein wenig hingelegt hatte, hörte das Gelächter der Kinder. Dann ertönte ein lautes, langgezogenes Pfeifen. Sie runzelte die Stirn. Wieder einmal Kiki!
Aber es war gar nicht Kiki, der da pfiff, sondern ein Polizist in dem Hörspiel ließ seine Trillerpfeife ertönen. Dann rief jemand „Polizei, Polizei!“, und wieder schrillte die
Pfeife.
„Polizei, Polizei!“ rief nun auch Kiki und stieß einen schrillen Pfiff aus. „Polizei, Polizei!“
„Halt den Schnabel, Kiki!“ sagte Jack. „Sonst kommt die Polizei wirklich. Hast du nicht gehört? Wenn du noch einmal ,Polizei' rufst, kommst du ganz unten ans Bett.“
Ehe Kiki etwas erwidern konnte, wurde laut an die Tür geklopft, so daß die Kinder vor Schreck erstarrten. Dann hörte man eine tiefe Stimme. „Wer ruft da nach der Polizei? Öffnet im Namen des Gesetzes!“
Mit großen Augen sahen die Kinder, wie sich die Tür langsam auftat. Was sollte das bedeuten? War wirklich
Polizei gekommen?
Nun erschien ein rundes rotes Gesicht in der Tür, ein lächelndes Gesicht mit lustig zwinkernden Augen, das die
Kinder gut kannten.
„Bill!“ riefen alle vier wie aus einem Mund, sprangen aus den Betten und liefen auf den großen kräftigen Mann zu. „Bill, da bist du ja endlich! Wir haben dich gar nicht kommen hören.“

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Ein nächtlicher Telefonanruf
Lachend kam Bill ins Zimmer und setzte sich auf Jacks
Bett. Kiki krächzte begeistert, flog ihm auf die Schulter und zog zärtlich an seinem Ohrläppchen. Auch Tante Allie kam herein und sah auf einmal ganz glücklich aus.
„Was muß ich hier von vier elenden Kranken hören?“
Bill legte seine Arme um die beiden Mädchen. „Jetzt ist aber Schluß mit dem Faulenzen im Bett, das sage ich euch!“ „Morgen nachmittag dürfen wir wieder aufstehen“, sagte Lucy. „Wo bist du nur so lange gewesen, Bill?“
„Das kann ich dir leider nicht verraten.“
„Du hast wohl wieder einen geheimen Auftrag gehabt“, meinte Dina. „Bleibst du jetzt mal für eine Weile zu Hause?“
„Wahrscheinlich. Es ist auch die allerhöchste Zeit, daß sich jemand um eure Mutter kümmert. Sie sieht ganz blaß und abgemagert aus. Warum mußtet ihr auch alle zusammen Grippe bekommen?“
„Das war wirklich rücksichtslos von uns“, entgegnete
Jack. „Und ausgerechnet warst du während unserer
Krankheit auch noch fort. Aber jetzt bist du ja da, und alles ist gut, nicht wahr, Tante Allie?“
Frau Cunningham nickte. „Ja, jetzt ist alles wieder gut.
Sagt mal, wollen wir nicht alle zusammen hier oben
Abendbrot essen und uns dabei mit Bill unterhalten?“
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Es wurde ein fröhlicher Abend. Kiki benahm sich drolliger als je und ließ immer wieder die Polizeipfeife ertönen, bis es selbst Bill zu viel wurde. Schließlich gab Jack ihm einen Klaps auf den Schnabel. „Sei jetzt endlich still, Kiki!“
Der Papagei flatterte gekränkt auf den Fußboden. „Armer Kiki!“ murmelte er vor sich hin und kroch unters Bett.
Dort entdeckte er einen Pantoffel und beschäftigte sich eine halbe Stunde damit, einen Knopf abzuhacken.
Inzwischen unterhielt sich die Familie lebhaft. Oft sprachen alle durcheinander, und es wurde viel gelacht. Die
Kinder waren selig und hatten die böse Grippe bald völlig vergessen. Aber um halb zehn wurde Lucy plötzlich ganz bleich und sank erschöpft aufs Bett.
Bill nahm sie erschrocken in die Arme. „Ihr seid zu lange aufgeblieben, Kinder. Nach der schweren Krankheit müßt ihr euch noch schonen. Komm, Lucy, ich trage dich in dein Bett.“
Am nächsten Tag war der Arzt sehr zufrieden mit seinen kleinen Patienten. „Die Kinder dürfen aufstehen“, sagte er, „müssen sich aber vorläufig noch jeden Tag nachmittags hinlegen.“
„Wann werden sie denn zur Schule gehen können,
Doktor?“ fragte Frau Cunningham.
„Noch nicht so bald. Ich möchte Ihnen dringend raten, sie vorher zur Erholung in eine warme sonnige Gegend zu schicken, sonst würden sie nach der schweren Grippe den ganzen Winter über krankem. Wird sich das einrichten lassen?“
„Ich werde sehen, was sich machen läßt“, antwortete
Bill. „Aber ich möchte nicht, daß meine Frau die Kinder begleitet. Sie ist selber erholungsbedürftig, und die vier
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Wildfänge würden ihr keine rechte Ruhe lassen. Nun, es wird sich schon eine Lösung finden.“
Der Arzt verabschiedete sich und versprach, in ein paar
Tagen wiederzukommen, um noch einmal nach den Kindern zu sehen.
Die Kinder freuten sich, daß sie noch nicht zur Schule zu gehen brauchten. Bill beriet mit seiner Frau, was am besten zu tun sei. „Morgen ist schon der erste Oktober“, sagte er bedenklich, „und die Wettervorhersage klingt auch nicht sehr ermutigend. Regen, Wind und Nebel! Wir haben wirklich kein angenehmes Klima. Die Kinder müßten ins Ausland fahren.“
„Ohne Begleitung können wir sie unmöglich ins Ausland schicken“, entgegnete seine Frau. „Vielleicht könnten sie an die Südküste fahren.“
Aber es kam alles ganz anders. In der nächsten Nacht wurden Bill und Frau Cunningham durch das Läuten des
Telefons geweckt. Auch Kiki, der im Zimmer der Jungen auf dem Kaminsims hockte, wachte auf. Leise, ohne die
Jungen zu wecken, machte er die Telefonglocke nach, stellte den Kamm auf und horchte. Bill sprach mit gedämpfter Stimme. Bald darauf ertönte ein kurzes Klingeln, er hatte den Hörer aufgelegt.
„Ping!“ machte Kiki. „Pingpong, ping!“ Dann steckte er den Kopf wieder unter das Gefieder und schlief ein. Auch die Kinder schliefen friedlich. Sie ahnten nicht, welche
Veränderung ihrer Reisepläne der nächtliche Telefonanruf mit sich bringen sollte.
Am nächsten Morgen kamen sie zum erstenmal seit langer Zeit wieder zum Frühstück herunter, und Lucy hatte sogar schon den Tisch gedeckt. Alle sahen noch
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recht blaß und elend aus, waren aber guter Dinge und freuten sich auf ihre Reise, obwohl der stille kleine Ort an der See, den die Eltern für sie ausgesucht hatten, nicht viel Abwechslung versprach.
„Wo ist Bill?“ fragte Dina. „Ich hab' ihn ja gar nicht wie sonst immer beim Rasieren pfeifen hören. Macht er einen
Morgenspaziergang?“
„Nein, er wurde mitten in der Nacht angerufen und mußte nach London fahren“, antwortete die Mutter bedrückt. „Man braucht ihn dringend in einer wichtigen Angelegenheit. Er meinte, daß er gegen elf zurück sein werde. Ich hoffe nur, daß er nicht wieder verreisen und wochenlang fortbleiben muß, nachdem er eben erst nach
Hause gekommen ist.“
Um halb elf kehrte Bill zurück und fuhr den Wagen in die Garage. Kaum trat er ins Haus, so bestürmten ihn die
Kinder und hängten sich an ihn. „Bill, wo bist du gewesen? Mußt du etwa wieder fort? Warum hat man dich in der Nacht angerufen?“
„Laßt mich los, ihr Kletten!“ Lachend befreite sich Bill von den Kindern, ging ins Wohnzimmer und machte die
Tür hinter sich zu.
„Ich wette, er hat wieder einen geheimen Auftrag bekommen“, sagte Jack. „Arme Tante Allie! Sie hatte sich so darauf gefreut, einmal mit ihm zusammen Ferien machen zu können.“
Eine halbe Stunde lang sprach Bill mit seiner Frau.
Dann öffnete er die Tür und rief die Kinder. Neugierig kamen sie ins Wohnzimmer, Kiki wie gewöhnlich auf Jacks
Schulter. Bill wartete, bis sie sich hingesetzt hatten, und sagte dann: „Also, Kinder, ich muß wieder einmal fort.“
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„O Bill, du bist doch eben erst zurückgekommen!“ rief
Lucy enttäuscht.
„Wohin fährst du denn diesmal?“ fragte Jack.
„Das weiß ich noch nicht genau. Kurz gesagt — und in strengem Vertrauen! — ich soll einen Mann beobachten, dem unsere Regierung nicht traut. Man weiß zwar nicht, was er im Schilde führt — vielleicht überhaupt nichts, aber man will sicher gehen. Deshalb soll ich dorthin fliegen, wo er sich im Augenblick aufhält, und Erkundigungen über ihn einziehen.“
„Wird das lange dauern?“ fragte Philipp.
Bill zuckte die Achseln. „Vielleicht ein paar Tage, vielleicht auch ein paar Wochen. Wichtig ist vor allem zweierlei: Erstens darf niemand erfahren, daß ich im Auftrage der Regierung reise. Und zweitens — sollt ihr alle mitkommen, weil es dort, wohin ich fahren muß, warm und sommerlich ist.“
Einen Augenblick herrschte überraschte Stille, doch dann brach ein wahres Getöse los. Lucy flog Bill um den
Hals. „Alle, hast du gesagt? Tante Allie auch? Oh, wie herrlich! Aber wie kommt es, daß du uns mitnehmen kannst?“ „Wie ich schon gesagt habe, darf niemand wissen, daß ich irgendwelche Nachforschungen anstelle. Deshalb fahre ich als Familienvater mit Kindern, die sich von einer schweren Krankheit erholen sollen. Dann wird kein
Mensch auf den Gedanken kommen, daß ich im Auftrag der Regierung reise.“
Die Kinder waren ganz aus dem Häuschen vor Freude.
Ferien im Ausland mit den Eltern! War etwas Schöneres

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denkbar? Lucy konnte es kaum fassen und hoffte nur, daß es kein Traum sei. Bill wurde mit Fragen bestürmt.
„Wohin fahren wir denn eigentlich? Werden wir in einem Hotel wohnen? Und was werden wir dort machen?
Ist die Reise gefährlich für dich?“
Bill hielt sich die Ohren zu und schüttelte den Kopf.
„Vorläufig kann ich euch nichts Näheres sagen. Ich weiß ja selber nur, was ich euch schon erzählt habe. Mein Vorschlag, euch als eine Art Tarnung mitzunehmen und den harmlosen Familienvater zu spielen, schien den hohen
Herren jedenfalls sehr zu gefallen. Alles andere überlasse ich ihnen. Aber die Sache muß streng geheim bleiben. Ihr dürft keinem Menschen etwas davon sagen.“
„Wir werden nur im Flüsterton davon sprechen“, versprach Lucy ernst. „Es soll ein ganz großes Geheimnis sein.“ „Geheimnis!“ krächzte Kiki und tanzte, von der allgemeinen Aufregung angesteckt, auf dem Tisch umher.
„Großes Geheimnis! Wisch dir die Füße ab! Putz das Geheimnis!“
„Wenn jemand etwas verrät, dann ist es Kiki“, sagte Bill lachend. „Kiki, kannst du denn niemals deinen Schnabel halten?“ Nein, das konnte Kiki nicht, aber die Kinder konnten es, und das wußte Bill. Nun stürmten sie nach oben, gingen in eine Bodenkammer und machten die Tür hinter sich zu.
„Eine Reise ins Ausland!“ rief Philipp aufgeregt. „Was für ein Glück, daß wir Grippe gehabt haben! Jetzt wollen wir mal alles durchsprechen. Aber leise, leise!“

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Flug ins Blaue
Nun folgten ein paar aufregende Tage. Immer wieder klingelte das Telefon, und Bill führte lange Gespräche.
Eines Abends hielt dann ein unauffälliges kleines Auto vor dem Haus. Drei Männer stiegen aus und gingen, wie verabredet, zur Hintertür. Bill öffnete ihnen. Dann rief er
Philipp und Jack herbei. „Setzt euch in den Wagen und haltet Wache! Niemand darf wissen, daß diese Herren bei mir sind. Ich glaube zwar nicht, daß jemand von ihrem
Besuch bei mir erfahren hat, aber man muß auf alles gefaßt sein.“
Die beiden Jungen schlichen aufgeregt durch den Vorgarten und setzten sich in den Wagen. Sie wagten kaum zu atmen, spähten angestrengt in die Dunkelheit hinaus und duckten sich, wenn ein anderes Auto durch die stille
Straße fuhr. Dina und Lucy guckten neidisch von oben herunter. Zu gern wären sie bei den Jungen gewesen.
Aber es passierte überhaupt nichts. Jack und Philipp waren sehr enttäuscht, und nach zwei Stunden hatten sie das Wachehalten gründlich satt. Als dann endlich leise die Gartentür geöffnet wurde und Schritte auf den Wagen zukamen, stiegen sie erleichtert aus.
„Nichts zu berichten, Bill!“ flüsterte Jack. Gerade wollten er und Philipp ins Haus zurückschleichen, da hielt Kiki die Zeit für gekommen, wieder einmal seinen Schnabel aufzutun. Im Wagen hatte er keinen Ton von sich geben
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dürfen, und das hatte ihm gar nicht behagt. Dafür legte er jetzt mit aller Macht los. „Polizei, Polizei!“ krähte er laut und machte eine Trillerpfeife nach. Bill und seine drei Besucher blieben wie erstarrt stehen.
„Entschuldige, Bill, es ist nur Kiki“, erklärte Jack kleinlaut. „Es tut mir schrecklich leid.“
Die Jungen liefen ins Haus. Kiki fühlte, daß Jack ihm grollte. Er flog von seiner Schulter herunter und versteckte sich in einem großen Papierkorb, der im Wohnzimmer stand. Von draußen hörte man Motorengeräusch, das sich schnell entfernte. Dann kam Bill ins Zimmer und blinzelte in das helle Licht.
„Was ist Kiki bloß eingefallen, plötzlich nach der Polizei zu rufen? Das Pfeifen ging einem ja durch Mark und Bein!
Wo steckt der Übeltäter? Ich habe ein ernstes Wort mit ihm zu reden.“
„Der Nichtsnutz hat sich irgendwo versteckt“, sagte
Jack. „Er weiß ganz genau, daß er das nicht tun durfte.
Gibt es etwas Neues, Bill?“
„Sogar eine ganze Menge.“ Bill füllte seine Pfeife mit
Tabak. „Kinder, das wird eine wundervolle Reise!“
„Wohin fahren wir denn eigentlich?“ fragte seine Frau.
„Ich will den Ort jetzt nicht nennen. Womöglich ist Kiki in der Nähe und posaunt ihn später bei unpassender Gelegenheit mit lauter Stimme aus. Es ist eine ziemlich weite
Reise, aber da wir fliegen werden, spielt das ja keine
Rolle. Man wird uns ein Motorboot zur Verfügung stellen, mit dem wir eine schöne Flußfahrt machen werden. Dabei kann ich mich dann ganz unauffällig nach meinem Mann erkundigen.“ 16

„Eine Flußfahrt mit einem eigenen Motorboot!“ rief
Philipp strahlend. „Das wird bestimmt fabelhaft.“
Auch Frau Cunningham freute sich. „Wann soll es denn losgehen, Bill?“ fragte sie. „Ich muß ja unsere Sommersachen heraussuchen.“
„Wir sollen übermorgen abend abfliegen. Bis dahin ist
Zeit genug, alles vorzubereiten. Wenn wir erst fort sind, brauchst du dich um nichts mehr zu kümmern. Dann wird alles für uns arrangiert.“
Alle sprachen aufgeregt durcheinander. Als endlich eine kleine Ruhepause eintrat, hörte man einen lauten
Schluckauf.
„Das ist Kiki!“ rief Jack. „Er macht das immer, wenn er sich schämt. Sicherlich war er selber entsetzt über sein
Geschrei im Garten. Wo mag er nur sein?“
Alle begannen nach Kiki zu suchen. Aber er war weder hinter dem Vorhang noch unter dem Tisch oder unter den
Stühlen zu finden. Als wieder ein Schlucker ertönte, sahen sich die Kinder verwirrt um. „Wo steckt er denn nur?
Wir haben doch schon überall nachgesehen. Kiki, du
Dummkopf, komm hervor! Du hast ja gar keinen Schlukker, sondern tust nur so.“
Da ertönte es traurig: „Armer Polly! Armer, armer Polly!“ Darauf folgte ein tiefer Seufzer.
„Er ist im Papierkorb!“ rief Lucy und wühlte in den Papieren. Tatsächlich, ganz unten saß Kiki. Mit gesenktem
Kopf kletterte er langsam heraus, watschelte zu Jack hin und klomm an ihm hinauf, bis er endlich auf der Schulter seines Herrn landete.
Jack lachte. „Hast du das Fliegen verlernt, Kiki? Kopf hoch, ich bin dir nicht mehr böse! Aber du darfst nicht
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noch einmal nach der Polizei rufen und so schrecklich pfeifen, hörst du?“
„Du wirst mit uns verreisen, Kiki“, sagte Dina ermunternd. Kiki tat immer noch ganz verschüchtert und steckte den Schnabel in Jacks Kragen. Da man ihn jedoch nicht mehr beachtete, wurde er bald wieder munter und begann wie gewöhnlich an der allgemeinen Unterhaltung teilzunehmen. Plötzlich rief Frau Cunningham ganz erschrocken:
„Wißt ihr auch, wie spät es ist? Beinahe zwölf Uhr! Und ihr sollt euch doch noch schonen. Nun aber schnell ins
Bett, Kinder!“
Vergnügt gingen die Kinder nach oben. Sie hatten ihre
Krankheit schon beinahe vergessen, und die Aussicht auf die bevorstehende Reise machte sie ganz übermütig.
,,Ich möchte bloß wissen, wohin wir fahren“, sagte Jack zu Philipp. „Bill hat nicht das kleinste Wort darüber verraten.“
„Es hat keinen Zweck, ihn mit Fragen zu quälen. Wenn er uns nichts sagen will, tut er es doch nicht. Es ist ja auch gleichgültig, wohin die Reise geht. Ein Flug ins
Blaue ist doch wundervoll.“
„Ja, es ist wie ein Abenteuer. Aber jetzt geh endlich ins
Bett, Philipp. Du hast dir deine Zähne mindestens zehn
Minuten lang geputzt.“
In den nächsten beiden Tagen war die ganze Familie sehr beschäftigt. Aus Schränken und Kommodeschubladen wurden Sommersachen genommen. Die Jungen holten die Koffer vom Boden, und wie in jedem Jahr suchte man fieberhaft nach den Kofferschlüsseln. Es

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herrschte solch ein Wirrwarr in dem kleinen Haus, daß
Frau Cunningham ganz nervös wurde.
„Wirrwarr!“ wiederholte Kiki entzückt, als er das schöne neue Wort hörte. „Wirrwarr, Warrwirr! Hol den Doktor,
Wirrwarr!“
Frau Cunningham mußte trotz der vielen Arbeit lachen.
„Ach, Kiki, du bist selber ein Wirrwarr!“ rief sie kopfschüttelnd.
Schließlich waren alle Koffer gepackt. Bill zog die
Schlüssel ab und nahm sie an sich. Das Flugzeug, das sie zu ihrem Bestimmungsort bringen sollte, flog spät abends ab. Als sie zum Flugplatz kamen, sahen sie rote und grüne Lichter blinken. Durch einen Lautsprecher wurden Ankunft und Abflug von Flugzeugen angekündigt.
„Soeben landet das Flugzeug aus Rom.“
„Das Flugzeug aus Paris landet zwei Minuten früher als fahrplanmäßig.“ „Das Flugzeug nach Genua hat zehn Minuten Verspätung.“
Die kleine Gesellschaft setzte sich in den Wartesaal.
Es war sehr warm darin, und bald wurden die Kinder müde. Der kleinen Lucy sank immer wieder der Kopf auf die
Brust.
Plötzlich stand Bill auf. „Da kommt unser Flugzeug.
Bleibt schön beisammen, Kinder. Jack, paß auf, daß Kiki nicht fortfliegt oder Lärm macht. Steck ihn lieber unter deine Jacke.“
Kiki brummte unter der Jacke vor sich hin. Aber das
Dröhnen der ankommenden und abfliegenden Flugzeuge schüchterte ihn so sehr ein, daß er ausnahmsweise einmal nichts sagte.
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Bald saßen alle im Flugzeug auf ihren Plätzen. Sie hatten es sehr bequem, und sofort nach dem Abflug brachte ihnen die Stewardeß etwas zu essen und zu trinken.
Gleichmäßig flog das Flugzeug durch die Nacht. Draußen war nichts zu sehen. Das Wetter war schön, der
Himmel klar und wolkenlos. Die ganze Nacht hindurch schliefen die Kinder auf ihren zurückgeklappten Sitzen.
Auch Kiki blieb ruhig unter Jacks Jacke sitzen und schlief.
Immer weiter verfolgte das Flugzeug seine Bahn. Die
Sterne verblaßten. Im Osten wurde es hell. Der Himmel färbte sich silbern und dann golden. Als die Sonne am
Horizont hochstieg, wachten die Kinder auf und wußten zuerst gar nicht, wo sie sich befanden.
„In zwei Stunden sind wir da“, sagte Bill. „Wollt ihr etwas zu essen haben, Kinder? Aha, dort kommt schon unsere nette Stewardeß.“
„Ich wünschte, ich lebte in einem Flugzeug“, rief Jack, als er das Frühstückstablett mit den leckeren Sachen erblickte. „Wie kommt es nur, daß im Flugzeug immer alles so besonders gut schmeckt? Seht doch bloß die riesigen
Pfirsiche! Und so wunderbar belegte Brote hab' ich noch nie im Leben gegessen.“
Lucy stimmte ihm zu und nahm noch ein Brot. „Paß mal ein bißchen auf Kiki auf, Jack! Er hat schon den zweiten
Pfirsich genommen und bespritzt mich ganz mit Saft.“

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Wo sind wir eigentlich?
Nach dem Frühstück blickten die Kinder aus dem Fenster. Sie flogen ziemlich hoch und sahen meistens nichts als weiße Wolken wie leuchtende Schneefelder unter sich. Nur wenn eine Lücke zwischen den Wolken entstand, konnten sie in der Tiefe Flüsse, Städte und Dörfer sehen. Als sie endlich landeten, gab es ein geschäftiges Hin und Her. Männer kamen auf das Flugzeug zugelaufen, eine Treppe wurde herangerollt, Gepäck wurde ausgeladen. Die Fluggäste stiegen aus und begrüßten Freunde oder Bekannte. Für Bill und die Seinen stand ein großer
Wagen mit einem dunkelhäutigen Fahrer bereit. Sie stiegen ein und fuhren davon.
„Ihr seht, es ist alles aufs beste vorbereitet“, sagte Bill zufrieden. „Wir fahren zuerst zu einem kleinen Ort, Barira genannt, und werden dort in einem hübschen Hotel wohnen. In einer größeren Stadt könnte mich leicht jemand erkennen. Für alle Fälle werde ich von jetzt an eine dunkle Brille tragen.“
Barira lag ziemlich weit vom Flugplatz entfernt. Die
Straße war sehr holprig und führte durch ein Land, das teilweise bewaldet, teilweise kahl und wüstenähnlich war.
Nach drei Stunden hielt das Auto endlich vor einem weiß getünchten Gebäude.

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Der Hoteldirektor, ein kleiner dicker Mann mit einer großen Nase, kam herausgeeilt. Er verbeugte sich fast bis zur Erde vor Bill und seiner Frau und rief dann etwas in einer Sprache, die die Kinder nicht verstanden. Sogleich kamen ein paar Männer herbei, luden die Koffer ab und trugen sie schwitzend ins Hotel.
„Sie möchten sich gewiß erst einmal waschen“, sagte der Hoteldirektor zu Bill. „Alles ist vorbereitet. Sie können sogleich auf Ihre Zimmer gehen.“
Er verbeugte sich wieder und führte die Familie ins
Haus. Die Zimmer waren geräumig und luftig und mit einfachen Möbeln ausgestattet. Die Kinder jubelten, als sie Brausebäder entdeckten. Jack streifte sofort seine
Kleider ab und ließ sich von dem lauwarmen Wasser berieseln.
„Hast du eine Ahnung, wo wir eigentlich sind, Philipp?“ fragte er. „Von einem Ort namens Barira hab' ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört.“
In diesem Augenblick kam Bill ins Zimmer. „Nun, seid ihr gut untergebracht? Die Mädchen schlafen nebenan, und unser Zimmer liegt gegenüber. In einer Viertelstunde werden wir essen. Klopft an unsere Tür, wenn ihr fertig seid.“ „Sag mal, Bill, in welchem Land sind wir eigentlich?“ fragte Jack. „Die Leute hier sehen fast wie Araber aus.“
„Wir befinden uns in der Nähe der syrischen Grenze.
Holt Dina und Lucy nachher aus ihrem Zimmer ab. Wir gehen dann alle zusammen in den Speisesaal.“
Die Angestellten des kleinen Hotels waren sehr freundlich und zuvorkommend. Der Hoteldirektor war anfangs recht erschrocken, als er Kiki auf Jacks Schulter sitzen
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sah, doch dann hieß er ihn herzlich willkommen. „Wie nennt ihr dieses Tier? Ach, nun weiß ich, Papagei! Guten
Tag, du hübscher Vogel!“
„Wisch dir die Füße ab!“ antwortete Kiki. „Mach die Tür zu!“ „Ein drolliges Tier!“ meinte der Direktor überrascht. „Er scheint sehr klug zu sein und spricht fein.“
„Setz den Kessel auf!“ krächzte Kiki und lachte laut.
Darauf ging der Direktor schnell aus dem Zimmer.
Nach dem Essen setzten sich die Kinder auf eine schattige Veranda, die von Kletterpflanzen umrankt war.
Zwischen leuchtend roten Blüten flatterten große
Schmetterlinge umher. Kiki beobachtete sie interessiert.
Natürlich kannte er Schmetterlinge von daheim, aber diese hier sahen doch ganz anders aus. Er sprach mit sich selber, und die Kellner, die geschäftig hin und her eilten, warfen ihm scheue Blicke zu. Als einer von ihnen hustete, ahmte Kiki seinen Husten haargenau nach. Der Mann erschrak und eilte schleunigst davon.
„Gib nicht so an, Kiki!“ sagte Jack schläfrig von der großen Hitze. „Und tanz nicht immerfort auf meiner
Schulter rum. Kannst du denn nicht eine Minute stillsitzen?“
Am nächsten Tag wurde die Motorbootfahrt auf dem
Fluß besprochen. Sie sollte etwa eine Woche dauern. Bill entfaltete eine Karte und zeigte sie den Kindern.
„Seht mal, hier liegt unser Motorboot. Wir fahren flußabwärts, und zwar zunächst bis zu einer Stadt namens
Ala-ou-iya. Dort werde ich mich zuerst nach dem Mann erkundigen, den ich beobachten soll. Vielleicht gehe ich

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allein an Land, vielleicht nehme ich euch Jungen auch mit, das weiß ich noch nicht.“
„Wie heißt der Mann?“ fragte Jack.
„Er nennt sich Raya Uma. Das kann aber ein Deckname sein. Auch ist uns nicht bekannt, welcher Nationalität er angehört. Wir wissen nur, daß er ein Unruhestifter ist, dem man auf die Finger gucken muß. Ich kann mir gar nicht denken, was er gerade in dieser Gegend sucht.
Vielleicht ist es etwas ganz Harmloses, aber da ich seinen schlechten Ruf kenne, glaube ich das eigentlich nicht. Ich habe den Auftrag, ihn zu finden und herauszukriegen, was er macht. Das ist ganz ungefährlich, sonst hätte ich euch auch nicht mitgenommen.“
„Wir hätten gar nichts gegen ein wenig Gefahr“, entgegnete Philipp. „Zu einem Abenteuer gehört auch ein
Schuß Gefahr.“
Bill lachte. „Dir mit euren Abenteuern! Also nun paßt mal auf. Dieser Uma hat mich noch nie gesehen. Aber vielleicht hat er erfahren, daß man sich für seine Machenschaften interessiert, und dann wird er natürlich vor Spionen auf der Hut sein. Sollte euch jemand ausfragen wollen, so antwortet wahrheitsgetreu, daß ihr krank gewesen seid und euch hier im sonnigen Süden erholen sollt.“
„Gut!“ sagte Jack. „Wie sieht dieser Uma denn aus?“
„Hier sind ein paar Fotografien von ihm.“ Bill legte sechs Fotos auf den Tisch. Die Kinder betrachteten sie neugierig. „Aber das sind doch lauter verschiedene Männer!“ rief
Dina erstaunt.
„Es sieht so aus. Trotzdem ist es immer nur unser
Freund Uma. Er versteht es meisterhaft, sich zu maskie24

ren. Sein einziges sicheres Erkennungszeichen ist eine lange Narbe auf seinem rechten Oberarm, die wie eine sich windende Schlange aussieht, aber wenn er ein
Hemd mit langen Ärmeln oder eine Jacke trägt, ist die
Narbe natürlich nicht zu sehen.“
Bill schob die Fotografien zusammen und steckte sie wieder in seine Brieftasche. „Nach diesen Bildern werdet ihr ihn kaum wiedererkennen. Seht euch also lieber erst gar nicht nach ihm um, ihr würdet euch nur die Ferien verderben. Ich weiß, wo ich Leute finde, die ihn kennen, und werde von ihnen sicherlich etwas über ihn erfahren.
Es kann auch sein, daß er gar nicht mehr in dieser Gegend ist. Vielleicht ist er inzwischen schon nach Amerika oder nach Australien geflogen. Er treibt sich auf der ganzen Welt herum — ein sehr merkwürdiger Geselle.“
Plötzlich fuhr Bill erschrocken zusammen. Dicht neben ihm war eine Schlange vorbeigeglitten und dann in ein paar nahen Büschen verschwunden. Als Philipp ihr nachlaufen wollte, hielt Bill ihn zurück. „Laß das, Philipp!
Die Schlange könnte giftig sein. In diesem Land mußt du dich vor Tieren in acht nehmen.“
Dina quiekte auf. „Oh, wie furchtbar! Du hast uns ja gar nicht gesagt, daß es hier. Schlangen gibt, Bill. Philipp, sei bloß vorsichtig!“
„Hasenfuß!“ sagte Philipp verächtlich und setzte sich wieder hin. „Die Schlange sah so hübsch aus. Wie mag sie wohl heißen?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete Bill. „Auch mache ich mir nicht viel aus Schlangen, muß ich gestehen.“
Seitdem Dina wußte, daß es in diesem Land Schlangen gab, fühlte sie sich sehr unbehaglich. Wenn sie
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draußen war, hielt sie die Augen immerfort auf den Boden gerichtet und fuhr bei dem leisesten Rascheln zusammen. Als der Hoteldirektor das bemerkte, sagte er: „Hier gibt viele Schlangen. Sehr große, die sein ungefährlich, aber kleine, kleine sehr giftig. Die kleine Bargua ist besonders böse. Du darfst sie nicht anrühren.“
„O Himmel!“ rief die arme Dina entsetzt. „Wie sieht sie denn aus?“
„Grün mit Punkten.“
„Was für Punkte?“
„Rot und gelb. Und sie ist sehr schnell mit ihrem Kopf, wenn sie beißt — so!“ Er fuhr mit der Hand auf Dina los.
Sie schrie auf und wich zurück.
„Ah, ich habe dich erschrocken“, sagte der kleine Mann bedauernd. „Du mußt nicht Angst haben. Paß auf, ich habe etwas Schönes für dich.“
Er watschelte davon und kam bald darauf mit einem
Teller voll Konfekt zurück. „Ich bitte um Verzeihung. Hab' keine Angst mehr, kleines Fräulein!“
Dina bedankte sich für das Geschenk. Nachdem der
Direktor fortgegangen war, probierten die Kinder das
Konfekt. Es war fett, süß und klebrig. Ihnen wurde fast übel davon, und sie aßen jeder nur ein Stück. Aber Kiki fraß tüchtig. Bald mußte er aufstoßen. Ein vorbeigehender Kellner lachte.
„Hör jetzt auf damit, Kiki!“ rief Jack streng.
Aber Kiki konnte nicht aufhören. Immer wieder mußte er aufstoßen und sagte dann ganz überrascht „Verzeihung!“ Das klang so drollig, daß die Kinder in lautes Geschrei ausbrachen.

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„Das kommt davon, wenn man so gierig ist“, sagte
Philipp. „Ach, Kinder, morgen beginnt unsere Flußfahrt.
Das wird fein!“
„Fein!“ wiederholte Kiki und hüpfte von einem Bein aufs andere. „Fein, fein! Oh — Verzeihung!“
Alle Kinder freuten sich auf den nächsten Tag. Was konnte auch schöner sein als eine Motorbootfahrt in einem fremden Land auf einem unbekannten Fluß!

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Den Fluß hinunter
Am nächsten Morgen stiegen sie wieder in den großen
Wagen und fuhren zum Fluß. Die weiße staubige Straße führte in vielen Windungen durch das Land. Die Eingeborenen stoben vor dem Auto zur Seite.
„Die Leute hier sehen alle wie Bilder aus der Bibel aus“, sagte Lucy.
„Nun, viele Menschen, die in der Bibel vorkommen, stammten ja auch aus dieser Gegend“, erwiderte Bill. „Die
Dörfer und ihre Einwohner haben sich während der langen Zeit, die seitdem vergangen ist, kaum verändert.
Aber moderne Erfindungen wie Armbanduhren, das Radio und sanitäre Anlagen haben ihren Weg auch bis hierher gefunden. Und Kinos findet man sogar in dem kleinsten Ort.“
„In der Bilderbibel, die ich früher hatte, sah Abraham genau so wie der Mann dort aus.“ Lucy deutete auf einen ehrwürdigen alten Mann in einem langen weißen Gewand. „Und die Frau dort mit dem Krug auf dem Kopf sieht wie Rebekka aus, die zum Brunnen geht.“
„Seht mal — dort sind Kamele!“ schrie Philipp plötzlich aufgeregt. „Ach, und da ist auch ein Junges! Noch niemals hab' ich so ein kleines Kamel gesehen. Wenn ich das doch haben könnte!“
„Das könntest du wenigstens nicht in die Tasche stekken wie Schlangen oder Mäuse“, erwiderte Dina. „Die
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Kamele machen sehr mürrische Gesichter, findet ihr nicht auch?“ Bill lachte. „Ja, du hast recht. Kamele sehen immer so aus, als ärgerten sie sich über etwas. Seht nur, wie verdrießlich das große dort drüben auf unseren Wagen guckt!“ „Vielleicht mag es den Benzingeruch nicht“, meinte Dina. „Kopf hoch, Kamel, wir sind gleich wieder fort!“
Sie sahen geduldige Esel, die mit so schweren Körben beladen waren, daß man sich wundern mußte, wie sie überhaupt mit ihrer Last gehen konnten. Die beiden Jungen beobachteten interessiert verschiedene Vögel.
„Hätte ich doch nur mein großes Vogelbuch mitgebracht!“ rief Jack. „Dann könnte ich jetzt darin nachsehen, wie all die schönen Vögel heißen. Ich hatte das Buch schon herausgelegt, hab' es dann aber vergessen.“
„Den dicken Band hättest du sowieso nicht mitnehmen können“, sagte Bill. „Aber ich sehe, daß du mein Fernglas mit hast. Das wirst du gut gebrauchen können.“
„Ist das schon der Fluß?“ rief Dina, als sie etwas Blaues zwischen den Bäumen blitzen sah. „Ach ja, er ist es!
Seht nur, wie breit er ist!“
Der Fluß war wirklich recht breit. Am anderen Ufer konnte man kaum etwas erkennen. An einer Mole lag ein schmuckes Motorboot, auf dem ein Eingeborener stand.
Er war mit einem Turban und einem Lendenschurz bekleidet, hatte sehr weiße Zähne und freundlich blickende schwarze Augen. Als Bill ihm zunickte, machte er eine tiefe Verbeugung und sagte: „Ich bin Tala und werde auf
Boot aufpassen.“

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Alle gingen an Bord und besichtigten das Motorboot, das gerade groß genug für die Familie war. In der kleinen
Kajüte roch es muffig, und die Schlafbänke sahen nicht besonders einladend aus. Aber Bill meinte, man könne an
Deck schlafen, brauche dann allerdings unbedingt Moskitonetze.
Hin und wieder strich ein leiser Wind über das Wasser, und das war in der großen Hitze sehr angenehm.
Nachdem Tala die Kinder und besonders Kiki neugierig gemustert hatte, fragte er Bill, ob man sogleich abzufahren wünsche.
Bill nickte. „Ja, es kann sofort losgehen. Zeige mir nachher, wie man den Motor bedient, damit ich auch einmal fahren kann, wenn ich will.“
Tala ließ den Motor an. Sobald das Boot in Fahrt kam, wurde es kühler, denn der Wind blies ihnen ins Gesicht.
Die Kinder setzten sich und sahen zum Ufer hinüber.
Frau Cunningham ging in die Kajüte, um zu sehen, was für Vorräte das Boot mit sich führte. Bald rief sie Bill herbei. „Sieh nur, wie glänzend wir auch hier bewirtet werden! Die Vorräte reichen ja für eine Armee. Und was für leckere Sachen es sind! Dieser kleine Eisschrank ist ganz voller Butter und Milch. Du mußt eine sehr wichtige Persönlichkeit sein, daß man so gut für dich und deine Familie sorgt.“
Bill lachte. „Komm jetzt an Deck, Allie, und laß dich von der Sonne bräunen. Nanu, warum schreien die Kinder denn so?“
Das Motorboot fuhr an einem Dorf vorüber. Eingeborenenkinder waren ans Ufer gekommen, schrien und winkten, und die Kinder auf dem Boot winkten zurück.
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„Wie heißt dieser Fluß, Tala?“ fragte Philipp.
„Fluß von Abentoa“, antwortete Tala, die Augen auf das
Wasser vor sich gerichtet.
„Hört mal, Kinder!“ rief Philipp den anderen zu. „Dies ist der Fluß der Abenteuer. Ein feiner Name, nicht wahr?“
„Abentoa!“ verbesserte Tala. Aber Philipp glaubte, er könne den Namen nur nicht richtig aussprechen. Tala sprach ziemlich gebrochen Englisch.
„Schon gut, Tala, wir haben gehört“, erwiderte er. „Fluß der Abenteuer — wirklich ein schöner Name! Nun, für uns ist diese Reise ja auch ein Abenteuer.“
Es war eine ruhige, friedliche Fahrt. Stunde um Stunde glitt das Boot flußabwärts. Als Tala in die Kajüte ging, um das Mittagessen zu bereiten, nahm Bill das Steuer. Die
Kinder hatten schon großen Hunger und waren neugierig, was Tala ihnen auftischen würde. Nach einer Weile erschien er mit einer Anzahl sehr appetitlich aussehender
Speisen. Dina musterte sie strahlend und meinte, das sei kein einfaches Mittagessen, sondern mehr ein Mahl, ja, eigentlich ein Festmahl.
Tala hatte ein paar Dosen geöffnet, nach seinem eigenen Geschmack einige Gerichte daraus zusammengestellt und sie mit Essigfrüchten garniert und mit schmackhaften Soßen angerichtet. Zum Schluß gab es frisches
Obst und eingemachte Früchte. Lucy griff nach einem großen Pfirsich und wollte mit Appetit hineinbeißen. Doch
Bill hinderte sie daran. „Nein, Lucy, du darfst die Schale nicht mitessen. Hier müßt ihr alle Früchte abschälen, Kinder. Merkt euch das!“
Frau Cunningham fühlte sich so wohl wie seit langem nicht. Es war so beruhigend, das leise Rauschen des
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Wassers zu hören und die Ufer mit den kleinen Dörfern vorübergleiten zu sehen. Der Fluß schimmerte blaugrün und blitzte hin und wieder in der Sonne auf. Nur selten begegneten sie einem anderen Motorboot.
Sonne und Wind machten die Kinder und die Erwachsenen müde. Als es dunkel wurde, bereiteten sie sich ein
Lager an Deck und schliefen sofort ein, nachdem sie sich hingelegt hatten. Tala vertäute das Boot am Ufer und ging dann zu seinem Lager am Heck.
Groß und hell strahlten die Sterne am dunklen Himmel.
Alle auf dem Boot schliefen fest. Niemand hörte einen
Laut in der Nacht — nicht einmal den Ruf eines Nachtvogels, der halb pfeifend, halb schreiend klang. Kiki machte ein Auge auf und überlegte, ob er in seiner Krächz-undKreisch-Sprache antworten sollte, ließ es dann aber bleiben.
Am Morgen schimmerte der Fluß in einem märchenhaften milchigen Blau. Jack erwachte als erster und beobachtete eine Schar winziger Wasservögel, die um das
Boot herumschwammen. „Wie heißen sie?“ fragte er Tala und zeigte auf die kleinen blaugelben Tiere.
Tala zuckte die Achseln. Er schien überhaupt nichts von Vögeln, Insekten oder Blumen zu wissen und kannte nicht einen einzigen Namen. Sein ganzes Interesse galt dem Motor des Bootes und seiner Pflege.
Gegen Abend wurde er sehr unruhig. „Wir kommen jetzt zu großer, großer Stadt“, rief er Bill zu. „Heißt KiniStadt.“
„Kini-Stadt?“ wiederholte Bill verwundert. „Das kann doch nicht stimmen, Tala. An diesem Fluß liegen gar keine großen Städte, sondern nur kleine Orte. Von Kini-Stadt
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habe ich noch nie gehört. Sie ist auch nicht auf meiner
Karte.“
„Doch, doch, Kini-Stadt!“ behauptete Tala eigensinnig.
„Tala ist oft dort gewesen. Eine halbe Stunde, und wir sehen Kini-Stadt.“
Bill nahm die Karte von dem Fluß hervor und zeigte sie
Tala. „Du mußt dich irren. Sieh nur, hier ist keine einzige große Stadt eingezeichnet.“
Tala zeigte mit dem Finger auf eine Flußbiegung. „Hier ist Kini-Stadt. Tala weiß. Tala ist dort gewesen. Große, große Stadt mit vielen, vielen Menschen. Hohe Türme bis zum Himmel!“
Bill schüttelte den Kopf. Warum sollte man eine „große, große Stadt“ auf der Karte fortgelassen haben? Sogar kleine Orte waren ja darauf. Der Ort, den er aufsuchen wollte, lag hinter der Flußbiegung, an der nach Talas Behauptung Kini-Stadt liegen sollte. Türme so hoch wie der
Himmel! Wie kam der Mann nur auf diese fantastische
Idee? Das war doch Unsinn!
Wie in allen südlichen Ländern wurde es auch hier ganz plötzlich Nacht. Kaum war die Sonne untergegangen, so erschienen helle Sterne am Himmel und spiegelten sich in dem schwarzen Wasser des Flusses.
„Gleich hinter der Biegung kommt Kini-Stadt!“ sagte
Tala aufgeregt.
Leise glitt das Boot auf die Flußbiegung zu. Und dann sahen plötzlich alle eine wunderbare Erscheinung. Am rechten Flußufer lag eine große, hell erleuchtete Stadt mit hohen Türmen, die bis in den Himmel hinaufzuragen schienen, wie Tala gesagt hatte.

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Bill konnte es einfach nicht fassen. Mit eigenen Augen sah er hier eine Großstadt, die auf der Karte überhaupt nicht eingezeichnet war, und die Karte war ziemlich neu, noch nicht ein Jahr alt. So verwirrt war Bill selten in seinem Leben gewesen. Er stand wie versteinert da und wollte seinen Augen nicht trauen.
„Darf ich in Kini-Stadt gehen, Boß?“ bat Tala schmeichelnd. „Tala liebt Kini-Stadt. Darf ich gehen?“
„Ja, geh nur“, sagte Bill, der endlich seine Sprache wiedergefunden hatte. „Das ist wirklich eine große Überraschung für mich! Eine riesige lebhafte Stadt, die nicht auf der Karte eingezeichnet ist! Und kein Mensch in London hat ein Wort davon gesagt. Was kann das nur bedeuten?“
„Wollen wir nicht auch an Land gehen und uns die
Stadt ansehen?“ schlug Jack vor.
„Heute abend nicht mehr“, entgegnete Bill bestimmt.
„Wir wollen erst mal abwarten, wie sie bei Tageslicht aussieht. Wie hell alles erleuchtet ist! Und die riesigen Bauten! Das ist doch zu sonderbar!“

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Eine rätselhafte Stadt
Nachdem Tala mit einem großen Satz an Land gesprungen war und sich eilig davongemacht hatte, starrten die Zurückbleibenden noch lange zu den Lichtern der rätselhaften Stadt hinüber. Als sie sich endlich schlafen legten, war Tala noch immer nicht zurück, und Bill befürchtete schon, daß er überhaupt nicht mehr wiederkommen würde.
Aber am nächsten Morgen wachte Jack davon auf, daß jemand sich am Motor zu schaffen machte. Tala sah ein wenig übernächtigt aus, war jedoch schon wieder unverdrossen bei der Arbeit. Gähnend stand Jack auf und streckte seine steifen Glieder.
Tala lächelte ihm zu. „Ich war in Kini-Stadt“, sagte er strahlend. Erst jetzt fiel Jack die geheimnisvolle Stadt wieder ein. Er lief auf die andere Bootsseite und sah zum
Ufer hinüber. „Bill!“ rief er aufgeregt. „Komm mal schnell her!“ Bill stand auf und ging zu Jack an die Reling. Eine
Weile starrten beide schweigend auf die Stadt.
„Ich weiß nicht recht — das kommt mir alles so merkwürdig vor“, sagte Bill schließlich. „Schau dir bloß die
Türme an! Sehen sie nicht irgendwie unwirklich aus? Und dort drüben steht eine Art Palast — oder wenigstens ein
Stück davon. Gib mir doch mal dein Fernglas.“

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Jack gab ihm das Glas. Nachdem Bill eine Weile hindurchgeguckt hatte, meinte er kopfschüttelnd: „Das ist eine höchst seltsame Ansammlung von Gebäuden. Neben Schuppen und Buden stehen altertümliche Häuser und Türme, dann ist da der Palast und so etwas wie ein
Tempel. An ein paar Stellen wimmeln viele Menschen und Kamele umher, an anderen Stellen ist alles verlassen.“
„Laß uns nach dem Frühstück hinübergehen“, sagte
Jack.
„Ja, das werden wir tun. Dies ist ein ziemlich großer
Ort. Ich möchte nur wissen, warum er nicht auf der Karte verzeichnet ist. Gestern abend habe ich noch auf einer anderen Karte nachgesehen, ihn aber dort auch nicht gefunden. Wecke jetzt die anderen, Jack. Wir wollen frühstücken.“ Bald saßen alle beim Frühstück und blickten neugierig auf die rätselhafte Stadt.
„Der Palast sieht ganz neu aus“, meinte Lucy verwundert. „Dabei ist er doch sicherlich ein paar tausend Jahre alt und müßte eigentlich nur noch eine Ruine sein.“
Nach dem Frühstück ging die Familie an Land.
Tala blieb zurück und sollte auf das Boot aufpassen.
Die Kinder eilten neugierig voraus. Kiki saß wie gewöhnlich auf Jacks Schulter und schwatzte unaufhörlich.
„Mach die Tür zu!“ rief er ein paar Eingeborenen zu.
„Hol den Doktor! Polly hat Schnupfen.“ Und dann nieste er so natürlich, daß Lucy ihm fast ein Taschentuch gereicht hätte. Bald wurde Jack von einer Schar johlender
Kinder verfolgt, die aufgeregt auf den Papagei deuteten.

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Um sie loszuwerden, verbot er Kiki schließlich das
Schwatzen.
Als die Familie sich den ersten Häusern näherte, rief
Bill plötzlich: „Das ist ja gar keine richtige Stadt! Es sind nur Kulissen. Alle diese Häuser, Türme und Tempel sind vorgetäuscht. Seht mal, dieser Tempel besteht nur aus einer Vorderseite. Hinten ist überhaupt nichts.“
Alle blieben überrascht stehen. Tatsächlich, da stand nur eine dünne bemalte Wand, und dahinter sah man nichts als ein paar Querbalken, die sie zusammenhielten.
Als sie weitergingen, kamen sie zu solide gebauten
Schuppen, die offenbar als Lagerräume dienten. In kleinen Verkaufsbuden wurden Zigaretten, Getränke, Schokolade und alles mögliche andere verkauft. Dazwischen wogte eine bunte Menschenmenge. Neben meist recht auffällig gekleideten Weißen sah man dunkelhäutige
Männer und Frauen in Eingeborenentracht. Kleine halbnackte Kinder mit schwarzen Augen hüpften überall herum.
Nun bog die Familie um eine Hausecke, und da bot sich ihr ein sehr merkwürdiger Anblick. Langsam und ein feierliches Lied singend, kam ein Zug prächtig gekleideter
Männer daher. In ihrer Mitte trugen vier große schwarze
Sklaven ein Prunkbett, auf dem, umgeben von Frauen in altertümlicher Kleidung, ein wunderschönes Mädchen lag.
Die Kinder starrten verwundert auf das unerwartete
Schauspiel. Auf ein surrendes Geräusch hin drehte sich
Bill neugierig um. Dann rief er: „Ach so! Jetzt weiß ich, warum die Stadt nicht auf der Karte zu finden ist. Als die
Karte vor einem Jahr gedruckt wurde, war sie wahr-

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scheinlich noch gar nicht da. Seht ihr die großen Kameras dort? Es sind Filmkameras. Hier wird ein Film gedreht.“
Die Kinder lachten und sprachen aufgeregt durcheinander.
„Natürlich! Die Stadt ist extra für einen historischen
Film gebaut worden!“
„Daß wir nicht früher darauf gekommen sind! Deshalb hat der Tempel also nur eine Vorderseite.“
„Und deshalb laufen hier so viele komische Leute rum.“
„Es heißt natürlich Kino-Stadt und nicht Kini-Stadt, wie
Tala immer sagt.“
Philipp sah sich interessiert nach allen Seiten um.
„Seht mal, dort führt ein Akrobat seine Kunststücke vor!
Wie gelenkig er sich hintenüber beugt und mit den Händen um seine Fußknöchel greift! Ach, Bill, dürfen wir ein wenig herumstrolchen und uns alles ansehen?“
„Ja, geht nur. Hier scheinen die verschiedensten
Schausteller zusammenzuströmen, die mit ihren Tricks etwas zu verdienen hoffen. Gewiß gibt es allerlei Interessantes zu sehen. Bleibt aber immer zusammen, Kinder.
Philipp, paß auf, daß ihr die Mädchen nicht verliert. Ich werde inzwischen ein bißchen mit eurer Mutter umherspazieren. Wer weiß, vielleicht kann ich dabei etwas
Wichtiges erfahren.“
Die Kinder wußten, daß Bill etwas von Raya Uma zu erfahren hoffte. Vielleicht befand sich der Gesuchte in der
Kinostadt. Aufgeregt drängten sie sich durch die Menschenmenge. Zerlumpte Bettler streckten ihnen die Hände entgegen. Fliegende Händler boten ihnen alle möglichen Waren an, klebriges, von Fliegen bedecktes
Konfekt, frische Früchte in Körben, Fotografien von Film38

stars und allerlei Plunder, den man auch auf europäischen Jahrmärkten findet. Aber die Kinder wollten nichts kaufen. Die Eingeborenen sprachen Englisch, oder vielmehr
Amerikanisch, denn der Film wurde von einer amerikanischen Filmgesellschaft gedreht. Dennoch erkannte man die Amerikaner auf den ersten Blick, nicht nur an ihrer helleren Hautfarbe und der andersartigen Kleidung, sondern vor allem auch an ihren schnellen Bewegungen und lauten Stimmen.
Staunend betrachteten die vier Kinder die nachgemachten Tempel und Türme, offenbar wurde eine Geschichte aus dem Alten Testament gedreht. Schließlich gingen sie neugierig auf eine Menschengruppe zu. In ihrer Mitte erstieg ein Mann barfuß eine Leiter mit messerscharfen Sprossen. Zwei Männer, die daneben standen, versuchten mit greller Stimme noch mehr Zuschauer anzulocken. Ein dritter spielte auf einer indischen Trommel.
Ohne mit der Wimper zu zucken, stieg der Artist die
Leiter wieder hinunter, sprang lachend auf die Erde und zeigte den Umstehenden seine völlig unversehrten Fußsohlen. Als er die Kinder erblickte, winkte er sie zu sich heran und forderte sie auf, die scharfen Leitersprossen zu befühlen. Sie konnten sich nicht erklären, wie es möglich war, daß er sich nicht verletzt hatte, und legten bewundernd etwas Geld in seinen Beutel. Es waren englische
Münzen, aber das schien ihm gleichgültig zu sein. Gewiß konnte er sie in jeder Verkaufsbude umwechseln.
„Eine komische Art, Geld zu verdienen!“ meinte Lucy kopfschüttelnd. Dann rief sie: „Ach, seht mal, dort ist ein
Jongleur!“
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Der Jongleur spielte mit sechs glitzernden Bällen, die er so schnell durch die Luft wirbelte, daß man sie kaum mit den Augen verfolgen konnte. Danach jonglierte er mit sechs Tellern. Er warf sie hoch in die Luft, über seine
Schultern und zwischen seinen Beinen hindurch, und nicht ein einziges Mal fiel einer hin oder stieß mit einem anderen zusammen. Die Kinder waren ganz hingerissen von der erstaunlichen Geschicklichkeit des Mannes.
Gerade klatschten sie begeistert Beifall, da fühlte Jack, wie eine Hand in seine Hosentasche glitt, und fuhr herum.
Ein kleiner Eingeborenenjunge flitzte ängstlich davon.
„He, was soll das?“ rief Jack ihm entrüstet nach und prüfte seinen Tascheninhalt, um festzustellen, ob etwas fehlte. Nein, es schien alles da zu sein, er hatte den kleinen Dieb noch rechtzeitig bemerkt. Die Kinder nahmen sich vor, von nun an besser auf Taschendiebe achtzugeben.
„Hast du den kleinen Schuft denn nicht gesehen, Kiki?“ fragte Jack seinen Liebling. „Du hättest doch: Haltet den
Dieb! rufen können.“
„Haltendieb! Haltendieb!“ schrie Kiki. Vorübergehende blieben erstaunt stehen und starrten ihn an. Ein kleines
Mädchen ergriff entsetzt die Flucht.
„Die Kleine glaubt wohl, Kiki meine sie“, sagte Philipp lachend. „Sicherlich wollte sie dir gerade dein Handtäschchen stibitzen, Lucy. Halt es nur recht fest.“
In diesem Augenblick ertönte Flötenmusik. Die Kinder horchten auf. „Das muß ein Schlangenbeschwörer sein!“ rief Philipp. „Kommt schnell, den müssen wir uns ansehen.“

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Der Schlangenbeschwörer
Jack und Lucy liefen hinter Philipp her, aber Dina blieb zurück. „Ich will die Schlangen nicht sehen!“ rief sie mißmutig. „Ich hasse Schlangen.“
Philipp blieb stehen. „Du mußt bei uns bleiben, Dina.
Hast du nicht gehört, was Bill gesagt hat? Du kannst den
Schlangen ja den Rücken zukehren, wenn du willst, aber mitkommen mußt du.“
Dina sah ein, daß ihr Bruder recht hatte, und gab unwillig nach. Es war ihr unverständlich, daß es die anderen reizte, sich die Schlangen anzuschauen. Brummend ging sie ihnen langsam nach. Als sie die Zuschauermenge erreichte, die den Schlangenbeschwörer umringte, drehte sie sich rasch um. Sie hatte noch gesehen, wie eine
Schlange sich aus einem Korb aufrichtete und ihren Kopf hin und her wand. Der Anblick verursachte ihr Übelkeit.
Nachdem sie ein paarmal geschluckt hatte, wurde ihr besser, aber sie wagte es nicht mehr sich umzusehen, sondern blickte nach der entgegengesetzten Seite.
Die beiden Jungen und Lucy hatten sich näher an den
Schlangenbeschwörer herangedrängt. Er war mit einem schmutzigen Lendentuch bekleidet und hatte einen Turban auf dem Kopf. Ein Auge war fest geschlossen, mit dem anderen stierte er scharf in die Menge. Lucy fand, daß es genau so starr wie ein Schlangenauge aussah, und der Mann gefiel ihr gar nicht.
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Neben ihm stand ein Junge, der ebenfalls nur ein Tuch um die Lenden trug. Er war erbärmlich mager, so daß seine Rippen hervorstachen. Seine Augen blickten hell und wach wie die eines Rotkehlchens, und er redete wie ein Wasserfall über die Schlangen in dem Korb. Die Kinder konnten kaum die Hälfte verstehen, denn er sprach in einem Mischmasch aus der Eingeborenensprache und dem Amerikanischen. Doch begriffen sie so viel, daß die
Schlangen sehr giftig seien und von ihrem Biß selbst ein erwachsener Mann innerhalb von zwölf Stunden sterben müsse. „Die Schlange greift so an!“ rief der Junge und schnellte seinen mageren Arm vor. „Sie beißt schnell, sehr schnell.“
Der Schlangenbeschwörer führte eine Flöte an die Lippen und begann wieder die eintönige Melodie zu spielen, die die Kinder herbeigelockt hatte. Die Schlange, die Dina gesehen hatte, war in den Korb zurückgeglitten. Aber jetzt richtete sie sich wieder auf, und die Zuschauer starrten wie gebannt auf ihren böse aussehenden Kopf.
Lucy stieß Jack an und sagte leise: „Jack — das ist doch die Giftschlange, von der der Hoteldirektor uns erzählt hat — grün mit roten und gelben Punkten. Wie hieß sie doch gleich?“
„Ich glaube Bargua oder so ähnlich.“ Jack ließ kein Auge von der Schlange. „Schön sieht sie aus, aber böse, nicht wahr? Sie dreht den Kopf hin und her, als ob sie uns alle genau beobachtete. Himmel, da ist ja noch eine!“
Eine zweite Schlange richtete sich empor und schien sich neugierig umzusehen. Als ein paar Zuschauer näher an den Korb herangingen, rief der Junge scharf: „Zurück,
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zurück! Wollen Sie etwa von der Schlange gebissen werden? Sie beißt schnell, schnell!“
Die Menschen wichen ein wenig zurück. Der Schlangenbeschwörer ließ seine Flöte nicht von den Lippen und blies unaufhörlich dieselbe Melodie. Dabei verfolgte er mit seinem einen Auge jede Bewegung der Zuschauer. Nach kurzer Zeit erhob sich eine dritte Schlange aus dem Korb und wand sich hin und her, als tanze sie nach der Musik.
Der Junge gab ihr mit einem Stock einen Klaps auf den
Kopf, und sie sank in den Korb zurück. „Das Biest ist zu gefährlich“, erklärte er ernsthaft. Die anderen beiden
Schlangen drehten und wanden sich weiter. Plötzlich wurde die Musik lauter und lebhafter. Eine der Schlangen bewegte sich heftiger, und der Junge hielt seinen Stock über ihren Kopf, als wollte er sie zurückschubsen. Die
Schlange fuhr auf den Stock los. Dann schlüpfte sie plötzlich blitzschnell, ehe der Junge es verhindern konnte, aus dem Korb und glitt auf die Zuschauermenge zu.
Die Menschen stoben kreischend auseinander. Aber der Junge war wie ein Blitz hinter der Schlange her, packte sie am Genick und warf sie in den Korb zurück.
Rufe der Bewunderung wurden laut. Man jubelte und klatschte Beifall.
Der Schlangenbeschwörer stand langsam auf, strich dem Jungen über den Kopf und sagte etwas in der Eingeborenensprache. Dann wandte er sich an die Zuschauer. „Er hat Ihnen das Leben gerettet. Ein mutiger Junge!
Die Schlange hätte ihn leicht beißen können. Ein tapferer
Junge!“

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„Fabelhaft!“ rief ein Amerikaner bewundernd. „Hier, mein Junge, das ist für dich!“ Damit warf er ihm eine Dollarnote zu.
Der Junge ergriff sie mit einer schlangenschnellen Bewegung und verbeugte sich dankend. Nun warfen auch andere Zuschauer ihm Geld zu. Behende sammelte er alles auf und steckte es in sein Lendentuch. Der Schlangenbeschwörer kümmerte sich nicht mehr um ihn, stülpte einen Deckel über den Korb und schickte sich an fortzugehen.
Jack steckte die Hand in die Tasche. Auch er wollte dem Jungen eine Münze zuwerfen, aber Philipp hielt ihn zurück. „Laß!“ sagte er leise. „Hast du denn nicht gemerkt, daß die Schlangennummer ein ganz gemeiner
Schwindel ist?“
Jack sah ihn überrascht an. „Schwindel? Wieso denn?
Ich finde, der Junge hat sich sehr tapfer benommen. Der
Hoteldirektor hat uns doch gesagt, wie giftig diese Barguas sind.“
„Ich sage dir, es ist Schwindel! Barguas sind es schon, das stimmt. Aber keine dieser Schlangen könnte einer
Fliege etwas zuleide tun.“
„Warum denn nicht?“ fragte Lucy erstaunt.
„Kommt von hier fort! Dann werde ich es euch erklären.“
Sie holten Dina und gingen ein Stück weiter. „Nun sag doch endlich, warum der Schlangenbeschwörer ein
Schwindler sein soll!“ rief Jack ungeduldig.
„Ist euch nicht aufgefallen, daß die Schlangen alle das
Maul zuhielten, während sie im Korb tanzten? Nicht einmal als der Junge der einen mit dem Stock auf den Kopf
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schlug, machte sie das Maul auf und zeigte ihre gespaltene Zunge. Gewöhnlich greift aber eine Schlange sofort an, wenn man nach ihr schlägt.“
„Wirklich, sie hatten das Maul immer geschlossen“, sagte Jack. „Aber was hat das schon zu sagen? Die
Schlange, die entwischte, hätte ihr Maul leicht aufmachen und beißen können. Ich wundere mich eigentlich, daß sie den Jungen nicht angegriffen hat.“
„Das konnte sie gar nicht. Ich war gleich von Anfang an mißtrauisch, weil die Schlangen überhaupt nicht das Maul aufmachten. Als die eine Schlange dann 'entwischte' — ich bin überzeugt, daß diese Flucht zu dem Gaunertrick gehörte — und sich auf uns zuschlängelte, hab' ich sie mir genau angesehen. Glaubt es oder glaubt es nicht, das
Maul des armen Tieres war — zugenäht.“
Einen Augenblick schwiegen die anderen Kinder betroffen. Dann rief Lucy entsetzt: „Zugenäht? Oh, wie grausam! Dann war der Schlangenbeschwörer ja ganz sicher vor ihnen.“
„Sehr richtig! Bis jetzt wußte ich auch nicht, worin der
Trick des Schlangenbeschwörers besteht. Aber ich habe die Stiche am Maul der 'geflüchteten' Schlange deutlich gesehen. Wahrscheinlich hat man das arme Tier betäubt, während man es ihr zunähte.“
„Aber dann können die Schlangen ja gar nicht essen und trinken!“ Lucy wurde ganz elend bei dem Gedanken zumute. „Wie grausam von dem Mann! Kann man ihm das nicht verbieten?“
„Der Junge war also gar nicht so tapfer“, sagte Jack.
„Nein, das war er nicht. Man hat ihm nur beigebracht, den Helden zu spielen. Ihr habt ja selber gesehen, wie
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das Geld daraufhin nur so regnete. Himmel, was für ein gemeiner Betrug! Den armen Tieren die Mäuler zuzunähen und dann mit ihnen Geld zu verdienen!“
„Jetzt bin ich froh, daß ich dem Jungen nichts gegeben habe“, sagte Jack.
„Und ich bin froh, daß ich nicht zugesehen habe“, fiel
Dina ein.
„Die Schlangen tun mir so leid!“ rief die weichherzige
Lucy.
Philipp nickte ihr zu. „Mir auch. Wie schön sie aussahen — mit dem hellen Grün und den leuchtenden roten und gelben Flecken! Solch eine Schlange würde ich gern besitzen.“ Dina starrte ihn ganz entgeistert an. „Philipp! Du darfst auf keinen Fall eine Schlange mit dir herumschleppen — vor allem keine giftige!“
„Reg dich nicht unnütz auf, Dina“, sagte Jack beruhigend. „Bill würde es Philipp niemals erlauben, sich eine giftige Bargua anzuschaffen.“
„Ob man hier nicht irgendwo Eiskrem bekommen kann?“ fragte Lucy. „Mein Mund ist ganz ausgetrocknet.“
„Das ist eine gute Idee“, sagte Jack sofort. „Ich habe auch Appetit auf etwas Erfrischendes. Kommt, wir gehen in das Lokal dort drüben.“
Die Kinder guckten erst einmal prüfend in das kleine
Lokal, das eigentlich nur eine Erfrischungsbude war.
Drinnen sah es sauber und nett aus. An kleinen Tischen saßen viele Amerikaner, darunter auch ein paar Schauspieler und Schauspielerinnen in Kostümen. Philipp nickte zufrieden. Dann ging er voraus, und die anderen folgten ihm. 46

Die Leute starrten Kiki an, der wie immer auf Jacks
Schulter saß. Nachdem die Kinder sich gesetzt hatten, nahm Philipp eine kleine Glocke vom Tisch und läutete.
„Bim, bam, bum!“ krähte Kiki. „Pussy ist im Brunnen.
Hol den Doktor!“ Dann brach er in lautes Gelächter aus und begann wieder von vorn. „Bim, bam, bum, Pussy ist im Brunnen. Hol den Doktor! Wisch dir die Füße ab!“
In dem kleinen Lokal war es still geworden, und alle
Leute guckten den Papagei an, der nun wie ein altes
Schaf hustete.
Jack gab ihm einen Klaps auf den Schnabel. „Sei still,
Kiki! Gib nicht so an!“
„Fabelhaft!“ rief ein Amerikaner. „Das ist ja ein wunderbarer Vogel. Willst du ihn nicht verkaufen, mein Junge?“
„Ich denke nicht daran“, antwortete Jack empört. „Halt jetzt endlich den Schnabel, Kiki! Was soll das Theater?“
Aber Kiki war nicht mehr zu halten. Angefeuert durch das Aufsehen, das er erregte, gab er sein ganzes Repertoire zum besten. Mittendrin wurde er von einem Mann unterbrochen, der sich zu den Kindern an den Tisch setzte. „Hallo, Kinder!“ sagte der Fremde. „Ihr gehört doch zu
Bill, nicht wahr? Ist er mit euch zusammen hier?“

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Aufregende Erlebnisse
Die Kinder sahen den Mann überrascht an. Er war sehr gut angezogen, wohlgenährt und braungebrannt, lächelnd zeigte er seine weißen Zähne.
Zunächst bekam er überhaupt keine Antwort auf seine
Frage. Schließlich legte Kiki den Kopf auf die Seite und sagte: „Bill! Bill will Dill. April, April!“
„Was für ein kluger Papagei!“ Der Fremde streckte die
Hand aus, um Kiki zu streicheln, aber Kiki hackte mit seinem scharfen Schnabel nach ihm.
Mit einem Schlage verfinsterte sich das Gesicht des
Mannes, so daß er plötzlich ganz verändert aussah.
„Nun?“ fragte er, seinen verletzten Finger haltend. „Seid ihr stumm? Ich habe euch gefragt, ob ihr mit meinem alten Freund Bill zusammen hier seid.“
Jack und Philipp stießen die Mädchen warnend unter dem Tisch an, damit sie nicht etwa aus Versehen etwas ausplauderten. Bill hatte ihnen eingeschärft, nichts von seinem Hiersein zu verraten, wenn ein Fremder sie ausfragte.
„Wir machen eine Erholungsreise, weil wir sehr krank gewesen sind, und fahren mit einem Motorboot den Fluß hinunter“, antwortete Philipp schließlich ausweichend.
„Aha! Kennt ihr denn niemand, der Bill heißt?“
„O ja!“ antwortete Dina mit funkelnden Augen. „Wir kennen Bill Hilton. Meinen Sie den?“
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„Nein.“
„Dann kennen wir noch Bill Jordans“, fuhr Dina fort.
Nun merkten die anderen Kinder, die bei ihren ersten
Worten einen großen Schreck bekommen hatten, daß sie verschiedene Namen erfand, um den Fremden zu foppen.
Begeistert beteiligten sie sich sogleich an dem Spiel.
„Vielleicht meinen Sie Bill Ponga.“
„Oder Bill Tipps, der vier große Autos und zwei kleine besitzt?“ „Oder meinen Sie Bill Kent? Das ist unser Schornsteinfeger.“
„Oder vielleicht Bill Plonks? Er ist Keksfabrikant, und seine Kekse sind ...“
„Nein, die meine ich alle nicht“, unterbrach der Mann sie ungeduldig. „Ist denn niemand mit dem Namen Bill bei euch?“ „Sie sehen doch, daß wir allein sind“, antwortete Jack.
„Wo liegt euer Motorboot?“
Nun wurde den Kindern unbehaglich zumute. Was sollten sie darauf antworten? Sie durften dem Mann auf keinen Fall verraten, wo das Boot lag. Jack dachte fieberhaft nach, wie er unauffällig das Thema wechseln könne.
Plötzlich sah er Lucy fest an und rief eindringlich: „Lucy, ist dir schlecht? Dann laß uns lieber ins Freie gehen.“
Lucy wußte sofort, was Jack beabsichtigte. Sie stand auf und machte ein klägliches Gesicht. „Ja, bringt mich bitte heraus“, sagte sie mit schwacher Stimme. Sogleich standen auch die anderen Kinder auf und führten sie behutsam aus dem Lokal.
„Den sind wir los!“ sagte Philipp aufatmend, sobald sie draußen waren. „Das war eine blendende Idee von dir,
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Jack. Ich glaube kaum, daß der Kerl uns nachkommt, aber man kann nie wissen, wir wollen uns für alle Fälle verstecken.“ Sie liefen um die Bude herum und schlüpften in einen leeren Schuppen. Dann spähten sie durch ein kleines verschmutztes Fenster nach dem verdächtigen Mann aus. Plötzlich würgte Lucy. „Ich glaube, mir wird wirklich übel, Jack hatte ganz recht.“ Aber es ging wieder vorüber.
„Da kommt unser Freund!“ rief Jack. „Er bleibt stehen und sieht sich suchend um. Jetzt steigt er in ein Auto und braust ab. Ein Glück!“
„Ob es Raya Uma war?“ fragte Dina.
„Das glaube ich kaum“, antwortete Jack. „Allerdings hatte er sehr weiße Zähne. Da er eine Jacke mit langen
Ärmeln trug, konnte man natürlich nicht sehen, ob er am rechten Oberarm eine Narbe hatte.“
„Wir haben ihm von vielen Bills erzählt“, sagte Dina lachend.
„Bill!“ rief Kiki. „Bill will Dill. April, April!“
„Jetzt ist doch nicht April, sondern Oktober, Kiki“, sagte
Jack. „Du redest einen schönen Blödsinn zusammen.“
„Blödsinn!“ wiederholte Kiki begeistert und hüpfte auf
Jacks Schulter hin und her. „Blödsinn, Blödsinn!“
Lachend gingen die Kinder aus dem Schuppen. Dina sah sich etwas ängstlich um. „Ob der Mann etwa noch einmal zurückkommt?“
Jack schüttelte den Kopf. „Der kommt bestimmt nicht zurück. Er hat natürlich gemerkt, daß wir ihn foppten, weiß aber nicht, ob wir es aus Vorsicht oder aus Frechheit getan haben. Wir müssen Bill genau erzählen, was er
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uns alles gefragt hat. Vielleicht hat dieser Uma erfahren, daß jemand hergeschickt worden ist, um ihn zu beobachten, und läßt nun alle neu ankommenden Reisenden beobachten.“ Die Kinder schlenderten noch ein wenig umher.
Schließlich kamen sie zu ein paar ärmlich aussehenden
Hütten, die offenbar nicht zu den Filmbauten gehörten.
„Hier stinkt es“, sagte Jack naserümpfend. „Kommt, wir wollen zurückgehen. Nanu, was ist denn da los?“
Aus der Eingeborenensiedlung drang lautes Geschrei.
Die Kinder blieben stehen und horchten. Nun hörten sie deutlich Stockschläge. Auf jeden Schlag folgte lautes
Jammern.
„Das ist ein Kind!“ rief Philipp. „Es schreit ja, als ob es totgeschlagen würde. Ich kann das nicht mit anhören.
Kommt, wir müssen etwas unternehmen!“
Sie liefen dem Geschrei nach und gelangten auf einen
Platz, wo alte Kartons und Kisten herumstanden. Dort erblickten sie einen Mann, der mit einem dicken Stock auf einen Jungen einhieb. Ein paar Männer, die sich in der
Nähe befanden, machten nicht den geringsten Versuch, ihn daran zu hindern.
„Das ist ja der Schlangenbeschwörer!“ rief Jack. „Er schlägt den Jungen, der das Geld aufgehoben hat.“
Die vier Kinder rannten auf den Mann zu. Philipp ergriff seinen Arm, und Jack wand ihm den Stock aus der Hand.
Der Mann drehte sich wütend um. Er schrie etwas, was die Kinder nicht verstanden, und suchte nach seinem
Stock. Aber Philipp versteckte ihn hinter seinem Rücken.
„Sie dürfen den Jungen nicht so grausam schlagen!“ rief er empört. „Was hat er denn getan?“
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Wieder schrie der Mann etwas Unverständliches. Sein gesundes Auge glitzerte böse. Der Junge hob den Kopf.
„Er sagt, ich habe Geld behalten“, schluchzte er. „Aber das ist nicht wahr.“
Er knüpfte sein Lendentuch auf und schüttelte es, um zu zeigen, daß kein Geld mehr darin sei. Dann zeigte er mit dem Finger auf den Schlangenbeschwörer. „Ich habe ihm alles gegeben, alles! Er hat mich geschlagen. Ai, ai!“
Der Junge hielt sich die Arme vors Gesicht und heulte ganz erbärmlich. Der Schlangenbeschwörer wollte ihm einen Faustschlag versetzen, aber Philipp bedrohte ihn mit dem Stock. „Rühren Sie den Jungen nicht an! Wenn
Sie ihn nicht in Ruhe lassen, zeige ich Sie an.“
Philipp wußte gar nicht, bei wem er den Mann anzeigen sollte, wollte es jedoch auf keinen Fall zulassen, daß er den Jungen noch einmal schlug. Der Schlangenbeschwörer starrte ihn böse an. Dann ging er schnell zu dem
Schlangenkorb, der auf der Erde stand, und stieß mit dem
Fuß den Deckel fort. Sogleich richteten sich die erschreckten Tiere auf. „Lauft, lauft!“ schrie der Mann auf
Englisch. „Sonst sag ich meinen Schlangen, daß sie euch beißen.“ Dina drehte sich um und rannte fort, aber die anderen blieben stehen. Philipp hatte ja gesagt, daß den Schlangen die Mäuler zugenäht waren, also brauchten sie auch nicht fortzulaufen. Zwei Schlangen glitten rasch auf die
Kinder zu. Plötzlich tat Philipp etwas Unerwartetes. Er warf Jack den Stock zu. Dann kniete er sich auf die Erde und stieß ein leises Zischen aus, wie er es zu tun pflegte, wenn er zu Hause harmlose Schlangen zähmen wollte.

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Die Schlangen hielten an und lauschten. Dann glitten sie zu Philipp und strichen mit ihren Köpfen über seine
Hände. Eine wand sich sogar an seinem Arm hinauf und hängte sich um seinen Hals.
Der Schlangenbeschwörer war starr vor Staunen. Ihn hatten die Schlangen niemals so zärtlich begrüßt. Sie hatten ihn gemieden, wenn sie nur konnten, sie haßten ihn. Noch niemals in seinem Leben hatte er gesehen, daß giftige Schlangen sich so zutraulich zu einem Menschen verhielten. Auch schien sich der sonderbare Junge nicht im mindesten vor den Tieren zu fürchten.
„Schlangen beißen, beißen!“ rief er und stampfte mit dem Fuß auf, um die armen Geschöpfe in Wut zu bringen.
„Sie können ja gar nicht beißen“, entgegnete Philipp verächtlich und fuhr den Schlangen zart über die Köpfe.
„Sie Unmensch haben ihnen die Mäuler zugenäht. In meinem Land würden Sie dafür ins Gefängnis kommen.“
Der Schlangenbeschwörer überlegte, was er tun solle.
Dann schrie er etwas in seiner eigenen Sprache. Darauf rief der Junge den Kindern zu: „Lauft fort! Er ruft Freunde zu Hilfe. Lauft schnell fort!“
Sogleich setzte Philipp die beiden Schlangen auf die
Erde. Wenn noch mehr fremde Männer kamen, konnte es sehr unangenehm für die Kinder werden, und er durfte die
Mädchen nicht in Gefahr bringen. „Wir wollen lieber machen, daß wir fort kommen“, sagte er zu Jack. Aber es war schon zu spät.
Auf die Rufe des Schlangenbeschwörers hin kamen drei junge Burschen angelaufen, schubsten Dina zu den anderen hin und kreisten die vier Kinder ein.
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„Macht uns gefälligst Platz!“ rief Philipp mutig. „Sonst rufen wir die Polizei.“
Doch die Burschen kamen nur noch näher. Den Kindern sank der Mut, gegen die drei kräftigen Burschen und den Schlangenbeschwörer konnten sie unmöglich ankommen. Was sollten sie nur tun? Nun saßen sie schön in der Klemme. Aber Kiki ließ sich nicht so leicht einschüchtern. Zornig hüpfte er auf Jacks Schulter auf und nieder und schrie aus vollem Halse: „Polizei, Polizei!“ Und dann machte er das durchdringende Schrillen einer Trillerpfeife nach.

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Wieder auf dem Boot
Kikis Rufe nach der Polizei und seine täuschende
Nachahmung einer Trillerpfeife wirkten Wunder. Die drei
Burschen starrten den unheimlichen Vogel ganz entsetzt an. Dann nahmen sie die Beine in die Hand und rannten davon. Der Schlangenbeschwörer ergriff seinen Korb, in den die Schlangen zurückgeglitten waren, und lief hinter ihnen her.
Erleichtert sahen die Kinder den Flüchtenden nach. Kiki kicherte und brach dann in lautes Gelächter aus, in das die Kinder schließlich einstimmten.
Jack kraulte dem entzückten Papagei den Kopf. „Vielen
Dank, Kiki! Das hast du gut gemacht. Als Philipp etwas von Polizei sagte, ist dir wohl deine Polizeinummer eingefallen. Welch ein Glück für uns!“
„Es ist aber keine Polizei gekommen“, sagte Lucy.
„Wir wollen jetzt zum Boot zurückgehen“, meinte Philipp. „Es ist hier zu gefährlich für die Mädchen. Bill hätte uns tüchtig ausgeschimpft, wenn ihnen etwas zugestoßen wäre.“ Gerade wollten sich die Kinder auf den Weg machen, da kam der Junge des Schlangenbeschwörers hinter einer Hütte hervor. Er lief auf Philipp zu, griff nach seiner
Hand und kniete vor ihm nieder. „Nimm mich mit, Herr!
Bula ist mit den Schlangen fortgegangen. Er ist ein böser
Mann, ich liebe ihn nicht. Nimm mich mit dir, Herr!“
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Sanft schob Philipp den Jungen von sich fort. „Steh auf.
Mitnehmen kann ich dich nicht. Ich werde dir etwas Geld geben.“ „Nein, kein Geld! Nimm Oola mit dir, Herr!“ bat der
Junge schmeichelnd.
„Ich kann dich unmöglich mitnehmen, Oola!“
„Bitte nimm mich zu dir! Oola ist dein Diener, Oola wird für dich arbeiten.“ Wieder griff der Junge nach Philipps
Hand. „Du liebst Schlangen, Herr. Oola wird dir Schlange bringen.“ „Ja, ich liebe Schlangen, aber nicht solche, denen das
Maul zugenäht ist. Und es wäre gefährlich, eine bei sich zu haben, die beißen kann. Hast du denn keine Eltern,
Oola?“
Der Junge schüttelte den Kopf. „Ich habe nur Bula, er ist mein Onkel. Bula böser Mann. Er hat mich geschlagen. Sieh her!'' Damit deutete er auf die blauen Flecke und Striemen, die seinen mageren Körper bedeckten.
„Armer kleiner Oola!“ schluchzte Lucy. „Können wir ihn nicht mitnehmen, Philipp?“
„Nein, Lucy, das geht nicht. Wir können unmöglich alle armen mißhandelten Geschöpfe aufsammeln, die man hier sieht — die verhungerten Hunde, die kleinen, wundgescheuerten Esel, das winzige abgemagerte Baby, das wir vorhin vor einer Hütte auf einem schmutzigen Fetzen liegen sahen. Alle brauchen sie Hilfe, aber wir können sie doch nicht alle aufs Boot schleppen. Nein, Oola, ich kann dir leider nicht helfen.“
„Was soll ich tun, was soll ich tun?“ rief Oola verzweifelt.

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Nach kurzem Überlegen sagte Philipp: „Wir werden dich zum Zelt des Roten Kreuzes bringen. Dort wird man sich um dich kümmern.“
Oola ging nur widerwillig mit. Mißmutig zog er seine nackten Füße durch den Straßenstaub und ließ den Kopf hängen. Sobald sie an dem weißen Zelt anlangten, vor dem eine Krankenschwester mit einer gestärkten Schürze stand, ergriff er laut weinend die Flucht. Den beiden Mädchen traten Tränen in die Augen, als sie die kleine magere Gestalt hinter einem Schuppen verschwinden sahen.
„Verflixt!“ sagte Jack. „Mir ist, als hätten wir Oola schmählich im Stich gelassen. Aber was hätten wir anderes tun sollen?“
Philipp zuckte die Achseln. „Kommt jetzt zum Boot. Es ist beinah ein Uhr. Bill und Mutter werden schon auf uns warten.“ Die vier Kinder waren traurig wegen Oola. Die Jungen schauten unterwegs nach dem Mann aus, der sie hatte ausfragen wollen, aber er war nirgends zu sehen. Als sie zum Boot kamen, begrüßte Tala sie freudig. Rasch kletterten sie an Bord.
„Warum kommt ihr so spät?“ rief Bill. „Wir haben uns schon Sorgen um euch gemacht. Wascht euch die Hände, wir können gleich essen.“
Bald saßen alle beim Mittagessen und ließen es sich schmecken. „Hast du etwas über Raya Uma erfahren?“ fragte Philipp mit gedämpfter Stimme, damit Tala ihn nicht hörte. „Nein, nicht das geringste“, antwortete Bill. „Vielleicht höre ich in Ala-ou-iya etwas von ihm. Wir sind ein bißchen durch die Stadt gewandert, haben uns nach dem Film er57

kundigt, der gedreht wird, und sind dann wieder zurückgegangen. Was habt ihr denn erlebt?“
Die Kinder erzählten ihm von dem Fremden in der Eisdiele.
„Er hat nicht deinen Nachnamen genannt, sondern sprach nur immer von Bill“, sagte Jack.
Bill war sehr aufmerksam geworden. „Vielleicht kennt er meinen Nachnamen nicht. Ihr habt ihn doch hoffentlich nicht verraten?“
„Natürlich nicht!“ antworteten beide Jungen wie aus einem Mund, und Jack fügte hinzu: „Aber wir haben ihm eine Menge anderer Bills genannt und gefragt, ob er die meine.“ „Andere Bills?“
„Na ja — wir fragten ihn, ob er vielleicht Bill Hilton meine — oder Bill Jordans — oder Bill Ponga — oder Bill
Tipps, der vier große Autos und zwei kleine besitzt.“
„Oder Bill Kent, den Schornsteinfeger — oder Bill
Plonks, den Keksfabrikanten“, fiel Dina ein.
Bill lachte. „Ihr Schlingel! Das waren natürlich lauter erdachte Bills. Was sagte der Mann darauf?“
„Er fragte uns, wo unser Boot liegt“, antwortete Philipp.
„Wir hatten ihm nämlich erzählt, daß wir zur Erholung hier seien und eine Motorbootfahrt auf dem Fluß machten.
Weil wir ihm nun nicht gern die Wahrheit sagen wollten, taten wir so, als ob Lucy übel wäre, liefen aus dem Lokal und versteckten uns.“
Wieder lachte Bill. „Das habt ihr gut gemacht, Kinder.
Der Kerl muß ein Spion von Raya Uma gewesen sein.
Wie sah er denn aus?“

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Nachdem die Kinder ihm den Mann beschrieben hatten, meinte Bill: „Ich glaube nicht, daß es Raya Uma selber war. Wenn er sich so öffentlich zeigte, könnte er nichts Geheimes unternehmen. Aber er muß sich hier in der Gegend aufhalten, davon bin ich jetzt fest überzeugt.
Nur gut, daß ihr dem Mann in dem Lokal nichts von mir verraten habt.“
„Was habt ihr denn sonst noch gemacht?“ fragte Frau
Cunningham.
Philipp erzählte von dem Schlangenbeschwörer, wie er den Jungen geschlagen hatte, und wie die Kinder schließlich von den großen Burschen bedroht worden waren, bis Kiki sie zum Glück durch sein Geschrei und sein
Pfeifen rettete.
Bill runzelte die Stirn. „Das hätte leicht übel ausgehen können. Ihr dürft niemals allein in Eingeborenenviertel gehen. Merkt euch das, Kinder!“
„Aber Bill — wir konnten doch unmöglich zulassen, daß der Mann den armen Oola immer weiter schlug“, wandte
Jack ein.
„Ihr hättet die beiden Mädchen fortschicken sollen, um
Hilfe zu holen, bevor ihr den Mann am weiteren Prügeln des Jungen zu hindern versuchtet. Selbst wenn eure
Gefühle mit euch durchgehen, müßt ihr Jungen immer zuerst an eure Schwestern denken. Verstanden?“
Jack und Philipp nickten. Sie waren rot geworden und entschuldigten sich, daß sie so unüberlegt gehandelt hatten. „Tut mir leid, Bill“, wiederholte Kiki sofort. „Tut mir leid,
Bill.“

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Alle lachten, und Bill wechselte das Thema. „Diese Kinostadt ist wirklich sehr merkwürdig. Die vielen großen
Bauten sind nur für ein halbes Jahr errichtet worden. Seid ihr denn auch auf dem Rummelplatz gewesen?“
Die Kinder verneinten überrascht. Den Rummelplatz hatten sie überhaupt nicht gesehen.
„Da gab es Würfelbuden, Glücksspiele, Schießbuden und wer weiß was noch“, berichtete Bill. „Gewiß gehörte der Schlangenbeschwörer auch dazu. Ich glaube kaum, daß er sich noch einmal dorthin wagt, nachdem Kiki so eindringlich nach der Polizei gerufen hat. Auch ein Feuerfresser zeigte auf dem Platz seine Künste.“
„Ein Feuerfresser?“ rief Philipp begeistert. „Den möchte ich gern sehen. Dürfen wir nachher noch einmal in die
Stadt gehen, Bill?“
„Nein, dazu ist keine Zeit mehr. Ich will so schnell wie möglich nach Ala-ou-iya. Dort hoffe ich etwas über Uma zu erfahren. Einen Feuerfresser könnt ihr auch in England bewundern. Habt ihr übrigens den Burschen gesehen, der die Leiter mit den Messersprossen hinaufstieg? Wir kamen auf dem Rückweg an ihm vorbei.“
„Ja, den haben wir gesehen“, antwortete Jack. „Schade, daß wir nicht mehr Zeit für die Kinostadt haben!
Schön ist sie zwar nicht, aber toll interessant.“
Bill stand auf und füllte seine Pfeife. Dann rief er nach
Tala. „Wir sind mit dem Essen fertig, Tala. In einer Stunde wollen wir weiterfahren. Dann werden wir gegen sechs in
Ala-ou-iya sein, schätze ich. Dort wollen wir anlegen und übernachten.“ Tala nickte und brachte das schmutzige Geschirr in die
Kajüte. Die Kinder setzten sich unter ein Sonnensegel,
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um zu lesen. Bill hatte ihnen ein paar Bücher über die
Gegend gegeben, in der sie sich befanden. Er hatte ihnen erzählt, daß in dem Land auf beiden Seiten des Flusses vor langer, langer Zeit eine tausendjährige hohe Kultur geblüht hatte, von der noch viele Spuren zu finden waren.
Es war ein schöner Nachmittag. Gleichmäßig glitt das
Boot durchs Wasser. Bald war nichts mehr von der Kinostadt zu sehen. Kurz vor sechs rief Tala singend: „Ich sehe Ala-ou-iya, die alte, alte Stadt Ala-ou-iya, das heißt
,Tor der Könige'.“

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Gestörte Nachtruhe
Tala steuerte das Motorboot auf eine Mole zu, an der ein paar Fischerboote lagen. Dicht am Ufer standen hohe
Bäume, und dahinter sah man niedrige weiß getünchte
Eingeborenenhütten, vor denen kleine Feuer brannten.
Der Rauch stieg kerzengerade in die Luft. Nur auf dem
Fluß wehte eine leichte Brise. „Was bedeutet eigentlich der Name ,Tor der Könige', Bill?“ fragte Dina. „In den Büchern, die du uns gegeben hast, steht auch, daß Ala-ouiya ,Tor der Könige' heißt, aber es ist nicht erklärt, was der Name bedeutet.“
„Er wird wohl von alters her überliefert sein, und seine
Bedeutung ist im Lauf der Jahrtausende vergessen worden“, meinte Bill.
„Ist Ala-ou-iya denn so alt wie Ur, die Stadt in der Bibel?“ fragte Lucy.
„Vielleicht sogar noch älter. Hier haben schon vor der
Sintflut prächtige Paläste und Tempel gestanden.“
„Dann bedeutet der Name ,Tor der Könige' vielleicht, daß sich hier früher ein goldenes Tor befunden hat, das zu einem Palast oder zu einem Tempel führte“, meinte
Dina. „Wären wir diesen Fluß vor ein paar tausend Jahren hinuntergefahren, dann wären wir sicherlich an herrlichen
Bauten vorbeigekommen, die hoch in den Himmel hinaufragten und in der Sonne glitzerten.“

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„Vielleicht hätten wir dann auch den Turm von Babylon gesehen“, fiel Lucy ein.
„Von diesem Fluß aus nicht“, widersprach Bill. „Babylon liegt viele Meilen von hier entfernt. Aber seht nur, wie schnell es hier im Süden dunkel wird! Schon kommen die
Sterne hervor.“
„Und man sieht die Feuer vor den Hütten brennen“, sagte Dina. „Wie malerisch die Eingeborenenhäuser von hier aussehen! Aber wenn man näher herankommt, kann man es vor Gestank nicht aushalten. Zu schade!“
„Zuschade, zuschade!“ krähte Kiki.
Dina lachte. „Mußt du denn immer gleich alles nachplappern, Kiki? Du bist eine alte Plappertasche.“
„Plappertasche, Plappertasche!“ rief Kiki. „Zuschade, alte Plappertasche!“
Jack gab ihm einen Klaps auf den Schnabel. „Sei jetzt still, Kiki!“
„Plappertasche!“ wiederholte Kiki etwas leiser und lachte gackernd. Tala brach in lautes Gelächter aus. Er konnte Kiki stundenlang zuhören und brachte ihm oft
Leckerbissen. Jetzt reichte er ihm ein Stückchen Ananas aus einer Dose. Kiki nahm es in die Klaue und schüttelte den Saft ab.
„Der Saft läuft mir ja in den Hals!“ rief Dina. „Laß das bleiben, Kiki, sei so gut!“
„Gut, gut!“ erwiderte Kiki und knabberte an dem Ananasstück. „Guter Junge! Guten Morgen, guten Abend, gute Nacht!“
Tala bog sich vor Lachen. Am liebsten wäre er den ganzen Abend über bei Kiki geblieben, aber Bill schickte ihn nach einer Weile fort.
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„Willst du noch heute abend an Land gehen, Bill?“ fragte Frau Cunningham.
„Ja. Am Tage ist der Mann, den ich sprechen möchte, vielleicht nicht zu Hause. Auch ist es besser, wenn mich niemand zu ihm gehen sieht.“
Gegen neun Uhr verließ Bill das Boot und schlich wie ein Schatten unter den Bäumen davon. Man hatte ihm gesagt, daß der Mann, den er aufsuchen wollte, neben einem Laden wohne. Er würde sein Haus also leicht finden.
Frau Cunningham war sehr müde. „Ich werde mich hinlegen“, sagte sie zu den Kindern. „Vergeßt nicht, eure
Moskitonetze aufzuspannen, wenn ihr schlafen geht.“
Bald breiteten die beiden Mädchen ihre Matratzen aus und legten sich ebenfalls hin. Jack und Philipp standen noch eine Weile an der Reling und unterhielten sich leise.
Vom Heck ertönte das laute Schnarchen von Tala.
„Ich bin neugierig, ob Bill etwas über Raya Uma erfährt“, sagte Jack. „Wollen wir aufbleiben, bis er zurückkommt?“
„Lieber nicht!“ antwortete Philipp. „Es könnte sehr spät werden. Komm, gehen wir auch schlafen. Es ist schon halb elf.“
Sie streckten sich auf ihre Matratzen und zogen die
Moskitonetze fest. Die Luft war angenehm kühl. Man hörte nur das leise Rauschen des Flusses und hin und wieder den Ruf eines Nachtvogels oder das Platschen des Wassers, wenn ein Fisch in die Höhe sprang. Jack sank bald in Schlaf. Er träumte von riesigen Palästen, von goldenen Toren und großen Höhlen voller Schätze.

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Philipp warf sich unruhig hin und her und horchte, ob
Bill nicht bald käme. Nach einer Weile hörte er, wie jemand leise aufs Boot kletterte. Er wartete darauf, daß Bill ein Streichholz anzündete und sich eine Zigarette ansteckte, wie er es vor dem Schlafengehen zu tun pflegte, aber alles war still. Bill mußte sich wohl sofort hingelegt haben. Als Philipp ein leises Geräusch hörte, richtete er sich auf. War das auch wirklich Bill gewesen? Bill war groß und schwer. Selbst wenn er sich Mühe gab, leise zu sein, machte er gewöhnlich mehr Geräusche. Aber wenn es nicht Bill war, wer war es dann?
Philipp schob das Moskitonetz beiseite und horchte.
Kein Zweifel, jemand kroch auf dem Boot herum — jemand mit nackten Füßen. Tala konnte es nicht sein. Zwar ging er immer barfuß, aber Philipp hörte deutlich sein
Schnarchen. War es womöglich der Mann, der die Kinder über Bill ausgefragt hatte? Oder der Schlangenbeschwörer, der sich rächen wollte? Nein, das konnte wohl nicht sein! Nun hörte Philipp wieder ein leises Geräusch, diesmal kam es aus der Kajüte. Er stand auf und schlich übers
Deck. Nur die Sterne leuchteten ihm. An der Kajütentür blieb er stehen und horchte. Ja, jemand war unten. Er schien zu essen und zu trinken. Ganz deutlich war ein
Schlürfen zu hören. Wie sonderbar!
Ob es ein Eingeborener aus dem Dorf war? Philipp überlegte, was er tun sollte. Tala zu wecken, würde ziemlich lange dauern. Und dann würde er wahrscheinlich ein großes Geschrei erheben, und der Eindringling würde unerkannt entwischen. Ob er die Kajütentür schließen
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und den Dieb einfach einsperren sollte? Aber die Tür war festgehakt, und Philipp bekam sie nicht allein los. Er mußte Jack zu Hilfe holen. Zu zweit würden sie schon mit dem Eindringling fertig werden.
Leise schlich Philipp zurück. Einmal war es ihm, als hörte er Schritte hinter sich. Lauschend blieb er stehen.
Nein, nichts! Er ging weiter. Plötzlich flog eine dunkle Gestalt auf ihn zu. Jemand umklammerte seine Knie. „Herr!“ hörte er eine flehende Stimme rufen. „Herr, Oola ist dir gefolgt. Oola ist bei dir.“
Alle wachten auf, nur Tala schnarchte ruhig weiter.
Jack wollte von seiner Matratze springen und verfing sich in dem Moskitonetz. Die Mädchen klammerten sich ängstlich aneinander. Frau Cunningham schob ihr Netz beiseite und leuchtete mit ihrer Taschenlampe in die
Richtung der Stimme. Da bot sich ihr ein sonderbarer Anblick. Der kleine Oola kniete vor Philipp und hielt ihn so fest umklammert, daß Philipp sich nicht von der Stelle rühren konnte.
„Laß mich los!“ sagte er unwillig. „Du weckst ja alle auf.
Warum in aller Welt bist du hierhergekommen?“
„Oola gehört dir, Herr“, antwortete der Junge. „Schick
Oola nicht fort.“
„Philipp, was soll das bedeuten?“ fragte Frau Cunningham.
„Es ist der Junge, den wir vor den Schlägen des
Schlangenbeschwörers bewahrt haben, Mutter. Er ist uns nachgekommen.“ „Ja, Oola ist hinter Boot gelaufen, immerzu, immerzu“, sagte der Junge eifrig.

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„Den ganzen Weg am Flußufer entlangzulaufen!“ rief
Jack verwundert. „Armer Oola! Er scheint sich als deinen
Sklaven zu betrachten, Philipp. Bist du hungrig, Oola?“
„Oola hat dort gegessen.“ Der Junge zeigte zur Kajüte hin. „Oola drei Tage kein Essen.“
Nachdem Frau Cunningham den Jungen näher betrachtet hatte, rief sie entsetzt: „Sein Körper ist ja mit blauen Flecken und Striemen bedeckt, und er ist mager wie eine Harke. Der arme kleine Kerl! Ist er wirklich von
Kinostadt bis hierher unserm Boot nachgelaufen, Philipp?“
„Es scheint so.“ Philipps Herz war voller Mitleid. Er stellte sich vor, wie der schmächtige kleine Junge durch das Gebüsch am Ufer geklettert war, immer dem Boot nach — hungrig, durstig und mit wund gelaufenen Füßen.
Und das alles nur, weil Philipp ihn vor seinem bösen Onkel gerettet hatte! Vielleicht war noch niemals vorher ein
Mensch freundlich zu Oola gewesen.
Plötzlich rief Bill vom Ufer her: „Hallo! Warum seid ihr noch auf? Ihr habt doch hoffentlich nicht auf mich gewartet.“
Rasch kletterte er aufs Boot. Als er Oola vor Philipp knien sah, blieb er erstaunt stehen. „Was ist denn hier los? Ein Besuch mitten in der Nacht?“

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Ein seltsames Geschenk
Als Oola Bills Stimme hörte, duckte er sich ängstlich.
Philipp fühlte, wie er zitterte, und zog ihn in die Höhe.
„Du brauchst keine Angst zu haben, Oola. Bill, dies ist der Junge, den wir heute vormittag aus den Händen des
Schlangenbeschwörers befreit haben. Er ist uns nachgekommen.“
„Ist denn so etwas möglich?“ rief Bill. „Aber er kann doch nicht mitten in der Nacht auf ein fremdes Boot klettern! Hat er etwas gestohlen? Hierzulande bringt man den
Kindern das Stehlen bei, sobald sie laufen können.“
„Er hat nur etwas Essen aus der Kajüte genommen, weil er so schrecklich hungrig war“, sagte Lucy. „Anscheinend will er Philipps Sklave sein. Was sollen wir nur mit ihm machen?“
„Er muß wieder zurückgehen“, antwortete Bill. „Das ist bestimmt nur ein Trick, um an Bord zu kommen. Sein
Schlangenbeschwöreronkel hat ihn sicherlich dazu angestiftet, sich aufs Boot zu schleichen, und wartet schon auf die Diebesbeute. Geh an Land, Junge, schnell!“
Oola zitterte so sehr, daß er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Er ließ Philipp los und taumelte über das
Deck zur Mole hin. Als er an Frau Cunningham vorbeikam, hielt sie ihn fest, drehte ihn zu sich herum und beleuchtete ihn mit ihrer Taschenlampe. „Sieh dir den Kleinen einmal genauer an, Bill.“
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Als Bill den mageren, mit Striemen bedeckten Körper sah, rief er erschrocken: „Himmel! Wer hat das Kind so furchtbar mißhandelt? Komm einmal her, Oola.“
Etwas beruhigt durch Bills freundlicheren Ton kam
Oola näher. Bill leuchtete ihm mit seiner Taschenlampe ins Gesicht, so daß er von dem hellen Licht geblendet wurde. „Warum bist du hierher gekommen, Oola?“ fragte er streng. „Sage mir die Wahrheit, dann wird dir nichts geschehen.“ „Ich wollte zu meinem Herrn.“ Oola zeigte auf Philipp.
„Oola bringt seinem Herrn ein Geschenk.“
Bill musterte den Jungen, der nur ein schmutziges
Lendentuch trug, von oben bis unten. „Du bringst ja gar kein Geschenk. Warum lügst du, Oola?“
„Oola nicht lügen. Mein Herr liebt Schlangen. Oola bringt ihm Bargua.“ Der Junge steckte die Hand in sein
Lendentuch und zog eine grüne Schlange mit roten und gelben Punkten heraus.
„Ihr Maul ist nicht zugenäht!“ schrie Jack. „Paß auf,
Oola, du Dummkopf! Die Schlange ist giftig. Wenn sie dich beißt, mußt du sterben.“
Dina stürzte zur Kajütentür, rannte die Stufen hinunter und verkroch sich zitternd in einem Schrank. Eine Bargua, eine der giftigsten Schlangen, die es gab! Wie konnte Oola sie nur an seinem Körper tragen!
Die Schlange wand sich in Oolas Hand, machte das
Maul auf und zeigte ihre gespaltene Zunge.
„Wirf sie über Bord, Oola!“ schrie Bill. „Bist du nicht ganz bei Trost?“
„Oola bringt Geschenk für seinen Herrn“, wiederholte
Oola eigensinnig und hielt Philipp die Schlange entgegen.
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Philipp wich zurück. Er liebte Schlangen und fürchtete sich sonst nicht vor ihnen. Aber eine giftige Schlange anzufassen, die beunruhigt und zornig war, wäre Wahnsinn gewesen. „Wirf sie über Bord!“ rief Bill noch einmal.
„Schlange beißt nicht“, sagte Oola. „Alles Gift ist fort.
Seht hier!“
Zum Entsetzen der Umstehenden ergriff er den Kopf der Schlange und machte ihr Maul noch weiter auf. Im nächsten Augenblick verlor Philipp seine Angst. Neugierig guckte er in das Schlangenmaul. Dann nahm er die Bargua ruhig in die Hand und sagte: „Die Schlange ist ganz ungefährlich. Man hat die Röhre herausgeschnitten, die das Gift von der Drüse zum Zahn leitet. Es ist eine grausame Operation. Danach bleibt eine Schlange nur noch drei bis vier Wochen am Leben. Wer hat das getan, Oola?“
„Alte Frau hat gemacht“, antwortete Oola. „Ich sagte ihr, mein Herr wünscht zu haben Bargua, und sie gab mir diese. Ihr Maul ist nicht zugenäht, aber sie ist ungiftig.
Gefällt sie dir, Herr?“
Philipp begann leise und sanft auf die Schlange einzusprechen, bis sie sich ruhig in seiner Hand zusammenrollte. „Armes Ding!“ sagte er. „Meinetwegen hat man dich mißhandelt, und du mußt bald sterben. Aber bis dahin sollst du glücklich bei mir sein. Oola, so etwas darfst du nie wieder mit einer Schlange machen lassen. Es ist grausam.“ „Ja, Herr“, sagte Oola leise. Dann sah er sich ängstlich nach Bill um. „Darf Oola bleiben? Oola gehört zu seinem
Herrn.“ Wieder zeigte er auf Philipp.
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„Auf alle Fälle kannst du heute nacht hier bleiben“, antwortete Bill. „Komm! Du kannst am Heck bei Tala schlafen.“ „Geh, Oola!“ befahl ihm Philipp, als er sah, daß der
Junge zögerte, und sogleich ging Oola bereitwillig mit.
Frau Cunningham sah ihm mitleidig nach. „Der arme kleine Kerl! O Philipp, ist es unbedingt notwendig, daß diese Schlange nun an Bord bleibt?“
„Ich werde sie immer bei mir behalten und nur freilassen, wenn ich allein oder mit Jack zusammen bin. Sie ist wirklich ganz harmlos, Mutter. Sag mal, kann Oola nicht bei uns bleiben? Er könnte Tala ein wenig helfen, und ich würde dafür sorgen, daß er keinen Unfug macht. Es ist mir schleierhaft, warum er sich so an mich hängt.“
„Das ist doch kein Wunder“, meinte Lucy. „Du hast ihn ja vor seinem bösen Onkel gerettet.“
„Wir wollen erst einmal hören, was Bill meint“, sagte
Frau Cunningham. „Bestimmt wird er alles für Oola tun, was er kann. Aber wo ist eigentlich Dina geblieben?“
„Wahrscheinlich steckt sie unten im Besenschrank“, antwortete Jack lachend. „Ich werde sie heraufholen.“
Dina befand sich wirklich noch immer in dem Schrank.
Zwar schämte sie sich jetzt etwas ihrer überstürzten
Flucht, wagte sich jedoch noch immer nicht nach oben.
Als Jack sie nun holen kam, war sie sehr erleichtert.
„Komm herauf, Dina!“ sagte er. „Die Schlange ist ganz ungefährlich. Man hat ihr die Giftröhre herausgeschnitten, und sie kann keinen Schaden mehr anrichten. Wir haben uns ganz unnötig aufgeregt.“
Dina sah Jack zweifelnd an. „Stimmt das auch? Ich glaube, du machst mir nur was vor.“
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„Aber nein, es ist wirklich wahr! Du kannst ruhig an
Deck kommen. Oola wird bei Tala schlafen.“
Daß Philipp jetzt die Schlange bei sich hatte, verschwieg Jack, weil er befürchtete, daß Dina sonst ein großes Geschrei erheben und einen Streit mit ihrem Bruder beginnen könnte. Sie würde es noch früh genug erfahren, meinte er. Jetzt waren alle müde und wollten endlich schlafen. Dina, die der Meinung war, daß die
Schlange bei Oola wäre, ließ sich endlich überreden, nach oben zu gehen. Man legte sich hin, und bald schliefen alle unter ihren Moskitonetzen.
Nach einer halben Stunde, als Tala wieder laut schnarchte, stand Oola leise auf und schlich nach vorn.
Er wollte bei seinem „Herrn“ sein. Lautlos rollte er sich zu
Philipps Füßen auf dem kahlen Boden zusammen und schloß glücklich die Augen. Er befand sich bei seinem
Herrn. Er bewachte ihn und schützte ihn vor Gefahren.
Am nächsten Morgen erwachte Tala wie immer als erster. Als ihm die Ereignisse der Nacht einfielen, sah er sich nach Oola um. Aber der Junge war verschwunden.
Tala nickte zufrieden. Hatte er dem Boß nicht gesagt, daß diese Bengel nichts taugten? Aber der Boß wollte ja durchaus, daß der Junge bei ihm schlief. Nun hatte sich der kleine Nichtsnutz heimlich aus dem Staub gemacht.
Tala wußte ja von vornherein, daß ihm nicht zu trauen war. Natürlich hatte er recht behalten. Während er das
Frühstück zubereitete, überlegte er sich, was er dem Boß sagen wollte. „Der Bengel ist fort. Tala hat gleich gesagt,
Tala sprach die Wahrheit.“
Als er Oola dann später zu Philipps Füßen schlafen sah, war er überrascht und auch etwas enttäuscht und
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gab ihm einen Fußtritt. Im Nu war Oola auf den Beinen, bereit, seinen Herrn zu verteidigen und, wenn nötig, sein
Leben für ihn herzugeben.
„Geh sofort zurück!“ knurrte Tala mit gedämpfter Stimme, um die anderen nicht aufzuwecken, und zeigte zum
Hinterteil des Bootes. Oola schüttelte den Kopf und setzte sich wieder neben Philipp. Als Tala die Hand hob und so tat, als ob er ihn schlagen wollte, wich er behende zur
Seite, lief fort und versteckte sich. Aber sobald Tala sich entfernte, kehrte er zurück, setzte sich neben seinen schlafenden „Herrn“ und betrachtete ihn mit so viel Stolz und Bewunderung, daß es Philipp recht unangenehm berührt hätte, wenn er wach gewesen wäre.
Die Bargua lag in einem kleinen Korb neben ihm. Oola kratzte ein wenig an dem Korb und pfiff ein paar leise Töne. „Du bist die Schlange meines Herrn“, flüsterte er. „Du gehörst ihm, wie Oola ihm gehört.“
Als Dina beim Frühstück die Schlange aus Philipps Hosentasche gucken sah, kreischte sie entsetzt auf. „Philipp!
Ich will nicht, daß du die Bargua behältst! Du weißt, wie ich Schlangen hasse. Bill, sage ihm, daß er sie über Bord werfen soll. Wenn er sie behält, bleibe ich nicht eine Minute länger auf dem Boot. Ich gehe zurück ins Hotel.“
„Wie du willst, Dina“, erwiderte Bill ruhig. „Ich habe nichts dagegen, daß du nach Barira zurückkehrst. Tala kann dich hinbringen. In dem hübschen Hotel bist du gut aufgehoben. Wie ich gehört habe, kommen in dieser Woche zwei nette alte Damen aus England dorthin, die in der
Umgegend malen wollen. Sie werden sich gewiß gern deiner annehmen.“

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Dina wollte ihren Ohren nicht trauen. War es denn möglich? Bill wollte sie ganz allein zurückschicken, anstatt Philipp zu verbieten, daß er die Schlange bei sich behielt? „Soll ich Tala gleich rufen und es ihm sagen?“ fragte
Bill.
Dina wurde feuerrot, in ihre Augen schössen Tränen.
„Nein — bitte nicht! Ich — ich will mich lieber mit der
Schlange abfinden, als allein zu bleiben. Das weißt du doch ganz genau, Bill.“
„Nun gut, Dina!“ Bill lächelte ihr zu. „Also, Kinder, was machen wir heute? Und vor allen Dingen — was machen wir mit Oola?“

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Oola bleibt bei seinem Herrn
Oola frühstückte mit Tala zusammen. Tala behandelte ihn recht streng und rauh. Er hatte Kinder gern, aber dieser Bengel hatte auf „seinem“ Boot nichts zu suchen, fand er. Oola gab sich alle Mühe, ihn zufriedenzustellen. Er hörte geduldig zu, wenn Tala etwas sagte, sprach nur, wenn er gefragt wurde, gehorchte aufs Wort und flitzte nur so übers Deck, um dies oder jenes zu tun.
Als Tala wieder einmal mit dem Motor beschäftigt war und nicht auf ihn aufpaßte, schlich er nach vorn, setzte sich still in eine Ecke und blickte Philipp an. Er konnte sich nicht satt sehen an dem Jungen mit dem dicken
Haarbüschel über der Stirn, der so laut und lustig lachte und immer so höflich zu seiner Mutter war.
Oola nickte zufrieden. Ja, dies war sein Herr. Noch niemals hatte er jemand so liebgehabt. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben. Seinen Vater, der ebenso grausam wie sein Onkel Bula gewesen war, hatte er gehaßt. Als der Vater eines Tages in die Fremde gewandert war, hatte er den Jungen bei dem Schlangenbeschwörer zurückgelassen. Was für ein elendes, freudloses Leben hatte Oola bei dem bösen Onkel geführt! Aber nun hatte er sich einen Herrn erwählt, den Jungen Philipp, der dort drüben saß und dem großen Bill zuhörte. Zufrieden strich sich Oola über sein volles Bäuchlein und dachte an das
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Geschenk, daß er seinem Herrn gegeben hatte. Philipp bewahrte die Schlange unter seinem Hemd auf. Ab und zu steckte er seine Hand darunter und streichelte sie.
Plötzlich wurde Oola aus seiner angenehmen Träumerei gerissen. Er hörte seinen Namen nennen. Bill sagte:
„Und was machen wir mit Oola?“
Oolas Herz hörte fast auf zu schlagen. Was meinte Bill damit? Was wollte man mit ihm machen? Ihn über Bord werfen — oder der Polizei übergeben? Ängstlich beugte er sich vor, um mehr zu hören. Aber in diesem Augenblick ergriff ihn eine kräftige braune Hand am Genick und zog ihn in die Höhe.
„Was hast du hier zu suchen?“ rief Tala in seiner eigenen Sprache. „Komm und hilf mir, du fauler Sohn einer
Schildkröte!“
Oola warf ihm einen bösen Blick zu, wagte aber nicht zu widersprechen und ging gehorsam mit ihm in die Kajüte. Während er beim Vorbereiten des Mittagessens half, gingen ihm immer wieder Bills Worte durch den Kopf.
„Was machen wir nur mit Oola?“
Unterdessen besprach man im Familienkreis, was mit ihm geschehen solle. Bill wollte ihm etwas Geld geben und ihn fortschicken. Man könne sich auf dem kleinen
Boot nicht mit ihm belasten, meinte er.
Frau Cunningham war dafür, ihn probeweise dazubehalten. „Laß ihn wenigstens so lange bleiben, bis er ein bißchen Fleisch auf den Knochen hat, Bill. Mir geht es immer durch und durch, wenn er mich so scheu mit seinen großen Augen anguckt, als erwarte er jeden Augenblick Schläge.“

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Philipp würde ihn überhaupt nicht mehr loswerden“, erwiderte Bill bedenklich. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie lästig es ist, wenn ein Eingeborener sich an einen hängt.“
„Mich würde er nicht stören“, sagte Philipp ruhig.
„Was meint ihr andern denn?“ Frau Cunningham sah sich fragend im Kreise um.
„Wir würden ihn gern behalten“, antwortete Lucy sofort, und Dina und Jack nickten bestätigend. „Wenn Tala sich erst einmal an ihn gewöhnt hat, wird er ihn bestimmt gern haben und sich freuen, daß er eine Hilfe hat. Schick ihn bitte nicht fort, Bill!“
Dina hatte sich so weit wie möglich von Philipp entfernt hingesetzt und gab sich Mühe, nicht an die Schlange zu denken, die er bei sich trug. Sie war immer noch aufgeregt, beherrschte sich aber.
Bill beobachtete sie zufrieden. „Was meinst du denn,
Dina?“ fragte er nun.
„Ich finde Oola sehr nett und habe nichts dagegen, daß er bleibt. Wenn er nur etwas sauberer wäre. Er stinkt!“
„Nun, dagegen gibt's Wasser und Seife. Also gut, ich will es mit ihm versuchen. Tala soll darauf achten, daß er sich ordentlich wäscht und ein sauberes Lendentuch trägt.“ Bill rief mit lauter Stimme nach Oola.
Oola ließ den Löffel fallen, den er gerade in der Hand hielt, und rannte mit wild klopfendem Herzen aufs Deck.
Was würde man nun mit ihm machen? Ängstlich stellte er sich vor Bill hin und schlug die Augen nieder.
„Oola, wir wollen dich bei uns behalten, solange wir auf dem Boot sind“, sagte Bill. „Du sollst alles tun, was Tala

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dir sagt. Ich bin der große Boß, Tala ist der kleine. Verstanden?“
„Großer Boß, sehr, sehr gut!“ Der Junge hob den Kopf.
Seine Augen leuchteten. „Oola so froh! Oola wird viel arbeiten.“ Dann wandte er sich an Philipp und rief strahlend:
„Ich bleibe bei dir, Herr!“
Bill rief Tala herbei. Tala mußte wohl gelauscht haben, denn er kam verdächtig schnell. Nachdem er sich schweigend verbeugt hatte, blieb er mit mürrischer Miene stehen, um zu hören, was Bill ihm zu sagen hatte.
„Tala, Oola wird bei uns bleiben, solange wir auf dem
Boot sind. Paß auf, daß er sich ordentlich wäscht und nicht stiehlt. Gib ihm Arbeit und sage mir dann, wie er sich anstellt.“
Tala verbeugte sich zum Zeichen, daß er verstanden habe. Dann warf er einen mißmutigen Blick auf Oola, der dicht neben Philipp stand und mit gesenktem Kopf zuhörte.
„Das ist alles, Tala“, schloß Bill. „Nachher wollen wir weiterfahren. Ich sage dir noch, wann es losgehen soll.“
Wieder verbeugte sich Tala und ging schweigend davon. Da wurde er noch einmal zurückgerufen. „Tala, Tala,
Tala!“ hörte er eine laute Stimme. Rasch kehrte er sich um. Aber es war nur Kiki, der rief. Nachdem er sich eine
Weile still verhalten hatte, konnte er unmöglich noch länger schweigen. „Tala!“ schrie er. „Wisch dir die Füße ab.
Eins, zwei, drei, marsch!“ Darauf ließ er einen durchdringenden Pfiff ertönen.
Oola fuhr erschrocken zusammen, und die anderen hielten sich die Ohren zu. Aber Talas Stimmung wurde

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sofort besser. Er brach in schallendes Gelächter aus und schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel.
„Das ist ja nicht zum Aushalten!“ rief Frau Cunningham entsetzt. „Kiki, mach nicht solchen Radau!“
„Radau, Radau!“ wiederholte Kiki entzückt über den
Aufruhr, den er hervorgerufen hatte.
Erst als Jack ihm einen Klaps auf den Schnabel gab, wurde er still. Gekränkt flog er in eine Ecke und murmelte allerlei vor sich hin.
„Bring Oola jetzt fort, Tala, und sorge dafür, daß er von
Kopf bis Fuß sauber wird“, sagte Bill. ,,Er stinkt.“
Tala hatte bisher nichts davon bemerkt, aber nun schnüffelte er naserümpfend. „Oola stinkt! Puh!“ rief er verächtlich. „Puh!“ krähte Kiki und kam aus seiner Ecke hervor.
„Puh! Stinkt! Puh!“
Lachend ergriff Tala den widerstrebenden Oola und zog ihn mit sich fort.
Als die beiden außer Hörweite waren, fragte Jack:
„Hast du gestern abend eigentlich etwas über Raya Uma erfahren, Bill? Du bist sehr lange fortgewesen.“
„Der Mann, den ich aufsuchte, kam erst ziemlich spät nach Hause, so daß ich eine Weile auf ihn warten mußte.
Er findet es sehr verdächtig, daß Uma sich so verborgen hält, und glaubt, daß er etwas Verbotenes vorhat, ahnt aber nicht, was es sein könnte.“
„Weiß man denn überhaupt nicht, womit Uma sich beschäftigt?“ fragte Frau Cunningham.
Bill zuckte die Achseln. „Er hält sich viel in der Kinostadt auf und hat sogar ein Zimmer in einem Hotel, das man dort erbaut hat. Angeblich interessiert er sich für den
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Film, weil er früher Schauspieler gewesen ist. Aber das kann natürlich ein Deckmantel für andere Interessen sein.“ „Er ist bestimmt ein ausgezeichneter Schauspieler“, meinte Frau Cunningham. „Die Fotos von ihm, die du uns gezeigt hast, könnten alle von verschiedenen Männern sein. Vielleicht spricht er sogar in jeder Maskierung mit einer anderen Stimme und in einer anderen Sprache.“
„Höchstwahrscheinlich. Es kann ja sein, daß er wirklich am Film interessiert ist. Aber manchmal verschwindet er für eine Woche oder noch länger, kein Mensch weiß, wo er sich dann aufhält und was er tut. Ich bin überzeugt, daß er irgendein Verbrechen plant.“
„Was für eine Art Verbrechen?“ fragte Jack.
Bill zog sein Notizbuch aus der Brusttasche. „Ich habe hier eine Liste seiner früheren Untaten. Da ist zuerst einmal Waffenschmuggel im großen Stil, das heißt, er hat unerlaubt Waffen an Verbände oder Staaten ausgeliefert und sich dadurch unrechtmäßig bereichert. Dann ist er
Spion gewesen, ein sehr schlauer Spion, den jetzt aber niemand mehr beschäftigen will, weil man befürchten muß, daß er zur gegnerischen Seite übergeht, sobald ihm von dort mehr Geld geboten wird.“
„Das ist ja ein toller Bursche!“ Jack streichelte Kiki, der jetzt auf seinen Knien hockte.
„Schließlich hat er noch allerlei Schiebungen gemacht und ist dabei fast Millionär geworden“, fuhr Bill fort. „Doch eines Tages hat ihn dann ein Komplice verraten, und obwohl er anderen hohe Bestechungsgelder anbot, damit sie die Schuld auf sich nähmen, kam er ins Gefängnis.
Jetzt soll er recht knapp bei Kasse sein und fast gar keine
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Freunde mehr haben. Man vermutet, daß er wieder einen großen Streich plant, um zu Geld zu kommen.“
„Wie kannst du ihn denn daran hindern?“ fragte Philipp.
„Es ist gar nicht meine Aufgabe, ihn an etwas zu hindern, ich soll nur herauszukriegen versuchen, was er plant, und dann darüber berichten. Falls das, was er vorhat, unserem Land nicht schädlich ist, wird die Regierung auch nichts gegen ihn unternehmen. Aber wenn er hier womöglich Unruhe stiften und einen uns feindlichen
Stamm bewaffnen will, so daß unser Land in Gefahr zu geraten droht, dann soll er etwas erleben!“
„Nun, vielleicht erfährst du im nächsten Ort etwas über seine Pläne“, meinte Frau Cunningham.
„Wie heißt denn der nächste Ort?“ fragte Dina.
„Ullabaid. Der Mann in Ala-ou-iya hat mir gesagt, Uma besitze ein Motorboot, mit dem er oft hin und her fährt. Er muß also irgendwo in der Nähe des Flusses sein Unwesen treiben, wenn er nicht in der Kinostadt ist. Ich schlage vor, wir fahren jetzt los. Jack, geh mal nachsehen, ob
Tala startbereit ist. Sag ihm, daß er langsam fahren soll.
Es ist ein schöner Tag, und wir haben keine Eile.“
Jack lief zum anderen Ende des Bootes, um die Bestellung auszurichten, und bald setzten sie ihre Reise fort.

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Ein Landausflug
Es war eine schöne Fahrt. Die Sonne brannte heiß, und Tala fuhr nah am Ufer entlang, wo hohe Bäume das
Wasser beschatteten. Sie kamen an vielen Dörfern vorüber. Sobald die Eingeborenenkinder das Boot erblickten, kamen sie herbeigelaufen und winkten.
Oola mußte Tala bei der Arbeit helfen, und während des Vormittags sah Philipp nicht viel von ihm. Gegen
Mittag wurde es fast unerträglich heiß. Bill befahl Tala, das Boot im Schatten eines Baumes zu vertäuen. Nach dem Essen legten sich alle hin und ruhten ein wenig aus.
Oola schlich zu den Jungen, die in einer schattigen Ecke lagen, hockte sich ein paar Schritte von ihnen entfernt auf den Boden und starrte Philipp an. Als Philipp ihm freundlich zulächelte, war er überglücklich. „Herr!“ flüsterte er.
„Schlaf in Frieden. Oola wird dich bewachen.“
Während dann alle anderen schliefen, blickte Oola wachsam umher. Hin und wieder blieben seine Augen voller Liebe und Verehrung auf Philipps gerötetem Gesicht haften. Einmal sah er den Kopf der Bargua aus seinem Hemd hervorgucken und lächelte stolz. Sein Herr bewahrte Oolas Geschenk nahe an seinem Herzen.
Nach dem Schlaf waren alle durstig. Frau Cunningham wollte eine Tasse Tee trinken, alle anderen verlangten nach Zitronenlimonade. Ungeduldig rief Tala nach Oola, der ihm beim Zubereiten der Limonade helfen sollte. Er
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war sehr zufrieden mit dem Jungen, ärgerte sich jedoch darüber, daß er sich immer zu den Kindern setzte, sobald er ihn aus den Augen ließ.
Oola war schon völlig vertraut mit dem Motor des Bootes. Es war erstaunlich, wie schnell er alle technischen
Dinge begriff. Nachdem er mit Tala zusammen etwas Saft getrunken und ein paar Kekse gegessen hatte, sagte er plötzlich: „Jetzt ich werde Boot fahren. Ich weiß, wie man macht.“ „Das wirst du nicht tun“, widersprach Tala hitzig. „Werde nicht frech, Oola, sonst gehe ich zu großem Boß und sagte ihm: 'Wirf den Jungen über Bord. Er taugt nichts'.
Hast du gehört, Oola?“
„Ich höre, kleiner Boß“, antwortete Oola ängstlich. „Soll
Oola Öl saubermachen? Soll Oola blank putzen?“
Tala war recht froh, daß Oola alle Schmutzarbeiten für ihn verrichtete. Er befürchtete nur, daß der Junge dabei selber schmutzig würde. Morgens hatte er ihn gründlich abgebürstet und war dabei nicht gerade sanft mit ihm verfahren, so daß Oola laut geschrien hatte, wenn die
Bürste über seine Striemen fuhr.
„Ah, kein Gestank mehr, kein Puh!“ sagte Tala zufrieden, als er mit seiner Arbeit fertig war. Wirklich sah Oola nach der Wäsche blitzsauber aus. Sein schwarzes Haar war glatt zurückgestrichen, und er hatte ein neues, leuchtend blaues Lendentuch um, auf das er sehr stolz war. Nach ein paar Stunden gelangte das Boot nach Ullabaid. An der ziemlich langen Mole lag eine ganze Flotte kleiner Fischerboote.

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„Ich gehe hier an Land“, sagte Bill. „Kommt mit, Kinder.
Mutter wird froh sein, wenn sie euch mal für eine Weile los ist und ausruhen kann.“
Bill und die Kinder sprangen ans Ufer. Tala, Oola und
Frau Cunningham blieben auf dem Boot zurück. Tala wäre auch gern an Land gegangen und ärgerte sich, daß Bill es ihm nicht erlaubt hatte. Nun wollte er auch Oola nicht fortlassen und gab ihm eine Arbeit, die lange Zeit in Anspruch nehmen würde. Oola brummte und nahm sich vor davonzulaufen, sobald Tala ihm den Rücken drehte oder eindöste. Wie alle Eingeborenen konnte Tala zu jeder
Tages- und Nachtzeit und in jeder Stellung schlafen, wie unbequem sie auch sein mochte.
Ullabaid war ein ziemlich großer Ort. Zwischen den niedrigen, weiß getünchten Häusern mit ihren flachen
Dächern wimmelten halbnackte dunkelhäutige Kinder herum. Sie gebärdeten sich anfangs sehr scheu den
Fremden gegenüber, wurden aber bald ziemlich zudringlich.
Bill ging mit den Kindern zu dem größten Haus. Es war die Schule. Der Lehrer, ein freundlicher Eingeborener mit einem fein geschnittenen, klugen Gesicht, war sichtlich überrascht über den unerwarteten Besuch. Aber nachdem Bill ihm mit ein paar geflüsterten Erklärungen eine
Karte gezeigt hatte, bat er ihn sofort ins Haus.
Die vier Kinder blieben draußen und schlenderten durchs Dorf. Kiki war ausnahmsweise sehr still und starrte die großäugigen Dorfkinder schweigend an. Nach einer
Weile kam ein etwa zwölfjähriger Junge mit einem Päckchen Postkarten auf Jack zu. Er zeigte ihm eine Karte und deutete in die Ferne. Dabei nickte er heftig mit dem
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Kopf und wiederholte immer wieder einen Satz in seiner
Sprache.
Die vier Kinder verstanden ihn nicht. Neugierig betrachteten sie die Karte, auf der eine Ruine abgebildet war. Darunter stand „Tempel der Göttin Hannar“.
„Sieht ganz interessant aus“, meinte Philipp. „Wollen wir uns den Tempel ansehen? Hör mal, Junge, wie weit ist es bis dorthin? Wie weit?“
Der Junge zuckte die Achseln, gab jedoch durch Zeichen zu verstehen, daß er die Kinder zu dem Tempel bringen wolle.
Philipp nickte. Darauf führte der Junge die vier durch ein Wäldchen und dann über ein paar bestellte Felder.
Eine Schar Eingeborenenkinder folgte ihnen. Sie schwatzten laut miteinander und hofften wohl auf ein
Trinkgeld.
Noch weiter hinten folgte eine einzelne Gestalt, die sich ängstlich hinter Bäumen und Büschen verborgen hielt. Es war Oola. Nachdem Tala eingeschlafen war, hatte er das
Boot verlassen und sich im Dorf erkundigt, wohin seine
Freunde gegangen waren. Nun schlich er ihnen nach, wagte sich jedoch nicht zu zeigen.
Der Kinderhaufen rückte immer näher an Dina, Lucy und die beiden Jungen heran. Schließlich drehte sich
Jack ärgerlich um und rief: „Bleibt gefälligst zurück! Hört ihr nicht? Ihr sollt zurückbleiben!“
Die Kinder gehorchten. Aber nach kurzer Zeit waren sie den Ausflüglern schon wieder dicht auf den Fersen. Nun nahm Kiki die Sache in die Hand.
„Zurück!“ schrie er. „Zurück! Eins, zwei, drei, los! Zurück!“ Darauf machte er einen Flugzeugmotor nach. Das
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entsetzte die kleine Gesellschaft so sehr, daß sie stehenblieb und in größerer Entfernung folgte.
Philipp lachte. „Guter Kiki! Was sollten wir wohl ohne dich machen?“
Endlich gelangten sie zu dem Tempel, der in Wirklichkeit viel verfallener als auf der Postkarte war.
„Er sieht fast wie die Bauten in der Kinostadt aus“, meinte Lucy, „vorne eine Wand und hinten überhaupt nichts.“ „Seht ihr die Insekten, die sich dort auf den Steinstufen sonnen?“ rief Philipp. „Das ist etwas für meine Bargua.
Sie ist gewiß schon sehr hungrig.“ Ohne weitere Umstände zog Philipp die Schlange aus seinem Hemd und setzte sie auf die Erde.
Dina schrie auf und lief ein Stück zurück. Die Eingeborenenkinder erschraken, und als sie die Schlange sahen, die sie als äußerst giftig kannten, flohen sie kreischend davon. „Bargua!“ schrien sie ganz entsetzt. „Bargua, Bargua!“
Die größeren Kinder zerrten die kleineren mit sich, und sogar der Junge mit den Postkarten flüchtete nach einem
Blick auf die Schlange.
„Ach, du lieber Himmel!“ rief Philipp überrascht. „Nun sind sie alle weggerannt, nur weil ich meine Schlange etwas fressen lassen wollte. Was für ein Geschrei sie machen!“
„Das ist kein Wunder“, entgegnete Dina aus angemessener Entfernung. „Sie wissen ja nicht, daß die Schlange ungefährlich ist. Wie konntest du sie auch freilassen! Na, nun bist du sie wenigstens los. Sie wird natürlich nicht zu dir zurückkehren.“
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„Meinetwegen kann sie laufen, wohin sie will“, antwortete Philipp. „Aber ich wette, sie kommt zurück.“
Nachdem die Bargua die Insekten verzehrt hatte, glitt sie in ein Gebüsch und fing einen Frosch. Darauf kehrte sie wirklich zu Philipp zurück. Ganz erstaunt beobachteten die anderen, wie sie sich an seinem Bein hinaufwand, zwischen zwei Hemdknöpfen durchschlüpfte und verschwand.
,,Uh, mir wird ganz übel, wenn ich das sehe!“ rief Dina.
„Dann sieh doch weg, du Dummchen“, erwiderte Philipp lachend. Doch plötzlich wurde er ernst und blickte besorgt zum Himmel. „Hört mal, ich glaube, die Sonne geht bald unter. Wir müssen zum Boot zurück. Kommt schnell!“ Nachdem die Kinder etwa zehn Minuten gegangen waren, merkten sie, daß sie sich verirrt hatten. Sie blieben unsicher stehen und sahen sich nach allen Seiten um.
„An diesem vom Blitz gespaltenen Baum sind wir vorhin doch gar nicht vorbeigekommen, soviel ich weiß“, sagte Jack. „Hat einer von euch ihn auf dem Hinweg bemerkt?“
Nein, keiner konnte sich erinnern, den Baum gesehen zu haben. „Laßt uns umkehren“, schlug Philipp vor.
„Kommt, wir müssen uns beeilen! Es kann jeden Augenblick dunkel werden, und wir haben keine Taschenlampen bei uns.“
Sie gingen etwa hundert Meter zurück und schlugen einen anderen Weg ein. Aber er führte sie in einen Wald, und daran erkannten sie, daß es auch nicht der richtige
Weg war.

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Wieder machten sie kehrt und gerieten bald in große
Angst.
Schließlich rief Jack mit lauter Stimme nach den Eingeborenenkindern. „Hallo, Kinder! Kommt zurück, kommt zurück!“ „Kommt zurück!“ echote Kiki und stieß einen Schrei aus, den man ein paar Kilometer weit hören mußte. Aber niemand ließ sich sehen. Außer dem unermüdlichen Gesang eines Vogels war kein Laut zu hören.
„Was machen wir nun, Philipp?“ fragte Jack leise.
„Ich weiß es nicht. Wenn es erst dunkel ist, finden wir uns überhaupt nicht mehr zurecht.“
Kaum hatte Philipp das gesagt, da fiel die Dunkelheit wie ein schwarzer Vorhang herab. Erschrocken griff Lucy nach Jacks Arm.

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Rettung und ein leckeres Mahl
Die vier Kinder blieben stehen. Sie erwarteten, daß die
Sterne aufleuchten würden, bei deren Schein sie wenigstens etwas sehen könnten. Aber der Himmel hatte sich bezogen. Nur wenn sich die Wolken teilten, blitzte hin und wieder ein Stern auf. Nach einigen Minuten gewöhnten sich die Kinder an die Dunkelheit, und sie gingen ein paar
Schritte weiter. Plötzlich bemerkte Jack, wie sich unter einem Baum ein dunkler Schatten bewegte. „Wer ist da?“ rief er scharf.
Darauf kam der Schatten auf die Kinder zugehuscht, und im nächsten Augenblick fühlte Philipp, daß seine
Knie umklammert wurden. Er erschrak, faßte sich aber sogleich wieder, als er eine bekannte Stimme hörte.
„Oola ist hier, Herr. Oola ist dir gefolgt. Tala sagte,
Oola nicht gehen. Aber Oola bewacht dich, Herr.“
„Oola!“ rief Philipp erleichtert und strich dem vor ihm knienden Jungen über den Kopf. „Dich habe ich am allerwenigsten hier erwartet. Steh auf! Wie gut, daß du gekommen bist! Wir haben uns verirrt. Kannst du uns zum
Boot zurückbringen?“
„Ja, Herr, Oola bringt euch. Folgt Oola.“
„Bist du etwa die ganze Zeit über hinter uns her gegangen?“ fragte Lucy erstaunt.
„Ja, Oola immer, immer hinterher. Oola bewacht seinen
Herrn.“
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Oola schien Katzenaugen zu haben. Ohne einen Augenblick zu zögern, führte er die Kinder durch die Dunkelheit, und bald erreichten sie das Dorf, das nun im
Schein der brennenden Feuer ganz verändert aussah.
Die Eingeborenenkinder kamen herbeigelaufen, aber als sie den Jungen erkannten, der die fürchterliche Schlange bei sich hatte, rannten sie kreischend davon und schrien entsetzt: „Bargua, Bargua!“ Nur der kleine Fremdenführer mit den Postkarten stand unbeweglich neben einem Feuer und blickte zu den vier Kindern hin. Philipp blieb stehen und nahm eine Münze aus seiner Tasche, „Oola, geh zu dem Jungen dort und gib ihm dies Geld.“
Oola schüttelte heftig den Kopf. „Nein, kein Geld! Junge nicht gut!“
„Gehorche, Oola!“ befahl Philipp streng. Da nahm Oola das Geld, lief zu dem Jungen und gab es ihm, schalt ihn anscheinend jedoch dabei tüchtig aus, weil er die Kinder im Stich gelassen hatte. Der Junge rannte vergnügt ins
Haus und rief etwas in der Eingeborenensprache.
„Schließlich hat er uns zu dem alten Tempel geführt und verdient daher auch eine Belohnung“, meinte Philipp.
„Himmel, was für einen Aufruhr meine Bargua verursacht hat! Ich hätte nicht gedacht, daß die Eingeborenenkinder solche Angst vor Schlangen haben.“
„Bill wird sicherlich böse sein, weil wir so spät kommen“, sagte Jack etwas bedrückt.
„Vielleicht ist er noch gar nicht da“, meinte Dina.
Schnell liefen sie zum Fluß und kletterten an Bord.
Frau Cunningham saß in der Kajüte, denn der Abend war ungewöhnlich kühl. Sie war recht erleichtert, daß die Kinder endlich kamen.
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„Ach, ihr hattet Oola mit!“ sagte sie beruhigt, als sie den
Jungen mit den anderen an der Kajütentür erblickte. „Bill ist noch nicht zurück. Habt ihr Hunger? Dann bittet Tala, uns das Abendessen zu bringen.“
„Wir sind eigentlich immer hungrig, Tante Allie“, antwortete Jack. „Aber wollen wir nicht lieber auf Bill warten?“
Zehn Minuten später kam Bill. „Ach, ihr habt noch nicht gegessen? Sagt Tala, daß er uns gleich etwas bringen soll. Ich sterbe vor Hunger. Nun, Kinder, was habt ihr inzwischen gemacht?“
„Ach, nichts Besonderes“, antwortete Jack ausweichend. „Wir sind zu einem alten Tempel gegangen, aber es war nicht viel daran zu sehen.“
„Vor einigen Jahren sind hier herum viele Ausgrabungen gemacht worden. Der Lehrer, ein sehr feiner und kluger Mann, hat mir so viel davon erzählt, daß ich fast Lust bekommen habe, auch einmal etwas auszugraben.“
„Hast du etwas über Raya Uma erfahren?“ fragte Jack, der sehr erleichtert war, daß Bill nicht weiter nach den
Erlebnissen der Kinder fragte, und ihn auf ein anderes
Thema bringen wollte.
„Ja, der Lehrer kennt ihn gut und mag ihn gern. Er sagt,
Uma sei ein sehr interessanter Mensch, man könne sich mit ihm über jedes Thema unterhalten — sogar über Archäologie, die Wissenschaft von den Bauten des Altertums. Anscheinend glaubt er, Uma halte sich hier auf, um alte Bauten zu studieren, die schon ausgegraben sind.
Aber ich glaube eher, daß Uma dieses Interesse an Archäologie nur vortäuscht, um ungestörter seine dunklen
Machenschaften verfolgen zu können.“
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Plötzlich schnupperte Jack aufmerksam und zog mit verzücktem Gesichtsausdruck einen lieblichen Duft ein, der aus der Kajüte heraufkam.
Frau Cunningham lachte. „Tala hat geangelt, und nun brät er uns die Fische zum Abendbrot. Es riecht gut, nicht wahr?“ „Das finde ich auch“, stimmte Philipp ihr zu. „Ich dachte, Tala könne gar nicht kochen, weil wir bisher immer kalte Mahlzeiten bekommen haben. Auch Oola wird sich über ein Fischgericht freuen.“
„Da fällt mir ein — Tala war sehr böse, weil Oola sich ohne Erlaubnis fortgeschlichen hatte. Er kam ganz wütend zu mir und beschwerte sich. Da Oola aber die Arbeit gemacht hatte, die ihm aufgetragen war, bin ich nicht weiter darauf eingegangen. Er ist euch wohl nachgelaufen, nicht wahr?“
„Ja, er wollte seinen 'Herrn' beschützen“, antwortete
Jack. „Ich kann einfach nicht begreifen, warum er so vernarrt in Philipp ist.“
„Das ist mir auch unverständlich“, fiel Dina sofort ein.
„Wenn er Jack bewunderte, wäre es was anderes, denn der hat ja Kiki. Aber Philipp?“
In diesem Augenblick erschienen Tala und Oola mit dem Essen. Die große Schüssel mit den gebratenen Fischen war mit allerlei appetitlich aussehendem Gemüse garniert. Tala freute sich über die strahlenden Gesichter der Tischgesellschaft. Oola machte einen etwas bedrückten Eindruck. Tala hatte ihn tüchtig ausgescholten, weil er fortgelaufen war, und gedroht, daß er es dem großen Boß sagen werde. Als Oola ihm dann erzählte, daß die Kinder sich verirrt hatten und daß er, Oola, sie zum
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Boot zurückgeführt hatte, sagte Tala nichts mehr. Er lobte den Jungen zwar nicht, hörte aber wenigstens auf, ihn zu schelten, und nahm sich vor, ihm eine große Portion
Fisch zu geben.
Hungrig machte sich die Familie über das Essen her.
Sogar Frau Cunningham, die gewöhnlich wenig Appetit hatte, aß heute mehr als sonst. „Tala könnte in einem
Restaurant viel Geld als Koch verdienen“, sagte sie.
„Noch nie im Leben habe ich eine so schmackhafte Soße gegessen. Woraus mag er sie wohl zubereitet haben?“
„Frag ihn lieber nicht“, meinte Bill. „Vielleicht besteht sie aus ein paar gestampften Insekten oder ...“
Dina schrie auf und spuckte die Soße aus, die sie gerade im Mund hatte.
„Pfui, Dina!“ schalt Frau Cunningham. „Aber Bill, wie kannst du auch so etwas sagen! Nun mag ich nichts mehr von der Soße essen.“
„Verzeihung! Ich hab' doch nur Spaß gemacht. Aha, da kommt Tala! Diese Soße schmeckt delikat, Tala. Woraus hast du sie gemacht?“
Dina hielt sich ängstlich die Ohren zu. Tala war sichtlich erfreut über Bills Lob und antwortete: „Die Soße ist aus Milch und Zwiebeln und der Rinde eines Baumes gemacht, den wir Mollia nennen. Auch sind darin ein paar gestampfte — gestampfte — wie nennen Sie es doch gleich?“ „Insekten?“ fiel Jack grinsend ein.
Tala machte ein gekränktes Gesicht. „Ich gebrauche nicht Insekten zum Kochen. Es sind — gestampfte Kartoffeln — aber sehr, sehr wenige.“

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Alle brachen in lautes Gelächter aus. Tala lächelte geschmeichelt. Er brachte die Leute gern zum Lachen, hatte aber keine Ahnung, worüber man augenblicklich lachte.
„Du kannst die Hände von den Ohren nehmen, Dina!“ rief Jack. „Es waren nur gestampfte Kartoffeln — aber sehr, sehr wenige.“
Erleichtert vernahm Dina, daß die Soße aus ganz harmlosen Dingen bestand. Die Schüssel wurde leer gemacht, und alle waren satt und zufrieden.
Zum Nachtisch gab es frische Früchte, die Tala in einem Dorf gekauft hatte. Etwas anderes hätte man nach dem fetten Fisch auch nicht mehr essen können.
Nachdem Tala und Oola das Geschirr abgetragen hatten, aßen sie ebenfalls. Der Junge war sehr glücklich.
Hier saß er mit einem üppigen Fischgericht vor sich und dachte daran zurück, wie er seinen Herrn sicher zum
Boot gebracht hatte. Er begann Tala das Abenteuer noch einmal ausführlich zu erzählen. Aber Tala hatte keine
Lust, sich dieselbe Geschichte zweimal anzuhören, und befahl ihm kurz, die Reste der Mahlzeit über Bord zu werfen. „Fische essen alles, Fische werden fett, Tala fängt Fische, wir essen sie“, erklärte er.
Dem Jungen leuchtete das ein. Als er sich über die Reling beugte und die Fischreste von den Tellern kratzte, sah er ein Motorboot mit einer hellen Lampe am Bug näher kommen. Aufmerksam verfolgte er es mit den Augen.
Würde es vorüberfahren? Nein, es steuerte zum Ufer hin und hielt an der Mole. Bill, der das Motorgebrumm gehört hatte, kam ebenfalls an die Reling.

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Nun sprang ein Mann von dem fremden Motorboot an
Land, kam auf das Boot der Familie zu und rief: „Hallo! Ist jemand an Bord?“
„Ja“, antwortete Bill. „Wer ist denn dort?“
„Besuch für Sie“, kam die Antwort.
„Wie heißen Sie denn?“ fragte Bill.
„Raya Uma.“
Alle horchten erstaunt auf. Raya Uma kam zu Besuch!

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Unerwarteter Besuch
Bill war so überrascht, daß er zuerst nicht wußte, was er sagen sollte.
„Kann ich an Bord kommen?“ fragte Raya Uma etwas ungeduldig. „Ich habe gehört, daß Sie aus England sind, und würde gern ein wenig mit Ihnen plaudern.“
„Ja, kommen Sie nur“, antwortete Bill nun.
„Entschuldigen Sie bitte! Ich war im ersten Augenblick sprachlos vor Staunen, hier jemand englisch sprechen zu hören. Darauf war ich wirklich nicht gefaßt.“
„Sollen wir verschwinden, Bill?“ fragte Jack leise.
Bill schüttelte den Kopf. „Nein, bleibt lieber hier. Vielleicht ahnt er gar nicht, wer ich bin. Auf alle Fälle ist es gut, wenn er eine ganze Familie hier vorfindet. Aha, da kommt er schon!“
Tala war dem Fremden mit einer Laterne entgegengegangen und führte ihn nun herbei. Die Familie saß beim
Licht einer hellen Lampe unter einer großen Markise, von der Moskitonetze herabhingen. Alle sahen dem unerwarteten Besucher neugierig entgegen.
Er war mittelgroß, hatte einen Bart und einen schmalen
Schnurrbart und trug ebenso wie Bill eine dunkle Brille.
Bekleidet war er mit Flanellhosen, Hemd und leichtem
Pullover. Auf dem Kopf trug er einen weißen Leinenhut.
Er verbeugte sich höflich vor Frau Cunningham, schüttelte ihr und Bill die Hand und nickte den Kindern zu.
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„Ah, Sie haben Ihre ganze Familie mitgebracht!“ Als er lächelte, sah man seine auffallend weißen Zähne.
„Ja, die Kinder sollen sich ein wenig erholen“, erklärte
Frau Cunningham. „Sie haben eine schwere Grippe hinter sich, und der Arzt riet uns, sie für einige Zeit in den Süden zu schicken. So sind wir denn alle zusammen hierher gereist.“
Raya Uma lächelte wieder. „Wie heißt ihr denn?“ fragte er die Kinder.
Philipp antwortete für alle. „Ich heiße Philipp — und das ist Jack — das ist Lucy — und das Dina.“
„Und wie heißt der Papagei?“
„Kiki“, antwortete Jack. „Kiki, das ist Herr Uma.“
„Wisch dir die Füße ab, putz dir die Nase, hol den
Doktor!“ sagte Kiki und kreischte laut.
„Sei still, Kiki!“ wies ihn Frau Cunningham zurecht.
„Wenn wir Besuch haben, darfst du nicht solchen Lärm machen.“ Bill bot Herrn Uma Zigaretten an. „Von wem haben Sie erfahren, daß wir hier sind?“
„Ach, hier sprechen sich Neuigkeiten mit Windeseile herum.“ Herr Uma blickte Bill forschend an. „Meinen Namen haben Sie doch sicherlich auch schon gehört.“
„Ja — warten Sie mal------“ Bill tat, als müßte er sich erst besinnen. „Jemand hat mir von einem Herrn Uma erzählt, der sich viel in der Kinostadt aufhält und am Film interessiert ist.“
„Ach, das ist nur eine kleine Liebhaberei von mir“, erwiderte Raya Uma und stieß den Rauch seiner Zigarette aus. „Mein eigentliches Steckenpferd ist die Archäologie.“
Er wandte sich zu den Kindern und fügte lächelnd hinzu:
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„Diese Wissenschaft hat nichts mit der Arche Noah zu tun, wenn sie sich auch mit noch älteren Dingen beschäftigt.“
Die Kinder fanden die Bemerkung recht albern und lachten etwas gezwungen. Lucy dachte an die schlangenförmige Narbe Umas. Leider hatte sein Pullover lange
Ärmel, so daß man sie nicht sehen konnte.
„Wir haben uns heute nachmittag einen alten Tempel bei Ullabaid angesehen“, erzählte Jack. „Aber er bestand eigentlich nur aus einer Mauer — genau wie der Tempel in der Kinostadt.“
Raya Uma hielt das offenbar für einen Witz und lachte laut. „Ja, wenn man Archäologie betreibt, erlebt man oft
Enttäuschungen. Man gräbt und gräbt wie ein Maulwurf und findet doch nichts zu essen. Ha, ha, ha!“
„Sind solche Ausgrabungen nicht sehr kostspielig?“ fragte Frau Cunningham ablenkend, da sie merkte, daß die Kinder die Art des Mannes nicht mochten.
„Ja, sie sind kostspielig“, antwortete er. „Man kann dabei Tausende ausgeben, ohne etwas zu erreichen. Gewinnen läßt sich bei Ausgrabungen überhaupt nichts. Die einzige Belohnung besteht in der Freude, uralte Kulturen zu entdecken. Aber es ist ein wundervolles Steckenpferd.
Ich will jetzt meine verschiedenen Interessen miteinander verknüpfen, etwas Geld beim Film verdienen und es dann bei meinen Wanderungen durch dieses uralte Land wieder ausgeben.“ Uma wandte sich zu Bill. „Und Sie? Interessieren Sie sich auch für Archäologie?“
„Nur so viel wie jeder Durchschnittseuropäer“, antwortete Bill, der genau wußte, daß Uma ihn aushorchen wollte. „Natürlich finde ich die Entdeckungen, die man
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hier macht, sehr interessant. Ich schreibe Artikel für Zeitungen und habe auch vor, ein Buch zu schreiben. Diese
Reise gibt mir viele Anregungen dazu.“
Die Kinder lächelten innerlich. Bill schrieb wirklich Zeitungsartikel, aber von einem geplanten Buch hörten sie zum erstenmal. Natürlich hätte er ein herrliches Buch schreiben können, wenn man es ihm erlaubt hätte. Er hatte ja schon die unglaublichsten Dinge erlebt. Sie waren stolz darauf, an vielen seiner Abenteuer teilgenommen zu haben.
„Ach, Sie sind Schriftsteller!“ rief Raya Uma. „Ja, ja,
Schriftsteller und Maler haben Muße, durch die ganze
Welt zu reisen und nach Motiven für ihre Feder oder ihren
Pinsel zu suchen.“
Die Kinder begannen sich zu langweilen. Herr Uma schien nichts von Bills Beruf und seiner jetzigen Aufgabe zu wissen. Er und Bill hatten sozusagen „die Schwerter gekreuzt“ und einander auszuhorchen versucht. Natürlich hatte Bill dabei gewonnen, und Herr Uma glaubte ihm auch, daß er Schriftsteller sei.
„Was haben Sie denn vor?“ fragte er nun. „Wollen Sie und Ihre Frau mich nicht morgen abend zum Essen besuchen? Ich besitze etwas weiter flußab ein kleines Haus und bin gerade auf dem Weg dorthin. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie kämen.“
Bill überlegte rasch, ob er die Einladung annehmen sollte. Es würde sonderbar aussehen, wenn er sie ohne einen triftigen Grund ablehnte. Und vielleicht konnte er in
Herrn Umas Haus mehr über ihn erfahren.
„Vielen Dank, Herr Uma!“ sagte er. „Das ist sehr freundlich von Ihnen. Wir werden gern kommen.“
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„Dann darf ich Sie also morgen um sieben erwarten?“
Raya Uma stand auf. „Sagen Sie Ihrem Bootsmann, er soll in Chaldo an der Mole anlegen. Ich werde Sie dann dort abholen.“
„Wollen Sie nicht noch ein wenig bleiben und etwas mit uns trinken?“ fragte Bill.
Aber Herr Uma wollte nicht länger bleiben. Er verbeugte sich höflich und hob das Moskitonetz. Im nächsten
Augenblick stolperte er und wäre fast gefallen. Er stieß mit dem Fuß nach einer Gestalt, die am Boden kauerte, und man hörte einen Schrei.
„Wer ist denn das?“ schrie er plötzlich ganz wütend.
„Geh gefälligst aus dem Weg! Was für eine Unverschämtheit, mir hier ein Bein zu stellen!“ Noch einmal gab er der Gestalt, die ein wenig zurückgewichen war, einen
Fußtritt.
Philipp erriet sofort, daß Oola sich wie gewöhnlich in seine Nähe geschlichen hatte. Er sprang erregt auf. „Herr
Uma, es ist nur ein kleiner Eingeborenenjunge, der unserm Bootsmann hilft!“
Bill drückte warnend Philipps Arm. „Entschuldigen Sie,
Herr Uma! Ich hoffe, Sie haben sich beim Stoßen nicht den Fuß verletzt.“
Herr Uma antwortete nichts darauf. Er faßte sich schnell wieder, wünschte noch einmal allen in herzlichem
Ton eine gute Nacht und ging, von Tala begleitet, an
Land.
„Oola!“ rief Bill ärgerlich. „Was fällt dir ein, dich heimlich hierher zu schleichen! Es geschieht dir ganz recht, daß die Leute über dich fallen.“

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„Das ist schlechter Mann“, erwiderte Oola. „Schlechter, schlechter Mann! Oola ist gekommen, um seinen Herrn zu schützen.“
„Sei nicht albern, Oola!“ schalt Bill. „Du kennst den
Mann doch gar nicht. Oder weißt du etwas von ihm?“
Oola schüttelte den Kopf. „Oola weiß nur, daß er schlecht ist.“
„Geh mit Tala nach hinten!“ befahl Bill. „Und komm erst wieder hierher, wenn wir dich rufen, verstanden?“
Oola verschwand. Man hörte Umas Motorboot durch die Nacht brummen. Es fuhr rasch flußabwärts und zerstörte das Spiegelbild der Sterne im Wasser.
„Nun, was hältst du von Raya Uma?“ fragte Bill seine
Frau.
„Ich traue ihm nicht über den Weg. Er ist so —“
„Schleimig“, fiel Dina ein. Die anderen stimmten ihr bei.
Ja, schleimig war der richtige Ausdruck für das Wesen des Mannes.
„Glaubst du, daß er ein Verbrechen plant?“ fragte Bill.
Frau Cunningham überlegte ein wenig. „Nein, das glaube ich eigentlich nicht“, antwortete sie dann. „Er weiß natürlich, daß er einen schlechten Ruf hat, und befürchtet nun, man könnte ihn beobachten, weil man neue Verbrechen von ihm erwartet. Es scheint ihm ja nicht besonders gut zu gehen, wenn er sich beim Film Geld verdienen muß. Aber seine Vorliebe für Altertümer hat er in einer so übertriebenen Weise betont, daß ich eigentlich nicht recht daran glaube.“
„Du meinst, seine Archäologiestudien sind nur ein
Deckmantel für seine Tätigkeit in der Kinostadt?“
„Ja, den Eindruck habe ich.“
101

„Wer weiß, was für dunkle Geschäfte er dort betreibt“, meinte Jack. „Vielleicht ist er der Besitzer von zweifelhaften Schaubuden oder Lokalen und außerdem noch irgendwie an dem Film beteiligt. Bestimmt hat er mehrere
Eisen im Feuer.“
„Wenn er sich mit nichts anderem beschäftigt, ist er von meinem Standpunkt aus recht harmlos“, erwiderte Bill.
„Ich bin hier, um größere Verbrechen zu verhindern von der Art, wie er sie früher begangen hat. Dunkle Geschäfte in der Kinostadt interessieren unsere Regierung nicht.“
Frau Cunningham atmete erleichtert auf. „Es wäre mir schrecklich, dich in irgendwelche Gefahren verwickelt zu wissen, Bill. Dieser Raya Uma kann bestimmt sehr rücksichtslos sein.“
„Das ist nur allzu wahr.“ Bill stand auf und reckte sich.
„Wir wollen jetzt schlafen gehen. Ich rauche nur noch eine
Zigarette. Der Sternenhimmel ist heute wieder einmal herrlich.“ Die Kinder sagten gute Nacht und legten sich hin. Sie waren so müde, daß sie sofort einschliefen. Bill ging zur
Reling und steckte sich eine Zigarette an. Während er rauchte, blickte er über den Fluß und dachte an den Besuch von Raya Uma. Nach ein paar Minuten sah er eine kleine Gestalt über das Deck schleichen und sich am Fußende von Philipps Matratze niederlassen. Oola war gekommen, um seinen Herrn zu bewachen. Als Bill auf dem
Weg zu seinem Lager an ihm vorbeikam, fuhr der Junge erschrocken in die Höhe.
„Bleib ruhig liegen“, sagte Bill leise. Oola sank zurück.
Er war glücklich. Sein Herr schlief, und er, Oola, bewachte ihn.
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Ein schöner Tag
Am nächsten Tag fuhren sie weiter. Bill hatte Tala gesagt, daß er langsam fahren solle. Bis Chaldo war es nicht weit, und er wollte nicht zu früh dort ankommen. Das
Land, an dem sie vorbeiglitten, sah verlassen und wüstenähnlich aus.
„Hier scheint man Ausgrabungen gemacht zu haben“, meinte Jack und zeigte auf einige Erdwälle. „Es muß eine
Menge Geld kosten, eine ganze Stadt auszugraben.“
„Ja, das stimmt“, sagte Bill. „Aber manchmal wird man auch reichlich belohnt. Man findet ja nicht nur verfallene
Bauten, sondern auch kostbare Schätze unter der Erde.“
„Was für Schätze?“ fragte Philipp überrascht.
„Nun, in dieser Gegend befanden sich in alten Zeiten viele Königsgräber. Fragt mich aber nicht nach den Namen der Könige, ich habe sie vergessen.“
„Nebukadnezar?“ meinte Lucy.
„Ja, vielleicht hat sogar Nebukadnezar hier irgendwo in einem Palast gehaust — oder der große König Saigon.
Ich weiß es wirklich nicht. Jedenfalls wurden die Könige, wenn sie gestorben waren, in prächtigen Gräbern beigesetzt. Man legte ihnen mit Edelsteinen besetzte Schilde, kostbare Schwerter und andere Schätze mit ins Grab.“
„Donnerwetter!“ rief Jack ganz aufgeregt. „Und solche
Sachen, die viele tausend Jahre alt sind, hat man wirklich ausgegraben?“ 103

„Sogar eine Menge! Man kann sie auf der ganzen Welt in Museen bewundern. Sie haben ja vor allem historischen Wert, sind aber natürlich auch an und für sich wertvoll. Ich habe einmal eine herrliche, edelsteingeschmückte und mit Stierbildern verzierte goldene Schale gesehen, die bestimmt Tausende wert war.“
„Dann hat sich Herr Uma genau das richtige Steckenpferd ausgesucht“, meinte Jack. „Wertvolle Schätze auszugraben, muß ja ein wahres Vergnügen für ihn sein.“
„Das ist nicht so einfach, wie du glaubst“, erwiderte Bill.
„Zu einer Ausgrabung braucht man nicht nur eine Schar eingeborener Arbeiter, sondern auch weiße Fachleute, das kostet allerlei Geld. Wenn Herr Uma ein solches Unternehmen leitete, hätten wir auch schon davon gehört.“
„Ja, du hast recht. So etwas ließe sich nicht verheimlichen. Auch würden die Zeitungen darüber schreiben.“
„Seht mal, dort drüben stehen ein paar Ruinen!“ rief
Lucy und zeigte zum anderen Ufer hin. „Anscheinend sind sie erst kürzlich ausgegraben worden. Ob Tala etwas davon weiß?“
„Frage ihn doch“, antwortete Bill. „Ich glaube allerdings nicht, daß du viel von ihm erfahren wirst.“
Die Kinder gingen zu Tala und fragten ihn nach den
Ruinen. Er nickte eifrig. „Tala weiß. Talas Vater hat dort gegraben nach Schätzen. Aber er hat keine gefunden.
Alle weg!“
Mehr wußte Tala auch nicht. Die Kinder gingen zu Bill zurück und wiederholten ihm, was er gesagt hatte.
Bill sog nachdenklich an seiner Pfeife. „Wahrscheinlich hatte man aus alten Urkunden ersehen, daß dort unter der Erde ein Königsgrab liegt, in dem natürlich reiche
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Schätze zu vermuten waren. Aber dann mußte man entdecken, daß das Grab gewaltsam geöffnet und ausgeraubt worden war.“
„Aber wer kann das gemacht haben?“ fragte Lucy.
„Einbrecher vor ein paar tausend Jahren.“ Bill lachte über Lucys erstauntes Gesicht. „Ich habe euch doch gesagt, daß dies ein uraltes Land ist. Unter Schutt und
Staub liegen hier oft Ruinen verschiedener Städte übereinander.“
Eine Stadt über der anderen! Das konnte Lucy einfach nicht fassen. Sie versuchte zurückzudenken und sich vorzustellen, wie in diesem Land, über das sie jetzt schaute,
Städte entstanden und in Trümmer gesunken waren, wie sich auf den Trümmern wieder neue Städte erhoben, bis auch sie verfielen und wieder neue Städte auf ihren Ruinen errichtet wurden. Sie schauderte. „Ich finde das unheimlich, Bill. Wir wollen lieber über etwas anderes sprechen.“
Bill umarmte sie. „Wie war's mit Zitronenlimonade,
Lucy? Wollen wir darüber sprechen? Es scheint mir ein passendes Thema für einen so heißen Tag zu sein.“
„O Bill, du willst ja nur, daß ich dir etwas hole!“ rief
Lucy, die Bills Spaße kannte. „Jack, Philipp, wollt ihr auch
Saft haben?“
„Saft, Saft!“ wiederholte Kiki. „Holt den Saft! Putzt den
Saft!“
Da Dina in die Kajüte gegangen war, holte Philipp seine Bargua hervor und ließ sie einen kleinen Spaziergang übers Deck machen. Vergnügt schlängelte sie sich um seine Füße. Wieder einmal bewunderte Philipp die schöne grüne Schlangenhaut mit den leuchtenden Farbtupfen.
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„Es ist wirklich ein Jammer, daß man ihr die Giftröhre rausgeschnitten hat, findest du nicht auch, Jack?“
„Na, im Augenblick bin ich eigentlich ganz froh darüber“, meinte Jack lachend.
Nun brachte Lucy eine Kanne mit Saft. Oola trug stolz ein Tablett mit Gläsern. Er freute sich, daß die Schlange, sein Geschenk für seinen Herrn, draußen herumkroch.
Als Dina zurückkam, steckte Philipp die Schlange rasch wieder unter sein Hemd.
Es war ein herrlicher Tag. Mittags legten sie in einer kleinen Bucht an. Das Wasser war wundervoll klar, und die vier Kinder nahmen ein Bad. Oola saß auf dem Bootsrand und sah erstaunt zu, wie sie umherschwammen und tauchten. Philipp hatte ihm die Bargua anvertraut, solange er im Wasser war, und er hatte sie stolz um seinen
Hals gehängt.
„Komm auch herein, Oola!“ rief Jack.
Aber der Junge schüttelte entsetzt den Kopf. Einmal steckte er eine Fußspitze in das lauwarme Wasser, zog sie jedoch schnell wieder kreischend zurück, als habe ihn etwas gebissen.
Kiki gefiel es gar nicht, daß sich plötzlich niemand um ihn kümmerte. Er flog auf einen Baum am Ufer und erhob ein mörderisches Geschrei.
Philipp bespritzte ihn mit Wasser. „Sei still, Kiki! Das hört sich ja an, als wollte man dich ermorden.“
Ärgerlich krächzend erhob sich Kiki hoch in die Luft.
Dann flog er aufs Boot und watschelte zu Oola, um sich bei ihm Trost zu holen. Aber als er die Bargua um Oolas
Hals hängen sah, trippelte er zurück und zischte wie eine

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Schlange. Frau Cunningham hatte ihn lächelnd beobachtet und rief ihn zu sich.
Sogleich flog er auf ihre Schulter. „Armer Polly!“ flüsterte er ihr ins Ohr. „Armer, lustiger Polly!“
Frau Cunningham lachte. „Was bist du nun, lustig oder arm? Warte nur, bald kommen die Kinder aus dem Wasser.“
Etwas später sagte Bill: „Ich wünschte, wir brauchten heute abend nicht mehr fortzugehen. Zu dumm, daß ich
Umas Einladung angenommen habe! Die Abende auf dem Boot sind immer so schön und friedlich.“
„Ich habe auch gar keine Lust, zu Uma zu gehen. Aber wir brauchen ja nicht lange zu bleiben. Und vielleicht erfährst du doch etwas Wichtiges, man kann nie wissen.“
Endlich fuhren sie weiter und landeten gegen halb sechs in Chaldo. Bill und seine Frau zogen sich um. „Tala wird euch nachher etwas zu essen bringen, Kinder“, sagte Frau Cunningham. „Geht nicht zu spät schlafen.
Wir werden wahrscheinlich nicht lange bleiben.“
„Da kommt Herr Uma!“ Jack hatte am Ufer einen Mann mit einer Laterne entdeckt. „Auf Wiedersehen, Bill! Auf
Wiedersehen, Tante Allie! Haltet Augen und Ohren offen!
Raya Uma ist vielleicht nicht so harmlos, wie er sich gibt.“
„Guten Abend!“ rief Herr Uma zum Boot hinüber.
„Kommen Sie, ich führe Sie zu meinem Haus. Es ist nicht weit von hier. Haben Ihre Kinder nicht Lust, sich ein Eingeborenenfest im nächsten Dorf anzusehen? Dort wird heute eine Hochzeit gefeiert. Es ist sehr interessant, die
Leute beim Tanz zu beobachten. Mein Diener kann die
Kinder hinführen.“
„Ach ja, laß uns hingehen, Bill!“ rief Lucy.
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Aber Bill wollte nichts davon wissen. „Nein, ich möchte, daß die Kinder abends auf dem Boot bleiben“, erwiderte er bestimmt.
„Ach, Bill, dürfen wir nicht gehen?“ bat Jack schmeichelnd. „Wir werden auch keinen Unfug machen, das verspreche ich dir.“
Doch Bill blieb fest. „Ich wünsche nicht, daß ihr jetzt in der Dunkelheit fortgeht. Auch haben die Eingeborenen es nicht gern, wenn Fremde ihnen beim Tanz zusehen.“
Die Kinder waren recht enttäuscht. Mißmutig sahen sie den Eltern nach und beobachteten, wie die Laterne, die
Umas Diener trug, langsam im Dunkel verschwand.
„Zu schade, daß wir nicht gehen dürfen!“ brummte Dina. „Was hätte uns denn schon passieren können, wenn
Umas Diener uns begleitet?“
„Na, es hat keinen Zweck, den Kopf hängen zu lassen“, meinte Jack. „Was wird es wohl heute zum Abendbrot geben?“ Tala brachte den Kindern ein leckeres Mahl. Als sie dadurch schnell getröstet schmausten, hörten sie ihn am anderen Ende des Bootes mit einem Mann sprechen.
„Wer ist da, Tala?“ rief Philipp.
„Es ist Jallie, der Diener von Herrn Uma. Herr Bill schickt ihn, ihr sollt gehen zusehen Hochzeitstanz. Er sagt, er hat sich anders besonnen.“
Die Kinder jubelten. Schnell aßen sie zu Ende. Dann rief Philipp: „Tala, sag dem Mann, daß wir fertig sind. Wir holen nur noch unsere Wolljacken. Es ist etwas kühl heute abend.“
„Darf Oola auch gehen?“ ertönte es leise.

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„Nein!“ antwortete Tala. „Großer Boß hat gesagt, du nicht gehen. Du bleibst bei Tala und wirst arbeiten.“
Oola war traurig und beschloß bei sich, den Kindern nachzuschleichen, sobald er mit seiner Arbeit fertig war.
Er würde schon herausbekommen, wohin sie gegangen waren. „Auf Wiedersehen, Oola!“ rief Lucy. „Wir kommen bald zurück. Paß inzwischen gut auf das Boot auf.“
Oola sah den Kindern nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden waren. Sein Herz war schwer. Etwas
Schlimmes würde geschehen, etwas sehr Schlimmes, das wußte er genau.

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Eine Falle
Der Weg zu dem Dorf schien ziemlich weit zu sein.
Nachdem die Kinder eine Weile durch den dunklen Wald gegangen waren, beschlich Jack plötzlich ein unbehagliches Gefühl.
„Wie weit ist es noch?“ fragte er Jallie, der mit der Laterne vorausging.
„Wir sind gleich da“, antwortete der Mann mürrisch.
Aber zehn Minuten später waren noch immer keine
Häuser zu sehen. „Philipp!“ sagte Jack leise. „Mir kommt die Sache nicht geheuer vor. Frage ihn noch einmal, wann wir zum Dorf kommen.“
Philipp zog Jallie am Ärmel. „Wann kommen wir denn endlich zu dem Dorf?“
„Gleich“, antwortete Jallie wieder.
Philipp blieb stehen. Auch ihm wurde nun unbehaglich zumute. Ob es überhaupt stimmte, daß Bill ihnen erlaubt hatte, zu dem Tanz zu gehen? Vielleicht hatte man die
Kinder getäuscht und wollte sie nur von dem Boot fortlokken, damit Uma es durchsuchen konnte. Eigentlich sah es Bill doch gar nicht ähnlich, seine Entschlüsse so schnell zu ändern.
„Kommt weiter!“ sagte der Mann und hielt die Laterne höher, um zu sehen, warum die Kinder stehengeblieben waren. 110

Jack zupfte Lucy am Ärmel. „Tu so, als ob dir übel sei!“ flüsterte er ihr zu. „Weine und sage, daß du zum Boot zurück willst!“
Lucy gehorchte sofort. „Jack!“ rief sie schluchzend. „Mir ist übel. Ich will zurück!“
„Zurück!“ echote Kiki.
Jack legte seinen Arm um Lucys Schultern. „Meine
Schwester fühlt sich nicht wohl“, sagte er zu Jallie. „Wir müssen zum Boot zurückgehen.“
„Nein!“ widersprach Jallie. „Kommt weiter!“
„Warum denn?“ rief Jack ärgerlich. „Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Führe uns zurück.“
„Nein!“ wiederholte der Mann eigensinnig. „Ich habe andere Befehle. Kommt!“
Nun mischte sich Philipp ein. „Was soll das heißen?
Die Sache kommt mir verdächtig vor. Du willst uns wohl gar nicht zu einem Hochzeitstanz führen, wie? Auf alle
Fälle befehle ich dir, uns jetzt sofort zurückzubringen!''
Jallie schien nicht recht zu wissen, was er tun sollte.
Natürlich konnte er die vier Kinder nicht zwingen, ihm zu folgen. Aber zum Boot zurückbringen wollte er sie offenbar auch nicht.
Die Mädchen wurden ängstlich. Lucy weinte nun wirklich. „Du wirst uns zurückbringen!“ sagte Philipp drohend zu Jallie. „Paß auf — ich habe hier jemand, der dich dazu zwingen wird.“
Er fuhr mit der Hand unter seine Wolljacke und berührte die fest schlafende Bargua. Als sie die Hand des
Jungen spürte, wand sie sich behaglich. Philipp zog sie hervor und hielt sie dem Mann vors Gesicht.

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Jallie wich einen Schritt zurück. „Bargua!“ hauchte er ganz entsetzt.
„Ja, eine Bargua — meine Bargua! Sie gehorcht mir aufs Wort. Soll ich ihr befehlen, dich zu beißen?“
Jallie fiel auf die Knie. „Gnade, Gnade!“ flehte er mit zitternder Stimme. „Ich bringe euch zurück. Nimm die
Schlange weg.“
„Wenn du fortläufst, schicke ich sie dir nach“, drohte
Philipp, der auf alle Fälle verhindern wollte, daß der Mann die Kinder in der ihnen unbekannten Gegend allein ließ.
„Nein, nein, ich bringe euch!“ versicherte Jallie.
„Dann steh auf und geh voraus!“ Philipp nahm die
Schlange an sich, und sie fuhr ihm mit ihrer gespaltenen
Zunge zärtlich übers Handgelenk. Jallie schauderte, als er das sah. Noch immer am ganzen Körper zitternd, hob er die Laterne hoch und machte sich auf den Weg. Immerzu mußte er an die Bargua hinter sich denken. Was für ein unheimlicher Junge, der eine giftige Schlange bei sich trug! Furchtsam führte er die Kinder zurück. Sie wußten nicht, ob es derselbe Weg war, den sie gekommen waren, aber sie hofften es.
Philipp machte sich große Sorgen. „Uma muß seinem
Diener befohlen haben, uns so weit vom Fluß fortzuführen, bis wir nicht mehr allein zurückfinden“, dachte er.
„Was mag er nur mit Bill und Mutter angestellt haben?“
Der Weg kam den Kindern endlos lang vor. Endlich sahen sie zwischen den Bäumen Wasser blitzen und atmeten auf.
„Der Fluß der Abenteuer!“ mußte Jack plötzlich denken.
Jetzt paßte der Name wirklich.

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Jallie drehte sich um und zeigte nach vorn. „Dort ist der
Fluß. Darf ich jetzt gehen?“
„Ja, geh!“ sagte Philipp großmütig, und der Mann stolperte hastig davon.
Plötzlich kam eine kleine schmale Gestalt auf Philipp zugeflogen. Es war Oola. Er kauerte sich auf die Erde und legte seinen Kopf an Philipps linkes Knie. „Schlechte
Männer sind gekommen!“ rief er mit zitternder Stimme.
Erschrocken riß Philipp ihn in die Höhe. „Was ist passiert, Oola? Erzähle! Schnell!“
Schweigend zog Oola die Kinder zur Mole hin und zeigte auf den Platz, wo ihr Motorboot gelegen hatte. Die
Kinder erstarrten vor Schreck. Das Boot war fort.
Philipp schüttelte Oola. „Was ist denn passiert, Oola?
So rede doch!“
„Böse Männer sind zurückgekommen, haben großen
Boß und Frau auf Boot gebracht. Böse Männer haben
Tala gebunden und an Land geworfen. Böse Männer haben Boot fortgebracht —“ Oolas Stimme erstickte unter
Tränen.
Jack wurde vor Schreck ganz schwach, so daß er sich auf die Erde setzen mußte. „Woher weißt du das alles,
Oola?“ fragte er. „Warum hat man dich nicht auch gebunden?“
„Oola hatte sich von Boot geschlichen und wollte seinem Herrn nachgehen. Böse Männer Oola nicht gesehen.
Oola versteckt und zugesehen, was machen.“
„Nun wissen wir ziemlich genau, wie sich alles abgespielt hat“, sagte Philipp grimmig. „Uma befürchtete wohl, daß Bill zu viel von ihm weiß, und hat ihn daher in eine
Falle gelockt. Leider hat er Mutter mit ihm zusammen
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gefangen. Wir vier sollten natürlich auch irgendwie aus dem Weg geschafft werden. Ein Glück, daß uns wenigstens Oola geblieben ist!“
„Tala muß doch hier irgendwo in der Nähe sein“, meinte Jack. „Wir wollen ihn suchen.“
Sie gingen zum Fluß hinunter. Oola zeigte zu einem dunklen Fleck auf dem Wasser. „Dort ist Boot vom bösen
Mann. Warum hat er nicht sein Boot genommen?“
„Für uns wäre das bedeutend angenehmer“, meinte
Jack. „Aber er wollte wahrscheinlich nicht nur uns, sondern auch unser Boot verschwinden lassen. Hört mal, da stöhnt jemand! Es muß Tala sein.“
Oola lief behende wie eine Katze voraus und rief bald darauf: „Tala hier!“
Die Kinder liefen ihm nach. Wirklich, dort lag Tala auf der Erde. Er war wie ein Bündel zusammengeschnürt und konnte sich überhaupt nicht bewegen. Eine Weile bemühten sich die beiden Jungen vergeblich, den Strick zu lösen. Schließlich schnitt Jack ihn mit seinem Messer durch, und Tala richtete sich stöhnend auf.
Während er mit vielen Worten erzählte, was sich zugetragen hatte, schlug er sich immer wieder klagend an die
Brust. Entsetzlich, wie die Männer den großen Boß und die liebe kleine Frau gefesselt aufs Boot geschleppt hatten! Und dann hatten sie ihn, Tala, gebunden und wie einen Sack mit altem Gerümpel an Land geworfen. Talas
Stimme bebte vor Wut und Mitleid mit sich selber.
„Höre, Tala“, unterbrach Philipp ihn schließlich. „Hat
Herr Uma unsere Eltern aufs Boot gebracht?“
„Nein, es waren seine Diener. Böse Männer! Tala hat auf sie gespuckt.“
114

„Wohin ist das Boot gefahren?“ fragte Jack.
„Dorthin!“ Tala zeigte flußabwärts. „Ich hörte sie sagen
,Wooti'. Ich kenne Wooti nicht.“
„Was machen wir nun?“ fragte Dina besorgt. „Wir können doch nicht nachts draußen schlafen. Aber wo sollen wir bleiben? Wir kennen ja hier niemand außer Uma.“
Oola zog Philipp am Ärmel. „Oola weiß, was machen.
Wir nehmen Boot vom bösen Mann, ja?“
„Oola, das ist eine glänzende Idee!“ rief Philipp. „Natürlich nehmen wir Umas Boot. Wie du mir, so ich dir! Wir werden sofort einsteigen und zum Hotel zurückfahren.“
„Wollen wir nicht lieber nach Wooti fahren?“ meinte
Jack. „Das ist sicherlich nicht weit von hier. Wenn es ein größerer Ort ist, können wir das Verbrechen einer Behörde melden. Und dann hören wir dort vielleicht auch etwas von unserem Motorboot.“
„Ja, du hast recht.“ Philipp war sofort mit Jacks Vorschlag einverstanden. „Aber wirst du auch mit Umas Boot fahren können, Tala?“
„Ja, ja, Tala kann.“ Tala ging sofort zu dem Boot, und die Kinder folgten ihm. „Wir verfolgen böse Männer, ja?“
„Ich weiß nicht, was werden wird“, antwortete Jack.
„Aber hier bleiben wir auf keinen Fall, sonst würde Uma uns morgen ebenfalls gefangennehmen und irgendwo einsperren. Kommt alle Mann ins Boot!“
Sie kletterten auf das fremde Motorboot, und Tala machte sich sofort mit dem Motor zu schaffen.

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Auf dem Boot des Feindes
Unruhig sahen die Kinder zum Ufer hinüber. Womöglich kam plötzlich jemand und hielt sie zurück. Vielleicht hatte Jallie seinen Kameraden erzählt, daß die Kinder ihn gezwungen hatten, sie zum Fluß zurückzubringen. Uma könnte andere Männer ausschicken, um sie gefangenzunehmen.
Aber es zeigte sich niemand, und außer dem Murmeln des Flusses hörte man nur die Geräusche, die Tala machte, während er den Motor in Gang zu bringen versuchte. Oola leuchtete ihm schweigend mit einer Taschenlampe.
Aha, jetzt schien Leben in den Motor zu kommen! Er sprang an — er brummte.
„Beeil dich, Tala!“ drängte Philipp, denn das Motorgeräusch klang sehr laut in der Stille der Nacht.
Da heulte der Motor auf, und das Boot schoß in die
Mitte des Flusses. Dort verlangsamte es seine Fahrt ein wenig und fuhr dann in gleichmäßigem Tempo weiter.
Die Kinder atmeten erleichtert auf. Niemand versuchte sie aufzuhalten. Kein Mensch schien bemerkt zu haben, daß sie mit Umas Boot geflohen waren.
„Weißt du, wie weit es bis Wooti ist, Tala?“ fragte Jack.
„Ich bin noch nicht dort gewesen“, antwortete Tala. „Es ist bestimmt sehr weit. Kennst du Wooti, Oola?“

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Nein, Oola kannte es auch nicht, aber er wußte, daß vor Wooti ein Dorf namens Hoa lag. „Wenn wir kommen nach Hoa, ich gehe an Land und frage nach Wooti, ja?“
Die Kinder waren mit dem Vorschlag einverstanden. „In
Wooti dürfen wir nicht mit dem Boot anlegen“, sagte Jack,
„sonst nimmt man uns womöglich sofort gefangen. Wir müssen ein Stück vor Wooti an Land gehen und uns unauffällig hinschleichen.“
Philipp stimmte ihm zu. „Wir wollen etwa eine Stunde lang fahren und dann am Ufer anlegen. Es ist besser, wir schlafen ein paar Stunden, sobald wir vor einer Verfolgung sicher sind.“
„An Umas Landungsplatz lagen ja gar keine anderen
Boote, also kann man uns auch nicht verfolgen“, erwiderte Jack. „Aber wir müssen natürlich auf alles gefaßt sein.“ Während Tala das Boot durch die von Sternen erleuchtete Nacht steuerte, unterhielten sich die Kinder leise. Oola saß glücklich und zufrieden dicht neben Philipp.
Warum sollte er sich auch fürchten? Die Kinder waren ja so klug und würden den bösen Männern bestimmt entkommen. Auch konnte Tala ihm nun nicht mehr verbieten, neben Philipp zu sitzen, denn Umas Motorboot war viel kleiner als das andere.
Nachdem sie eine Stunde lang gefahren waren, sagte
Philipp zu Tala, er solle anhalten. Die Gegend sah recht verlassen aus. Bisher waren sie an keinem Dorf vorbeigekommen.
Tala steuerte auf einen geradegewachsenen jungen
Baum zu, und das Boot stieß sanft ans Ufer. Als der Mo-

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tor schwieg, spürten die Kinder die Stille der Nacht wie etwas Greifbares.
„Gut gemacht, Tala!“ sagte Jack. „Warte, ich helfe dir, das Boot festzumachen. Dann wollen wir uns alle hinlegen und schlafen.“
Nach fünf Minuten lagen alle in tiefem Schlaf. Oola hatte sich zu Philipps Füßen zusammengerollt. Die beiden Mädchen hielten sich eng umschlungen. Tala schlief in einer sehr unbequemen Stellung am Steuer, hin und wieder schnarchte er laut. Kiki hockte auf Jack und hatte den Kopf unter das Gefieder gesteckt.
Sie schliefen und schliefen. Als es zu dämmern begann, nahm das Wasser einen silbrigen Schimmer an.
Dann stieg die Sonne herauf und schien auf die Schläfer.
Die Bargua glitt leise aus Philipps Hemd, ließ sich auf seiner Schulter nieder und sonnte sich behaglich.
Dina erwachte als erste. Sie wunderte sich, warum sie sich so steif fühlte. Dann fielen ihr die Ereignisse der
Nacht ein. Als sie den Kopf drehte, sah sie die Schlange auf Philipps Schulter und stieß unwillkürlich einen Schrei aus. Sofort waren alle hellwach. Tala griff nach einem Messer, das er im Gürtel stecken hatte. Oola sprang auf die
Beine, fest entschlossen, seinen Herrn gegen alle bösen
Feinde der Welt zu verteidigen.
„Wer hat da geschrien?“ fragte Jack.
„Ich war es“, bekannte Dina kleinlaut. „Ich wollte gar nicht schreien, aber als ich aufwachte, fiel mein erster
Blick auf Philipps Bargua, die mich ansah. Es tut mir schrecklich leid.“

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„Leid, leid!“ sang Kiki und stieß dann, genau wie Dina vorhin, einen lauten Schrei aus.
„Gewöhn dir das bloß nicht an, Kiki!“ sagte Lucy lachend.
Die Schlange war sofort wieder unter Philipps Hemd geschlüpft. Dina atmete auf. Alle reckten sich und blickten neugierig umher. Der Fluß floß wie immer friedlich dahin, und die Ufer waren mit Bäumen bestanden. Im Augenblick interessierten sich die Kinder aber viel mehr dafür, ob sich Lebensmittel auf dem Boot befanden. Vielleicht benutzte Uma es nur, um auf dem Fluß hin und her zu fahren wie mit einem Auto auf einer Straße. Dann würde er natürlich nichts zu essen mitnehmen.
Nachdem die Kinder eine Weile herumgestöbert hatten, entdeckte Jack im vorderen Teil des Bootes unter einer
Bank eine Tür und öffnete sie. Aufgeregt rief er die anderen herbei, und bald guckten alle in einen Schrank, der bis obenhin mit Konserven gefüllt war. Jubelnd lasen sie die Aufschriften auf den Dosen. Da gab es Schinken,
Speck, Sardinen, verschiedene Früchte und sogar Suppe.
„Das ist ja merkwürdig!“ sagte Philipp erstaunt. „Warum führt Uma in diesem kleinen Motorboot so viele Lebensrnittel mit? Er muß wohl ziemlich weite Fahrten damit machen, die ihn in einsame Gegenden führen, wo er sich nichts zu essen kaufen kann.“
„Mir ist's gleichgültig, warum er Lebensmittel auf seine
Fahrten mitnimmt“, entgegnete Dina. „Die Hauptsache ist, daß wir etwas zu essen haben. Seht nur — da ist auch
Zitronensaft und Orangensaft. Den müßte man allerdings etwas mit Wasser verdünnen.“

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Tala deutete auf einen eingebauten Tank. „Wasser dort!“ Aber der Tank war leer. Sie würden den Saft also unverdünnt trinken müssen.
In einem anderen Schrank fanden die Kinder Seile,
Lampen und starke Haken.
„Was sind denn das für Haken?“ fragte Lucy.
„Man gebraucht sie beim Klettern im Gebirge, wenn man sich anseilen muß“, erklärte Jack. „Wozu Uma sie benutzt, ist mir allerdings schleierhaft.“
„Ich weiß es!“ rief Dina. „Für sein Steckenpferd — Archäologie. Er interessiert sich doch angeblich so sehr für
Ausgrabungen. Dazu braucht er natürlich Seile und Haken. Ist sonst noch etwas Besonderes im Schrank?“
„Ein paar Spaten, und eine kleine Hacke“, antwortete
Jack. „Na, ich muß schon sagen, wenn Uma seine Ausgrabungen als Deckmantel für andere dunkle Geschäfte unternimmt, ist er mächtig gründlich. Seht mal, hier sind sogar Bücher über Archäologie!“
Er zog ein paar Bücher hervor und blätterte ein wenig darin. An vielen Stellen waren Anmerkungen an den
Rand gekritzelt, offenbar hatte jemand eifrig in den Büchern gelesen.
„Nachher werde ich mir die Dinger mal genauer ansehen“, sagte Jack. „Aber jetzt wollen wir etwas essen. Mir knurrt gewaltig der Magen.“
Auch die anderen waren hungrig. In dem Lebensmittelschrank hingen zwei Dosenöffner an einem Nagel. Einen davon nahm Jack vorsorglich an sich und steckte ihn in die Tasche. Sie öffneten eine Dose mit Schinken und zwei Dosen mit Früchten, das schien ihnen gut zusam120

menzupassen. Nachdem sie gegessen hatten, tranken sie etwas Saft, aber ihr Durst wurde nicht gestillt.
Philipp guckte in den leeren Tank. „Wir müssen den
Tank irgendwo mit Wasser füllen. Er sieht ganz sauber aus.“ „Tala und Oola holen Wasser und Brot im nächsten
Dorf, schlug Tala vor.
„Einverstanden!“ sagte Jack. „Aber wir dürfen auf keinen Fall in Wooti anlegen. Seht euch bloß Kiki an! Jetzt nimmt er sich schon das fünfte Stück Ananas. Hallo Kiki, schmeckt's dir?“
Nachdem Kiki das Ananasstück verspeist hatte, guckte er in die leere Dose. „Alles futsch!“ quarrte er enttäuscht.
„Hol den Doktor!“
Jack lachte. „Tala, können wir weiterfahren? Halte am nächsten Dorf an, wenn es dir ungefährlich erscheint.“
Tala machte das Boot vom Ufer los, setzte den Motor in Gang und steuerte in die Mitte des Flusses. Dann fuhren sie in stetigem Tempo flußabwärts. Die Sonne schien warm. Die Kinder waren munter und zuversichtlich, obwohl sie sich natürlich Sorgen um Bill und die Mutter machten.
Nach einer Weile gelangten sie an ein Dorf. Eingeborenenkinder kamen ans Ufer gelaufen. Tala steuerte auf einen Anlegeplatz zu und unterhielt sich kurz mit einem
Jungen. Dann drehte er sich zu den Kindern im Boot um.
„Er sagt, dies Hoa. Wooti noch weit weg — zwei, drei
Stunden. Er will Tala geben Wassersack und Brot. Soll ich gehen?“
Jack nickte. „Gut! Achte aber darauf, daß das Wasser sauber ist und direkt aus dem Brunnen kommt. Oola, du
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gehst mit Tala und hilfst ihm tragen. Wir werden auch an
Land gehen und uns ein bißchen die Beine vertreten. Hier wird uns schon nichts passieren. Bleibt aber vorsichtshalber in der Nähe des Bootes, Kinder!“

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Der sonderbare Fluß
Es tat den Kindern gut, sich ein wenig Bewegung machen zu können. Kiki hockte auf Jacks Schulter und erregte wie immer großes Aufsehen. Die Eingeborenenkinder liefen hinter Jack her, zeigten auf den Papagei und schwatzten aufgeregt. Philipp hielt seine Schlange weislich verborgen, um nicht wieder eine große Aufregung hervorzurufen wie in Ullabaid, als er sie vor dem alten
Tempel herausließ.
Tala und Oola hatten ein paar Wassereimer mitgenommen, die sie im Boot gefunden hatten. Dina war froh darüber. Sie mochte die Wassersäcke aus Tierhäuten nicht, in denen die Eingeborenen gewöhnlich Wasser transportierten. Die beiden blieben ziemlich lange fort, so daß die Kinder schon befürchteten, daß ihnen etwas zugestoßen sei. Endlich kamen sie aus dem Dorf zurück.
Beide trugen schwere Wassereimer und hatten sich ein paar Brotlaibe über die Schultern gehängt. Da Tala wußte, daß die Fremden ihr Brot gern eingepackt haben, hatte er sie in saubere Tücher gewickelt.
„Was habt ihr nur so lange gemacht?“ begrüßte Jack die beiden etwas ärgerlich.
„Tala hat geredet und geredet“, antwortete Oola.
Tala warf ihm einen bösen Blick zu und reckte sich dann zu seiner vollen Höhe auf. „Ja, ich habe geredet, aber ich habe auch etwas erfahren. Alle Leute hier ken123

nen Uma. Er gräbt sehr viel. Die Leute sagen, er weiß, wo großer Schatz mit viel Gold.“
Jack lachte ihn aus. „Das ist doch Geschwätz, Tala!
Uma tut nur so, als ob er nach alten Sachen gräbt. In
Wirklichkeit hat er etwas ganz anderes vor.“
„Kommt aufs Boot“, sagte Philipp ungeduldig. „Ich lechze nach Orangensaft.“
Alle waren durstig. Nachdem sie das Wasser in den
Tank gegossen hatten, mischten sie sich Saft und tranken. Dann setzte sich Tala wieder ans Steuer, und sie fuhren weiter. Hin und wieder kamen sie an einem kleinen
Dorf vorüber. Als ein größerer Ort in Sicht kam, drehte sich Tala um. „Soll ich hier anhalten und nach dem Namen des Ortes fragen?“
„Nein, es kann noch nicht Wooti sein“, antwortete Jack, nachdem er auf seine Uhr gesehen hatte. „Wir sind erst anderthalb Stunden gefahren, und der Junge in Hoa hat gesagt, daß wir zwei bis drei Stunden nach Wooti brauchen.“
Tala fuhr weiter. Nach einer Weile wurde der Fluß plötzlich sehr breit und sah fast wie ein See aus. Verwundert beobachteten die Kinder, wie die Ufer immer weiter zurückwichen. „Wenn der Fluß noch breiter wird, können wir bald kein
Land mehr sehen“, sagte Dina.
Lucy sah sich erstaunt nach allen Seiten um. „Jack, sind wir — etwa — auf dem Meer?“
Alle lachten sie aus. Sogar Tala lächelte. Lucy errötete, und Jack klopfte ihr auf den Rücken. „Es sieht tatsächlich so aus, als seien wir auf dem Meer. Gewiß wird der Fluß

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bald wieder schmäler. Vielleicht ist das Wasser hier sehr flach, so daß es sich mehr ausgebreitet hat.“
„Fahr lieber an einem Ufer entlang, Tala!“ rief Philipp.
„Sonst verlieren wir die Richtung.“
„Schade, daß wir nicht die Karte vom Fluß hier haben!“ meinte Jack. „Darauf war jedes kleinste Dorf zu finden.
Wir hätten nachsehen können, wo Wooti liegt und wann der Fluß wieder schmäler wird.“
Tala steuerte das Boot ans linke Ufer. Von dem anderen Flußufer war nun überhaupt nichts mehr zu sehen.
Tala war erstaunt und auch ein wenig ängstlich. „Der Fluß sehr breit“, sagte er zu Oola, der neben ihm saß. „Wenn
Wooti auf anderer Seite, wir es nicht sehen.“
Philipp war der gleiche Gedanke gekommen. Er zupfte
Jack am Ärmel. „Jack — womöglich liegt Wooti am anderen Ufer. Dann fahren wir daran vorbei.“
„Himmel, du hast recht! Wir müssen am nächsten Dorf anhalten und uns nach Wooti erkundigen. Wenn es am anderen Ufer liegt, fahren wir eben hinüber. Hoffentlich haben wir es nicht verfehlt!“
Sie schauten nach einem Dorf aus. Aber das Ufer war mit dichtem Buschwerk bewachsen, und sie konnten keine Häuser entdecken. Nach einer Stunde wurden die
Kinder unruhig.
„Zu dumm, daß wir keine Karte haben!“ rief Jack.
„Warum hat dieser verflixte Uma keine Karten an Bord?
Sie würden uns eine große Hilfe sein. Ach, seht mal, da drüben taucht Land auf! Man kann das rechte Ufer wieder sehen.“ Wirklich war rechts in der Ferne ein brauner Strich zu sehen, der schnell näher zu kommen schien. Der Fluß
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wurde wieder schmäler, und bald war er sogar so schmal, wie er noch niemals gewesen war, seitdem sie sich darauf befanden.
„Das ist ja sonderbar!“ sagte Philipp. „Wir fahren doch flußabwärts. Flüsse werden aber gewöhnlich immer breiter, je mehr sie sich dem Meer nähern, weil sie ja von mehreren Nebenflüssen gespeist werden.“
„Ja, natürlich!“ rief Jack. „Wie kommt es nur, daß unser
Fluß, der vorhin noch so breit war, plötzlich ganz schmal wird?“ „Vielleicht hat er sich in mehrere Arme geteilt, und wir befinden uns in einem Nebenarm. Anders kann ich mir das nicht erklären.“
„Halt einmal an, Tala!“ rief Jack. „Wir müssen beraten, was wir tun sollen.“
Bereitwillig stellte Tala den Motor ab. Ihm war recht unheimlich zumute. Was für ein besonderer Fluß! Und wo mochte Wooti liegen?
Alle setzten sich in die Mitte des Bootes. Sie waren sehr ernst, und nicht einmal Kiki wagte es, ihre Unterredung zu unterbrechen.
„Tala, kannst du dir erklären, warum der Fluß plötzlich so schmal geworden ist?“ fragte Jack. „Glaubst du, daß er sich in mehrere Arme geteilt hat?“
Tala zuckte die Achseln. „Ich nicht weiß. Wir wollen zurückfahren. Dieser Fluß ist böse.“
„Wir müssen an Wooti vorbeigefahren sein“, meinte
Philipp. „Sicherlich lag es am rechten Ufer. Was machen wir nun?“
„Wir wollen weiterfahren“, schlug Dina vor. „Bestimmt kommen wir bald zu einem Dorf.“
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Jack ließ seine Augen über die Ufer schweifen. „Die
Gegend hier sieht ziemlich verlassen aus. Man sieht nur ein paar Bäume, kümmerliche Büsche und sandige Hügel. Ich bin dafür, wir fahren noch eine halbe Stunde weiter. Wenn dann noch immer keine Häuser auftauchen, kehren wir um und fahren am anderen Ufer zurück. Vielleicht stoßen wir dann auf Wooti.“
„Ich sage, gleich zurückfahren!“ wiederholte Tala eigensinnig. „Dieser Fluß ist böse. Wasser tief, sehr tief.“ Er stand auf und zeigte über den Bootsrand.
Jack stand ebenfalls auf und blickte ins Wasser, das jetzt ziemlich trübe war. „Woher willst du wissen, daß das
Wasser sehr tief ist, Tala?“
„Ich weiß es. Motor klingt anders auf tiefem Wasser.
Böser Fluß!“
„Also wir fahren jetzt noch eine halbe Stunde auf dem bösen Fluß“, sagte Philipp bestimmt. Wenn dann noch kein Dorf zu sehen ist, kehren wir um. Stell den Motor an,
Tala.“
Aber Tala blieb widerspenstig stehen und machte ein mürrisches Gesicht. Jack und Philipp wechselten einen besorgten Blick. Wollte Tala etwa im entscheidenden Augenblick meutern? Sie durften nicht nachgeben. Wenn er jetzt seinen Willen durchsetzte, würde er sich innen überlegen fühlen und auch andere Entschlüsse, die sie faßten, zu durchkreuzen versuchen.
„Tala, tu, was ich dir gesagt habe!“ befahl Philipp ihm streng und ahmte dabei genau Bills Tonfall nach. Aber
Tala rührte sich nicht vom Fleck.
Da heulte plötzlich zum Erstaunen der Kinder der Motor auf, und das Boot schoß mit einem Ruck vorwärts. Dann
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hörten sie von vom eine Stimme: „Oola gehorcht seinem
Herrn. Oola fährt das Boot.“
Mit einem wütenden Schrei sprang Tala auf, rannte zum Steuer und stieß Oola schimpfend beiseite. Dann steuerte er das Boot schweigend und mit grimmiger Miene durch den schmalen Fluß.
Oola lief zu den Kindern zurück. „Oola hat gemacht, daß Tala seinem Herrn gehorcht!“ verkündete er grinsend und freute sich über das Gelächter, das seine Tat belohnte.
„Bravo, Oola!“ lobte ihn Philipp. „Aber tu so etwas bitte nicht zu oft. Du hast uns einen tüchtigen Schreck eingejagt.“

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Eine gefährliche Fahrt
Tala fuhr sehr schnell, um zu zeigen, daß er böse war.
„Langsamer, Tala!“ rief Philipp ihm zu.
Tala gehorchte. Er befürchtete wohl, daß Oola kommen könne, um ihm zu zeigen, wie man langsam fährt. Je weiter sie kamen, desto näher rückten die Flußufer zusammen. Auch wurden sie immer höher und felsiger.
„Wir sind ja in einer Felsenschlucht!“ rief Jack. „Tala, fahr nicht so schnell!“
„Ich fahre nicht schnell“, rief Tala zurück. „Fluß geht schnell, sehr schnell und nimmt Boot mit. Paßt auf!“
Er stellte den Motor ab, und da wußten die Kinder, was er meinte. Die Strömung war so stark geworden, daß das
Boot von ihr fortgetragen wurde, es brauchte keinen Motor mehr, um vorwärts zu kommen. Da die Felsen an den
Ufern immer höher wurden, begannen sich die Kinder zu fürchten. „Halt an, Tala, halt an!“ schrie Philipp.
„Wie soll ich anhalten? Fluß reißt das Boot mit — immer weiter und weiter.“
„Natürlich kann Tala nicht anhalten“, sagte Jack. „Und wo sollten wir hier auch landen? An beiden Seiten sind ja steile Felsen. Das Boot wird zerschellen, wenn Tala es nicht in der Mitte hält.“
Dina und Lucy erbleichten. Kiki steckte den Kopf entsetzt unter das Gefieder. Die Jungen blickten besorgt die
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Ufer hinauf. Bald waren die Felsen so hoch, daß man nur noch einen kleinen Streifen Himmel dazwischen sehen konnte. Unten in der Schlucht war es nun dämmrig. Das
Wasser floß nicht mehr ruhig und gleichmäßig wie früher.
Es brauste aufgewühlt und gischtig dahin und machte solchen Lärm, daß man sich nur noch mit Mühe verständigen konnte.
„Wir scheinen ja direkt zur Hölle zu fahren!“ rief Philipp.
„Horcht mal — was donnert da vor uns?“
Alle horchten angespannt. Tala wurde so bleich, wie es bei seiner braunen Hautfarbe möglich war. „Wasser fällt,
Wasser fällt!“ schrie er.
Jack ergriff Philipp entsetzt am Arm. „Ein Wasserfall — ein unterirdischer Wasserfall! Wir sind ja schon unter der
Erde, es ist fast ganz dunkel. Um Himmels willen, Philipp, wenn wir in den Wasserfall geraten, sind wir verloren!“
Das Donnern schwoll immer mehr an und erfüllte die enge Felsenschlucht. Die Mädchen hielten sich die Ohren zu. Tala bebte vor Angst, hielt das Steuer aber trotzdem fest umklammert und versuchte das Boot in der Mitte der
Strömung zu halten. Plötzlich stieß er einen lauten Schrei aus. „Der Wasserfall!“
Seine Worte ertranken in dem Tosen des Wassers. Es war nun stockdunkel in der Schlucht. Mit wild klopfenden
Herzen erwarteten die Kinder, was geschehen werde.
Und dann schwang das Boot ganz plötzlich scharf nach links, so daß es fast umgeschlagen wäre. Es schaukelte heftig, doch allmählich ließ das Schaukeln nach, und schließlich stand es still. Das Brausen des Wasserfalles klang jetzt gedämpfter.

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Was war geschehen? Erstaunt hoben die Kinder die
Köpfe und spähten umher. Aber es war so dunkel, daß sie nichts erkennen konnten.
Philipp fühlte, daß jemand seine Knie betastete. „Wie geht es, Herr?“ fragte Oola ängstlich.
„Danke, Oola.“ Philipp bemerkte verwundert, daß seine
Stimme zitterte. „Alles in Ordnung, Mädels?“
„Ja.“ Mehr brachten Dina und Lucy nicht hervor. Sie hielten sich eng umschlungen und wagten kaum zu atmen.
„Auch mir ist nichts passiert“, sagte nun Jack überraschend munter. „Hallo, Tala, wie geht's?“
Als Antwort erklang ein erbärmliches Stöhnen. Jack tastete sich nach vorn. „Bist du verletzt?“ fragte er besorgt und befühlte Tala von oben bis unten. Dann zog er seine
Taschenlampe hervor und knipste sie an. Tala hatte das
Gesicht auf das Steuerrad gelegt, hielt die Arme über seinen Kopf und stöhnte mitleiderregend. Verletzt schien er jedoch nicht zu sein. Jack schüttelte ihn. Da hob Tala den
Kopf. Er hatte Tränen in den Augen.
„Bist du verletzt?“ schrie Jack, der glaubte, Tala sei plötzlich taub geworden.
Tala blinzelte in das helle Licht der Lampe und wischte sich die Augen. Dann tastete er behutsam seinen Körper ab. „Nicht verletzt“, verkündete er endlich.
Nun leuchtete Jack mit seiner Lampe umher, um zu sehen, wo er sich eigentlich befand. Das Boot lag offenbar in einem Felsenteich. Seltsam! Wie war es nur hierher gelangt und aus der rasenden Strömung herausgekommen — gerade noch im rechten Augenblick, ehe es vom
Wasserfall in die Tiefe gerissen werden konnte?
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„Vorläufig scheinen wir hier sicher zu sein“, rief er den andern Kindern zu. „Ich schlage vor, wir essen jetzt etwas, dann wird uns gleich besser werden. Wo steckt denn Kiki?“
„Im Vorratsschrank“, antwortete Dina. „Ich habe soeben sein klägliches Krächzen von dort gehört.“
Jack beleuchtete den Schrank. Die Tür war bei der heftigen Schwenkung des Bootes aufgesprungen, und der
Papagei hatte in seiner Angst darin Zuflucht gesucht. Alle
Dosen waren durcheinandergerollt.
„Du kannst herauskommen, Kiki!“ rief Jack.
Da kam der Papagei mit gesenktem Schöpf wie ein alter gebeugter Mann aus dem Schrank gewatschelt. Langsam kletterte er an Jack hinauf, als könnte er nicht mehr fliegen, und hockte sich jämmerlich krächzend auf seine
Schulter.
Jack streichelte ihn beruhigend. „Lang mal ein paar
Dosen aus dem Schrank, Dina“, sagte er. Kopf hoch,
Lucy, wir leben noch! Philipp, steck bitte die Bootslaterne an, damit wir etwas Licht haben.“
Nur gut, daß Jack das Kommando übernahm! Seine muntere Stimme beruhigte die anderen. Sie erholten sich von ihrem Schreck, und sogar Tala hörte nach einer
Weile auf zu stöhnen. Bald saßen alle beim Schein der hellen Bootslaterne beisammen, aßen Schinkenbrote und tranken Saft dazu.
„Na, macht das nicht Spaß?“ fragte der unverwüstliche
Jack und sah sich vergnügt im Kreise um.
Lucy brachte ein kleines Lächeln zustande, obwohl ihr gar nicht lustig zumute war.

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„Red doch keinen Unsinn!“ entgegnete Philipp. „Mir ist, als hätte ich einen bösen Traum. Was ist denn eigentlich passiert?“ Niemand wußte es. Keiner konnte sich erklären, wie sie in das stille Wasser gelangt waren. Vor ein paar Minuten war das Boot doch noch in rasender Eile von der Strömung mitgerissen worden — zu einem Wasserfall hin, der, nach dem gewaltigen Donnern zu urteilen, riesig sein mußte. Dann hatte es plötzlich eine Schwenkung nach links gemacht und lag nun in Sicherheit.
Das Essen tat den Kindern gut, und bald unterhielten sie sich so lebhaft wie sonst. Auch Tala schien sich besser zu fühlen, nachdem er ein Schinkenbrot gegessen hatte. Plötzlich breitete sich zum Erstaunen der Kinder solch ein strahlendes Lächeln über sein Gesicht, wie sie es noch nie an ihm gesehen hatten.
„Was ist denn, Tala?“ fragte Jack lachend. „Du siehst ja aus, als hättest du das große Los gewonnen.“
Tala sah ihn verständnislos an. „Was habe ich losgewonnen?“
„Ach, nichts! Warum strahlst du denn plötzlich so?“
„Ich habe alle gerettet“, antwortete Tala lächelnd.
Es entstand ein verwundertes Schweigen. Was meinte
Tala damit? Hatte er den Verstand verloren? Er sah so sonderbar aus, wie er da mit gekreuzten Beinen unter der
Laterne hockte und mit dem Kopf nickte.
„Das verstehe ich nicht“, sagte Jack endlich. „Wieso hast du alle gerettet?“
Tala reckte sich. „Gerade ist mir eingefallen. Boot lief schnell, so schnell! Großer Lärm, Wasserfall ganz nah.

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Da ich sah Loch im Felsen, ich schwingen Steuer herum,
Boot beinahe umschlagen. Nun sind wir hier.“
Die Kinder starrten den Mann ungläubig an, Kiki spähte um Jacks Kopf herum und reckte den Hals.
„Aber Tala, du konntest doch gar nichts sehen!“ entgegnete Jack schließlich. „Es war ja stockdunkel in der
Schlucht.“
Nun mischte sich Oola ein, der neben Philipp saß. „Ja, ja, Oola hat auch Loch gesehen im Felsen. Tala und Oola gute Augen, in Dunkelheit sehen.“
„Na so was!“ rief Philipp erstaunt. „Ich habe überhaupt nichts sehen können. Tala hat wohl nach einem Felsspalt ausgeschaut und gerade noch einen entdeckt, bevor es zu spät war. Er muß Katzenaugen haben.“
„Ich habe gute Augen“, stimmte Tala eifrig zu. „Ich habe alle gerettet. Ich bin guter Mann.“ Er barst fast vor
Stolz über seine Tat.
Jack klopfte ihm auf die Schulter. „Du bist ein Held,
Tala! Komm, laß dir die Hand schütteln!“
Tala war begeistert, als ihm nun einer nach dem anderen, Oola mit eingeschlossen, die Hand schüttelte. Sogar
Kiki beugte sich zu ihm hinunter und streckte ihm die rechte Klaue entgegen. „Gott segne die Königin!“ krähte er. Offenbar hatte er das Gefühl, daß dies eine feierliche
Gelegenheit sei.
„So ist es also gekommen, daß unsere gefährliche
Fahrt ein Ende genommen hat“, sagte Jack und reichte noch einmal die Schinkenbrote herum. „Falls ich nicht träume, ist dies das aufregendste Abenteuer, das wir jemals erlebt haben. Wenn wir zu Ende gegessen haben,

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wollen wir mal auf Entdeckungen gehen. Es ist ja leicht möglich, daß wir vom Regen in die Traufe geraten sind.“

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Merkwürdige Entdeckungen
Bald waren alle gestärkt und fühlten sich kräftig genug, ihre Umgebung zu untersuchen. Jack hatte schon mit
Hilfe seiner Taschenlampe festgestellt, daß sich etwa drei
Meter über dem Wasser eine Felsendecke befand.
„Wir sind anscheinend in einer großen Höhle“, sagte er.
Tala nickte. „Ja, ich sah noch andere Höhlen. Aber
Boot flog vorbei, ich konnte nicht halten.“
Jack überlegte ein wenig und meinte dann: „Vielleicht ist dies aber gar keine richtige Höhle, sondern ein Felseneinschnitt, der irgendwo ins Freie führt.“
„Das werden wir sofort ergründen“, sagte Philipp. „Vergeßt nicht, eure Taschenlampen mitzunehmen. Die
Bootslaterne wollen wir brennen lassen, damit wir wieder zurückfinden. Auf alle Fälle müssen wir immer alle zusammenbleiben, hört ihr?“
Tala hatte das Boot sicher vertäut, so daß es nicht in den Fluß zurückgleiten konnte. Nun kletterte einer nach dem anderen heraus, und bald standen alle auf einem
Felsvorsprung, der am Rand des Wassers entlangführte.
Tala leuchtete stolz mit einer starken Taschenlampe, die er im Boot gefunden hatte. Die Höhle schien sich ziemlich weit in den Felsen zu erstrecken.
„Vielleicht ist dieser Teich hier das Ende eines unterirdischen Flusses, auf dem wir weiterfahren können“, meinte Jack hoffnungsvoll.
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„Du bist zu optimistisch, Jack“, erwiderte Philipp. „Wir werden froh sein, wenn wir uns selber retten können, von dem Boot gar nicht zu reden! Man soll sich davor hüten, falsche Hoffnungen zu erwecken.“
Oola war ein Stück vorausgegangen. Er hatte eine kleine Taschenlampe bei sich, die nur ein schwaches
Licht gab, schien aber trotzdem sehr gut zu sehen.
„Fall nur nicht ins Wasser, Oola“, rief Jack ihm zu. „Du kannst ja nicht schwimmen.“
„Wenn Oola fällt, holt sein mutiger Herr ihn heraus“, kam es zuversichtlich zurück.
Alle mußten lachen. Langsam gingen sie weiter in die
Höhle hinein. Der Felsenteich wurde immer schmäler und verwandelte sich schließlich in eine Art Kanal. Auf beiden
Seiten führte eine vorspringende Felskante entlang.
Plötzlich rief Oola aufgeregt: „Ai, ai! Hier kommt Tunnel!“
Die Kinder horchten auf. Ein Tunnel? Der mußte ja schließlich irgendwohin führen. Bald hatten sie Oola eingeholt. Wirklich, er hatte recht. In der Mitte der hinteren
Höhlenwand verschwand das Wasser in einem engen pechschwarzen Tunnel.
„Könnten wir das Boot nicht hierher bringen, Tala?“ frage Philipp, der es sich wundervoll vorstellte, mit dem Boot durch den Tunnel zu fahren, bis sie irgendwo ans Tageslicht kämen.
Aber Tala schüttelte den Kopf. „Zu gefährlich! Wenn
Boot nun steckenbleibt oder Wasser aufhört? Boot könnte
Loch bekommen. Nein, wir gehen weiter und sehen, was kommt.“ „Na gut!“ Philipp war etwas enttäuscht, mußte aber zugeben, daß Tala recht hatte.
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Der Tunnel war sehr lang und wand sich bald nach links, bald nach rechts. Manchmal wurde er recht breit und dann wieder schmäler. Zuweilen war die Decke so hoch, daß man sie nicht mehr sehen konnte, dann wieder lag sie nur ein paar Zentimeter über ihren Köpfen.
„Bis hierher könnten wir das Boot jedenfalls bringen“, sagte Jack zu Philipp. „Nanu, was macht Oola denn für ein Geschrei?“
„Komm, Herr, komm!“ schrie Oola aufgeregt.
Die beiden Jungen beeilten sich, ihm nachzukommen, aber sie mußten sehr vorsichtig sein, denn neben der schmalen schlüpfrigen Felskante drohte das dunkle Wasser. Oola kniete auf dem Boden und spähte in ein Loch, das sich in der Tunnelwand befand.
„Was gibt's denn da zu sehen?“ fragte ihn Philipp.
„Ziegelsteine, alte Ziegelsteine!“ antwortete Oola.
Philipp schob ihn beiseite, kniete nieder und leuchtete mit seiner Taschenlampe in das Loch. Wirklich erblickte er eine Mauer aus Ziegelsteinen. Er wollte seinen Augen nicht trauen. Eine Ziegelsteinmauer hatte er hier am allerwenigsten zu finden erwartet. Wer sollte unter der Erde auch mit Ziegeln mauern? Und wozu?
„Jemand muß die Mauer von der anderen Seite her errichtet haben, um die Öffnung zu verbergen“, meinte er schließlich. „Vielleicht gehört sie auch zu einem unterirdischen
Gang und läuft nur zufällig hier vorbei“, entgegnete Jack.
„Aber was soll die Mauer überhaupt unter der Erde?
Das ist doch sehr merkwürdig. Tala, komm einmal her!
Was hältst du davon?“

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Tala kam eilig herbei. Kaum hatte er einen Blick in das
Loch getan, so rief er: „Ha! Alte Ziegel, sehr sehr alt. Ich solche Ziegel schon gesehen. Mein Vater hat sie gegraben tief, tief in der Erde.“
„Donnerwetter!“ rief Jack. „Dann befindet sich hier in der Nähe vielleicht ein altes Königsgrab. Diese Gräber liegen ja meistens tief unter der Erde, und unterirdische
Gänge führen in ihre Gemächer.“
„Wollen wir nicht in Herrn Umas Büchern nachsehen, ob darin etwas über ein Königsgrab in der Nähe des großen Wasserfalles geschrieben steht?“ schlug Philipp vor.
„Kommt, wir gehen zum Boot zurück.“
Tala hatte sich in die Öffnung gezwängt und schlug nun mit der flachen Hand auf ein paar Ziegel. Zur Überraschung der Kinder zerfielen sie sofort zu Staub.
„So muß man machen!“ rief Tala triumphierend. „Ich habe gesehen, wie mein Vater machte. He, Oola, du
Sohn eines Affen, was fällt dir ein?“
Oola hatte Tala plötzlich beiseite geschubst und sich an ihm vorbeigedrängt. Im nächsten Augenblick stand er auf der anderen Seite der Ziegelmauer und leuchtete mit
Talas starker Lampe umher. „Hier ist eine Straße!“ schrie er aufgeregt. „Oola geht Straße.“
„Komm sofort zurück, du Dummkopf!“ rief Philipp. „Wir müssen zusammenbleiben. Du sollst zurückkommen,
Oola! Hörst du nicht?“
Oola war schon verschwunden, aber nun tauchte er wieder auf. „Oola hier, Herr“, sagte er kleinlaut.
Philipp warf ihm einen verweisenden Blick zu, schalt jedoch nicht mehr. Er und Jack krochen nun ebenfalls durch das Loch. Tala und die Mädchen folgten.
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Auf der anderen Seite der Mauer befand sich ein breiter unterirdischer Gang.
„Kommt, wir gehen hier links hinunter!“ rief Jack aufgeregt. „Vielleicht führt der Gang zu einem Königsgrab. Kiki, hops nicht dauernd auf meiner Schulter rum! Deine Federn kitzeln mich am Hals. Sitz still!“
„Sitz still!“ wiederholte Kiki laut.
„Sitzstill, sitzstill, sitzstill!“ ertönte es von allen Seiten.
Alle fuhren erschrocken zusammen. Lucy umklammerte
Dinas Arm und erschreckte sie dadurch noch mehr.
Nachdem Jack den ersten Schreck überwunden hatte, lachte er. Sofort warf das Echo sein Lachen vielfältig zurück. Es klang unheimlich und spöttisch. „Hahaha, hahaha!“
„Es ist nur ein Echo“, sagte Jack leise, so daß das
Echo seine Worte nicht so leicht auffangen konnte.
„Himmel, hab' ich mich erschreckt! Kiki ist auch ganz verstummt.“
Aber in diesem Augenblick hob Kiki den Kopf und stieß ein lautes Gelächter aus. Das Echo warf es vielfach zurück. Es hörte sich an, als lachten hundert Riesen die kleine Gesellschaft höhnisch aus.
Die Kinder hielten sich die Ohren zu. „Um Himmels willen, Kiki, lach bloß nicht noch einmal!“ rief Lucy.
„Lach — noch einmal!“ höhnte das Echo.
„Kommt!“ sagte Jack ungeduldig. „Seid ihr alle beisammen? Wo ist Oola?“
Oola war spurlos verschwunden.
„Das ist doch die Höhe!“ rief Jack ärgerlich. „Wo steckt er denn nur? Wir haben ihm doch eingeschärft, daß er bei uns bleiben soll.“
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„Bei uns — bleiben!“ rief das Echo zurück. „Bleiben!“
„Ach, sei still!“ schrie Jack.
„Still, still, still!“ kam es zurück.
Schließlich kam Oola hinter einem Felsen hervor, wo er sich verkrochen hatte. Er hatte noch niemals vorher ein
Echo gehört und hielt es für einen bösen Zauber.
„Komm, du kleiner Dummkopf!“ sagte Philipp sanft.
„Halte dich nur immer schön an mich. Ich werde schon aufpassen, daß dich das Echo nicht frißt.“
Aufgeregt gingen die Kinder und Tala den abschüssigen Hang hinunter. Die Wände bestanden aus Ziegelsteinen, und hin und wieder war auch ein Torweg aus Ziegelsteinen eingebaut.
„Es sind Lehmziegel!“, sagte Jack. „Sie sind nicht wie unsere Ziegel daheim geformt, sondern sehen wie lange
Brotlaibe aus. Ach, seht mal, da ist eine große Tür. Die ist sicherlich zugeschlossen.“
Als sie näher kamen, sahen sie, daß die Tür sogar versiegelt war. Ehrfürchtig betrachtete Jack das Siegel, das vielleicht schon ein paar tausend Jahre alt war. Dann stieß er ein wenig gegen die geschnitzte Tür. Im nächsten
Augenblick wich er erschrocken zurück. Mit einem leisen
Laut, der wie ein Seufzer klang, war die Tür in sich zusammengefallen.
Was mochte dahinter sein? Philipp leuchtete mit seiner
Lampe durch die Öffnung. Zuerst sahen die Kinder nur kahle Felswände. Doch dann fiel das Licht auf eine Treppe, die in die Erde hinunterführte.
Alle waren in große Erregung geraten und liefen auf die
Treppe zu. „Laßt uns hinuntergehen!“ rief Philipp und setzte seinen Fuß auf die oberste Stufe. „Seid ihr alle da?
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Kommt mir vorsichtig nach. Die Stufen scheinen sehr steil zu sein. Das ist das schönste Abenteuer, das wir jemals erlebt haben!“

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Was sagen die Bücher dazu?
Ehe Philipp auf die zweite Stufe der Treppe treten konnte, drängte sich Oola so ungestüm an ihm vorbei, daß er seinen Herrn fast umgestoßen hätte. „Gefahr,
Herr, Gefahr!“ schrie er. „Oola geht zuerst.“ Und schon begann er die Treppe hinabzusteigen.
„Komm zurück!“ rief Philipp böse. „Hörst du nicht, Oola? Komm zurück! Was denkst du dir eigentlich?“
Plötzlich hörte man etwas kollern. „Ai, ai!“ tönte es kläglich von unten herauf.
„Er ist gefallen“, sagte Jack erschrocken. „Was für ein
Dummkopf er doch ist! Diese Stufen können ja ebenso verrottet sein wie die Tür. Was sollen wir nun machen?“
„Ich werde ein Seil aus dem Boot holen“, sagte Tala.
Das war ein vernünftiger Vorschlag. Alle waren damit einverstanden, und Tala ging zum Boot zurück.
„Hast du dir weh getan, Oola?“ rief Philipp.
„Oola nicht weh getan, Herr. Oola kommt rauf.“
„Nein, bleibe unten! Wir ziehen dich mit einem Seil herauf. Du könntest sonst noch einmal fallen.“
„Er hat dich tatsächlich vor einem Sturz bewahrt, Philipp“, sagte Jack kopfschüttelnd. „Es war töricht von uns, die Treppe einfach runtergehen zu wollen.“
Die Kinder setzten sich auf die Erde und warteten auf
Tala. Lebhaft unterhielten sie sich über das sonderbare
Abenteuer. Alle wollten unbedingt die Treppe hinunterge143

hen, um zu sehen, wohin sie führte. Sie mußten ja nach einem Weg ins Freie suchen. Jack wollte gern den Gang nach der andern Seite hin untersuchen, während Tala fort war. Aber Philipp wollte nichts davon wissen.
„Nein, du mußt hierbleiben. Sonst ist ja bald jeder von uns woanders — Oola dort unten, Tala auf dem Weg zum
Boot und du auf der anderen Seite des Ganges. Wir dürfen einander auf keinen Fall verlieren. Aha, da kommt
Tala schon zurück. Guter Tala! Er verdient einen Orden.“
Tala hatte nicht nur ein Seil bei sich, sondern war auch so umsichtig gewesen, einen Hammer und einen Haken mitzubringen. „Paß auf, Oola!“ rief Philipp. „Wir lassen jetzt ein Seil herunter.“ Tala trieb den mitgebrachten Mauerhaken in die Felswand, knüpfte das dünne starke Seil daran fest und ließ es dann die Treppe hinunter. Als Oola es an sich vorbeigleiten fühlte, ergriff er es mit beiden Händen. Dann kletterte er hinauf, während Philipp und Tala das Seil festhielten. In kurzer Zeit war er oben angelangt.
Philipp klopfte ihm auf die Schulter. „Ich danke dir, daß du für mich gefallen bist, Oola.“
„Oola bewacht seinen Herrn“, antwortete der Junge bescheiden.
Philipp drehte sich zu den anderen um. „Ich schlage vor, wir gehen jetzt erst einmal zum Boot zurück, essen etwas und ruhen uns ein wenig aus. Wie spät ist es? Halb sieben? Nein, halb neun! Kaum zu glauben!“
„Halb neun Uhr abends?“ fragte Lucy erstaunt und sah auf ihre eigene Uhr. „Tatsächlich! Hier unten weiß man gar nicht, welche Tageszeit überhaupt ist.“
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„Wollen wir nach dem Essen nicht lieber richtig schlafen, damit wir morgen früh frisch sind?“ meinte Jack.
„Ja, das ist bestimmt vernünftiger, als nachts hier unten herumzukriechen“, stimmte Philipp ihm zu. „Nach dem
Frühstück können wir dann in Ruhe Umas Bücher studieren. Vielleicht bekommen wir dadurch heraus, wo wir uns eigentlich befinden und was für Bauten das hier sind.
Dann nehmen wir uns einen Strick zum Anseilen und Essen mit und kommen wieder hierher.“
„Gut, Herr!“ sagte Jack spöttisch und verneigte sich tief vor Philipp. Die anderen lachten.
„Oder hat jemand einen anderen Vorschlag?“ fragte
Philipp.
Nein, alle waren mit seinem Plan einverstanden, und so machte sich die kleine Gesellschaft auf den Rückweg zum Boot.
Sie kletterten wieder durch das Loch in der Mauer, gingen durch den Tunnel und gelangten schließlich in die
Höhle, wo das Boot sanft auf dem Wasser schaukelte.
Alle aßen mit Appetit, und Kiki fraß so viel, daß er auf stoßen mußte. „Hick! Verzeihung! Hick! Verzeihung! Geh in die Ecke!“
„Ja, da gehörst du auch hin“, sagte Jack. „Wie kann man nur so gierig sein! Schämst du dich nicht?“
Nachdem sie zu Ende gegessen hatten, meinte Dina:
„Wir könnten doch eigentlich jetzt gleich die Bücher von
Uma vornehmen. Ich bin noch gar nicht müde. Dieses
Abenteuer ist wundervoll. Wenn wir nur wüßten, wie es
Mutter und Bill geht!“
„Ich glaube, wir brauchen uns keine großen Sorgen um sie zu machen“, entgegnete Jack. „Uma hat sie wahr145

scheinlich nur irgendwo eingesperrt, damit er seine dunklen Geschäfte in der Kinostadt ungestört abwickeln kann.“ Dina lachte. „Wie interessiert er bei seinem Besuch auf unserm Boot an Archäologie und Ausgrabungen tat!
Glaubte er wirklich, Bill damit täuschen zu können und ihn von der richtigen Spur abzulenken?“
„Ob sein Interesse nun vorgetäuscht oder echt ist, auf jeden Fall besitzt er sehr interessante Bücher über Archäologie.“ Philipp hatte die Bücher inzwischen herbeigeholt und legte sie auf einen Haufen. „Hier, nehmt jeder ein
Buch und seht nach, ob ihr eine Karte vom Fluß der
Abenteuer findet — Fluß von Abentoa, meine ich natürlich.“
Tala und Oola nahmen kein Buch zur Hand. Für Tala waren die Bücher zu schwer verständlich, und Oola konnte überhaupt nicht lesen. Sie sahen den Kindern angenehm gesättigt und schläfrig zu.
„Hier ist eine Karte!“ rief Dina nach einer Weile. „Eine sehr gute sogar!“
Neugierig beugten sich die Kinder über die Karte, die in einem dicken Buch an der Innenseite des Deckels eingeklebt war und sich auseinanderfalten ließ. „Da ist der
Fluß!“ rief Jack. „Wie wunderbar! Ja, Fluß von Abentoa, hier steht es! Nun wollen wir mal die Orte aufsuchen, an denen wir angelegt haben.“
Lucy fuhr mit dem Zeigefinger am Fluß entlang. „Hier ist Ala-ou-iya — das Tor der Könige.“
„Und hier ist Ullabaid, wo wir zu dem alten Tempel gingen und Philipp die Kinder mit seiner Bargua erschreckte“, fiel Dina ein.
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„Und da ist Chaldo, wo der schleimige Uma Bill und
Mutter in die Falle gelockt hat“, fuhr Philipp fort. „Dort haben wir ihm sein Motorboot fortgenommen. Und dann sind wir weiter bis hierher nach Hoa gefahren, wo wir uns
Wasser und Brot geholt haben.“
Weiter verfolgten die Kinder den Flußlauf und lasen die
Namen mehrerer Orte, die sie nicht kannten. Aber sie suchten vor allem nach Wooti, wohin Uma seine Gefangenen gebracht hatte.
„Hier ist Wooti!“ rief Jack. „Es liegt da, wo der Fluß so breit wie ein See ist, und zwar auf der rechten Seite. Wir sind in der Mitte gefahren und haben es daher nicht gesehen. Toll, wie der Fluß da plötzlich in die Breite geht!“
„Und dann teilt er sich!“ rief Philipp. „Dachte ich's mir doch! Seht mal, er teilt sich in drei Arme, einer fließt nach
Osten, der zweite nach Süden, und der dritte ist nur eine ganz dünne Linie, das muß der sein, der durch die Felsenschlucht führt. Aber er ist nur kurz und hört an einer
Stelle plötzlich auf. Wartet mal, da steht ja auch ein Name dabei. Teo Gra! Was heißt das, Tala?“
„Tiefe Schlucht“, antwortete Tala.
„Aha! Ja, das ist der Flußarm, durch den wir gefahren sind. Aber wo bleibt er denn plötzlich?“
„Wahrscheinlich unter der Erde“, meinte Jack. „Die
Schlucht, durch die wir mit unserem Boot gerast sind, lag ja eigentlich schon unter der Erde. Hinter dem Wasserfall wird er wohl unterirdisch weiterfließen. Ein Glück, daß wir nicht den Wasserfall runtergesaust sind!“
„Das Rätsel des sonderbaren Flusses haben wir also gelöst“, sagte Philipp zufrieden. „Nun wollen wir mal feststellen, ob hier in der Nähe alte verfallene Städte, Tempel
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oder Königsgräber liegen. Auf der Karte ist leider nichts davon vermerkt. Wir müssen also in den Büchern nachschlagen. Vielleicht steht darin etwas über die Gegend um die Schlucht herum. Sucht mal die Kapitel über Alaou-iya, das Tor der Könige, heraus. Der Name deutet meiner Meinung nach auf altertümliche Bauten hin.“
Eifrig blätterten die vier Kinder in den Büchern und lasen einige Stellen daraus. In allen stand ungefähr das gleiche geschrieben, nämlich daß sich in diesem Teil des
Landes uralte Tempel und Paläste befunden hätten, die erst zum Teil ausgegraben worden seien.
„Hört mal, was hier steht!“ sagte Jack und las vor: „In der Gegend um Teo Gra, die geheimnisvolle tiefe
Schlucht, soll vor etwa siebentausend Jahren ein prächtiger Tempel gestanden haben, der alle anderen Tempel an Schönheit übertraf. Hier sind schon viele Ausgrabungen unternommen worden, weil man interessante archäologische Entdeckungen zu machen hoffte und außerdem auch unschätzbare Kostbarkeiten unter der Erde vermutete. Der Tempel soll einer Göttin geweiht gewesen sein, der durch viele Generationen hindurch von Königen und Vornehmen Geschenke dargebracht wurden. Wahrscheinlich hat man diese Geschenke in unterirdischen, unter dem Tempel liegenden Gemächern aufbewahrt und die Zugänge versiegelt. Ob diese Schätze noch dort liegen oder im Laufe der Jahrtausende geraubt worden sind, ist nicht bekannt.“
„Donnerwetter!“ rief Philipp. „Glaubst du, daß das wahr ist?“ 148

„Warum nicht? Dies ist schließlich ein wissenschaftliches Buch, darin stehen bestimmt keine Märchen. Allerdings ist es ja nur eine Vermutung des Verfassers.“
„Wohin mag der unterirdische Gang führen, den wir entdeckt haben — und die Treppe?“ Lucy war ganz atemlos vor Erregung. „Zu einem uralten Tempel oder einem Palast voller Schätze?“
„Möglich ist alles“, antwortete Jack. „Aber der Weg, den wir gegangen sind, wurde früher bestimmt nicht benutzt.
Ich glaube kaum, daß vor uns schon einmal ein Mensch in dieser Höhle gewesen ist. Wie sollte auch jemand hierher gelangen? Keiner, der seine fünf Sinne beisammen hat, wird mit einem Boot in die Schlucht fahren. Wir hätten es auch nicht getan, wenn wir vorher die Karte studiert hätten.“
„Vielleicht war die Schlucht vor vielen tausend Jahren noch gar nicht so tief wie jetzt“, meinte Dina. „Ja, vielleicht war es überhaupt keine Schlucht, und der Fluß hat sich erst im Laufe der Zeit durch die Felsen gegraben. Dann muß der Eingang zu unserer Höhle früher nicht über dem
Wasser gelegen haben wie jetzt, sondern tief darunter, so daß überhaupt niemand herein konnte.“
„Du kannst recht haben“, stimmte Philipp seiner
Schwester zu. „Wenn die Höhle früher wirklich unter dem
Wasser gelegen hat, dann haben wir einen Weg zu altertümlichen Bauten entdeckt, den vor uns noch niemals ein Mensch gegangen ist.“
Bewegt von diesem aufregenden Gedanken, sahen die
Kinder eine Weile schweigend vor sich hin. Plötzlich fuhren sie erschrocken zusammen. Tala war mitten in ihrem

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interessanten Gespräch eingeschlafen und schnarchte laut. Jack lachte. „Wir wollen auch schlafen gehen, Kinder.
Wißt ihr, daß es schon Mitternacht ist? Ich schlage vor, wir lassen die Bootslaterne brennen und drehen sie nur etwas kleiner. Hier ist es angenehmer, ein Nachtlicht neben dem Bett zu haben.“
Bald schliefen alle tief und fest. In dem schwachen
Licht der Laterne war keine Bewegung auf dem Boot zu sehen. Nur Philipps Schlange glitt nach einer Weile unter seinem Hemd hervor und schlängelte sich auf der Suche nach etwas Freßbarem durchs Boot. Aber sie fand nichts und kehrte hungrig in ihren warmen Schlupfwinkel zurück.
Nachdem sie sich wieder zusammengerollt hatte, blieb alles still. Man hörte nur ruhiges Atmen, hin und wieder einen Schnarcher von Tala und das unaufhörliche gedämpfte Brausen des Wasserfalls.

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Ein überwältigendes Schauspiel
Dina wachte zuerst auf, knipste ihre Taschenlampe an und sah nach der Uhr. Schon Viertel vor acht! Sie weckte die anderen. Alle standen auf, gähnten und reckten die steifen Glieder. Tala drehte die Laterne auf und guckte sich im Boot um. „Ai, ai!“ rief er erschrocken. „Oola ist fort.“ „Fort?“ fragte Philipp. „Wo soll er denn geblieben sein?“
In diesem Augenblick kam Oola tropfnaß von außen in die Höhle herein.
„Wo hast du dich rumgetrieben, Oola?“ fragte Philipp streng. „Bist du etwa ins Wasser gefallen?“
„Nein, Herr, Oola nicht gefallen. Oola gesehen Wasser fallen. Oola gesehen großes Wunder.“
„Du hättest leicht abstürzen können. Wie bist du denn zu dem Wasserfall gelangt?“
„Oola zeigt seinem Herrn. Wunder, großes Wunder!
Kommst du, Herr? Es ist keine Gefahr.“
Er lief auf dem Felsvorsprung an der Höhlenwand entlang zum Eingang, blieb dort stehen und winkte Philipp zu. „Komm, Herr, Oola zeigt dir!“
Jack sprang auf. „Wir kommen alle mit! Das müssen wir uns ansehen.“
Sie knipsten ihre Taschenlampen an und folgten Oola.
Als sie aus der Höhle heraustraten, schwoll das Brausen

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des Wassers gewaltig an. Unten an dem Felsenufer führte eine Art Weg entlang.
„Kommt mir nach!“ rief Oola winkend.
Der Gischt spritzte zu ihnen herauf, und bald waren sie völlig durchnäßt. Doch war der Weg ziemlich bequem. Er führte allmählich höher hinauf und lag schließlich etwa vier Meter über dem Wasser. Helles Tageslicht fiel in die
Schlucht, und sie machten ihre Taschenlampen aus.
Immer lauter wurde das Brausen. Nachdem Oola die anderen noch ein Stück bergauf geführt hatte, blieb er auf einer Felsplatte stehen, zeigte mit einer dramatischen
Gebärde in die Tiefe und schrie: „Hier, Herr, Wasser fällt!“
Seine Stimme klang dünn in dem Getöse. Tala und die
Kinder scharten sich neugierig um ihn und starrten hinab.
Unter ihnen schoß das Wasser steil in die Tiefe. Über der
Kante wirbelte es schäumend, so daß der Gischt hoch in die Luft spritzte. Dann stürzte es hinab, tief, tief in nachtschwarze Dunkelheit.
Das Ende des Wasserfalles war nicht zu sehen. Unten im Dämmer tanzten und spielten Lichtflecke, die in allen
Regenbogenfarben schillerten. Es war ein überwältigendes Schauspiel. Keiner sprach ein Wort. Alle schauten nur und schauten. Manchmal flog der Gischt bis zu der
Felsplatte hinauf, auf der sie standen, und machten sie immer wieder von neuem naß. Aber sie waren so versunken in den Anblick des Naturwunders, daß sie es überhaupt nicht bemerkten.
Hinter dem Wasserfall zog sich die Schlucht noch weiter durch die Felsen, aber ohne Wasser. Hier an dieser
Stelle stürzte der rasende Fluß in ein riesiges bodenloses
Loch und verschwand im Herzen der Erde. Es war das
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ende des Flußarmes, der durch Teo Gra, die tiefe
Schlucht, floß.
Hingerissen von dem Spiel der herabstürzenden Wassermassen standen die Kinder wie gebannt auf einem
Fleck und vergaßen die Zeit, bis Tala schließlich unruhig wurde. Wie lange wollten die Kinder hier noch stehen und starren? Er war hungrig, von Wasser wurde man nicht satt. Leise zog er Jack am Ärmel.
Als Jack sich umdrehte, schrie er ihm ins Ohr: „Gehen wir zurück, ja?“
Jack nickte. Zwar fiel es ihm schwer, sich von dem
Wasserfall zu trennen, aber sie mußten ja nach einem
Weg ins Freie suchen. Er stieß Philipp an. Philipp verständigte Oola und die Mädchen, und alle gingen zur
Höhle zurück.
Als sie wieder im Boot saßen, wurde eine Weile kein
Wort gesprochen. Schließlich sagte Lucy und drückte damit aus, was alle fühlten: „Mir ist, als sei ich in der Kirche gewesen. Es war so feierlich.“
Kiki hatte überhaupt nichts von dem Wasserfall gesehen, denn er hatte sich, durch die Nässe und den Lärm geängstigt, unter Jacks Wolljacke verkrochen. Nun freute er sich, daß er wieder im Boot war, und beobachtete erwartungsvoll, wie Dina eine Dose mit Ananas öffnete.
Beim Frühstück waren alle sehr lustig und lachten viel.
Oola, der auf dem Bootsrand hockte, lachte so sehr über
Kiki, daß er plötzlich hintenüber kippte, zum Glück jedoch nicht ins Wasser, sondern auf den Felsvorsprung fiel.
Nachdem sie gesättigt waren, machten sie ein paar
Päckchen mit Butterbroten zurecht. Tala und Oola hängten sich jeder zwei Dosen mit Saft um den Hals.
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„Kann's losgehen?“ fragte Jack schließlich. „Habt ihr alle eure Taschenlampen? Hat jeder sein Futterpäckchen? Werdet ihr auch immer brav zusammenbleiben?“
„Ja!“ antworteten die anderen, Kiki eingeschlossen.
„Hast du das Seil, Tala?“
„Ja, ich habe Seil — und Haken — und auch kleinen
Spaten.“ Tala hatte sich die Werkzeuge mit dem Seil um die Taille gebunden. Eigentlich hatte er noch einen größeren Spaten mitnehmen wollen, aber der wäre zu schwer zu tragen gewesen.
„Du bist ja beladen wie ein Kamel“, sagte Philipp und musterte ihn lachend.
„Oola trägt auch wie ein Kamel“, rief Oola eifersüchtig.
„Oola trägt wie zwei Kamele“, versicherte ihm Philipp, und sofort strahlte der Junge wieder.
„Das Boot werden wir wohl nicht mehr wiedersehen.“
Philipp sah sich noch einmal abschiednehmend um. Dann bückte er sich, hob eins von Umas Büchern auf und riß ein paar Blätter heraus.
„Warum tust du das?“ fragte Dina erstaunt.
Philipp stopfte die Blätter in seine Hosentasche. ,,Uma hat diese Seiten angekreuzt. Man kann nicht wissen — vielleicht können wir sie einmal gebrauchen.“
Sie gingen auf dem Vorsprung an der Höhle entlang, wanderten durch den Tunnel bis zu dem Loch mit der
Ziegelwand, die Tala eingedrückt hatte, krochen hindurch und standen schließlich wieder in dem unterirdischen
Gang.
Jack sah den Gang hinauf. „Ich schlage vor, wir gehen erst einmal nach dieser Seite, bevor wir die geheimnis-

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volle Treppe runtersteigen. Vielleicht kommt man hier ins
Freie.“
„Das bezweifle ich“, entgegnete Philipp. „Wenn der
Weg ins Freie führte, hätten ihn schon andere Menschen vor uns entdeckt und wären hierher gekommen. Aber das
Siegel an der Tür war ja völlig unversehrt.“
Dina stimmte ihm zu. „Es scheint wirklich noch niemand hier gegangen zu sein, nachdem die Tür versiegelt wurde. Na, wir werden ja sehen.“
Sie gingen den Gang hinauf und leuchteten mit ihren
Taschenlampen in die Dunkelheit. Plötzlich standen sie vor einer Mauer, die ihnen den Weg versperrte. Diese
Mauer bestand nicht aus Lehmziegeln, die bei einer leisen Berührung in Staub zerfallen wären, sondern aus großen Steinen. Jemand hatte sie — vielleicht schon vor sehr langer Zeit — errichten lassen, um den Zugang zu den unterirdischen Gemächern zu versperren.
Den Kindern wurde beim Anblick der Steinmauer recht unbehaglich zumute. „Hier ist kein Ausweg“, sagte Philipp leise. „Wir wollen umkehren und zu der Treppe gehen.
Vielleicht kommen wir dort weiter.“

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Schätze unter der Erde
Jack sah Philipp an und schüttelte leise den Kopf. Er wollte verhindern, daß Philipp den Mädchen unnötig angst machte. Philipp nickte verstehend.
Schweigend kehrten sie um, gingen den Gang wieder hinunter, stiegen durch die zu Staub zerfallene Tür und kamen zu der Treppe. Obwohl sie aus Stein bestand, waren offenbar viele Stufen schadhaft. Deshalb war Oola auch am Tage vorher abgeglitten und gestürzt.
Nun übernahm Philipp das Kommando. „Tala und Jack, nehmt ein Ende des Seiles und laßt das andere vorsichtig herunter. Ja, so ist's gut! Nun werde ich mich am Seil festhalten und die Stufen zählen, während ich hinuntersteige. Wenn ich an eine abgebröckelte Stufe komme, rufe ich euch die Zahl zu, so daß ihr wißt, wo ihr euch besonders in acht nehmen müßt.“
Gespannt sahen die anderen zu, wie Philipp langsam nach unten stieg. Oola wollte seinem Herrn wieder vorangehen, wurde jedoch von Tala festgehalten. Er war sehr ärgerlich, aber es half nichts, er mußte zurückbleiben.
Laut zählend nahm Philipp eine Stufe nach der anderen. „Eins, zwei, drei, vier — Nummer vier bröckelt —, fünf, sechs, sieben, acht, neun — Nummer neun ist beinahe ganz fort —, zehn, elf-------“

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„Eins, zwei, sechs, fünf, zehn!“ schrie Kiki, der glaubte, die Kinder spielten ein Zahlenspiel. „Eins, zwei, drei, froh und frei! Vier, fünf, sechs, alte Hex. Drei, vier . . .“
„Nummer fünfzehn und Nummer sechzehn fehlen!“ rief
Philipp. „Die Stufen sind sehr steil. Ihr müßt vorsichtig gehen.“ Weiter nannte er den Obenstehenden die Nummern der schadhaften Stufen. Es waren so viele, daß Lucy ein
Notizbuch vornahm und sie aufschrieb. Philipps Stimme klang allmählich immer leiser.
„Du mußt lauter zählen“, schrie Jack. „Sonst versteht man hier oben nichts.“
Philipp verstärkte seine Stimme. Dennoch hörten die
Kinder sie sehr leise, und als er auf Stufe neununddreißig angelangt war, vernahmen sie nur noch ein Flüstern.
„Ich bin am Ende“, rief er schließlich.
„Was hast du gesagt?“ schrie Jack.
„Ich bin am Ende! Dina soll als nächste kommen. Seid vorsichtig!“ Ohne lange zu zögern, machte sich Dina auf den Weg.
Sie zählte die Stufen laut, während sie hinabstieg. Wenn sie an eine schadhafte kam, riefen die anderen ihr eine
Warnung zu. Aber das war gar nicht notwendig, Dina hatte sie alle im Kopf. Sie stellte sich sehr geschickt an und stand nach kurzer Zeit unten neben Philipp.
Dann kam Lucy an die Reihe. Sie war ängstlicher als
Dina und glitt einmal aus, ließ das Seil jedoch nicht los und gewann ihr Gleichgewicht schnell zurück.
Nach ihr kam Jack. Er ging gleichmäßig und sicher. Als er unten war, rief Philipp nach oben, Oola solle herunterkommen.

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Statt dessen erschien jedoch Tala als nächster. Er erklärte, Oola wolle durchaus als letzter gehen, da er das
Seil nicht brauche. Und schon glitt auch das Seil herab.
„Der Dummkopf wird sich die Beine brechen!“ rief Jack erschrocken. Aber kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da stand
Oola schon neben ihm und lachte. Diesmal hatte er sich besser vorgesehen, da er ja wußte, daß so viele Stufen abgebröckelt waren. Er kletterte auf seinen nackten Füßen so geschickt und sicher wie eine Katze. „Oola hier,
Herr!“ verkündete er strahlend.
„Also, wo geht's nun weiter?“ Philipp leuchtete mit seiner Lampe in einen schmalen Gang, dessen Wände aus
Ziegelsteinen bestanden. Die Kinder wagten sie nicht anzurühren aus Furcht, daß auch sie in Staub zerfallen könnten. Ein wenig ängstlich gingen sie den abschüssigen Gang hinunter, bis sie zu einem Torbogen aus Ziegeln kamen.
„Ich glaube, man hat diese Torbögen errichtet, um den
Gang abzustützen“, sagte Jack. „Eigentlich sonderbar, daß sie nicht eingestürzt sind!“
„Einige werden wohl eingestürzt sein“, meinte Dina.
„Hoffentlich niest keiner von uns, während wir hier unten sind! Sonst fällt uns womöglich noch die Decke auf den
Kopf.“
„O Dina, sag doch nicht so etwas Schreckliches!“ bat
Lucy schaudernd.
Nach einer Weile gelangten sie in einen runden Raum mit einer großen Tür auf der anderen Seite. Sie blieben stehen und leuchteten mit ihren Lampen umher. Als sie einen Haufen fremdartiger Gegenstände entdeckten, gin158

gen sie neugierig darauf zu. Aber kaum hatten sie ein paar Schritte getan, da rutschte der Haufen mit einem seufzerähnlichen Geräusch in sich zusammen und zerfiel zu Staub. Nur ein leuchtender Gegenstand blieb aufrecht stehen. Nach kurzem Zögern ging Jack näher heran und hob ihn vorsichtig in die Höhe.
„Eine goldene Schale!“ rief er. „Und der Rand ist rundherum mit Edelsteinen besetzt. Gold ist ja unvergänglich und verliert auch nicht seinen Glanz. Diese Schale ist vielleicht viele tausend Jahre alt. Sieht sie nicht wunderschön aus?“
Alle betrachteten die Schale ehrfürchtig. „Sie ist bestimmt sehr kostbar“, sagte Philipp. „Vielleicht hat sie einmal Gaben für die Götter enthalten, die die Menschen früher anbeteten. So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen.“ „Philipp — glaubst du — daß wir in dem Tempel der
Göttin sind, von der in Umas Buch geschrieben steht?“ fragte Lucy ganz aufgeregt.
„Das ist schon möglich.“ Philipp ließ seine Finger über die schöne Schale gleiten. „Vielleicht befinden wir uns aber auch unter dem Tempel und kommen jetzt zu den
Gemächern, in denen die Geschenke für die Göttin aufbewahrt wurden. Doch nein, das kann nicht möglich sein.“
„Warum denn nicht?“ erwiderte Dina.
Tala verschlang die Schale fast mit den Augen. „Gold!“ sagte er und klopfte mit dem Finger daran.
„Du kannst sie tragen, Tala“, sagte Philipp. „Aber daß du sie nicht fallen läßt! Und nun wollen wir uns die Tür ansehen. Sie ist ebenfalls versiegelt.“

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Oola zog an dem großen Siegel, und es fiel in seine
Hand. Darauf stieß Philipp leise gegen die Tür. Sie sackte in sich zusammen, bröckelte von den Angeln und ließ eine große Öffnung frei. Philipp kletterte als erster hindurch, die anderen folgten nacheinander.
Nun sahen sie, daß sie sich in einem riesigen alten
Gebäude befanden. Vor ihnen erstreckten sich große
Säle und kleinere Räume, die ineinander übergingen, manche durch halb zerbröckelte Türen verbunden, andere durch offene Durchgänge. Es war ein wahres Labyrinth. An vielen Stellen sahen sie kleine Staubhaufen. Alle
Gegenstände, die nicht aus Metall oder Stein bestanden, waren verrottet und zu Staub zerfallen.
„Guckt mal, hier in der Nische steht eine kleine Figur!“
Lucy nahm die Figur in die Hand. Sie stellte einen Mann in einem langen Gewand dar und war aus einem kostbar schimmernden Stein geschnitzt. Ehrfürchtig betrachteten alle das entzückende kleine Kunstwerk. Wie alt mochte das sein? Vor wie vielen hundert Jahren hatte ein Künstler wochenlang oder vielleicht gar monatelang daran gearbeitet? Wer hatte die Figur als Geschenk für die Göttin in den Tempel gebracht? All das würden sie wohl niemals erfahren. Sie untersuchten alle Ecken und Winkel. Immer wieder leuchtete ihnen aus dem Staub zerfallener Dinge Gold entgegen — goldene Figuren, goldene Schalen, Kämme und Ohrringe. In einer kleinen Kammer fanden sie
Schwerter, deren Griffe mit Edelsteinen besetzt waren.
Jack hob einen Dolch mit einem goldenen Griff auf. „Den würde ich gern behalten.“

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„Wir können nicht alles mitnehmen, was uns gefällt“, erwiderte Philipp, „nur ein paar Sachen, damit wir sie Bill zeigen können, wenn wir hier herauskommen.“
„Gut, dann nehme ich diesen Dolch.“ Jack steckte die
Waffe in seinen Gürtel.
„Und ich nehme diesen goldenen Kamm“, sagte Dina und steckte ihn ins Haar.
Lucy wollte die kleine Figur mitnehmen. „Wenn ich sie doch behalten dürfte! Sie ist wunderschön. Aber alle diese Sachen gehören ja keinem einzelnen Menschen, sondern der ganzen Welt.“
„Du hast recht, Lucy“, sagte Philipp. „Sie sind ja vor allem von historischem Wert. Ich werde diese goldene Tasse mitnehmen — wenn es überhaupt eine Tasse ist. Seht nur die Stiere, die darauf eingeritzt sind. Wunderschön ist das gemacht!“
Schließlich gelangten sie an das Ende der Räume. Sie waren ganz verwirrt von den vielen Dingen, die sie gesehen hatten. In diese unterirdischen Schatzkammern waren also keine Diebe eingedrungen. Hier lagen Schätze, die wahrscheinlich noch kein Mensch berührt hatte, seitdem sie vor langer, langer Zeit der Göttin des Tempels als Geschenk dargebracht worden waren.
„Herr, Oola will Sonne“, ertönte plötzlich eine klägliche
Stimme.
„Wir sehnen uns alle nach der Sonne“, antwortete
Philipp. „Aber hat jemand von euch einen Ausgang aus diesen riesigen Räumen gesehen? Ich habe keinen entdeckt.“

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Gibt es keinen Weg ins Freie?
Die Entdeckung der unermeßlichen Schätze hatte die
Kinder so sehr in Aufregung versetzt, daß sie darüber ihre
Sorgen für eine Weile vergessen hatten. Nun ließ sich
Jack mit äußerster Vorsicht auf einer Bank nieder. Er befürchtete, daß sie wie so viele Dinge plötzlich zerbröckeln könnte, aber sie war aus Stein und blieb stehen.
„Es muß doch einen Zugang zu diesen Schatzkammern gegeben haben“, sagte er, „wahrscheinlich sogar mehrere Zugänge. Hast du denn nirgends Stufen gesehen, die nach oben führen, Philipp?“
Philipp schüttelte den Kopf. „Vielleicht ist die Treppe, die wir heruntergekommen sind, der einzige Zugang.“
„Das kann ich mir nicht denken. Ich glaube eher, daß es früher ein geheimer Eingang gewesen ist, der nur von den Priestern benutzt wurde. Außer ihm muß doch noch ein anderer Zugang da sein. Der Tempel selber befindet sich wohl über uns. Er ist gewiß ein prächtiges Gebäude.“
„Ja, sicherlich. Aber bilde dir nur nicht ein, daß er immer noch da steht und herrlich zum Himmel emporstrebt.
Wahrscheinlich war er schon vor tausend Jahren eine
Ruine und man hat andere Bauten darauf errichtet. Wir müssen uns sehr tief unter der Erde befinden. Ich glaube, wir haben ganz durch Zufall ein uraltes, längst vergessenes Bauwerk entdeckt.“

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Die anderen hatten Philipp schweigend zugehört. Lucy schauderte. „Uralt — vor tausend Jahren — längst vergessen —“ Die Worte klangen so traurig und flößten ihr
Furcht ein. Und wie unheimlich war die Vorstellung, daß sich über ihren Köpfen Ruinen von Tempeln oder anderen Gebäuden befanden, die schon alle verfallen waren!
„Ich habe Angst“, sagte sie plötzlich schluchzend. „Ich will hier heraus!“
„Jetzt wollen wir erst mal etwas essen“, sagte Jack, der die Erfahrung gemacht hatte, daß die Menschen nach dem Essen immer viel zuversichtlicher waren.
Nun erst merkten auch die anderen, daß sie Hunger hatten. Sie setzten sich hin und packten ihre mitgebrachten Butterbrote aus. Und wirklich, bald wurden alle wieder munterer. Lustiges Geplauder und Gelächter hallte durch die alten Räume. Auch Kiki, der lange geschwiegen hatte, beteiligte sich lebhaft an der Unterhaltung.
„Wo ist dein Taschentuch?“ fragte er Tala. „Putz dir die
Nase. Eins, zwei, drei, iß dein Ei. Wisch dir die Füße ab.
Wer ist da? Herein! Hatschii!“
Er nieste so naturgetreu, daß Oola ihn ganz verdutzt anstarrte. Dann machte er noch alle möglichen anderen
Geräusche nach. Tala brach in lautes Gelächter aus, das unheimlich von den Wänden widerhallte. Kiki schwieg erschrocken. Ein kleiner Haufen halb verrotteter Gegenstände in einer Ecke geriet in Bewegung und sank in sich zusammen. „Sieh nur, Tala, was du mit deinem Lachen angerichtet hast!“ sagte Jack. „Uns wird bestimmt noch der ganze
Tempel auf den Kopf fallen, wenn du so laut lachst.“

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Erschrocken sah Tala zur Decke hinauf und beleuchtete sie mit seiner Lampe. Auch Oola machte ein ängstliches Gesicht. Er war sehr still und rückte näher zu Philipp hin. Nachdem Tala seine Butterbrote gegessen hatte, warf er das Einwickelpapier auf die Erde.
„Heb sofort das Papier auf!“ befahl Jack ihm streng.
„Hier in diesen alten ehrwürdigen Räumen darf man kein
Papier liegenlassen.“
Tala gehorchte schweigend, obwohl ihm anzumerken war, daß er Jack nicht recht begriff.
Philipp zog die Blätter aus Umas Büchern hervor, die er herausgerissen und mitgenommen hatte. „Laßt uns noch einmal die Seiten anschauen, die Raya Uma hier angekreuzt hat! Ich glaube fast, wir sind an einen Ort geraten, der ihn ganz besonders interessiert. Nachdem ich mit eigenen Augen gesehen habe, was für Schätze hier unten liegen, scheint mir, daß Uma etwas ganz anderes im Sinn hat, als wir bisher dachten.“
„Wie meinst du das?“ fragte Jack erstaunt. „Wir waren doch mehr oder weniger davon überzeugt, daß er unter dem Deckmantel der Archäologie allerlei dunkle Geschäfte in der Kinostadt betreibt.“
„Das ist eben falsch. Meiner Meinung nach beschäftigt er sich tatsächlich mit Archäologie. Ich meine natürlich nicht, daß er sich für historische Bauwerke interessiert. O nein! Ihn interessieren nur die kostbaren Schätze, die er hier vermutet. Er ist nichts als ein gewöhnlicher Räuber und will wertvolle Sachen aus den Ruinen holen, um sich unrechtmäßig zu bereichern. Ihn locken Kostbarkeiten

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wie die goldene Schale, die dort neben Tala steht, und . .
.“
„Ja, natürlich, du hast recht!“ rief Jack. „Aber gerade als er sich kurz vorm Ziel glaubte und hoffte, recht bald viele
Schätze einzuheimsen, kam ihm Bill in die Quere. Er hat sicherlich sofort erraten, daß Bill hierher gekommen war, um ihn zu beobachten.“
„Bestimmt! Und sofort ergreift er Gegenmaßnahmen.
Er lockt Bill und Mutter in eine Falle und will auch uns irgendwo einsperren, damit er ungestört weitergraben und mit der Beute verschwinden kann.“
„Aber dann sind wir in seinem Boot davongefahren und haben selber den Schatz gefunden, nach dem er sucht“, fiel Dina lebhaft ein.
Philipp nickte. „Das nützt uns allerdings nicht viel, solange wir nicht wissen, wie wir hier herauskommen sollen.“
„Wir wollen noch einmal die von Uma angekreuzten
Stellen auf diesen Blättern hier lesen“, meinte Lucy.
„Vielleicht hilft uns das irgendwie weiter.
Wenn Uma wirklich nach diesen Schätzen sucht und bald am Ziel zu sein glaubt, müßte er jetzt doch eigentlich hier irgendwo in der Nähe sein.“
Philipp breitete die mitgebrachten Blätter auf der Erde aus. Tala beleuchtete sie mit seiner starken Lampe, und die Kinder knieten sich hin, um sie zu studieren.
Auf einer Seite fanden sie die Gebäude aufgeführt, die über dem großen alten Tempel errichtet worden waren.
Uma hatte sie angehakt und das Wort „trouve“ daneben geschrieben. 165

„Trouve ist französisch und heißt gefunden“, rief Jack.
„Also ist er bei seinen Ausgrabungen auf die Ruinen dieser Bauten gestoßen. Ja, er ist sehr tüchtig gewesen und müßte eigentlich ganz in unserer Nähe sein. Wie viele
Männer mag er wohl beschäftigen? Ausgrabungen dauern doch meistens sehr lange, nicht wahr, Philipp?“
„Für Archäologen wohl, aber nicht für Räuber. Ein
Mann, der sich für historische Bauten interessiert, gräbt natürlich nicht einfach drauflos und zerstört dabei alle möglichen wichtigen Einzelheiten. Er geht sehr behutsam vor, hebt die Erde langsam Stück für Stück ab und untersucht sie gründlich. Aber Uma . . .“
„Uma ist nur ein Räuber. Er wird einfach Eingeborene für sich arbeiten lassen und sie antreiben, möglichst schnell zu graben. Ja, Uma ist klug.“
„Ich finde ihn gar nicht klug sondern höchstens schlau“, erwiderte Dina. „Ob seine Männer vielleicht gerade jetzt über unseren Köpfen graben?“
„Das kann schon sein“, antwortete Philipp. „Ach, seht mal, hier hat er eine kleine Kartenskizze gemacht.“
Die Kinder betrachteten die Skizze eingehend, konnten aber nicht klug daraus werden. Schließlich steckte Philipp sie seufzend wieder fort. „Diese Blätter haben uns nicht viel genützt. Kommt, wir müssen uns jetzt ernsthaft nach einem Ausgang umsehen. Aus dem großen Tempel muß doch ein Weg zu diesen unterirdischen Gemächern geführt haben.“
Noch einmal durchwanderten sie alle Räume. Mit der
Zeit wurden sie recht müde. Auch begann die Dunkelheit sie zu bedrücken, und die dumpfe Luft schien ihnen immer „riechbarer“ zu werden, wie Dina sich ausdrückte.
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Oola war ganz niedergeschlagen. Mit gesenktem Kopf trottete er schweigend hinter seinem Herrn her.
Schließlich setzten sie sich erschöpft in einen großen
Saal. „Es hat keinen Zweck, daß wir noch länger hier unten herumirren“, sagte Philipp. „Wir wollen die Treppe wieder hinaufklettern und zum Boot zurückgehen.“
„Was hätte das für einen Zweck?“ erwiderte Jack. „Aus der Höhle gibt es ja auch keinen Ausgang.“
„Wer weiß? Wir können zum Beispiel noch einmal zu der Felsplatte gehen, von wo aus wir den Wasserfall betrachtet haben, und dann weiter die Schlucht hinaufklettern.“
„Das ist unmöglich! Ich habe mich gut umgesehen, als wir auf der Felsplatte standen. Na, versuchen können wir es ja trotzdem. Dort oben ist es wenigstens hell, und die
Luft ist auch besser als hier unten.“
Ziemlich niedergedrückt machte sich die kleine Gesellschaft auf den Rückweg. Sie gingen durch die vielen Säle mit den kostbaren Schätzen, kletterten durch die Tür, die noch immer halb in den Angeln hing, in das runde Zimmer, wo sie die goldene Schale gefunden hatten, und kamen schließlich zu der Treppe.
„Geh du zuerst, Oola“, sagte Philipp. „Du kletterst wie eine Katze. Nimm das Seil mit und mach es oben an dem
Haken fest. Geh aber vorsichtig, ja?“
Sofort war Oola wie ausgewechselt. Er nickte eifrig. Ah, er tat etwas Wichtiges für seinen Herrn, er und nicht Tala!
Nachdem er sich das Seil um die Hüfte gebunden hatte, begann er stolz die Treppe hinaufzuklimmen. Jede Stufe befühlte er zuerst mit der Hand, bevor er sie betrat. Ein-

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mal rutschte er aus, aber er fiel nicht. Endlich rief er von oben herunter: „Oola hier! Seil kommt!“
Nachdem er das Seil an dem Mauerhaken befestigt hatte, ließ er es hinabgleiten. Bald straffte es sich, also kam jemand herauf. Vielleicht war es Philipp. Sorgsam hielt Oola das Seil fest, damit sein Herr nur ja nicht abstürze. Da hörte er plötzlich ein Geräusch hinter sich, das ihn fast zu Tode erschreckte. Jemand schien laut an eine
Wand zu klopfen. Oola sank zitternd auf die Erde und ließ das Seil los.
„Halt das Seil straff, Oola!“ rief Philipp ärgerlich.
„Wieder erklang das Klopfen hinter Oola. Waren es etwa die alten Götter, die grollten, weil jemand in ihren
Tempel eingedrungen war? Oola stieß einen lauten
Schrei aus, und Philipp wäre vor Schreck fast die Treppe heruntergefallen. „Die Götter kommen!“ schrie er. „Die
Götter kommen!“

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„Die Götter kommen!“
Philipp verstand nicht, was Oola schrie. Schnell kletterte er die letzten Stufen hinauf. „Oola, was ist los? Warum schreist du wie am Spieß?“
„Die Götter kommen!“ Oola zeigte furchtsam den Gang hinauf. „Hörst du sie nicht, Herr?“
Nun hörte auch Philipp das laute Klopfen. Mit wild pochendem Herzen starrte er in den dunklen Gang. Einen
Augenblick glaubte er selber, daß erzürnte Götter Einlaß begehrten. Aber sogleich gewann seine Vernunft die
Oberhand. Nein, das konnte nicht sein. Aber was bedeutete das Klopfen?
„Kommt schnell herauf!“ rief er den anderen aufgeregt zu. Mit zitternden Händen hielt er das Seil, so straff er konnte, während Oola, ganz außer sich vor Angst, seine
Knie umklammerte. Als nächste kam Dina herauf. Sobald sie oben war und das Klopfen hörte, wurde auch sie von
Furcht ergriffen, besonders da Oola fortwährend stöhnte:
„Die Götter kommen, die Götter kommen!“
Nach und nach erschienen nun die anderen. Tala kam als letzter. Als er das Klopfen vernahm, drehte er sich entsetzt um und wollte die Treppe wieder hinablaufen, trat jedoch fehl und rollte laut heulend in die Tiefe. Auch er war davon überzeugt, daß die Götter sich an den Menschen rächen wollten, die es gewagt hatten, die geheiligten Tempelräume zu betreten.
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Philipp blieb keine Zeit, sich um Tala zu kümmern. Er mußte schnell entscheiden, was zu tun war. „Das Klopfen muß von der Steinmauer herkommen“, sagte er zu Jack.
„Sag mal — glaubst du, es könnten Uma und seine Männer sein?“
„Wer sollte es denn sonst sein? Hör endlich mit dem
Geheul auf, Oola! Man versteht ja sein eigenes Wort nicht.“ Die Kinder horchten angestrengt. „Sie kommen, sie kommen!“ wimmerte Oola, der noch immer Philipps Knie umklammert hielt.
„Uma besitzt wahrscheinlich eine alte Karte, nach der er den Weg hierher gefunden hat“, sagte Philipp angestrengt nachdenkend. „Er hat wohl danach graben lassen und ist hinter der Steinmauer auf den Gang gestoßen.
Und nun versuchen die Männer die Mauer zu durchbrechen. Aber das wird ihnen nicht so leicht gelingen.“
„Wer weiß? Sie haben bestimmt gute Werkzeuge bei sich. Wir müssen uns rasch entschließen, was wir tun sollen, Philipp.“
Philipp zuckte die Achseln. „Es kommt alles so plötzlich. Auf alle Fälle werden wir nun hier herauskommen.“
„Uma wird nicht sehr erfreut sein, uns hier zu sehen“, meinte Jack besorgt. „Nun, im Augenblick können wir nichts tun als abwarten. Sicherlich will Uma die wertvollen
Schätze aus den Tempelkellern mitnehmen und irgendwie zu Geld machen.“
„Wenn wir ihn doch daran hindern könnten!“ sagte
Philipp. Auch den Mädchen war der Gedanke schrecklich, daß Uma und seine Männer in die unteren Räume eindringen und die wunderbaren Schätze rauben könnten.
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Ängstlich standen sie da und horchten auf das unaufhörliche Klopfen. Plötzlich hörten sie einen lauten Bums und errieten, daß ein großer Stein aus der Mauer gebrochen und zu Boden gefallen war.
„Die Mauer gibt nach“, sagte Jack. „Sie werden bald kommen. Wir wollen hier stehenbleiben und warten. Oola, sei jetzt endlich still. Das sind keine Götter, sondern Menschen.“
„Nein, nein, Oola weiß, es sind Götter. Tala weiß auch.“
Tala war inzwischen wieder heraufgeklettert. Ängstlich befühlte er seine Glieder und nahm sich vor, in Zukunft vorsichtiger zu sein, ob es nun Götter waren oder nicht.
Aber als er den Stein fallen hörte, erschrak er so sehr, daß er fast noch einmal die Treppe hinuntergefallen wäre.
Gerade noch im letzten Augenblick gelang es ihm, das
Seil zu ergreifen und sich daran festzuhalten, und der
Haken hielt zum Glück.
Wieder ertönte ein lauter Bums, der zweite Stein war aus der Mauer gebrochen. Jetzt würde es den Männern ein leichtes sein, noch ein paar weitere Steine herauszuschlagen. Dann würden sie durch das Loch in der Mauer klettern. Noch ein paarmal hörte man es bumsen. Dann ertönten Stimmen, die in dem Gang widerhallten. Tala horchte erstaunt. Nanu, die „Götter“ sprachen ja in seiner Sprache! Auch Oola richtete sich auf und horchte. Was für
Götter waren das, die wie Menschen sprachen und die gleichen Wörter wie er und Tala gebrauchten?
Nun leuchtete hinten im Gang ein Licht auf. „Ein Mann ist durch die Mauer geklettert“, sagte Jack. „Aha, da ist

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noch ein zweites Licht, also sind es zwei Männer. Da kommen sie schon!“
Mit ihren Taschenlampen umherleuchtend, kamen die beiden langsam den Gang herunter. Plötzlich standen sie vor der Kindergruppe mit Tala dahinter. Sie rissen die
Augen auf und wichen erschrocken zurück. Philipp machte einen Schritt auf sie zu und wollte sie ansprechen. Aber die Männer drehten sich, von wahnsinniger
Angst gepackt, um und rannten schreiend zu der Steinmauer zurück.
„Männer haben Angst“, kicherte Oola.
„Kommt, wir wollen zur Mauer gehen und durchklettern“, sagte Philipp. „Ich sehne mich nach Sonne und frischer Luft. Wahrscheinlich wird der Weg ins Freie ziemlich weit sein, aber wie lange wir auch gehen müssen, die
Mühe lohnt sich.“
Sie gingen den Gang hinauf, bis sie die Steinmauer erreichten. Tala beleuchtete sie mit seiner starken Lampe.
Vier große Steine waren herausgebrochen und lagen im
Gang.
„Geh du voran, Jack“, sagte Philipp. „Wir folgen nach.“
In diesem Augenblick guckte ein Mann durch das Loch und beleuchtete die kleine Gesellschaft mit einer Taschenlampe. Er stieß einen Pfiff aus. „Meine Leute haben also richtig gesehen! Hier ist wirklich jemand — und — und — nicht zu glauben! — ist das nicht Bills kleine Bande? Wie kommt ihr denn hierher?“
„Das geht Sie gar nichts an, Herr Uma“, erwiderte
Philipp kalt. „Vielmehr haben wir ein paar Fragen an Sie zu richten. Wo sind Bill und meine Mutter?“

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Ohne eine Antwort zu geben, leuchtete Herr Uma mit seiner Lampe über die Gruppe, um zu sehen, wie viele
Menschen da waren. Dann fragte er plötzlich: „Habt ihr mein Motorboot gestohlen? Wo ist es geblieben?“
„Das geht Sie nichts an“, entgegnete Philipp wieder.
„Sagen Sie mir zuerst, wo sich Bill und meine Mutter befinden. Es wird Ihnen noch schlecht ergehen, Herr Uma.
Wir wissen, was Sie vorhaben. Sie sind ein ganz gemeiner Dieb.“
„Halt den Mund!“ schrie Herr Uma wütend. „Wie seid ihr hierher gekommen? Es gibt keinen anderen Zugang zu dem Tempelkeller als diesen.“
„O doch, es gibt einen“, erwiderte Philipp. „Aber den werden Sie niemals finden, und von uns erfahren Sie bestimmt nichts. Lassen Sie uns jetzt heraus und sagen Sie uns, wo Bill ist.“
Herr Uma antwortete nicht und begann in der Eingeborenensprache auf Tala einzureden. Die Kinder errieten aus dem Ton seiner Stimme, daß er ihn unter Drohungen auszufragen versuchte.
Tala hörte gleichmütig zu. „Ich weiß nicht, ich weiß nicht“, antwortete er immer wieder auf Englisch, und daraufhin wurde Herr Uma noch wütender.
„Was will er, Tala?“ fragte Philipp.
„Er will wissen, wie wir hergekommen. Er will uns gefangen nehmen. Er sagt viele böse Dinge. Schlechter
Mann!“ Tala spuckte vor Herrn Uma aus.
Außer sich vor Wut schleuderte Uma seine Taschenlampe nach ihm und traf ihn an der Backe. Tala lachte, hob die Lampe auf und steckte sie in den Gürtel. Dann starrte er den erregten Mann gleichmütig an.
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Herr Uma drohte ihm mit der Faust und verschwand.
Man hörte ihn nach seinen Männern rufen.
„Er will uns fesseln lassen“, sagte Tala horchend.
„Ob er das wirklich tut?“ fragte Dina ängstlich.
„Zuzutrauen ist es ihm schon“, meinte Jack. „Wir sind ihm natürlich im Wege, wenn er die Schatzkammer ausrauben will. Nachdem er die schönsten und wertvollsten
Stücke gestohlen hat, wird er uns wieder freilassen. Ich hoffe es wenigstens.“
„Dieser Schuft!“ rief Dina zornig. „Sicherlich hat er Bill und Mutter damals auch gefesselt.“
Philipp nickte. „Und dann hat er sie wahrscheinlich in seinem Haus in Chaldo eingesperrt. Was sollen wir nun machen? Wir können unmöglich gegen eine Menge Männer kämpfen.“
„Laßt uns durch das Loch im Gang klettern und zum
Boot zurückgehen“, schlug Jack vor.
„Dann würde Uma ungehindert die Schatzkammern ausplündern“, erwiderte Philipp. „Ich möchte ihn aber gern daran hindern.“
„Es ist zu spät zur Flucht“, sagte Lucy. „Da kommen sie schon.“ Wirklich, einige Männer kletterten nacheinander durch die Öffnung in der Mauer. Wenn die Kinder jetzt fortliefen, würden sie ihnen folgen und das Boot entdecken. So blieben also alle mutig stehen. Kiki, der eine Zeitlang geschwiegen hatte, hopste erregt auf Jacks Schulter auf und nieder und kreischte laut.
Schließlich waren sechs Männer durch die Mauer geklettert und kamen nun drohend auf die Kinder zu.

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„Zurück!“ rief Philipp befehlend. „Wagt es nicht, uns anzurühren, oder ihr bekommt es mit der Polizei zu tun.“
„Polizei!“ kreischte Kiki. „Polizei! Hol die Polizei!“ Und dann machte er eine Trillerpfeife nach.
Die Männer blieben erschrocken stehen. Kikis schrilles
Pfeifen wurde vielfältig von dem Echo zurückgeworfen und wollte gar kein Ende nehmen. Als er nun noch das
Knattern eines Motorrades nachmachte, entstand solch ein Höllenlärm, daß die Männer schleunigst umdrehten und wie gejagt zur Mauer zurückrannten. Ihre eigenen
Schreckensschreie mischten sich in das unheimliche
Echo. Aufatmend beobachteten die Kinder, wie sie durch die Mauer kletterten.
Jack strich Kiki sanft über das Gefieder. „Danke, Kiki!
Diesmal sage ich nicht 'Halt den Schnabel'. Du hast ihn gerade zur rechten Zeit aufgemacht.“

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Was nun?
Tala brach in schallendes Gelächter aus. Oola tanzte umher und klatschte jubelnd in die Hände. Beide schienen zu glauben, daß jetzt, nachdem die Männer in die
Flucht geschlagen waren, alle Not ein Ende habe. Aber die Kinder waren nicht so zuversichtlich.
„Sollen wir durch die Mauer klettern, Jack?“ fragte
Philipp.
„Ich weiß nicht recht“, antwortete Jack bedenklich. „Hier sind wir verhältnismäßig sicher. Was meinst du, Tala, werden die Männer noch einmal zurückkommen?“
„Die nicht zurückkommen“, antwortete Tala grinsend und zeigte seine weißen Zähne. „Haben große, große
Angst. Wollen wir gehen, ja?“
Philipp hielt ihn zurück. „Nein, warte noch! Wir könnten vom Regen in die Traufe geraten. Die Männer werden zu
Uma gehen und ihm erzählen, was passiert ist. Sicherlich lauert er uns auf und würde uns gefangennehmen, wenn wir durch die Mauer kletterten.“
„Gut gesprochen! Wir warten. Uma böser Mann!“
Sie setzten sich auf die Erde und warteten. Lange Zeit geschah nichts. Dann erschien ein Mann in einem langen weißen Gewand und mit einem Turban an der Maueröffnung. „Ich möchte mit euch sprechen“, sagte er in gebrochenem Englisch.

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Philipp hielt ihn für einen vornehmen Eingeborenen und wartete schweigend ab, was er weiter sagen werde.
„Ich möchte zu euch kommen“, sagte der Mann.
„Bitte kommen Sie“, forderte Philipp ihn auf.
Der Mann zwängte sich durch das Loch, kam näher und verbeugte sich höflich. „Darf ich mich zu euch setzen?“ fragte er mit leiser Stimme.
„Bitte schön“, antwortete Philipp. „Was wollen Sie von uns?“ „Ich soll euch sagen, daß mein Freund, Herr Raya
Uma, bedauert, euch gekränkt zu haben. Er war — wie sagt man doch? — erschrocken, euch hier zu sehen. Er hat Sachen gesagt, die ihm leid sind.“
Niemand antwortete etwas darauf. Jack und Philipp spitzten die Ohren. Was führte Herr Uma jetzt wohl wieder im Schilde?
„Herrn Umas Arbeiter sind zu ihm gekommen und haben gesagt, daß sie nicht länger für ihn arbeiten wollen“, fuhr der Fremde mit sanfter Stimme fort. „Sie haben große Angst. Das ist sehr schlimm für ihn, weil er muß andere besorgen. So er hat mich geschickt, euch zu sagen, daß ihr frei gehen könnt. Er will euch bringen lassen auf richtige Straße und euch geben Wagen, damit ihr sicher fahren könnt nach Chaldo.“
„Warum gerade nach Chaldo?“ fragte Philipp.
„Weil dort sind Herr Bill und Frau. Ihr werdet sie dort treffen und könnt dann gehen, wohin ihr wollt. Seid ihr einverstanden?“ „Wer sind Sie?“ fragte Jack, ohne die Frage zu beantworten.

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„Ich bin Freund von Herrn Uma, aber ich nicht so übermütig wie er. Ich sagte ihm, er tat unrecht, euch zu erschrecken, weil ihr nur seid Kinder. Er horcht auf mich.
Nun — wollt ihr sein Angebot annehmen?“
„Sagen Sie ihm, daß wir es uns überlegen wollen“, antwortete Jack. „Wir trauen Ihrem Freund Uma nicht.“
„Das ist traurig.“ Der Fremde stand auf. „Ich gehe zu warten außerhalb der Mauer, und ihr kommt mir sagen, was ihr überlegt habt. Einverstanden?“
Plötzlich erblickte er die goldene Schale, die neben
Tala auf der Erde stand, und starrte sie überrascht an.
„Woher habt ihr das? Darf ich mal sehen?“
Er beugte sich hinunter, um die Schale aufzuheben, aber Tala riß sie blitzschnell an sich, sprang auf und hielt sie in die Höhe. Der Fremde streckte den Arm aus, so daß sein weiter Ärmel zurückfiel und man seinen nackten
Oberarm sah. Doch Tala ließ sich die Schale nicht fortnehmen. Er schrie etwas in seiner Sprache, offenbar etwas sehr Unhöfliches. Einen Augenblick sah es fast so aus, als ob der Fremde ihn schlagen wollte. Er beherrschte sich jedoch, machte schweigend eine Verbeugung und ging zur Mauer zurück. Dann zwängte er sich durch das Loch und blieb auf der anderen Seite stehen.
„Nun, was sagt ihr?“ Philipp sah sich fragend im Kreise um. Jack schüttelte heftig den Kopf. „Nein, nein, nein! Ist dir nichts aufgefallen, als er seine Hand nach der Schale ausstreckte? Er ist gar kein Freund von Uma.“
„Wer ist er denn?“ fragte Philipp erstaunt.

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„Herr Uma in eigener Person! Als sein Ärmel zurückfiel, habe ich die schlangenförmige Narbe auf seinem Oberarm gesehen.“
Die anderen waren sprachlos vor Staunen. Dann stieß
Philipp einen Pfiff aus. „Donnerwetter! Was für eine
Frechheit, verkleidet zu uns zu kommen! Daß der Mann
Herr Uma selber sein könnte, wäre mir nie im Traum eingefallen. Er sah ja genauso wie ein gebildeter Eingeborener aus und sprach das gleiche gebrochene Englisch, das die Leute hier sprechen. Was für ein schlauer Bursche!
Kein Wunder, daß die Fotografien von ihm so aussahen, als seien alle von verschiedenen Männern gemacht!“
„So ein gemeiner Kerl!“ rief Dina empört. „Kommt hierher und versucht uns in aller Freundlichkeit in eine Falle zu locken! Ein Glück, daß du die Narbe entdeckt hast,
Jack!“
„Ein Glück, daß Bill uns davon erzählt hat!“ erwiderte
Jack. „Also — was machen wir? Sollen wir zu ihm hingehen und ihm sagen, daß wir ihn erkannt haben?“
„Ja.“ Philipp stand auf. „Komm, Jack, wir beide gehen zu ihm. Ihr anderen bleibt hier.“
Die beiden Jungen gingen zu dem Loch in der Mauer.
Herr Uma stand mit gleichgültiger Miene da, die Arme in den weiten Ärmeln seines Gewandes verborgen. Er machte wirklich ganz den Eindruck eines vornehmen Eingeborenen.
„Herr Uma!“ sprach Philipp ihn mutig an. „Wir gehen
Ihnen nicht auf den Leim.“
„Was soll das heißen? Ich bin nicht Herr Uma, sondern sein Freund.“

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„Nein, Sie sind Herr Uma“, erwiderte Philipp. „Wir haben die schlangenförmige Narbe an Ihrem rechten Oberarm gesehen. Es ist ein passendes Erkennungszeichen für Sie, denn Sie sind ebenso wendig wie eine Schlange.“
Plötzlich verlor Herr Uma seine Gelassenheit. Er drohte
Jack und Philipp mit der Faust und schrie: „Diese Frechheit sollt ihr mir büßen! Ihr irrt euch, wenn ihr glaubt, daß ihr hier ins Freie kommt. Ich werde dieses Loch wieder zumauern lassen, und ihr werdet nicht herauskommen.“
„Dann nehmen wir eben einen anderen Weg“, erwiderte Jack kühn.
„Das könnt ihr ja gar nicht! Sonst wäret ihr längst verschwunden. Ich bin nicht so dumm, wie ihr glaubt. Wartet nur, jetzt sollt ihr etwas erleben!“
Er drehte sich um und rief: „Hierher, Leute, hierher! Ich habe Arbeit für euch.“
Die beiden Mädchen, Tala und Oola waren unterdessen nähergekommen und horchten ängstlich. Aber niemand eilte auf Herrn Umas Rufen hin herbei. Wieder rief er, diesmal in einer fremden Sprache, die die Kinder nicht verstanden. Und diesmal kamen etwas zögernd zwei Eingeborene zur Mauer.
„Bringt Ziegel! Vermauert das Loch!“ befahl ihnen Uma herrisch. Die Männer blieben unentschlossen stehen und warfen einen ängstlichen Blick durch die Maueröffnung. Offenbar hatten ihnen ihre Kameraden von ihren schrecklichen Erlebnissen erzählt.
Nun begann Uma sehr schnell auf sie einzureden, und sie horchten interessiert auf.
„Was sagt er, Tala?“ fragte Jack.
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„Er verspricht ihnen Gold. Er sagt, sie werden reich sein, wenn sie gehorchen, sehr reich.“
Die beiden Männer wechselten einen Blick miteinander und nickten zustimmend. Dann gingen sie fort und kamen nach kurzer Zeit mit einem Haufen Ziegelsteine zurück.
Ein dritter Mann brachte Mörtel, und sofort begannen die drei eifrig, das Loch zuzumauern.
Tala und die Kinder sahen hilflos zu. Zwar konnten sie zum Boot zurückkehren. Dort fehlte es ihnen nicht an frischer Luft, und genug zu essen hatten sie auch. Aber wie lange konnten sie die Gefangenschaft aushalten? Früher oder später würden sie sich doch ergeben müssen.
Nachdem sie den Männern eine Weile schweigend beim
Mauern zugesehen hatten, kam Philipp plötzlich ein glänzender Gedanke.
Er fuhr mit der Hand unters Hemd und holte seine Bargua hervor, die die ganze Zeit über still an ihrem Platz gelegen hatte. Dann steckte er die Schlange in das Mauerloch und rief: „Herr Uma! Hier habe ich etwas für Sie!“
Neugierig kam Herr Uma an das Loch und leuchtete mit seiner Lampe hinein. Doch plötzlich erstarrte er wie zu
Stein und blickte ganz entsetzt auf die hellgrüne Schlange mit den roten und gelben Punkten. Als Philipp sie losließ, schrie er auf und floh davon. Die drei Männer warfen ihre
Werkzeuge hin und rannten ihm nach. „Bargua, Bargua!“ kreischten sie.
Die Kinder blickten durch das Loch und horchten gespannt. Auf der anderen Seite der Mauer war es dunkel.
Nachdem das Geschrei sich in der Ferne verloren hatte, blieb alles still.

181

„Ich machen Mauer kaputt“, sagte Tala plötzlich energisch. Er nahm den kleinen Spaten, den er immer noch an seinem Gürtel hängen hatte, und schlug damit auf die
Ziegelsteine ein. Oola half ihm mit den bloßen Händen.
Da der Mörtel noch frisch war, ließen sich die Ziegel leicht herausstoßen, so daß die Öffnung bald ebenso groß wie zuvor war.
„Gut, Tala, gut, Oola!“ lobte Philipp die beiden. „Nun so schnell wie möglich heraus, solange die Bargua noch wirkt!“ Einer nach dem anderen kletterten sie durch die Öffnung und standen bald in einem engen Gang, der offenbar erst vor kurzem ausgegraben worden war. Sie gingen hindurch und gelangten in einen hohen Schacht. An einer
Wand waren rohe Stufen ausgehauen, und daneben hing ein stabiles Seil zum Festhalten.
„Hinauf!“ Philipp leuchtete mit seiner Lampe nach oben.
„Los, Kinder, dies ist unser einziger Weg in die Freiheit!“

182

Uma in Nöten
Das Klettern durch den hohen Schacht war recht beschwerlich. Auf den feuchten Erdstufen glitt man leicht aus. Philipp ging voran und ermahnte die anderen immer wieder, vorsichtig zu sein und das Halteseil auf keinen
Fall loszulassen. Als er oben anlangte, wartete er auf
Lucy, die nach ihm kam, und half ihr heraus. Dann leuchtete er mit seiner Lampe umher.
Der Schacht mündete in einen kurzen engen Tunnel, der weiter aufwärts führte. Philipp ging hindurch und gelangte wieder in einen Schacht, der aber viel niedriger als der erste war. Er blickte hinauf und sah oben Tageslicht schimmern. Froh kehrte er zum Ende des ersten
Schachtes zurück, wo sich inzwischen auch die anderen eingefunden hatten.
Tala streckte laut klagend seine rechte Hand aus, von der die Haut abgeschürft war. Er war ausgeglitten, hatte sich an dem Seil festgehalten und war daran heruntergesaust.
Philipp gab ihm sein Taschentuch. „Hier, binde das um!
Wir haben jetzt keine Zeit zum Lamentieren. Wo mag nur meine Bargua geblieben sein? Ich kann sie nirgends entdecken.“
„Glaubst du etwa, daß sie den Schacht hinaufgeklettert ist?“ fragte Dina spöttisch.

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„Warum nicht? Schlangen können sich überallhin winden. Aber kommt jetzt weiter! Wir müssen noch durch einen zweiten Schacht klettern, dann kommen wir ans Tageslicht.“
Die anderen freuten sich, als sie das hörten. In dem zweiten Schacht hing zum Glück eine Strickleiter. Schnell kletterte einer hinter dem anderen hinauf, und bald standen alle oben.
Lucy blinzelte glücklich in das helle Tageslicht. „Ist es nicht himmlisch, endlich wieder draußen im Freien zu sein? Oh, die herrliche warme Sonne! Sag mal, Philipp, suchst du wirklich hier oben noch nach deiner Bargua?
Das arme Ding kann doch unmöglich zwei große
Schächte hinaufklettern.“
Dina war sehr froh, daß die gefleckte Schlange fort war, sagte aber nichts davon. Schließlich hatten sie dem
Tier ihre Rettung zu verdanken. Befreit reckte sie die Arme und streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen. Dann schaute sie sich um. Die Gegend sah verlassen und öde aus. „Wo sind denn die Männer geblieben?“ fragte sie etwas ängstlich.
„Sie stehen dort drüben neben dem Erdhaufen“, antwortete Jack. „Aber was machen sie denn da? Sie beugen sich zur Erde hinunter.“
Als die Männer Stimmen hörten, richteten sie sich auf und drehten sich um. Dann kam einer von ihnen eilig herbeigelaufen, warf sich vor Philipp auf die Knie und rief etwas in der Eingeborenensprache.
„Was sagt er, Oola?“ fragte Philipp.

184

Oola lachte. „Er sagt, Bargua hat seinen Herrn gebissen. Er sagt, sein Herr wird sterben, weil Bargua giftig.
Herr Uma will mit euch sprechen.“
Die Kinder warfen sich verstohlene Blicke zu und lächelten insgeheim. Sie wußten ja, daß die Schlange harmlos war. Aber Uma glaubte natürlich, er müsse von ihrem Biß sterben, falls man ihn nicht sofort zu einem Arzt brachte und ihm ein Gegengift einimpfte.
„Konnte die Bargua denn überhaupt beißen?“ fragte
Dina ihren Bruder leise.
Philipp nickte. „O ja! Aber ihr Biß ist ganz ungefährlich.
Das ist ja eine komische Geschichte. Kommt, wir wollen mit Herrn Uma sprechen.“
Herr Uma lag auf der Erde und hatte solche Angst, daß sein braunes Gesicht fast weiß war. Stöhnend hielt er sich den rechten Arm.
„Deine Schlange hat mich gebissen“, sagte er zu Philipp. „Du hast meinen Tod auf dem Gewissen, wenn du mich nicht sofort zur Kinostadt bringst. Dort gibt es gute
Ärzte. Sie können mir vielleicht noch helfen.“
„Ihr Diener Jallie hat uns erzählt, daß Sie Bill und meine Mutter nach Wooti gebracht haben“, erwiderte Philipp streng. „Ist das wahr?“
„Ja, und das Motorboot auch“, antwortete Herr Uma leise. „Wir werden sofort dorthin fahren. Herr Bill kann mich dann mit seinem Boot zur Kinostadt bringen. Hilf mir, mein Junge! Ich werde vielleicht nicht mehr lange leben. Habe Mitleid mit mir! Schließlich war es deine
Schlange, die mich gebissen hat.“ '
Philipp wandte sich verächtlich von dem Mann ab, der ihn jetzt um Gnade anflehte, nachdem er seinen Leuten
185

noch vor kurzem befohlen hatte, die Kinder in dem unterirdischen Gang einzumauern.
„Hör zu, Tala! Dort drüben stehen ein Lastwagen und ein Lieferwagen. Sage den Männern, sie sollen Herrn
Uma in den Lieferwagen legen. Er kennt den Weg und soll mit ihnen vorausfahren. Wir steigen in den Lastwagen und fahren hinterher. Falls Herr Uma uns wieder begaunern will, braust du los und bringst uns in Sicherheit.“
Aber diesmal war Herr Uma ausnahmsweise ehrlich. Er hatte große Angst um sein Leben und dachte nur daran, so schnell wie möglich zur Kinostadt zu gelangen.
Bald fuhren die beiden Wagen ab, der Lieferwagen voran und hinterher der Lastwagen mit Tala und den Kindern. Beide Autos waren zum Glück stabil und gut gefedert. Eine richtige Straße gab es in der öden Gegend gar nicht. Sie rumpelten und hopsten über Baumäste und
Erdlöcher, und Herr Uma rollte stöhnend hin und her. Er war eigentlich gar nicht krank, bildete sich jedoch fest ein, daß sein Körper von dem Schlangengift durchdrungen sei, und glaubte, überall Schmerzen zu spüren.
Der Weg nach Wooti war ziemlich weit, aber endlich gelangten sie doch hin. Herr Uma gab seinem Fahrer ein paar Anweisungen. Bald darauf hielten die Wagen vor einer einsam gelegenen Hütte. Der Fahrer des Lieferwagens sprang ab, ging auf die Haustür zu und schloß sie auf. Sofort kam Bill heraus. Er sah so zornig aus, wie die
Kinder ihn noch niemals gesehen hatten. „Wo ist Herr
Uma?“ schrie er.
Der Fahrer sprach lebhaft auf ihn ein und fuchtelte mit den Händen. Offenbar erzählte er Bill von dem Schlangenbiß. Bill schien sich jedoch nicht sehr dafür zu interes186

sieren. Als Jack und Philipp aus dem Lastwagen sprangen und auf ihn zuliefen, starrte er sie ganz entgeistert an. „Jack! Philipp! Wo kommt ihr denn her?“
Philipp erklärte ihm mit ein paar Worten das Notwendigste. „Uma liegt dort in dem Lieferauto. Er glaubt, von einer giftigen Schlange gebissen worden zu sein. Aber es war nur meine Bargua, und du weißt ja, wie harmlos die war. Nun hat Uma große Angst um sein Leben und will so schnell wie möglich zu einem Arzt. Er hat sich daher entschlossen, dich freizulassen, damit du ihn mit unserm
Boot zur Kinostadt bringen kannst.“
„So, so! Er glaubt, lebensgefährlich vergiftet zu sein?
Nun, dann wird er vielleicht sein Gewissen erleichtern und ein Geständnis machen wollen. Erkundigt euch rasch, wo unser Motorboot liegt, Jungens. Und sagt Herrn Uma, daß ich gleich zu ihm komme. Ich will nur eure Mutter holen“ Er lief in die Hütte zurück. Philipp folgte ihm, um seine
Mutter zu begrüßen. Jack ging zu Herrn Uma und sagte ihm, daß Bill sogleich kommen werde.
Herr Uma war immer noch sehr bleich und stöhnte.
„Guter Junge!“ sagte er. „Ah, das ist die Strafe für meine
Sünden! Ich bin ein böser Mensch gewesen, mein Junge.“
„Es scheint so“, antwortete Jack ungerührt. „Bill möchte wissen, wo unser Motorboot liegt.“
„Es liegt an der Mole von Wooti.“ Wieder stöhnte Herr
Uma. „Oh, das Gift wirkt in meinen Adern, ich fühle es.
Wir müssen uns beeilen.“
Nun kam Bill mit seiner Frau aus der Hütte. Man sah es
Frau Cunningham überhaupt nicht an, daß sie ein paar
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Tage eingesperrt gewesen war. Philipp hatte ihr bereits einiges von den Abenteuern der Kinder erzählt.
Bill stieg zu Herrn Uma in das Lieferauto, während die beiden Jungens Frau Cunningham zum Lastwagen führten. Dann fuhren beide Autos in schneller Fahrt zum Fluß.
Unterwegs legte Herr Uma ein umfassendes Geständnis ab. Bill war ganz entsetzt, als er es anhörte. Was dieser Mann alles auf dem Kerbholz hatte! Die Liste seiner
Verbrechen war wirklich sehr lang.
Frau Cunningham erfuhr unterdessen noch mehr von den Erlebnissen der Kinder. Kiki hatte sie sofort freudig begrüßt und wollte ihr immer wieder die Hand schütteln.
„Ich freue mich, Sie zu sehen!“ rief er unaufhörlich. „Ich freue mich, Sie zu sehen. Guten Morgen, guten Abend, auf Wiedersehen!“
„O Kiki, ich freue mich auch, euch alle wiederzusehen!“ sagte Frau Cunningham. „Bill und ich glaubten, Tala werde sich um euch kümmern und Alarm schlagen. Wir ahnten ja nicht, was ihr inzwischen alles durchgemacht habt.
Der arme Herr Uma muß in fürchterlicher Angst wegen seines Schlangenbisses schweben.“
„Der arme Herr Uma?“ rief Dina. „Ein Schuft ist er! Es ist geradezu haarsträubend, wie er uns behandelt hat.“
Als sie an der Mole anlangten, stiegen alle auf das
Motorboot und fuhren flußaufwärts zur Kinostadt. Herr
Uma lag auf einer Matratze und warf sich wimmernd hin und her. Bill wunderte sich, wie naturgetreu er die Erscheinungen nachahmte, die sich nach dem Biß einer giftigen Schlange zeigen, und fragte sich ein wenig besorgt, ob Philipps Bargua wirklich so harmlos gewesen war, wie sie geglaubt hatten. Dann fiel ihm das Geständnis ein,
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das Uma in seiner Todesangst gemacht hatte. Er runzelte die Stirn. Der letzte Plan des goldgierigen Mannes, die alten ehrwürdigen Tempel ihrer kostbaren Schätze zu berauben, erschien ihm besonders verdammungswürdig.
Natürlich wollte er Uma nicht zu einem Arzt, sondern zur
Polizei bringen.
Sobald sie die Kinostadt erreicht hatten, bestellte Bill zwei Taxis. Er selber, seine Frau und Herr Uma stiegen in das erste, die anderen sechs mit Kiki in das zweite, und in schnellem Tempo ging's zum Polizeigebäude. Herr Uma wollte seinen Augen nicht trauen, als man ihn in ein kahles Bürozimmer führte, anstatt in ein hübsches Krankenzimmer in einer Klinik, wie er erwartet hatte.
„Was soll das heißen?“ schrie er aufgebracht. „Behandelt man so einen todkranken Mann, der von einer giftigen Schlange gebissen worden ist?“
„Sie sind überhaupt nicht krank“, erwiderte Bill kalt. „Die
Schlange, die Sie gebissen hat, war ganz harmlos, weil man ihr den Giftkanal entfernt hatte. Sie werden nicht sterben. Aber Sie werden der Polizei jetzt eine Menge
Dinge zu erklären haben.“

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Das Ende des Abenteuers
Nachdem Bill Herrn Uma zwei Polizeioffizieren übergeben und ihnen alles Notwendige erklärt hatte, fuhr die
Familie zum Boot zurück.
„Uma war richtig enttäuscht, als er hörte, daß die
Schlange gar nicht giftig war“, sagte Bill. „Nun hat er mir ganz umsonst seine Sünden gebeichtet. Aber so ergeht es allen Verbrechern, einmal fällt jeder von ihnen herein.
Böse Taten rächen sich zuletzt immer.“
„Vielleicht hat Herr Uma das aus diesem Erlebnis gelernt“, meinte Philipp. „Oder glaubst du, daß er wieder neue Verbrechen begehen wird?“
„Nun, vorläufig wird er gar keine Gelegenheit dazu haben. Man wird ihn erst einmal hinter Schloß und Riegel bringen, und zwar lange genug, daß er seinen Schlangenbiß darüber vergißt. Die Bargua hat dir deine Güte reichlich vergolten, Philipp.“
„Ich wünschte, ich könnte sie zurückbekommen. Sie war so nett.“
„Sage das nur nicht zu Oola, sonst schleppt er noch ein paar Barguas an“, rief Dina ängstlich.
Wie schön war es, wieder auf dem Boot und in der
Sonne zu liegen und zu plaudern! Die Kinder hatten das
Gefühl, daß sie eine Woche lang immerfort reden müßten, wenn sie alles erzählen wollten, was sie erlebt hatten. Bill konnte sich nicht genug über ihre Abenteuer
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wundern. „Während wir in der elenden Hütte eingesperrt waren und uns langweilten, seid ihr mit dem Boot durch eine enge Schlucht gesaust, wäret beinahe einen Wasserfall hinuntergerast, seid durch unterirdische Gänge gekrochen und habt unermeßliche Schätze entdeckt.“
„Manchmal war es recht gefährlich“, sagte Jack. „Aber die Mädels haben sich sehr tapfer benommen.“
Dina und Lucy sahen Jack überrascht und stolz an.
Solche Komplimente hörten sie selten von dem Jungen.
„Auch Kiki hat uns geholfen“, fuhr Jack fort.
Bill lachte. „Ja, das ist wahr. Das Wort 'Polizei' scheint ihm doch zu gut zu gefallen.“
„Polizei!“ schrie Kiki sofort. „Holt die Polizei!“ Und dann folgte die unvermeidliche Trillerpfeife.
Ein paar Eingeborene blieben neben dem Boot stehen und sahen mit runden ängstlichen Augen hinüber.
„Es ist nichts passiert, der Papagei hat gerufen“, rief
Jack ihnen beruhigend zu. „Tu das nicht zu oft, Kiki!
Sonst kommt eines Tages noch die Polizei und sperrt dich ein.“
Als Kiki wieder zu pfeifen begann, gab er ihm einen
Klaps auf den Schnabel.
„Unartiger Junge!“ schimpfte Kiki. „Hol deine Nase!
Putz den Doktor!“
Frau Cunningharn lachte. „Ach, Kiki, du bist doch zu drollig! Schade, daß wir dich nicht bei uns hatten, als wir in der Hütte gefangen saßen! Du hättest uns die Langeweile ein wenig vertrieben.“
„Wißt ihr auch, daß ihr die größte Entdeckung des
Jahrhunderts gemacht habt, Kinder?“ fragte Bill nach einer Weile. „Zwar war Herr Uma auch nahe daran, die
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Schatzkammern zu finden. Aber er hatte ja nur danach gesucht, um sie auszuplündern, während ihr sie durch
Zufall entdeckt und alles getan habt, die Räuber davon fernzuhalten.“ „Was sagst du zu den Sachen, die wir mitgebracht haben?“ fragte Dina mit leuchtenden Augen. „Die goldene
Schale — und die Tasse — der Kamm — die kleine Figur
— und der Dolch — sind sie nicht wunderschön? Ich wünschte, wir könnten sie behalten, aber das ist natürlich nicht möglich.“
„Nein, das geht nicht. Sie gehören der ganzen
Menschheit, und zwar nicht nur einer Generation, sondern auch denen, die nach uns kommen. Sie haben großen historischen Wert, und ich bin stolz, daß ihr dabei geholfen habt, sie ans Licht zu bringen.“
„Was wird nun mit den Sachen geschehen, Bill?“ fragte
Jack. „Wir mußten sie ja bei der Polizei lassen.“
„Man wird sie zunächst einigen Gelehrten vorlegen.
Sobald es bekannt wird, daß der berühmte alte Tempel entdeckt worden ist, werden Archäologen aus aller Welt hierher kommen und dafür sorgen, daß er sachgemäß ausgegraben wird.“
„Dürfen wir mit den Gelehrten sprechen?“ fragte Philipp.
„Nein, ihr werdet zur Schule gehen“, antwortete Bill und sog ruhig an seiner Pfeife.
„Zur Schule?“ rief Dina ganz enttäuscht. „Bleiben wir denn nicht hier, bis alles ausgegraben ist?“
„Um Himmels willen!“ rief Frau Cunningharn. „Das kann jahrelang dauern. Die Gelehrten werden natürlich nicht so einfach drauflosgraben, wie Herr Uma es gemacht hat.
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Nein, jedes Stückchen Erde wird sorgfältig untersucht und gesiebt werden.“
„Wie schade, daß wir das aufregende Ereignis nicht miterleben können!“ sagte Lucy.
Bill sah sie kopfschüttelnd an. „Hast du denn noch immer nicht genug Aufregungen erlebt, Lucy? Einem gewöhnlichen Menschen würden die Abenteuer, die ihr vier in diesem Land erlebt habt, bis an sein Lebensende genügen.“
„Vielleicht sind wir keine gewöhnlichen Menschen“, erwiderte Philipp lachend.
„Du bist bestimmt keiner“, sagte Dina. „Kein gewöhnlicher Mensch trägt eine Schlange mit sich herum. Nächstens wirst du dir noch ein Kamel anbändigen.“
„Ach, da fällt mir ein, Bill — ich habe heute ein kleines
Kamel gesehen, das keinen besonders glücklichen Eindruck machte. Falls wir irgendwie dafür belohnt werden sollten, daß wir den alten verschollenen Tempel entdeckt haben, wünsche ich mir das Kamel.“
„Das geht auf keinen Fall!“ Frau Cunningham richtete sich ganz entsetzt auf. „Ist das etwa dein Ernst, Philipp?
Willst du wirklich ein Kamel mit nach England nehmen?“
„Ach, weißt du, das Kamel, das ich meine, ist sehr, sehr klein, eigentlich nur ein Kamelchen. Es ist sicherlich kaum zwei Tage alt und ...“
„Philipp, ist dir nicht bekannt, daß Kamele sehr groß werden und in einem rauhen Klima nicht gedeihen? Es fehlte noch, daß mir ein Kamel meine Rosenbeete zertrampelt!''

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„Schon gut, Mutter, es war ja nur ein Vorschlag“, entgegnete Philipp schnell. „Ihr schient so zufrieden mit uns zu sein, und da dachte ich . . .“
„Man solle das Eisen schmieden, solange es heiß ist, nicht wahr?“ fuhr Bill lachend fort. „Und dabei sollte dann für dich ein Kamel herausspringen. Nein, Philipp, denk dir lieber etwas anderes aus!“
„Müssen wird denn jetzt gleich nach England zurückfahren?“ fragte Jack. „Ich würde so gern noch einmal unten in dem alten Tempel herumstöbern. Schließlich haben wir ihn doch entdeckt. Auch hätte ich dir gern den herrlichen Wasserfall gezeigt, Tante Allie.“
In diesem Augenblick tauchte der kleine Oola aus der
Kajüte auf. „Oola findet Wasserfall, Oola zeigt Frau!“ versicherte er eifrig.
Philipp winkte ihn zu sich heran. „Komm her, Oola!
Setz dich zu uns und erzähle meiner Mutter, wie du zu dem Wasserfall gekommen bist.“
Stolz erzählte Oola sein Erlebnis. Aber hinsetzen wollte er sich nicht. Er blieb stehen, während er sprach — ein kleiner magerer Junge, noch mit den Striemen von den
Schlägen seines Onkels auf dem Rücken, aber mit strahlendem Gesicht und blitzenden Augen.
Als er mit seiner Erzählung zu Ende war, zog Frau
Cunningham ihn an sich. „Du bist ein guter, tapferer Junge, Oola. Wir werden dich niemals vergessen.“
„Wird mein Herr Oola auch nicht vergessen?“ Der Junge warf Philipp einen liebevollen Blick zu.
„Nein, niemals!“ beteuerte Philipp. „Wenn wir später wieder einmal herkommen, um uns den Tempel anzu-

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schauen, nachdem er ausgegraben ist, mußt du uns führen, Oola. Versprichst du mir das?“
„Oola verspricht. Oola hält sauber, Oola geht in Schule,
Oola tut alles, was sein Herr will!“ Die Augen des Jungen standen voller Tränen. Er verbeugte sich vor seinem
Herrn und huschte wieder in die Kajüte.
Ein paar Minuten sprach niemand ein Wort. Dann sagte
Lucy warm: „Ich habe Oola sehr, sehr gern. Ihr auch?“
Die anderen nickten schweigend. Ja, alle hatten Oola lieb gewonnen. Für die Kinder war er eine ebenso große
Entdeckung wie die Schätze in dem Tempel. Würden sie ihn jemals wiedersehen? Sie hofften es.
„Wir haben so viel geredet, daß ich ganz erschöpft bin“, sagte Frau Cunningham. „Aber etwas muß ich euch doch noch verraten, Kinder. Wir fliegen nicht zurück, sondern fahren mit dem Schiff, so daß ihr mindestens noch eine
Woche Ferien habt.“
„Wie wundervoll!“ rief Dina, und auch die anderen freuten sich über die Verlängerung der Ferien.
„Glaubst du denn, daß wir uns schon genug erholt haben, um wieder zur Schule gehen zu können, Tante Allie?“ fragte Lucy.
„Aber ja, ihr seid so frisch wie Fische im Wasser!“
„Frische Fische!“ rief Kiki. Fische Frische! Fischers Fritz frischt fische Frische!“
„Du bist etwas durcheinandergekommen!“ sagte Jack lachend. „Das ist wohl eine Alterserscheinung, was? Laß mein Ohr in Ruhe, Kiki! Du kitzelst mich.“
Eine Weile saßen alle schweigend da und horchten auf das leise Rauschen des Flusses.

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„Der Fluß der Abenteuer!“ sagte Lucy schließlich träumerisch. „Wir hätten ihm keinen besseren Namen geben können. Sind wir nicht auf ihm geradewegs in ein Abenteuer gefahren?“
„Und was für eins!“ sagte Jack. „Ach, Kiki, hör endlich auf, an meinem Ohr zu knabbern, sonst rufe ich die Polizei!“
„Polizei!“ schrie Kiki, der natürlich das letzte Wort haben mußte. „Holt die Polizei!“

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